Die Regeln »danach«: spannend, neu, anders

Die HR-Arbeit in der Corona-Krise fordert neue Regeln. Home-Office, Kurzarbeit etc. verändern die eingespielten Abläufe. Was sich alles ändert und wie die HR-, Recruiting- und Onboarding-Welt nach der Krise aussehen könnte, erfahren Sie in diesem Artikel.

Anfang des Jahres 2021 waren insgesamt 520.919 Personen arbeitslos gemeldet oder befanden sich in Schulungen. Das entspricht rund 11 % mehr als 2020. Entsprechend gestiegen ist demnach die Zahl der Bewerbungen, die täglich Unternehmen erreichen. Doch die Verunsicherung auf beiden Seiten ist groß, die Auftragslage der meisten Unternehmen unter dem Vorjahresniveau. Die Zeichen stehen auf Rezession, nicht auf Wachstum. Demnach werden derzeit weniger neue Mitarbeiter eingestellt.
Daher gibt es für die übrig gebliebenen freien Stellen mehr Bewerber und so können die Unternehmen selektiver vorgehen. Jobsuchende müssen die richtigen Kompetenzen mitbringen. Wer diese nicht hat, hat jetzt die Zeit, diese zu erwerben, um für die Zukunft am Arbeitsmarkt attraktiver zu sein.

Auch die Werte, die Bewerber und potenzielle neue Mitarbeiter an Unternehmen wichtig und attraktiv finden, ändern sich gerade massiv. Waren die Motive für einen Jobwechsel in den letzten Jahren noch »höheres Gehalt«, »interessantere Tätigkeit« oder »positives Arbeitsklima«, so sagen die Befragten jetzt vermehrt »Stabilität« oder »ich wünsche mir einen krisensicheren Job«. Das ist ein Vorteil für Arbeitgeber im öffentlichen Bereich.

Von der Krise besonders betroffen sind exportorientierte Unternehmen, die Automobilbranche und natürlich die Reisebranche und Gastronomie. Eine starke Nachfrage nach Mitarbeitern gibt es hingegen weiterhin im IT-Sektor, im Gesundheitsbereich und in der Logistikbranche.

TRAiNiNG hat bei zwei Experten nachgefragt, wie die aktuelle Krise die Jobsuche, das Recruiting und die Personalarbeit verändert hat.

Niki Dürhammer (Geschäftsführer StepStone Österreich): »Corona und die damit verbundenen Einschränkungen haben im Recruiting Spuren hinterlassen. Vor allem im Bereich Personal gab es mit Kurzarbeit, Lockdowns und der Umstellung auf virtuelle Zusammenarbeit große Herausforderungen zu meistern. Zudem hat sich die Personalsuche stärker als je zuvor auf Schlüsselkräfte konzentriert: Bedingt durch den Digitalisierungsschub braucht es in vielen Betrieben jetzt Fachkräfte, die mit der virtuellen Zusammenarbeit vertraut und im Umgang mit digitalen Medien versiert sind. Und nicht zuletzt hat die Krise ganz deutlich gemacht, dass neben fachlichen Fähigkeiten auch andere Skills entscheidend sind, etwa Flexibilität, Anpassungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie Lernbereitschaft und die Fähigkeit, in unkonventionellen Lösungen zu denken. Gerade, wenn alles drunter und drüber geht, braucht es Leute, die rasch auf Veränderungen reagieren und das Beste aus jeder Situation machen.«

Nachhaltige Veränderungen

Derzeit sind wir mitten in der Pandemie. Ein Ende ist laut Bundeskanzler Kurz für den Sommer in Sicht, zuletzt hat er das aber ein wenig revidiert. Einige Experten sprechen von einer Rückkehr zur gewohnten Normalität bis frühestens 2023. Klar ist, wir wissen noch viel zu wenig über das Virus und können die Auswirkungen der Mutationen schwer abschätzen. Fast wirkt es so, als sei die aktuelle Situation die »neue Wirklichkeit«, von der alle im April letzten Jahres gesprochen haben. Wir müssen daher auch im HR unterscheiden zwischen aktuellen Auswirkungen und nachhaltigen Veränderungen, die den Arbeitsmarkt und das Recruiting auf längere Sicht beeinflussen.

Niki Dürhammer wagt eine Prognose für die Zeit »danach«: »Wir werden nach der Krise den verstärkten Trend zur virtuellen Zusammenarbeit sehen. Schon jetzt haben die meisten Unternehmen ihr Recruiting auf digitale Kanäle umgestellt, ebenso die tägliche Zusammenarbeit – Stichwort Home-Office. Weil das für viele gut funktioniert und sowohl Kosten als auch Zeit spart, wird die Entwicklung hin zu hybriden Office-Konzepten sicher auch nach Corona ein Thema bleiben. Außerdem hat die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig digitale Kompetenzen auch in Jobs sind, die nicht im IT-Bereich liegen. Wir sehen aus unseren Umfragen, dass die Krise ganze Belegschaften und Unternehmen stärker zusammengeschweißt und in vielen Fällen auch die private Seite von Arbeitnehmern gezeigt hat, die man sonst nur im Büro sieht. Der Blick auf die Person als Ganzes und nicht nur als Mitarbeiter im Office öffnet den Blick für das Menschliche hinter den Kollegen und die Herausforderungen, die alle abseits der Arbeit meistern müssen – und das ist eine Entwicklung, die auch nach der Rückkehr ins Büro zu begrüßen ist.«

Es gibt also ein Umdenken in den Unternehmen und in den HR-Abteilungen. Wer glaubt, alles wird so wie es war, der täuscht sich. Es findet gerade ein großer Transformationsprozess statt.

Georg Konjovic (CEO ­von karriere.at): »Das vergangene Jahr hat große Veränderungen mit sich gebracht – eine Rückkehr zur Normalität ›vor Corona‹ wird, so scheint es, nicht in jedem Bereich des Arbeitslebens möglich oder gar erwünscht sein. Nicht kurzlebige Trends werden dieses Jahr für Unternehmen bestimmend sein, sondern fundamentale, für die Arbeitskultur richtungsweisende Entscheidungen.«
Georg Konjovic fasst die wichtigsten Veränderungen für HR-Manager zusammen:
1. Home-Office und Remote Work
Das Arbeiten von zuhause aus wird uns dauerhaft begleiten. Trotz der mitunter schwierigen Rahmenbedingungen während der Krise ist Home-Office sehr attraktiv: Zahlreiche Umfragen (darunter auch zwei von karriere.at) zeigen, dass die Österreicher auch in Zukunft im Home-Office arbeiten möchten. Dazu müssen Rahmenbedingungen geschaffen und Vereinbarungen getroffen werden.

2. Hybride Arbeitskultur und Events
Ausschließlich Home-Office ist auch keine Lösung, deshalb wird künftig eine »hybride« Arbeitskultur an Bedeutung gewinnen. In dieser kann sowohl im Büro als auch außerhalb gearbeitet werden. 2020 hat uns gezeigt, dass Meetings, Konferenzen oder Bewerbungsgespräche sehr gut durch digitale Treffen ersetzt werden können und lange Reisen für eine Abstimmung, Weiterbildung oder ein Kennenlernen nicht immer nötig sind. Das damit einhergehende Einsparpotenzial wird wohl die meisten Unternehmen überzeugen, diese hybriden Arbeitsweisen weiterzuführen.

3. OKRs und Vertrauen
Home-Office braucht Vertrauen. Eigenverantwortliches Arbeiten funktioniert auf Distanz besser als Kontrolle. Eine immer populärere Methode dafür sind OKRs (Objectives and Key Results). Dabei definieren Führungskräfte und Teammitglieder gemeinsam, welche Ziele erreicht werden sollen und jedes einzelne Mitarbeiter1 überlegt selbstständig (idealerweise in Abstimmung mit dem Team), wie es dazu beitragen kann. Dieses Übertragen von Verantwortung erfordert aber auch klare Entscheidungen gegen Überwachung, Präsentismus und Micro­management. Damit diese vertrauensvolle, eigenverantwortliche Unternehmenskultur auch dauerhaft funktioniert, brauchen Führungskräfte gute Unterstützung durch laufende Coachings und gegenseitigen Austausch.

4. Resilienz und Gesundheitsförderung
Die derzeitige Krise hat uns gezeigt, wie gut (oder schlecht) es um unsere Resilienz steht – um die jedes Einzelnen und auch um die der Unternehmen. 2021 werden uns sowohl die Pandemie als auch die schwache Wirtschaft zumindest noch zeitweise begleiten. Aufgabe ist es nun, an der eigenen Resilienz zu arbeiten und Mitarbeiter mit Fähigkeiten auszustatten, um künftig besser mit Krisen umgehen zu können und wirtschaftliche Stabilität sowie einen festen Teamzusammenhalt bestmöglich sicherzustellen. Damit einher geht die Frage nach sinnvollen Hygienemaßnahmen und Präventionskonzepten, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern: Wechseln wir von Großraum- in Kleinbüros oder stellen den Mitarbeitern ergonomische Büromöbel auch fürs Home-Office zur Verfügung? Gibt es künftig gesunde Verpflegung in der Kantine oder Sport-Möglichkeiten während der Arbeitszeit? Bieten wir im Betrieb Corona-Impfungen für unser Personal an? Oder ist Gesundheit Privatsache, um die sich Arbeitgeber nicht kümmern sollten? Fragen wie diese werden wir heuer intensiv diskutieren.

5. Reduktion und Nachhaltigkeit
Die Krise hat uns Verzicht gelehrt. Ob Geschäftsreisen, Bürofläche oder was Arbeitszeit betrifft – viele haben in Kurzarbeit ähnlich produktiv gearbeitet wie in Vollzeit. Diese Erkenntnisse sollten heuer genützt werden, um eine mögliche Reduktion oder nachhaltige Umverteilung von Ressourcen umzusetzen. Eine Entscheidung könnte lauten: Wir führen die 30-Stunden- oder 4-Tage-Woche ein – das schafft möglicherweise auch den einen oder anderen neuen Arbeitsplatz. Weniger Bürofläche und Reisetätigkeit oder gesundes Essen sind aber nicht nur im Sinne der Umwelt. Nachhaltigkeit im Betrieb macht Arbeitgeber nämlich besonders für jüngere Mitarbeiter der Generationen Y und Z attraktiv.

Onboarding

Das Thema Onboarding beschäftigt viele Unternehmen, besonders dort, wo Home-Office und Kurzarbeit an der Tagesordnung stehen. Welche Learnings haben Unternehmen hier bisher gesammelt und welche Tipps können unsere Interviewpartner geben?

Niki Dürhammer: »Wir haben hier aus erster Hand Erfahrungswerte aus dem eigenen Haus: Schon im Frühjahr 2020 wurde das Onboarding bei StepStone komplett digitalisiert, was sich gerade jetzt bezahlt macht, da es zwischen Lockdown-Phasen nur wenige Möglichkeiten gibt, Menschen zurück ins Büro zu holen. In unserem Fall gibt es für neue Kollegen eine dreitägige Kennenlernphase in Form von interaktiven Webinaren und Workshops. Zusätzlich stellen wir neuen Mitarbeitern schon vor dem Start alle notwendigen Mittel zum Remote Working zur Verfügung, etwa Laptop oder Diensthandy. Und dann gibt es natürlich gerade zu Beginn zahlreiche Telefonkonferenzen und Videocalls, um die neuen Mitarbeiter einzuschulen und erste Aufgaben zu verteilen. In jedem Fall ist es wichtig, neue Kollegen nicht allein im Wohnzimmer sitzen zu lassen, sondern sie in den ersten Tagen und Wochen virtuell an die Hand zu nehmen und sich regelmäßig mit ihnen auszutauschen. Das ist digital sogar noch schneller und einfacher möglich als im Büro: Ein kurzer Call am Vormittag und einer kurz vor Dienstende sorgen dafür, dass sich das neue Teammitglied abgeholt und gut aufgehoben fühlt und sich rasch ins Team einfindet.«

Georg Konjovic: »Um neue Mitarbeiter im Home-Office einzuschulen, braucht es einige Veränderungen und viel Vorbereitung aller Beteiligten. Je nachdem, wie der Onboarding-Prozess bisher (vor der Corona-Pandemie) abgelaufen ist, sollte man eruieren: Was wollen und können wir davon behalten? Was ist in dieser Situation nicht möglich bzw. kann ausfallen? Ein Beispiel aus der Onboarding-Praxis bei karriere.at: Das Patenprogramm, ein zentraler Bestandteil unseres Onboardings, mussten wir für die neuartige Situation (die überwiegende Mehrheit unserer Mitarbeiter ist im Home-Office) etwas anpassen. Alle neuen Mitarbeiter erhalten bei uns jeweils Paten zur Seite gestellt, die sie begleiten, die Kultur vermitteln und den Start in unsere Systeme und Instrumente übernehmen – das wollten wir auch trotz der neuartigen Situation weiterführen. Nach Abholung des Equipments in unserem Office bitten wir die neuen Kollegen nun, sich zuhause einzurichten. Die Paten nehmen remote Kontakt auf, und wie im ›normalen‹ Onboarding-Prozess nimmt man sich genügend Zeit, um einander kennenzulernen, sich auszutauschen und die Basis mit allen wichtigen Informationen zu schaffen. Damit alle von unseren neuen Kollegen erfahren, bitten wir diese, ein kleines schriftliches ›Hallo‹ in die Runde in unserem zentralen Kommunikationstool zu werfen. Auch die fachliche Einschulung durch die Führungskraft findet anders statt als im Face-to-Face-Onboarding. Mittels Feedbackgesprächen und One-on-Ones holen sowohl die Führungskraft als auch die HR-Manager neue Kollegen regelmäßig ab und unterstützen diese bei ihren Herausforderungen oder Anliegen. Diese Gespräche sind vor allem im digitalen Onboarding noch wertvoller.«

Fazit
Die Corona-Krise ändert viel in der Personalarbeit. Sie bietet jedoch tolle Chancen, alte Prozesse zu modernisieren und zu überarbeiten. Das Angebot an modernen Tools für eine zeitgemäße HR-Arbeit ist riesig und gerade im Recruiting und im Talentmanagement zwingt die Krise ja beinahe zur Hinwendung zu Neuem. Veränderung ist angesagt – die Chancen, Neues auszuprobieren und zu erfahren, sind derzeit so groß wie selten. Nutzen Sie sie – und ja, Fehler machen ist erlaubt.

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Dieser Text nutzt für die sprachliche Gleichbehandlung aller Menschen geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen auf Basis des generischen Neutrums (siehe www.generisches-neutrum.com).