Damit einander analog und digital ergänzen

Die Lernumgebung und die technischen Möglichkeiten einer Seminarlocation machen einen Teil des Lernerfolgs aus. Wie sich Seminarhotels in Zukunft aufstellen müssen, um ein zeitadäquates Lernen und Trainieren zu ermöglichen, lesen Sie in diesem Artikel.

Seminarhotels gehen in der derzeitigen Situation durch eine schwere Zeit. Nahezu alle Tagungen, Seminare und Kongresse sind abgesagt. Natürlich bleiben auch die Touristen weg, die am Wochenende die Zimmer in den (Seminar-)Hotels belegen. Jedoch, es gibt ein Leben nach Corona. In näherer Zukunft wird es für Unternehmen wichtig sein, die benötigten Veränderungen von Experten begleiten zu lassen. Daher werden Seminare dringend gebraucht, die aufzeigen, welche Veränderungsprozesse im Unternehmen notwendig sind und wie sie umgesetzt werden können.
Unser Leben nach Corona wird ein anderes sein, Weiterbildungsmaßnahmen werden sich verändern (müssen) – und somit auch die Angebote der Seminarlocations. Online-Learning ist durch die Ausgangsbeschränkungen der vergangenen Wochen noch mehr ins Lampenrecht gerückt – obwohl es zahlreiche Untersuchungen gibt, dass das reine Online-Lernen für unser Hirn nicht vorteilhaft ist. Viel zu schnell vergessen wir das Gelernte. Die Alternative: Blended Learning – ein Mix aus Präsenzeinheiten und Online-Unterricht. Und genau darauf müssen sich Hotels einstellen. Und zwar in zweifacher Hinsicht. Einerseits, um für die Präsenzzeiten die optimale Lernumgebung zu bieten und andererseits, um »klassische« Businesshotelgäste, die gerade nicht an einem Seminar im Haus teilnehmen, die Teilnahme an Online-Lernen zu ermöglichen. Nichts spricht dagegen, dass Seminarhotels selbst ein Online-Lern-Angebot zu unterschiedlichen Themen bereitstellen – sozusagen alternativ oder zusätzlich zur klassischen Bibliothek. Plattformen und Möglichkeiten dazu gibt es genug. Und somit kann der Geschäftsreisende die Nacht im Hotel zusätzlich produktiv nutzen. Dafür müssen die Basics, wie schnelles Internet, unbedingt vorhanden sein. Dazu gehört auch das Bereitstellen von Tablets oder eines Smart-TVs am Zimmer.
Eine weitere Möglichkeit sind natürlich VR-Brillen, die von den Gästen ausgeliehen werden können, im Optimalfall gleich dazu das passende Endgerät mit ein paar Lernprogrammen drauf. Das wird garantiert gut angenommen – denn es ist immer noch relativ neu und viele hatten noch nie die Gelegenheit, diese Art von Lernen auszuprobieren.
Die Auswahl an Seminarlocations ist riesig. Einerseits gibt es Hotels, die ausschließlich auf den Tagungstourismus spezialisiert sind, und andererseits natürlich noch immer die Hotels, die zusätzlich zum Urlaubstouristen ein oder zwei Seminarräume anbieten. Somit wird nahezu jedes Hotel theoretisch zu einem Seminarhotel. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, sollten sich die Hotelmanager schnellstens einige Neuerungen einfallen lassen.

Andreas Zebisch (Experte für Seminarhotels und Key Account Manager bei WEFRAME): »Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wodurch sich gute Seminarhotels vom Mitbewerb abheben. Beispielsweise durch digitale Werkzeuge im Tagungsraum, durch KI-Elemente und fußend auf der durch den Einsatz digitaler Tools gewonnenen Zeit dann durch noch größere Hinwendung ganz individueller Natur zum Hotelgast. Analog und digital ergänzen sich so. Videoconferencing wird schon ab diesem Herbst unverzichtbar sein. Und: Die Meetings werden in der Teilnehmerzahl kleiner werden; also wird man als Hotelier für einen Tagungsraum künftig tatsächlich mehr Miete verlangen können, wenn der Raum mit bester Technik ausgestattet ist und sich so von anderen Seminar-Orten maßgeblich unterscheidet.«

Ulli Retter (Geschäftsführerin Seminarhotel Retter): »Moderne Technik und alles, was diese einbindet, sind heutzutage eine Selbstverständlichkeit und zu wenig, um sich wirklich von der Konkurrenz abzuheben. Um State of the Art zu bleiben, investieren wir regelmäßig in die neueste Technik, aktuell haben wir 6 ­WEFRAME One angeschafft, eine Ad-hoc-Collaboration-Lösung, die es derzeit erst in ganz wenigen Seminarhotels gibt. Davon abgesehen ist es aus meiner Sicht wichtig, als Hotel eine Vision zu haben und ganz klar für gewisse Werte zu stehen. Für mich und mein Team ist Sinn durch gelebte Nachhaltigkeit mit regionalem 100 % Bio-Angebot wichtig. So backen wir in unserem Retter BioGut täglich das frische Brot und Gebäck (auf Wunsch auch mit Kunden), produzieren unsere eigenen Säfte, Tees, Speise-Eis, Edelbrände und Marmeladen. In kostenfreien Vorträgen  erhalten unsere Gäste Einblicke und Inspiration in unseren geschlossenen Lebensmittelkreislauf, die ökologische Bauweise und den umgesetzten Zero-Waste-Gedanken. Das wissen unsere Gäste zu schätzen und sind für 100 % Bio auch bereit, etwas mehr zu bezahlen.«

Zukünftige Erwartungen

Hotelgäste und Seminarteilnehmer haben andere Erwartungen an Seminare als noch vor 20 Jahren. Generell gilt: Seminare verändern sich permanent und werden das auch weiterhin tun. Die Lernzeit per se wird nicht weniger, die Präsenzzeiten sehr wohl. Daher werden 2-Tages-Seminare eventuell öfters zu 4 Halbtagsseminaren umgewandelt, da das erwiesenermaßen den Lerntransfer fördert. Damit verlieren Hotels häufig Nächtigungen. Dennoch wäre es fatal, für diese Anfragen kein Angebot parat zu haben. Vielleicht ein erweitertes, sinnvolles Nachmittagsprogramm, um die Gäste im Haus zu behalten. Ein Programm allerdings, das über Sauna und Wellness hinausgeht. Hier ist Kreativität des Managements gefordert.

Dazu Ulli Retter: »Mit ›Retter Events‹ können wir unzählige Rahmenaktivitäten bereitstellen. Vom gemeinsamen Kochen, über Seifenkistenrennen bis hin zu VR-Spielen. Das bietet unseren (Seminar-)Gästen eine Möglichkeit, auch die Zeit außerhalb des Seminarraums sinnvoll und spaßig zu nutzen.«

Andreas Zebisch: »Locations der Zukunft sollten sich auf die bestmögliche Einrichtung einstimmen. Das, was bisher hauptsächlich über die Kulinarik an Pluspunkten gewonnen wurde, kann jetzt durch Atmosphäre (z. B. besonderes Mobiliar, individuelle Geräte zur Nutzung, zusätzliche Angebote im Entspannungsbereich u. V. m.) unterstrichen und ausgebaut werden. Face Time bzw. Face Value (Zeit für den Gast) wird auch eine immer größere Rolle spielen.«

So manches in den Hotels gehört ja bereits der Vergangenheit an. Denken wir an das Telefon am Zimmer. Kaum jemand benutzt es noch, da ohnehin jeder ein Smartphone besitzt. Auch die Minibar wird immer öfters weggelassen. So wäre stattdessen eine »Smart Guest Applications Suite« ein echter Mehrwert. Also eine Technik (egal ob über ein Tablet oder das Smart-TV), über die der Gast alles mögliche steuern oder bestellen kann, beispielsweise gewünschte Drinks. Möglich wäre auch, dass damit alle Teilnehmer an einem Seminar automatisch vernetzt sind und sich beispielsweise für den Abend eine Zeit an der Bar ausmachen können, falls dies im Seminarraum verabsäumt wurde.

Da sich ein Training von klassischen Frontalvorträgen wegentwickelt und sich hinwendet zu mehr Gruppenarbeiten und zu selbst erarbeiteten Inhalten, sind auch Break-out-Räume wichtig. Und bitte nicht den leer stehende Seminarraum gegenüber anbieten, der dunkel und nicht geheizt ist, sondern moderne Kojen, die genau dafür kreiert wurden. Durch kreatives Arbeiten ist es für Trainer und Teilnehmer im Vorhinein schwierig abzuschätzen, welche Infrastruktur genau gebraucht wird. Daher ist größtmögliche Flexibilität das Gebot der Stunde für (Seminar)Hotels der Zukunft. Die aktuelle Seminararchitektur ist oftmals unflexibel. Immer noch müssen sich Seminarteilnehmer in der Lobby einfinden, um irgendwelche Flip-Charts auszuarbeiten. Professionell ist das nicht – und angenehm auch nicht, weder für den Seminarteilnehmer noch für die anwesenden (Urlaubs-)Gäste. Der Seminarraum der Zukunft ist eben nicht mehr nur der Seminarraum – das ganze Hotel wird zum »Seminar Space«. Der Raum dafür muss natürlich auch geschaffen werden. Hier gilt es, alte Einrichtungen, die nur selten genutzt werden, umzubauen und neu zu gestalten.

Ulli Retter: »Immer häufiger erleben wir, dass große Seminarräume für kleine Gruppen reserviert werden. Das ermöglicht einen größeren Lernraum und schafft Platz für Gruppenübungen. Auch die Natur wird in Seminare eingebunden und Gruppenübungen werden einfach im Freien abgehalten.«
Der Seminarraum wird häufig auch als »dritter Pädagoge« bezeichnet. Entsprechend sollte dieser Raum gestaltet werden. Moderne Lichtkonzepte bringen hier enorme Vorteile. Das haben übrigens schon die Flugzeugbauer erkannt und setzen beispielsweise im A350 genau darauf. Die Beleuchtung dort ist angenehm, mild, unaufdringlich und lässt großen Wohlfühlfaktor aufkommen, allein durch die Beleuchtung – wer schon einmal damit geflogen ist, möchte niemals wieder in ein anderes Flugzeug steigen. Gleiches könnte im Seminarraum erreicht werden. Oder das (bereits bekannte) Thema der Seminarstühle. Hier zu sparen ist schlicht und ergreifend ein grober Fehler. Zu oft müssen auch heute noch Teilnehmer auf unbequemen, schlecht gepolsterten, nicht ergonomischen Stühlen sitzen. Ganz unbewusst macht sich durch den schlechten Sitzkomfort schlechte Stimmung breit, die nicht lernfördernd ist. Kreuz- und Kniebeschwerden sind keine guten Lernbegleiter. Auch Belüftung, Kunst an den Wänden, Akustik etc. müssen wohl überlegt und gezielt geplant werden. In Summe machen all diese Maßnahmen den großen Unterschied zum Mitbewerb aus. Gebucht wird dort, wo man sich wohl fühlt und wo mitgedacht wird.

Preis/Leistung

Das Thema Preis ist generell spannend. Gerade im oberen Preissegment gibt es kaum noch gravierende Preisunterschiede. Besonders wenn jemand bereit ist, etwas mehr Geld auszugeben, um das Lernen auch durch eine Top-Location aufzuwerten, zahlt es sich aus, vorab genauer hinzusehen und das Hotel zu überprüfen, wenn man es nicht kennt, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Tagen in Österreich hat dazu das Flipchart-System eingeführt, das Seminarhotels ähnlich wie klassische Touristikhotels auszeichnen. Aber eben themenbezogen, mit »Flipcharts« und nicht mit »Sternen«. Ein Hotel mit der höchsten Auszeichnung bekommt fünf »Flipcharts« und ist damit optimal für Seminargruppen geeignet.  Den Preis isoliert zu betrachten, ist nahezu bei allem im Leben falsch. Es geht immer um das Verhältnis dazu, was man dafür bekommt – also um das Preis-/Leistungsverhältnis. Wer den Tagungspreis nach oben schraubt, muss auch mehr Goodies bieten, um langfristig überleben zu können.

Andreas Zebisch: »Preis/Leistungsverhältnis attraktiv zu gestalten – das war immer schon wichtig und ist es nach wie vor. Aus meiner persönlichen Sicht müssen Locations und Hotels technisch perfekt ›State of the Art‹ ausgestattet sein. Ohne perfekte und modernste Technik wird es nicht gehen.«
Die Leistungen des Hotels müssen natürlich relevant für das Seminarbusiness sein. Denn eine Kraftkammer oder 7 verschiedene Saunen sind zwar nett, doch rechtfertigen sie nicht eine ­höhre Tagespauschale. Während gutes Equipment, exzellenter Service und durchdachte Seminarraumgestaltung das sehr wohl rechtfertigen. Für gute Leistung zahlt jeder gerne gutes Geld.

Digitalisierung

Am Anfang dieses Artikel wurde es bereits erwähnt: Schnelles, kostenloses WLAN wird erwartet. Über 60 % der Hotelgäste gaben an, dass sie ein Hotel nicht nochmals buchen werden, wenn das WLAN schlecht oder gar nicht funktioniert. Doch, neben allen weiteren digitalen Spielereien, die in einem Hotel angenehm sind, gibt es auch die analoge Welt. Es gibt Versuche von Eincheck-Robotern. Das ist natürlich etwas, das technisch heutzutage leicht möglich ist. Doch wollen wir das?
Wie nett ist es, wenn man persönlich begrüßt wird, vielleicht sogar mit einem Willkommensgetränk, während der Rezeptionist alles für den Gast schon vorbereitet? Die meisten Gäste schätzen eine persönliche Atmosphäre in einem Hotel. Wenn Hotelmitarbeiter z. B. den neuankommenden Gast mit Namen begrüßen, ist das wunderbar. Das wird im Flughafen-Motel weniger der Fall sein als in einem Seminarhotel, wo man ziemlich genau weiß, wann der Trainer und die Seminarteilnehmer kommen. Digital und analog – auch hier wachsen zwei Welten zusammen. Und bei allen technischen Neuerungen gilt es, besonders auf die Usability zu achten.

Andreas Zebisch: »Kundennutzen im Zuge der Digitalisierung ist extrem wichtig. Dafür empfehle ich, einfach ›in die Schuhe des Kunden zu schlüpfen‹: Was spart dem Kunden Zeit? Was ist so leicht und intuitiv zu bedienen, dass es keine Vorbereitung braucht? Was hat der Kunde noch nicht zu Hause in der eigenen Wohnung oder in der Firma? Denn das schafft wahre Glanzmomente, die der Gast auch gerne weitererzählt. Und dies alles muss gepaart sein mit smarten Rahmenprogramm-Angeboten.«

Fazit
Es verändert sich viel in der Tagungsbranche. Seminare werden anders konzipiert. Anbieter von Seminarlocations müssen sich daran anpassen und das Beste aus der digitalen Welt mit dem Besten aus der analogen Welt verbinden. Nachhaltige, regionale Angebote aus der Küche, durchdachte Seminarräume und eine persönliche Atmosphäre machen Seminare zu einem unvergesslichen und nutzbringenden Ereignis.

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