Urlaubsrecht und Urlaub 2.0

Neue Rechtsprechung zum Urlaubsanspruch und dessen Verjährung sowie zusätzliche Hinweispflichten stellen Arbeitgeber vor Herausforderungen.

 

Der gesetzliche Urlaubsanspruch ist ein unabdingbares Recht für Arbeitnehmer. Auch wenn das Urlaubsgesetz (UrlG), das das österreichische Urlaubsrecht regelt, auf den ersten Blick übersichtlich erscheint, stellt es Arbeitgeber bei dessen Anwendung immer wieder vor Herausforderungen. Sowohl der Oberste Gerichtshof (OGH) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigen sich regelmäßig mit dem Urlaubsrecht. In diesem Artikel finden Sie Antworten auf häufig auftretende Praxisfragen sowie Tipps und Trends aus dem HR-Alltag.

Ausmaß und Bemessung

Der gesetzliche Anspruch auf Jahresurlaub beträgt grundsätzlich 30 Werktage und erhöht sich nach 25 Jahren »Dienstzeit« auf 36 Werktage.  Anders als in anderen Bereichen, wie z. B. bei der Bemessung der Kündigungsfrist oder der Vorrückung, kommt es für die Berechnung des Urlaubsanspruchs nicht bloß auf Jahre beim aktuellen Arbeitgeber, sondern auch auf (nicht einschlägige) Zeiten vorangehender selbstständiger oder unselbstständiger Tätigkeit, Ausbildungs- und Studien- sowie bestimmte weitere Zeiten nach den Vorgaben in § 3 UrlG an. Die korrekte Berechnung ist für Arbeitgeber daher durchaus komplex und von der Einforderung aller relevanten Angaben vom Arbeitnehmer (und z. B. von der Bestätigung der Erfüllung im Dienstvertrag) abhängig, um von Beginn an gesetzeskonform zu handeln. Ebenfalls ein wiederkehrendes Thema in der Praxis sind der bloß anteilige Urlaubsanspruch im ersten halben Jahr der Beschäftigung, hingegen der volle Urlaubsanspruch danach sowie Fragen rund um die Urlaubsberechnung beim Wechsel der Arbeitszeit (und der Anzahl der Arbeitstage), Übertragung von Alturlauben und die mögliche Festlegung des Kalenderjahres als Urlaubsjahr, um eine möglichst einheitliche Regelung und damit auch eine bessere Übersicht in puncto Urlaubsverbrauch im Betrieb zu haben und erforderliche Maßnahmen treffen zu können. Daneben nehmen jedoch auch neue Entwicklungen am Arbeitsmarkt und EU-Recht sowie Entscheidungen des EuGH vermehrt Einfluss auf das österreichische Urlaubsrecht. Laut Art 7 Arbeitszeit-Richtline 2003/88/EG haben Arbeitnehmer Anspruch auf mindestens vier Wochen bezahlten Urlaub, der außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch einen Geldbetrag abgegolten werden darf.

Gewährung von Zusatzurlaub

Im Hinblick auf Trends in der neuen Arbeitswelt wie »War for Talents« und »Employer Branding« erlangt auch ein zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarter Zusatzurlaub zunehmend an Bedeutung. Für den Erwerb von Zusatzurlaub wird dabei z. B. ein unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen bereits für das vorangehende Geschäftsjahr fixierter (oder freiwillig gewährter) Prämienanspruch zugrunde gelegt. Es kann aber auch eine Überzahlung gegenüber dem kollektivvertraglichen Mindestgehalt die Basis für zusätzliche Urlaubstage bilden, wenn die Vorgaben des Kollektivvertrages in puncto Valorisierung für das entsprechende Jahr bereits vollständig umgesetzt sind. Außerdem kann eine sonstige freiwillig gewährte (also nicht bloß gesetzliche oder kollektivvertragliche Vorgaben erfüllende) Zahlung des Arbeitgebers an Arbeitnehmer zur Umwandlung in Zusatzurlaub verwendet werden. Genau festzulegen sind dabei das verringerte Entgelt (oder der Wegfall der Prämie) und die Vorgaben für eine »Rückumwandlung« in Entgelt, die bei gesetzlichem Urlaub unzulässig wäre. Der Zusatzurlaub darf nicht auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch angerechnet werden. Für den Fall des unterjährigen Ausscheidens des Arbeitnehmers oder bei Nichtverbrauch des Zusatzurlaubs innerhalb des vereinbarten Zeitraums kann – insofern analog zu den Regelungen des UrlG – vereinbart werden, dass ein nicht verbrauchter Zusatzurlaub zum Zeitpunkt der Beendigung ausbezahlt wird, oder aber, dass er ohne die gesetzlichen Übertragungsmöglichkeiten oder bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt (abweichend von den Regelungen im UrlG) bzw. bei einer berechtigten Entlassung verfällt. Um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer nicht zu viele Zusatzurlaubstage ansammeln, wird regelmäßig festgelegt, dass der Erwerb von Zusatzurlaub nur in Frage kommt, wenn aus dem Vorjahr z. B. nicht mehr als fünf gesetzliche Urlaubstage offen sind, und welcher Urlaubsteil zuerst zu verbrauchen ist.

Urlaub und Beendigung

Der Urlaubsverbrauch (d. h. dessen Zeitraum und Ausmaß) ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu vereinbaren. Es ist häufig der Fall, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist unter Fortzahlung des Entgelts freistellen; im Gegenzug wird oft der Verbrauch des restlichen Urlaubsanspruchs oder allfälliger Zeitguthaben vorgesehen. Wird dies nicht im Rahmen einer Auflösungsvereinbarung oder sonst vereinbart, ist eine einseitige Anordnung von Urlaubsverbrauch auch nach der jüngeren Judikatur des OGH nicht zulässig, und eine Verpflichtung zum (teilweisen) Verbrauch nur bei langer Dauer der Kündigungsfrist bzw. Dienstfreistellung und abhängig von den Umständen und dem sonst beim Arbeitnehmer üblichen Urlaubsverbrauch gegeben. Zu beachten ist, dass die einseitige Anordnung von Urlaub durch den Arbeitgeber aufgrund der gesetzlichen Voraussetzung einer Urlaubsvereinbarung als Freistellung unter Fortzahlung des Entgelts angesehen werden könnte. Nicht konsumierter Urlaub muss mit Ende des Dienstverhältnisses ausbezahlt werden (sog. Urlaubsersatzleistung). Der OGH hat dazu 2022 dem EuGH folgend entschieden, dass die damals aufrechte Bestimmung im Urlaubsgesetz, wonach der Anspruch auf Urlaubsersatzleistung entfällt, wenn ein Arbeitnehmer durch unberechtigten (!) vorzeitigen Austritt das Arbeitsverhältnis beendet, EU-Recht widerspricht. Da das Unionsrecht bloß einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen vorsieht, was auch vom OGH in seinem Urteil entsprechend berücksichtigt wurde, wurde § 10 Abs 2 UrlG Ende 2022 dahingehend geändert, dass bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt zwar offene laufende Urlaubsansprüche bis zu diesem Ausmaß ausbezahlt werden müssen, nicht jedoch die sich bloß aus dem österreichischen Recht ergebende fünfte und sechste Urlaubswoche.

Hinweispflicht des Arbeitgebers

Verschärft wurden durch die Judikatur zuletzt auch die Anforderungen zur Geltendmachung des Urlaubsverfalls. Nach dem Urlaubsgesetz verjährt der Anspruch auf Urlaub grundsätzlich innerhalb von drei Jahren, d. h. Arbeitnehmer haben vom Entstehen des Urlaubsanspruchs bis zum Ende der Verjährungsfrist insgesamt drei Jahre Zeit, den Anspruch geltend zu machen. Außerhalb der Verjährung ist ein Verfall von Urlaubsansprüchen grundsätzlich ausgeschlossen. Abgesehen von Unternehmen, die bereits verfallenen Urlaub auf Aufstellungen bzw. im Personalsystem anführen und damit das Fortbestehen von Ansprüchen riskieren, hat der OGH im Juni 2023 einem Urteil des EuGH folgend entschieden, dass für die Verjährung von Urlaubsansprüchen nicht allein der Ablauf von drei Jahren, sondern auch eine Aufforderungs- und Hinweispflicht des Arbeitgebers erfüllt sein muss. Der OGH hat bereits 2021 anerkannt, dass den Arbeitgeber eine sogenannte »Urlaubssorgepflicht« trifft, die in der Praxis bis dahin oft recht nachlässig wahrgenommen und in vielen Unternehmen kein »Urlaubsmanagement bzw. -monitoring« angewandt wurde. Mit der neuen Entscheidung wurde bestätigt, dass der bezahlte europarechtliche Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen an sich nicht verjähren kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zum Verbrauch des Jahresurlaubs auffordert und ihn dabei nicht auf die drohende Verjährung hinweist. Das bisherige Zuwarten, bis der Urlaub nach drei Jahren (mit gewissen Ausnahmen) verjährt, reicht sohin nicht mehr aus. Zu Beweiszwecken ist jedenfalls empfehlenswert, dass die Aufforderung und der Hinweis schriftlich erfolgen, z. B. per E-Mail oder automatische Information im SAP-System o. ä. samt Bestätigung der Kenntnisnahme durch Anklicken, weil der Arbeitgeber dafür die Beweislast trägt. Am Anfang des jeweiligen Urlaubsjahres sollte der Arbeitgeber die Arbeitnehmer auf das Ausmaß ihres Urlaubsanspruches hinweisen und sie auffordern, diesen im Laufe des Jahres zu verbrauchen und dies auch zeitnah zu fixieren. Bei noch offenem Jahresurlaub aus dem Vorjahr sollte der Arbeitgeber die Arbeitnehmer ebenfalls deutlich darauf hinweisen, dass dieser wegen drohender Verjährung im Laufe des aktuellen Urlaubsjahres zu verbrauchen ist. Das sollte zu Beginn des dritten Urlaubsjahres nochmals mit ausdrücklichem Hinweis erfolgen. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmern auch gleich geeignete Zeiträume zum Verbrauch des Urlaubs vorschlagen, wie z. B. Phasen, in denen im Unternehmen üblicherweise weniger zu tun ist. Die Aufforderung sollte möglichst zu Jahresbeginn erfolgen, um einen geordneten Verbrauch nachweisen zu können. Wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer rechtzeitig aufgefordert hat, aber diese erst im November beschließen, ihren gesamten Jahresurlaub in demselben Urlaubsjahr zu verbrauchen, kann dieser verjähren, wenn der Arbeitgeber z. B. in der Weihnachtszeit dringend auf die Arbeitskraft der Arbeitnehmer angewiesen ist und dem Wunsch zum gänzlichen Verbrauch in kurzer Zeit daher betriebliche Interessen entgegenstehen. Arbeitgeber müssen bereits bisher Urlaubsaufzeichnungen führen, um einen Überblick über die (noch nicht) verbrauchten Urlaubstage ihrer Arbeitnehmer zu haben. Künftig werden deutlich mehr Unternehmen (auch abhängig von der Anzahl der Arbeitnehmer) ein automationsunterstütztes System zur Verwaltung von Urlaubsansprüchen und der Umsetzung der aktuellen Pflichten einführen bzw. stärker nutzen (dabei können beide Seiten z. B. den in den kommenden zwölf Monaten verfallenden Urlaub sehen, und es können zeitgerecht entsprechende Aufforderungen durch Vorgesetzte oder HR erfolgen, noch offenen Urlaub zu verbrauchen, um einen Verstoß zu vermeiden). Kommt der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweispflicht nicht nach, können sich bei Beendigung des Dienstverhältnisses u. U. zusätzliche Ansprüche auf Urlaubsersatzleistung aus vergangenen Jahren ergeben, für die nicht durch entsprechende Rückstellungen Vorsorge getroffen wurde.

Fazit
Im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wird die korrekte Handhabung und Kontrolle in puncto Urlaubs­berechnung und -verbrauch zur Vermeidung teurer Überraschungen stärker in den Fokus vieler Unternehmen rücken. Darüber hinaus sollten auch die neuen Trends im Bereich Zusatzurlaub und deren korrekte Handhabung und Abgrenzung vom gesetzlichen Urlaub im Auge behalten werden. Auch Flexibilisierung mittels sogenannter »Workation«, bei der Arbeitnehmer z. B. eine Woche mit ihrer Familie in den Urlaub fahren und dann eine Woche Arbeit vor Ort anhängen, um zwei Wochen mit der Familie zu verbringen, bringen neue rechtliche Herausforderungen, die neben den oben erwähnten arbeitsrechtlichen Fragen, insbesondere Aufenthalts-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht betreffen.

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Vogt-Majarek

Gastautor
Birgit Vogt-Majarek
ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partner der Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH.
birgit.vogt@sms.law
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