Warum es oftmals Sinn ergibt, zu Texten auch eine Grafik hinzuzufügen,
das weiß Gastautor Harald Karrer sehr genau.
Dienstag. 9.25 Uhr. Ein Büro. Mir gegenüber sitzt ein Herr. Anfang 30. Strahlend weißes Hemd. Ohne Krawatte. Sein Lächeln so strahlend wie das Hemd. Er nickt mir zustimmend zu und deutet an, ich soll mit meinen Ausführungen fortfahren. Vor mir liegt ein Blatt Papier. Fast vollgeschrieben. Ich halte einen Stift in der rechten Hand. Sitze neben meinem Gesprächspartner.
Magisch! So ein Dreieck.
Einmal mehr setze ich die Stiftspitze auf das Papier und zeichne jetzt ein Dreieck während ich spreche und in dessen Mitte die Zahl 10.000 schreibe: »Überlegen Sie sich gut, wie Sie Ihr Geld veranlagen. Diese 3 Eckpunkte der Geldanlage behalten wir dabei im Auge: Ertrag, Sicherheit und Verfügbarkeit!« Ich schreibe diese 3 Worte an die Dreiecksecken und zeige dabei abwechselnd auf sie: »Diese Punkte stehen in einer Wechselbeziehung. Wollen Sie beispielsweise mehr Ertrag bei jederzeitiger Verfügbarkeit des Geldes (ich zeichne zu den Worten Ertrag und Verfügbarkeit einen Pfeil nach oben), dann geht dies zu Lasten der Sicherheit (bei diesem Wort zeichne ich einen Pfeil nach unten).« Anders gesagt: eine risikoorientierte Geldanlage – mit Chancen aber eben auch mehr Risiko.
Ein Pfeil der ins Herz trifft.
Dieses Gespräch fand vor über 25 Jahren statt. Bereits damals habe ich eine äußerst wirkungsvolle Technik eingesetzt, ohne mir derer bewusst zu sein: die Kulturtechnik des Zeichnens. Damals arbeitete ich in der Vermögensberatung und Liquiditätsplanung und zeichnete mit Vorliebe Finanzpläne für Kunden. Häufig war in der Mitte des Blatts ein Zeitstrahl zu sehen. Um diesen Zeitstrahl herum waren finanzielle und persönliche Ziele meiner Kunden angeordnet: Wohnen, Mobilität, Familie, Haushalt und vieles mehr. Die Gespräche waren intensiv und mitunter auch emotional. Klar – sind doch die Finanzen in unserer Gesellschaft eng mit der Lebensplanung verbunden. Da wird geträumt, nachgedacht und getüftelt! Ein Liste mit Zahlen in einem Excel-Sheet hätte da niemals den Vorstellungen und Gefühlen der Kunden gerecht werden können. Mit dem Bild (bzw. Gekritzel) andererseits konnten sich die Kunden hervorragend identifizieren!
Und dann hieß es Abschied nehmen.
Viele Kunden traf ich gerade einmal alle 12 Monate. Das Ergebnis: Beim Wiedersehen waren vergangenen Gespräche und besprochenen Ziele häufig weit in den Hintergrund gerückt. Und doch geschah jedes Mal etwas Erstaunliches: Kaum öffnete ich den Aktenordner und zog das vollgekritzelte Blatt mit dem Zeitstrahl hervor, kamen die Gefühle und die Begeisterung wieder in die Körper meiner Kunden zurück! Wir machten dort weiter, wo wir beim letzten Mal geendet hatten. Ich dachte mir immer nur: Wow! Es ist so einfach an unseren letzten Termin anzuknüpfen!
Heute weiß ich: Ein gezeichnetes Bild wird vom Gehirn wesentlich effizienter ausgewertet als bloßer Text oder Zahlen. Und außerdem: Es macht soviel mehr Spaß und Freude, nicht bloß nur schreiben zu müssen oder Zahlen einzutippen, sondern bewusst Handgezeichnetes in meine Gespräche einfließen zu lassen und so um vieles wirkungsvoller sein zu können!