Die Biologie des Streitens

Was ist Streit aus evolutionsbiologischer Sicht eigentlich? Und wie können wir als »weise« Menschen ergebnisorientiert damit umgehen? Gregor Fauma hat Antworten.

Streit ist so alt wie die Menschheit, also sicher drei Millionen Jahre alt. Aber Streit ist nicht den Menschen allein vorbehalten. Unsere affigen Kollegen können das auch unglaublich gut. Wir kennen aber auch Streit unter Katzen und Hunden. In Wahrheit steht dahinter immer eine unterschiedliche Sichtweise zur Fairness der Ressourcenverteilung. Ein Streithansel beansprucht etwas, von dem der andere Streithansel meint, das stünde ihm oder ihr nicht zu. Das kann bei Hunden ein Kauknochen sein, bei Katzen ein Platz zum Dösen, bei Affen eine Rangposition und bei Menschen das Rechtbehalten.

Den Tieren und uns steht dazu ein breites Spektrum an Drohgebärden zur Verfügung. Während Hunde die Zähne fletschen und knurren, Katzen einen Buckel machen und Affen einander zähnefletschend laut anschreien, ziehen wir Menschen zusätzlich zu den nonverbalen Signalen die verbalen hinzu. Wir schauen bös oder geringschätzig, machen uns größer als wir sind, geben uns mächtig und bedienen uns einer Wortwahl, die zum Beispiel das Rechthaben unterstützt. Meist diskreditiert man ergänzend die Position des Gegenübers und das Gegenüber selbst. Man überhöht damit den eigenen Standpunkt. Meistens geht es ja um nichts. Um Prinzipien, um Nickligkeiten. Wir verknüpfen unsere Person mit unserer Position.

Deswegen fällt uns das Einsehen und Nachgeben so schwer. Wir fürchten, evolutionär gesprochen, einen Rangverlust und damit einen Ansehensverlust. Das erschwert wieder zukünftigen Ressourcenzugang. Also darf man nicht Unrecht haben, muss auf seiner Position beharren und diese auf Tod und Verderb hin verteidigen. Verstärkend auf einen Streit wirkt die Anwesenheit anderer Personen, die davon Zeuge werden, wie man abmontiert wird, und dies natürlich in ihrer Gesellschaft weitererzählen. Manche Kulturen leben das extrem aus, dort wird dann von Ehr- und Gesichtsverlust gesprochen, den es in Folge zu rächen gilt.

Homo sapiens

Aber wir Menschen nennen uns ja Homo sapiens. Dann sollten wir auch ausreichend sapiens sein, um zu erkennen, dass Streit sehr oft ergebnislos bleibt bzw. nur Schaden erzeugt. Wirklich aktiv können wir Streit nur verhindern, wenn wir vor dem Entstehen zweier unterschiedlicher Positionen dieses vorwegnehmen können. Dann haben wir die Zeit zu überlegen, wo denn die absehbaren Schritte hinführen und was daraus resultieren wird. Wir haben also die Möglichkeit, Handlungen in der Zukunft vorwegzunehmen, durchzudenken und das Spiel neu zu spielen. Wir müssen uns dessen nur bewusst sein.

Lösungsansatz

Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin. Stell Dir vor, jemand provoziert Dich mit einer bewusst gesetzten These, und Du reagierst nicht darauf. Stell Dir vor, Du reagierst auf einen Unsinn nicht mit Geringschätzung dessen, sondern Du lässt diesen gelten und legst zusätzlich zum Unsinn Deine Position dar. Das Gegenüber verliert sein Gesicht nicht, hat keinen Grund, in den Saft zu gehen und wird weniger wahrscheinlich eskalieren. Und selbst wenn, braucht man auch darauf nicht einzugehen.

Wozu soll man über Konzepte streiten, die eh nie verwirklicht würden? Wozu mit den üblichen Verdächtigen politische Diskussionen führen, wenn längst alle Positionen bekannt und eingefroren sind? Wozu den eigenen Eltern deren pädagogische Irrtümer vorhalten? Gegenseiten beharren auf ihren Positionen, und man selbst tut es auch. Also Themenwechsel. Also über Wichtiges sprechen, über die Dinge, auf die man auch Einfluss hat, die man ändern kann, über Menschen, die anwesend sind.

Dann kann aus Streit ein Gespräch werden. Dann könnten wir sapiens werden. Sie sehen das eh so wie ich, oder?!

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Gregor Fauma, German Speakers Association, GSA Speaker games Vorentscheid, Schloss Leopoldskron, Salzburg, 20160709, (c)wildbild

Gastautor
Gregor Fauma
ist ­Verhaltensbiologe, Autor und ­Keynote-Speaker.
www.gregorfauma.com