Flexibel durch 12- Stunden-Arbeitstag

Das Regierungsprogramm sieht eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeitregelungen u. a. durch Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeitgrenzen auf 12 Stunden vor.

Tatsächlich ist ein 12-Stunden-Arbeitstag bereits bisher unter gewissen Voraussetzungen erlaubt. Nach dem Arbeitszeitgesetz (»AZG«) darf die Tagesarbeitszeit grundsätzlich 10 Stunden und die Wochenarbeitszeit 50 Stunden nicht überschreiten. Betriebe stehen daher in der Praxis regelmäßig vor der großen Herausforderung, u.a. Liefertermine von großen Aufträgen bzw. Projektabgabetermine ohne Überschreitung der Höchstarbeitszeitgrenzen der damit befassten Arbeitnehmer (AN) einzuhalten. Verstöße gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften kommen den Unternehmen teuer: Geldstrafe zwischen 72,– € und 1.815,– € bzw. im Wiederholungsfall zwischen 145,– € und 1.815,– € pro Überschreitung/AN.

Leitende Arbeitnehmer gemäß AZG
Nicht vom Anwendungsbereich des AZG und des Arbeitsruhegesetzes (»ARG«) erfasst sind »leitende Angestellte, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind«. Die tägliche 10-Stundengrenze ist daher auf diese AN nicht anzuwenden. Nach der ständigen Rsp. des VwGH ist der Ausnahmetatbestand erfüllt, wenn ein AN wesentliche Teilbereiche eines Betriebes eigenverantwortlich leitet, sodass hierdurch auf den Bestand und die Entwicklung des gesamten Unternehmens Einfluss genommen wird, und der AN sich aufgrund seiner einflussreichen Position aus der Gesamtbelegschaft klar heraushebt. Als leitender Angestellter wird daher im Rahmen einer Gesamtbetrachtung u.a. qualifiziert, wer über ein entsprechendes Budget verfügt, die Diensteinteilung seiner Mitarbeiter vornimmt, über deren Einstellung entscheiden kann, die Einteilung seiner eigenen Arbeitszeit selbst bestimmt und ein überdurchschnittlich hohes Gehalt bezieht.

Ausnahmen von der Höchstarbeitszeitgrenze
Bereits nach der bisherigen Rechtslage sind Überschreitungen der täglichen Höchstarbeitszeitgrenze von 10 Stunden möglich. Verteilt sich die Wochenarbeitszeit der AN auf vier Tage, kann die tägliche Höchstarbeitszeit inklusive Überstunden durch Betriebsvereinbarung (»BV«) bzw. (in Betrieben ohne Betriebsrat) durch Einzelvereinbarung auf maximal 12 Stunden ausgedehnt werden. Die Erhöhung der Höchstarbeitszeitgrenze durch Einzelvereinbarung bedarf dabei einer arbeitsmedizinischen Unbedenklichkeitsbescheinigung. Zu beachten ist, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeitgrenze von 50 Stunden mit dieser Regelung nicht ausgedehnt wird und daher auch die geleistete Arbeit innerhalb des erweiterten 12-Stunden-Rahmens unzulässig sein kann, wenn sie über 50 Stunden/Woche hinausgeht.

Im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb (d. h. auch an Wochenenden 0 bis 24h) kann durch BV geregelt werden, dass die tägliche Normalarbeitszeit (»NAZ«) an Wochenenden bzw. bei einem Schichtwechsel auch unter der Woche auf 12 Stunden (ohne Zuschläge) ausgedehnt wird. Es bedarf dazu keiner Ermächtigung durch Kollektivvertrag (KV) oder BV. Zudem sehen einzelne KV eine Ausdehnung der täglichen NAZ auf 12 Stunden für alle Formen des Schichtbetriebs (und zwar unabhängig vom Bestehen eines Betriebsrats im Unternehmen) vor. Allerdings muss dazu (wiederum) eine arbeitsmedizinische Unbedenklichkeitserklärung für die betroffenen Tätigkeiten eingeholt werden. Zu beurteilen sind die konkreten Arbeiten innerhalb der geplanten 12-Stunden-Schichten samt den konkreten Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsumfeld. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine Einzeluntersuchung der gesundheitlichen und sonstigen Situation eines individuellen Arbeitnehmers.
Fällt in zumindest einem Drittel der vereinbarten Arbeitszeit regelmäßig Arbeitsbereitschaft, ist ebenfalls eine Ausdehnung der täglichen NAZ auf 12 Stunden (und der wöchentlichen NAZ auf 60 Stunden) möglich. Bei Arbeitsbereitschaft hält sich der AN an seinem Arbeitsplatz oder an einem anderen, vom Arbeitgeber bestimmten Ort in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes auf, um die eigentliche Arbeit bei Bedarf sofort wieder aufzunehmen. Typischerweise umfasst sind Nachtdienste mit Anwesenheitspflicht, Portierdienste, Dienste im Rettungswesen, Bereitschaftsdienste in Apotheken etc. Darüber hinaus ist an Tagen mit mindestens einem Drittel Arbeitsbereitschaft (bezogen auf die NAZ) eine tägliche Gesamtarbeitszeit von 13 Stunden (einschließlich Überstunden) möglich. Derartige Flexibilisierungen müssen jedoch im maßgeblichen KV oder in der BV zugelassen werden. Ist kein KV anwendbar und kein Betriebsrat errichtet, kann das Arbeitsinspektorat die erwähnte Ausdehnung in Form eines Bescheides zulassen.
Fällt in mehr als die Hälfte der täglichen NAZ bloße Arbeitsbereitschaft und sind besondere Erholungsmöglichkeiten vorhanden, kann die tägliche NAZ maximal dreimal pro Woche auf 24 Stunden ausgedehnt werden. Diese Erweiterung der Arbeitszeitgrenzen ist vor allem für Berufsfeuerwehren oder für soziale Berufe mit kontinuierlichem Betreuungsbedarf relevant (die Arbeitszeit im Gesundheitsbereich ist durch ein eigenständiges Gesetz, das »KA-AZG« geregelt). Auch in diesem Fall bedarf es einer kollektivvertraglichen Ermächtigung zum Abschluss einer BV, einer BV und eines positiven arbeitsmedizinischen Gutachtens über die gesundheitlichen Belastungen durch die Arbeitszeitausdehnung. Für Betriebe ohne Betriebsrat besteht diese Erweiterungsmöglichkeit nicht.

»Sonderüberstunden«
Eine Lockerung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeitgrenzen zur vorübergehenden Spitzenabdeckung ist je Arbeitsverhältnis in bis zu 24 Wochen im Kalenderjahr möglich, um einen »unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteil« zu verhindern. Dabei darf die tägliche Gesamtarbeitszeit 12 Stunden und die wöchentliche Gesamtarbeitszeit 60 Stunden nicht überschreiten. Diese Ausdehnung der Arbeitszeit durch Sonderüberstunden ist jeweils nur acht Wochen am Stück zulässig (danach muss eine zumindest zweiwöchige »Pause« von Sonderüberstunden folgen). Die Regelung ist zwar auch in Fällen von absehbaren besonderen Arbeits- oder Personalengpässen, wie etwa in der Urlaubssaison anwendbar. Bestehen jedoch denkbare Alternativen zu Sonderüberstunden, wie etwa Urlaubssperren oder zeitgerechte Neueinstellungen, so muss der Arbeitgeber primär diese Alternativen ausschöpfen, sofern ihm diese wirtschaftlich und zeitlich zumutbar sind. Auch diese Art der Flexibilisierung erfordert eine vorangehende anlassbezogene BV und daher entsprechende Planung. Eine »Blanko-BV« ist daher nicht ausreichend. In Betrieben ohne errichteten Betriebsrat – egal ob Betriebsratspflicht besteht oder nicht – verlangt der Gesetzgeber eine schriftliche Einzelfallvereinbarung sowie die vorangehende Feststellung der arbeitsmedizinischen Unbedenklichkeit der Sonderüberstunden.

All-in Vereinbarungen
All-in-Vereinbarungen sind in der Praxis durch allgemeine Formulierungen, wie etwa: »Durch die überkollektivvertragliche Entlohnung sind sämtliche Ansprüche des Arbeitnehmers, insbesondere solche auf Entlohnung für Mehrarbeit und Überstunden, […], zur Gänze abgegolten.«, gekennzeichnet. In einem solchen Falle ist – vorbehaltlich eines abweichenden hypothetischen Parteiwillens – argumentierbar, dass auch eine künftig gesetzlich generell erlaubte 11. bzw. 12. Überstunde von einer solchen All-in-Vereinbarung umfasst ist. Anders wäre dies allenfalls zu beurteilen, wenn die All-in-Vereinbarung dezidiert auf eine maximale Tagesarbeitszeit von 10 Stunden (einschließlich Überstunden) verweist. Diesfalls wären die 11. und 12. Stunde i.d.R. zusätzlich zum All-in-Gehalt an den AN auszuzahlen. Doch auch wenn die (künftige) 11. und 12. Stunde wie in ersterem Fall von der All-in-Vereinbarung erfasst wäre, muss anhand einer (jährlichen) Deckungsprüfung ermittelt werden, ob das All-in-Gehalt sämtliche tatsächlich geleisteten Mehr- und Überstunden samt den jeweiligen Zuschlägen abdeckt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung bereits bislang Überstunden über die täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeitgrenzen hinaus (sog. »gesetzwidrige« Überstunden) von All-in-Vereinbarungen erfasst werden können, sofern dies explizit vertraglich vereinbart wurde. Sind die »gesetzwidrigen« Überstunden von der Überzahlung betraglich abgedeckt, besteht zwar keine Gefahr einer Bestrafung des Arbeitgebers wegen Unterentlohnung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz; vor Verwaltungsstrafen nach dem AZG aufgrund der Verletzung der Höchstarbeitszeitgrenzen ist der Arbeitgeber aber nicht gefeit.

Fazit: Die z. T. befürchtete generelle Verlängerung der Tagesarbeitszeit auf 12 Stunden ist weder nach der aktuellen Rechtslage möglich noch im Regierungsprogramm vorgesehen. Bislang ist aber auch die vorübergehende Verlängerung der Höchstarbeitszeitgrenzen (wie z. B. bei unerwartet großen Aufträgen in der Produktion), nur nach Absolvierung diverser bürokratischer Hürden möglich, die nicht den betrieblichen Anforderungen in der Praxis gerecht werden. Die größere Flexibilität durch die weit(er)gehende Zulassung von 12-Stunden-Tagen bietet diverse Vorteile für AG und AN.

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Vogt-Majarek

Gastautorin
Birgit Vogt-Majarek
ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partnerin der Kanzlei Kunz Schima Wallentin Rechts anwälte GmbH (KSW).
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