Scheitern an der Digitalisierung?

Welche Mitbewerber fürchten Mercedes, BMW, VW und Co am meisten? Tesla, ­Google, Apple und Co bereiten den Konzernlenkern wohl die meisten schlaflosen Nächte. Der kommende Wettbewerb im Automobilbereich wird nicht im Bereich PS und Design stattfinden. Es werden jene Unternehmen gewinnen, welche die digitale Kommunikationsschnittstelle mit dem Fahrer, die Navigation, die Daten im Auto, die Softwarestandards, das autonome Fahren und die Bereitstellung flexibler Nutzungsmodelle dominieren. Und das sind im Moment nicht die etablierten Automobilhersteller.

Nicht nur in der Automobilbranche zittern die Mächtigen vor den unwägbaren Umwälzungen durch die Digitalisierung. Aber für jene relaxten Geschäftsführer, die ihr iPhone immer noch nur zum Telefonieren nutzen, wird die Digitalisierung einen abrupten Ruck bereithalten: an dem Tag, wenn ihr Job oder ihr Unternehmen flöten geht. Hier sind einige Gründe, warum dieser Tag bei so manchen nicht mehr fern ist.

1. Fehlende Einsicht in die Notwendigkeit zur Digitalisierung
»Wir haben unsere Marktnische, wir sind sogar Weltmarktführer, und die Welt wird in 10 Jahren noch genau so unsere Umsätze liefern, wie in den letzten 20 Jahren.« Das sind die berühmten letzten Worte von Nokia, Kodak, General Motors, Bene und Co.
Ähnlich wie im Handel mit Amazon und Alibaba, im TV mit Netflix und Apple, im Bluttest-Labor mit Theranos, im Taxigeschäft mit Uber, in Büromöbeln aus Österreich mit Hali etc., werden sukzessive alle Geschäftsbereiche von disruptiven Lösungen mit digitaler Technologie umgekrempelt. Daher sind aktive, digitale Strategien gefordert, die aber hierzulande wohl zum größten Teil verschlafen werden. Beispiel Retail: Die Hälfte der Online-Umsätze von 6  Mrd. Euro fließt ins Ausland.

Die Geschäftsführer sind für das langfristige Überleben des Unternehmens verantwortlich. Daher muss jede Firma eine detaillierte und überlegte digitale Strategie entwickeln und umsetzen. Aber wer jetzt nicht ernsthaft startet, wird es nicht mehr schaffen.

2. Zentrale Hierarchien stoppen digitale Experimente
»Meine Leute müssen tun, was ich ihnen vorgebe. Für digitale Experimente mit ungewissem Ausgang haben wir weder die Zeit noch das Geld.« Dafür passiert auch nichts Unvorhergesehenes – bzw. es passiert einmal überhaupt nichts.
Eine digitale Strategie macht nicht wirklich Spaß: Sie erfordert ein massives Umdenken, neue Ansätze und viel Toleranz für Ungewissheit. Außerdem herrscht ein rasantes Affentempo vor: heute erfunden, morgen getestet und übermorgen schon mit einem ersten Produkt am Markt.
Daher hat sich ein zentralistischer Hierarchieansatz mit Machtmonopol überholt. Bevor der bemühte Mitarbeiter den IT-Zugang zu den Daten für seine externen Programmierer bekommt (3 Wochen!), hat der Mitbewerber schon einen ersten Software-Release am Web getestet. Die Zyklen reduzieren sich auf Stunden und Tage, statt der zentralistisch gebremsten Wochen und Monate.

Wenn jede Entscheidung vom Geschäftsführer höchstpersönlich getroffen wird, dann kann nicht viel passieren. Und genau dieses Problem muss überwunden werden durch eine Vielzahl überschaubarer Experimente, die lokal gesteuert und zum Erfolg geführt werden.

3. Falsche Anreize unterlaufen digitale Geschäftsansätze
»Was habe ich davon, wenn ich mich für eine Innovation einsetze? Nur Arbeit, Ärger und Ablehnung! Da mache ich lieber das, was der Chef von mir erwartet.« Die andere Seite der Medaille ist das mangelnde Engagement vieler Mitarbeiter. »Ich arbeite ja nur da!« als Reaktion eines Mitarbeiters auf eine berechtigte Anfrage verdeutlicht: Er fühlt sich hier nicht verantwortlich, er macht nur seinen Job. Diese Resignation greift in vielen Firmen um sich und führt zu den hohen Raten an innerer Kündigung: 17 % der Belegschaft sind eigentlich gar nicht mehr da. 67  % der Mitarbeiter machen Dienst nach Vorschrift. Wer dann noch die herausfordernde Arbeit macht, ist fraglich.

Nur ein unternehmerischer Zugang kann die Dynamik der sich von linearen Supply Chains zu komplexen Supply Netzwerken entwickelnden Märkte bewältigen. Dazu bedarf es einer Organisation, die unternehmerische Mitarbeiter entwickelt, fördert und frei lässt, um – innerhalb definierter Grenzen – neue Geschäftschancen und Businessmodelle in Echtzeit auf den Markt zu bringen und zum Erfolg zu führen.

4. Funktionale Silos blockieren abteilungsübergreifende Teamarbeit
»Ich versteh’ nicht, warum sich die Fachabteilung beschwert! Wir haben ihnen einen Termin schon in 3 Wochen zugesagt.« Die Funktionsteilung ist nicht Selbstzweck, sondern den Kundenbedarf gemeinsam profitabel zu erfüllen, ist der Zweck des Unternehmens.

Digitale Lösungen leben von der funktionsübergreifenden Zusammenarbeit: Fachabteilung, IT, Finanz, Externe etc. Aber Abteilungsdenken und soziale Inkompetenz führen dazu, dass Programmierer, Fachmitarbeiter und Führungskräfte nicht effektiv zusammenarbeiten. Das Verrückte daran ist, dass jeder Abteilungsleiter seine Ziele erreicht, das Unternehmen aber leider stagniert.
Eine typische Situation: Die guten Ideen aus der Fachabteilung »fliegen« ohne IT nicht. Aber die IT hat nicht ausreichend Ressourcen. Diese werden vom Chef nicht freigegeben, weil er ein digitaler Analphabet ist, der von digitaler Innovation nichts versteht.

Häufig fehlt es an einer Teamkultur, in der die Mitarbeiter unabhängig von der Abteilungszugehörigkeit an einem gemeinsamen Prozess für ein optimales Kundenergebnis arbeiten. Mitarbeiter haben vielerorts zu wenig gelernt, wie sie mit anderen auf Basis von Respekt und Daten gemeinsam an der Problemlösung kämpfen, statt gegeneinander.

Innovationen und neue Geschäftsmodelle entstehen nur durch harte Arbeit in funktionsübergreifenden Teams. Dafür müssen die Mitarbeiter eine hohe Kompetenz und Reife in der Zusammenarbeit und Problemlösung mitbringen.

5. Weg-Delegation aller digitalen Aufgaben an die IT-Abteilung
»Alles mit Computer machen die da drüben in der IT-Abteilung. Digitalisierung geht uns in der Fachabteilung nichts an.« Das ist gleichbedeutend mit der falschen Aussage: Qualität ist nicht meine Verantwortung, für Qualität ist die Qualitätsabteilung zuständig.

Die Digitalisierung hat nur insoweit mit Technologie zu tun, wie diese als Werkzeug zur Umsetzung notwendig ist. Die entscheidende Veränderung liegt in den zusätzlichen Ertrags- und Geschäftsmöglichkeiten, die durch deren Einsatz möglich werden: ubiquitäre Datenverfügbarkeit, effiziente Automatisierung, globale Vernetzung, elektronischer Kundenzugang, ungeahnte Analysemöglichkeiten etc.
Die Fachabteilungen müssen mit ihrer Geschäftskompetenz diese Chancen nutzen für höhere Effizienz, stärkere Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, differenzierte Produkte & Leistungen und innovative Geschäftsmodelle. Die IT ist wichtig als Partner in der Umsetzung.

Zusammengefasst steigert die Digitalisierung die Wirksamkeit betrieblichen Entscheidens und Handelns: »Es ist viel mehr möglich!« Was tatsächlich und profitabel möglich ist, muss aber die Fachabteilung herausfinden und – gemeinsam mit der IT – realisieren.

6. Mangelnde Kompetenzen in der Informations-Technologie
»Wir haben unsere IT-Kosten im letzten Jahr weiter senken können.« Diese (Miss-)Erfolgsmeldung zeigt die fehlende Perspektive. Jedes Unternehmen ist heute ein IT-Unternehmen. Die Frage ist nur, ob es auch die Kompetenzen dafür besitzt.

Die Informationstechnologie ist das zentrale Werkzeug in der Digitalisierung und stellt eine Reihe von Herausforderungen an die Manager. Neben den technischen Kompetenzen wie Hardware, Software, Systemumgebung, Architektur, DBs, Netzwerk, Clouds, Programmierung, Testung, Sicherheit, Verfügbarkeit etc. benötigen die weiteren Anforderungen wie  IT-Kräfte, Projektmanagement, Intellectual Property, Datenschutz, Mitarbeiterschulung etc. ein kompetentes technisches und organisatorisches Management.
Maßstab hier ist die Effektivität, inwieweit die IT einen messbaren Beitrag zum Unternehmenserfolg liefert. In vielen Fällen sind die IT-Investitionen objektiv zu gering und führen zu einem Rückfall im Wettbewerb. Ohne Kompetenzen kein Erfolg, aber Kompetenzen gibt es nicht zum Nulltarif.

Technische Kompetenz ist grundlegend für die Digitalisierung. Es müssen ausreichend Fähigkeiten in der Technologie und den ergänzenden Disziplinen aufgebaut, zugekauft oder als Partner gewonnen werden.

7. Unzureichende Veränderungsbereitschaft  und Lernkultur
»Das haben wir schon immer so gemacht. Das haben wir noch nie gemacht. Das funktioniert nie. Das ist ja nichts Neues. Das hätte schon jemand anderer gemacht. Dafür ist die Zeit noch nicht reif.« Diese Killerphrasen sind der letzte Strohhalm, an dem sich die Verzweifelten festhalten, bevor sie zugeben müssen: Jetzt ist die Zeit für Veränderung!

Globaler Wettbewerb, die beschleunigten Innovationszyklen, die digitale Integration mit Marktteilnehmern und hungrige Start-ups erfordern von jedem mitspielenden Unternehmen eine hohe unternehmerische Dynamik.

Wie das Konzept des »Lean Start-up« zeigt: Der Engpass von unternehmerischen Innovationen ist die Lerngeschwindigkeit, um rascher als der Mitbewerber das Wissen zum Kundenerfolg zu erwerben. Das Wissen kommt aus unserer Erfahrung, die Erfahrung aber entsteht aus unseren Fehlern. Daher müssen die notwendigen Fehler/Lernprozesse rasch und möglichst günstig gemacht werden, um daraus für den Erfolg zu lernen.

Ein Unternehmen, das keine Fehler macht, lernt nichts. Daher sind Fehler als geplante Lernexperimente ein zentraler Schlüssel für den Erfolg in der Digitalisierung. Nur dieser Mut zum Handeln unter Risiko – die unternehmerische Dynamik – eröffnet den Weg zu den Ertragsströmen im Zeitalter der Digitalisierung. Wer nur auf Nummer »Sicher« geht, ist sicher zu langsam.

Daher ist die Zeit zum Handeln jetzt!

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sattlberger

Gastautor
Andreas Sattlberger
ist Geschäftsbereichsleiter für Performance bei procon in Wien.
www.procon.at