Warum moderne Führung ohne KI nicht mehr auskommt – und wie Führungskräfte gleichzeitig lernen müssen, ihre menschlichen Stärken wie Empathie, Kreativität und ethisches Urteilsvermögen bewusster denn je einzusetzen.
Während vor wenigen Jahren noch traditionelle Managementmethoden ausreichten, sehen sich Führungskräfte heute mit der Herausforderung konfrontiert, nicht nur mit komplexen Technologien umzugehen, sondern auch deren Potenzial für ihre Teams zu erschließen. Doch was bedeutet diese Entwicklung konkret für die Führungspraxis? Welche Chancen und Risiken birgt der Einsatz von KI für moderne Führungskräfte? Und wie verändert sich dadurch das Wesen von Leadership selbst?
Der fundamentale Wandel
Die Integration von KI in Führungsprozesse markiert einen Wendepunkt in der Unternehmenskultur. Monika Herbstrith-Lappe (Trainer und Speaker) beschreibt diesen Wandel prägnant: »Führung verändert sich durch den zunehmenden Einsatz von KI in zwei Richtungen. Einerseits werden in der Führung Managementaufgaben durch Digitalisierung erleichtert oder abgenommen. Leadershipaufgaben werden dafür umso bedeutsamer. Denn andererseits sind ein geänderter Mindset und andere Skills bei den Mitarbeitern gefragt.«
Diese Dualität bildet den Kern des Transformationsprozesses. Während KI administrative und analytische Aufgaben übernimmt, verlagert sich der Fokus menschlicher Führung auf die Bereiche, die Maschinen (noch) nicht abdecken können: Empathie, Kreativität, ethische Entscheidungsfindung und das Coaching von Mitarbeitern in einer zunehmend komplexen Arbeitswelt.
Die Entlastung von Routineaufgaben schafft Raum für eine tiefere menschliche Führungsqualität. Dennoch erfordert dies ein Umdenken: Führungskräfte müssen lernen, die Balance zwischen Technologienutzung und menschlicher Führung zu finden, ohne dabei die Verbindung zu ihren Teams zu verlieren oder in technologische Abhängigkeit zu geraten.
Die neue Rolle der Führungskraft
Mit dem Wandel der Arbeitswelt ändert sich auch fundamental, was von Mitarbeitern erwartet wird. Die Automatisierung von Routineaufgaben verschiebt den Fokus menschlicher Arbeit auf kreative und innovative Bereiche, wie Monika Herbstrith-Lappe betont: »Die Zukunft der menschlichen Arbeit liegt jenseits der Denktrampelpfade. Denn was Routine ist, lässt sich leicht digitalisieren. Für uns Menschen bleiben dann das Beschreiten bisher unbekannter und außergewöhnlicher Wege.«
Diese Verschiebung hat direkte Auswirkungen auf die Führungsaufgaben. Während traditionelle Führung oft auf Kontrolle, Standardisierung und Effizienzsteigerung ausgerichtet war, erfordert die neue Arbeitswelt einen grundlegend anderen Ansatz. Monika Herbstrith-Lappe spricht hier von »Supporting Leadership«, einem Führungsstil, bei dem die Führungskraft als Coach und Unterstützer agiert: »Die Führungskraft ermutigt, bestärkt und unterstützt das eigenverantwortliche Handeln mit Coaching-Methoden.«
Diese Neuausrichtung bedeutet für Führungskräfte, ihre Rolle neu zu definieren – weg vom Kommandeur und hin zum Ermöglicher. Es geht darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kreativität und Innovation gedeihen können, und Mitarbeiter zu befähigen, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Eine solche Fehlerkultur ist essenziell für Innovationsfähigkeit in digitalen Zeiten.
KI als Führungsassistent
Die praktische Integration von KI in Führungsprozesse schreitet mit bemerkenswerter Geschwindigkeit voran. Monika Herbstrith-Lappe erläutert den aktuellen Stand: »Von der Protokollierung und Zusammenfassung von Meetings über Terminkoordination und der Recherche fundierter Informationen bis zur Unterstützung für Texte und Präsentationen ist für viele der Einsatz von KI schon jetzt unverzichtbar. Mittlerweile gibt es auch schon hervorragende Tools, die die strategische Planung von Unternehmensbereichen und der gesamten Organisation unterstützen.«
Diese Entwicklung zeigt, dass KI längst als echte Assistenten fungieren, die komplexe Aufgaben übernehmen und dadurch Führungskräften ermöglichen, ihre Aufmerksamkeit auf strategisch wichtigere Aspekte zu richten. Und das ist erst der Anfang. Derzeit werden KI-Agenten gerade getestet und langsam in Beta-Versionen ausgerollt. Diese Agenten werden vermutlich schon bald tatsächliche Assistentenaufgaben vollständig ersetzen können.
Besonders bemerkenswert ist der Einsatz von KI bei der Entscheidungsvorbereitung. Durch die Analyse großer Datenmengen kann KI Muster erkennen, Prognosen erstellen und Handlungsoptionen vorschlagen. Die finale Entscheidung bleibt jedoch beim Menschen – ein Prinzip, das auch regulatorisch verankert ist, wie Monika Herbstrith-Lappe betont: »Sinnvollerweise fordert der AI-Act ›Human in the Loop‹: Menschen müssen die KI-Ergebnisse überprüfen und qualitätssichern. Die KI liefert Entscheidungsgrundlagen und -empfehlungen. Die Entscheidung selbst wird von Menschen getroffen.«
Dieses Zusammenspiel zwischen menschlicher Urteilskraft und maschineller Datenverarbeitung markiert den Beginn einer neuen Ära der Entscheidungsfindung in Unternehmen – eine, in der Technologie menschliche Fähigkeiten erweitert, statt sie zu ersetzen.
Der digitale Humanismus: Mehr menschlich durch mehr digital?
In der Debatte um KI und Führung steht oft die Sorge im Raum, dass Technologie menschliche Interaktionen verdrängt. Monika Herbstrith-Lappe vertritt hier eine differenziertere Sicht: »Ich engagiere mich für den Digitalen Humanismus im Sinne des Wiener Manifests, der treffender ›Menschlichkeit in der Ära der Digitalisierung und künstlichen Intelligenzen‹ heißen sollte. Wenn die KI den Führungskräften und Mitarbeitern Routineaufgaben abnimmt, dann bleibt mehr Zeit für das, was Menschen besonders gut können: Menschliche Beziehungen. Mehr digital ermöglicht mehr menschlich. Das ist eine Möglichkeit, von der ich mir wünsche, dass sie zu unserer Wirklichkeit wird.«
Diese Perspektive eröffnet einen Weg, wie Technologie und Menschlichkeit nicht als Gegensätze, sondern als sich gegenseitig verstärkende Kräfte verstanden werden können.
Für HR-Manager bedeutet dies die Notwendigkeit, organisatorische Strukturen zu schaffen, die dieses Potenzial realisieren. Es geht nicht nur darum, KI-Tools zu implementieren, sondern gleichzeitig Räume für menschliche Begegnung zu schaffen und eine Kultur zu fördern, die zwischenmenschliche Beziehungen wertschätzt.
Bewusster Umgang mit digitalen Assistenten
Trotz aller Potenziale birgt der Einsatz von KI in Führungsprozessen auch Risiken, die ein bewusstes Management erfordern. Monika Herbstrith-Lappe warnt: »Viele – auch Führungskräfte – neigen dazu, KI unreflektiert zu nutzen. Es braucht jedoch dringend Leitplanken, um einerseits z.B. Compliance und Datenschutz zu wahren und andererseits auch ethischen Grundsätzen gerecht zu werden.«
Besonders problematisch kann der unbedachte Einsatz von KI im Personalbereich sein, wie sie erläutert: »Wenn man z.B. KI ohne zusätzliche Steuerung für die erste Runde im Recruiting einsetzt, kann dies schnurstracks in die Durchschnittsfalle führen: Sie schließt von der bisherigen Mehrheit innerhalb des Teams auf zukünftige Mitarbeiter. Monokultur ist jedoch wenig kreativ, innovativ und resilient. Heterogene Teams bieten viel mehr Möglichkeiten und damit Erfolgschancen.«
Diese »Durchschnittsfalle« verdeutlicht ein grundlegendes Problem von KI-Systemen: Sie lernen aus historischen Daten und tendieren dazu, bestehende Muster zu reproduzieren – ein Phänomen, das auch als Bias-Problem bekannt ist. Ohne entsprechende Korrekturmechanismen können KI-Systeme bestehende Ungleichheiten verstärken, wie Monika Herbstrith-Lappe betont: »Abgesehen von diesem unternehmerischen Nutzenaspekt verstärkt der Einsatz von KI ohne entsprechende Gegensteuerung alle bestehenden Diskriminierungen und unbewussten Bias.«
Für Führungskräfte und HR-Manager bedeutet dies die Notwendigkeit, KI-Systeme nicht als neutrale, objektive Werkzeuge zu betrachten, sondern als Technologien, die menschliche Vorurteile reproduzieren können und daher einer sorgfältigen Überprüfung und Steuerung bedürfen.
Skills für die KI-Ära
Die veränderte Führungslandschaft erfordert neue Kompetenzen bei Führungskräften. Monika Herbstrith-Lappe identifiziert besonders zwei Bereiche als zentral: »In Zeiten der Fake News und Deep Fakes ist das kritische Hinterfragen von Informationen von entscheidender Bedeutung. Weil menschliche Begegnungen zunehmend einerseits online stattfinden und andererseits überhaupt durch Kommunikation mit KI ersetzt werden, steigt der Wert von zwischenmenschlichen Beziehungen. Social Skills sind daher von zunehmender Bedeutung.«
Diese Beobachtung enthält zwei wesentliche Aspekte: Zum einen müssen Führungskräfte in der Informationsflut der digitalen Welt ein geschärftes kritisches Denkvermögen entwickeln, um zwischen verlässlichen und manipulierten Informationen unterscheiden zu können. Zum anderen gewinnen soziale Kompetenzen an Bedeutung, gerade weil direkte menschliche Interaktionen seltener werden.
Einige KI-Berater empfehlen, schon heute im Umgang mit Chatbots auf klassische Höflichkeitsformen zu achten. Ein einfaches »Bitte« und »Danke« funktioniert auch in der Interaktion mit Maschinen – und setzt zugleich ein Zeichen. Da wir in Zukunft immer häufiger mit KI-Systemen kommunizieren werden, besteht die Gefahr, dass ein respektloser Ton gegenüber Maschinen langfristig auch unser zwischenmenschliches Miteinander negativ prägt.
Darüber hinaus erfordert der effektive Einsatz von KI ein grundlegendes Verständnis der Technologie – nicht im Sinne technischer Details, sondern im Sinne ihrer Möglichkeiten und Grenzen. Führungskräfte müssen verstehen, für welche Aufgaben KI geeignet ist und wo ihre Grenzen liegen, um fundierte Entscheidungen über ihren Einsatz treffen zu können.
Eine Symbiose aus Mensch und Maschine
Blickt man in die Zukunft, zeichnet sich ein Führungsmodell ab, das als Symbiose zwischen menschlicher Führungskraft und KI verstanden werden kann. In diesem Modell übernimmt KI zunehmend Aufgaben im Bereich der Datenanalyse, Entscheidungsvorbereitung und administrativen Verwaltung, während die menschliche Führungskraft sich auf die Bereiche konzentriert, die – wie oben beschrieben – menschliche Qualitäten erfordern: Vision, Werte, Empathie und die Schaffung einer förderlichen Unternehmenskultur.
Für HR-Manager bedeutet diese Entwicklung die Notwendigkeit, Führungskräfte gezielt auf diese neue Form des Führens vorzubereiten. Dies umfasst nicht nur die Vermittlung technologischer Kompetenzen, sondern auch die Stärkung menschlicher Qualitäten wie Empathie, ethisches Urteilsvermögen und Coaching-Fähigkeiten.
Innovationskultur durch Supporting Leadership
Die Fähigkeit, Mitarbeiter zu eigenständigem Denken und Handeln zu ermutigen, gewinnt an Bedeutung. Monika Herbstrith-Lappe betont: »Deshalb werden Eigeninitiative, kreatives und innovatives Denken, Mut für Entscheidungen und Fehlerkultur bedeutsamer, denn Neuland beinhaltet immer auch das Risiko des Irrtums, der Rückschläge und der Sackgassen. Perfektionismus killt Innovation.«
Diese Beobachtung unterstreicht die Notwendigkeit einer Führungskultur, die Raum für Experimente und auch für Scheitern lässt. Innovation entsteht selten in risikoscheuen Umgebungen, in denen Fehler bestraft werden. Vielmehr bedarf es einer Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit, in der Mitarbeiter ermutigt werden, neue Wege zu gehen.
Fazit
Die Integration von KI in Führungsprozesse markiert einen Wandel in der Unternehmenslandschaft. Während KI administrative und analytische Aufgaben übernimmt, verschiebt sich der Fokus menschlicher Führung auf Bereiche, die menschliche Qualitäten erfordern: Empathie, Kreativität, ethisches Urteilsvermögen und die Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren und zu inspirieren. Diese Entwicklung bietet die Chance, Führung menschlicher zu gestalten, indem sie Führungskräfte von Routineaufgaben entlastet und ihnen ermöglicht, mehr Zeit und Aufmerksamkeit für ihre Mitarbeiter aufzubringen. Gleichzeitig erfordert sie ein neues Führungsverständnis, das Technologie nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung menschlicher Fähigkeiten begreift. Für HR-Manager bedeutet diese Transformation die Notwendigkeit, Führungskräfte auf diese neue Führungsrealität vorzubereiten und organisatorische Strukturen zu schaffen, die eine Balance zwischen technologischer Effizienz und menschlicher Wärme ermöglichen. Im Kern steht dabei die von Herbstrith-Lappe formulierte Vision: »Mehr digital ermöglicht mehr menschlich.« In einer Welt, in der Technologie oft als Bedrohung menschlicher Beziehungen wahrgenommen wird, eröffnet diese Perspektive einen Weg, wie Digitalisierung und Humanismus Hand in Hand gehen können – eine Vision, die gerade für die Führungspraxis von morgen wegweisend sein könnte.