Lernen mit ChatGPT

Vergessen Sie PDF-Dateien und trockene Schulungen: So wird ChatGPT zum aktiven Lernpartner für Onboarding, Weiterbildung und Compliance.

Wer Lernen im Unternehmen wirksam gestalten will, sollte nicht nur an Inhalte denken, sondern an die Form, in der Wissen verankert wird. Genau hier setzt ChatGPTs relativ neue Funktion »Studieren und Lernen« (engl. Study Mode) an: Sie wandelt die Interaktion von »Antwort geben« zu »Verstehen ermöglichen«. Statt Lösungen auszuwerfen, führt ChatGPT in diesem Modus Schritt für Schritt durch Aufgaben, stellt gezielte Fragen, dosiert Informationen und prüft das Verständnis – ein digitaler Tutor, der auf aktive Mitarbeit zielt. Laut OpenAI ist der Lernmodus seit 29. Juli 2025 für angemeldete Nutzer der Free-, Plus-, Pro- und Business-(früher Team‑)Pläne verfügbar; Edu‑Workspaces wurden angekündigt. Aktiviert wird er direkt in ChatGPT, indem man in den Tools »Studieren und Lernen« auswählt oder in den Einstellungen »Study« einschaltet; ein- und ausschalten lässt er sich dynamisch während der Unterhaltung.

Didaktisch funktioniert das über speziell formulierte Systemanweisungen, die OpenAI mit Pädagogik‑ und Fachdidaktik‑Experten entwickelt hat. Diese Anweisungen verankern Verhaltensweisen wie sokratisches Fragen (geleitetes Entdecken statt Vortragen), Scaffolding (schrittweise Komplexitätssteigerung), das Managen kognitiver Last (überschaubare Informationsportionen), Metakognition (Reflexion über den eigenen Denkweg) und systematisches Feedback. Kurz: Der Modus verändert nicht das Fachwissen des Modells, sondern die Art, wie es lehrt.

Für Personalentwickler ist entscheidend, den Lernmodus sauber von anderen ChatGPT‑Fähigkeiten abzugrenzen. Custom GPTs sind maßgeschneiderte Assistenten mit festen Anweisungen, optionalen Tools und »Knowledge«-Dateien – ideal, um firmenspezifisches Wissen, Prozesse und Vorlagen einzubetten. Sie definieren was die KI weiß bzw. darf. Der Lernmodus definiert wie die KI erklärt. In der Praxis kombiniert man beides: Ein unternehmensinterner GPT erhält Richtlinien, Prozessbeschreibungen oder Produktwissen als »Knowledge«, und der Lernmodus vermittelt dieses Wissen didaktisch sinnvoll – beispielsweise beim Onboarding.

Ebenso getrennt zu betrachten sind Kollaborations- und Admin‑Funktionen. ChatGPT Business stellt den gemeinsam genutzten Arbeitsraum, Rollen‑/Rechte‑Verwaltung und Datenkontrollen bereit – wichtig für Roll-outs, die über einzelne Lernende hinausgehen. Für Unternehmen zentral: Bei Business/Enterprise werden Konversationen standardmäßig nicht zum Training der OpenAI‑Modelle verwendet. Diese Ebene regelt Governance und Zusammenarbeit; der Lernmodus wirkt innerhalb der einzelnen Lerninteraktion.

Damit der Lernmodus unternehmensrelevant wird, braucht er Kontext. »Knowledge«-Dateien und – wo erlaubt – Connectors binden interne Quellen an (z. B. Richtlinien, SOPs, SharePoint, Google Drive). Der Tutor erklärt dann nicht nur generisches Wissen, sondern Ihr konkretes Vorgehen, inklusive Begrifflichkeiten und Varianten im Haus. Connectors sind Verknüpfungen zu Dritt‑Apps; sie erlauben in unterstützten Plänen das Suchen, Zitieren und Referenzieren von Inhalten direkt im Chat. So entsteht ein kontinuierlicher Lernfluss vom »Was gilt bei uns?« zum »Wie setze ich es korrekt um?«.

Der Nutzen in der Praxis

Beim Onboarding beschleunigt er die Einarbeitung, weil neue Kollegen nicht PDFs wälzen, sondern mit einem Tutor durch Handbuchkapitel, Produktgrundlagen und Sicherheitsregeln gehen, Verständnisfragen beantworten und sofort Feedback erhalten. In der fachlichen Weiterbildung begleitet er Upskilling in kleinen, alltagsnahen Dosen – von der neuen Projektmanagement‑Routine bis zur Datenanalyse‑Grundlage. Bei Compliance‑Themen festigt er kritisches Wissen über kurze, regelmäßig gestreute Prüffragen; falsche Antworten werden unmittelbar erklärt, statt nur als »falsch« markiert. Im Wissensmanagement ersetzt er informelles »Wie ging das noch mal?« durch geführte Erklärungen des eigenen Prozesswissens – ein Gewinn für Qualitätssicherung und Entlastung interner Experten. In Führungskräfte‑ und Soft‑Skill‑Trainings kann er Gesprächssituationen simulieren, Reflexionsfragen stellen und konkrete Alternativen aufzeigen – risikoarm, wiederholbar, jederzeit verfügbar. All das gelingt, weil die Interaktion nicht bei der Lösung endet, sondern beim Verstehen ansetzt.

Wie führt man das wirksam ein? Beginnen Sie mit klar umrissenen, häufig nachgefragten Themen mit hohem Fehler- oder Reibungspotenzial – etwa »Freigabeprozess für Angebote«, »Incident‑Meldung« oder »Produkteinstieg für Sales«. Bündeln Sie die maßgeblichen Quellen als »Knowledge« im passenden Custom‑GPT, definieren Sie dort Tonalität, Gültigkeitsprioritäten und zulässige Tools, und lassen Sie Mitarbeiter dieses Wissen im Lernmodus erarbeiten. Der Tutor fragt den Kenntnisstand ab, erklärt in steigender Tiefe und prüft das Verständnis – ideal für Microlearning in der Arbeit. Achten Sie darauf, dass jede Passage auf eine verbindliche Quelle zurückgeführt werden kann; bei sensiblen Inhalten zitiert der Assistent die Ursprungsdokumente, damit Nachvollziehbarkeit gegeben ist.

Governance ist kein Zusatz, sondern Bedingung. Stellen Sie sicher, dass die Nutzung im Business‑ oder Enterprise‑Workspace erfolgt, sodass Datenverarbeitung, Rollen und Freigaben kontrollierbar bleiben. Aktivieren Sie nur die Connectors, die Sie wirklich benötigen, und legen Sie fest, welche Datenquellen zulässig sind. Schulen Sie Ersteller von Custom‑GPTs in der Formulierung von Instruktionen (Prompting), damit das »Didaktik‑Wie« des Lernmodus auf ein sauberes »Wissens‑Was« trifft. Ergänzen Sie Guidelines zur verantwortungsvollen Nutzung – etwa, wann bei rechtlichen oder sicherheitsrelevanten Fragen zwingend die Fachstelle einzubinden ist.

Messbarkeit entscheidet über Akzeptanz. Relevante Kennzahlen sind Zeit bis zur Kompetenz in Kernprozessen, Fehler- und Eskalationsraten vor/nach Einführung, Such‑zu‑Lösung‑Verhältnis in typischen Wissensanfragen, Aufwand in Mentorenstunden, Nutzungsintensität und Lernfortschritt pro Thema. Im Onboarding lässt sich die Ramp‑up‑Time mit dem Lernmodus oft sichtbar verkürzen; in der Compliance‑Wiederauffrischung steigt die Behaltensleistung, wenn Verständnis statt Reproduktion geprüft wird. Nutzen Sie Shared Links oder projektbezogene Arbeitsbereiche, um gute Lernpfade zu teilen und weiterzuentwickeln; die Inhalte bleiben im Workspace und sind für Kolleg:innen transparent nachvollziehbar.

Ein häufiger Einwand lautet: »Was, wenn der Assistent halluziniert?« Die Antwort ist strukturell: Minimieren Sie offene Fragen ins Blaue, binden Sie maßgebliche interne Quellen als »Knowledge« ein, erlauben Sie nur geprüfte Connectors, verlangen Sie bei kritischen Auskünften Verweise auf Primärdokumente und formulieren Sie in Custom‑GPTs klare Regeln, wie mit Unsicherheit umzugehen ist (»die Kunst des Promptings!«). Der Lernmodus selbst verstärkt die Sicherheit, weil er Verständnisfragen stellt und Erklärungen in kleine, überprüfbare Schritte zerlegt – Fehleinschätzungen lassen sich so früher erkennen und korrigieren.

Fazit
Unterm Strich ist »Studieren und Lernen« keine weitere Spielerei, sondern ein didaktischer Hebel für skalierbares, individuelles Lernen am Arbeitsplatz. Wer PE‑Ziele und operativen Kontext in einem Custom‑GPT sauber modelliert und den Lernmodus darüberlegt, schafft einen Coach, der nicht müde wird, nachfragt, erklärt und verankert. Der Effekt ist spürbar: weniger Abhängigkeit von Einzelpersonen, schnellere Einarbeitung, gleichmäßigere Qualität im Tagesgeschäft – und eine Lernkultur, die Neugier und Eigenverantwortung belohnt. Oder nüchterner formuliert: Sie senken die Kosten pro Kompetenzpunkt und erhöhen die Transferquote – mit einem Feature, das sich direkt im Chat aktivieren lässt.

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