Neue Führung, neue Trainings

In den letzten 10 Jahren hat sich die Führung von Mitarbeitern stark gewandelt. Führungskräfte brauchen daher zum Teil andere Kompetenzen als früher. Auch die Trainings für Führungskräfte haben sich verändert.

Die rasanten Veränderungen, generell ein Zeichen unserer Zeit, machen selbstverständlich auch vor der Führungsarbeit nicht Halt. Im Gegenteil, gerade in diesem Bereich hat sich zuletzt sehr viel getan. Wir wollten wissen, wie in Führungskräftetrainings auf die veränderten Kompetenzanforderungen reagiert wird und haben dazu 3 Anbieter zu diesem Themenkreis befragt.
Zunächst bitten wir um eine Einschätzung, was sich an der Führungsarbeit konkret verändert hat. Mario Buchinger (Visionär, Querdenker, Lean-Experte und Trainer, u. a. für Business Circle) beschreibt die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart: »In der klassischen Welt des Taylorismus war Führung klar mit dem Vorgeben von Handlungsanweisungen, basierend auf den Überlegungen in den Chefetagen, verbunden. Die Mitarbeiter an der Basis hatten in dieser Denkweise lediglich die Aufgabe der Ausführung. Das Denken war ihnen eher verwehrt bzw. man hat ihre Ideen gar nicht ernst genommen. Hier ist die typische und in weiten Teilen auch heute noch verbreitete Trennung von ›Kopf‹ und ›Hand‹ manifestiert. Die Folgen sind verheerend. So kann ein Unternehmen immer nur so gut wie seine Führungskräfte sein, die aber vom operativen Prozess am weitesten entfernt sind. Man überlässt also das Denken jenen, die die geringste Erfahrung mit den tatsächlichen Arbeiten haben. Ein weiteres Problem, das aus dieser klassischen Denkweise resultiert, ist eine mehr oder weniger starke Demotivation der Mitarbeiter.«

Alois Widena (VBC-Partner) beschreibt die Veränderungen so: »Der Führungsstil von Führungskräften hat sich zunehmend in Richtung kooperativer Führungsstil verändert. Mitarbeiter werden mehr in Entscheidungen mit eingebunden und können aktiv ihren Beitrag leisten.
Auch die Rahmenbedingungen für Mitarbeiter haben sich verändert. Denken wir an Außendienstmitarbeiter, vor 10 Jahren hatten die meisten im Unternehmen einen eigenen Arbeitsplatz und möglicherweise ein eigenes Büro. Heute arbeiten viele Außendienstmitarbeiter ›homebased‹ und kommen nur für interne Abstimmungen in das Unternehmen. Hier hat die Digitalisierung ihren Beitrag geleistet. Die Umgangsformen sind anders geworden, heute ist jeder mit jedem per Du, das hierarchische System wurde aufgeweicht. Man hat das Gefühl, heute ist man mehr Freund als Vorgesetzter und Mitarbeiter.
Und die Work-Life-Balance hat sich bei jüngeren Menschen verändert. Geld, Macht und Position sind als Motivatoren nicht mehr so wichtig. Jüngere Menschen achten mehr darauf, ob sie den Job wirklich machen wollen und dass die Qualität des Arbeitgebers zu ihnen passt.«

Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäftsführerin von Coverdale) analysiert die Veränderungen ähnlich: »Alte Organisationsformen funktionieren nicht mehr wirklich. Vorhersagen und Planungen halten nicht mehr, die Geschwindigkeit hat stark zugenommen. Entscheidungen müssen schnell fallen, Mitarbeiter legen auf ganz andere Dinge wert als früher. Zum Beispiel ist Karriere machen um praktisch jeden Preis für viele nicht mehr Hauptmotiv. Die neuen agilen Organisationen erfordern kleinere Strukturen, schnelle, hoch qualifizierte Teams, die auch entscheiden können. Der größte Unterschied in der Führung ist für mich, dass machtbasierte Führung über die Hierarchie und Kraft der ›Funktion‹ ein Ablaufdatum hat. Führung passiert weiterhin, allerdings über laterale Führung.«

Diese beschriebenen Veränderungen in der Führung von Mitarbeitern haben natürlich zur Folge, dass sich auch die Anforderungen an eine Führungskraft verändert haben.
Birgit Fischer-Sitzwohl erklärt, welche Kompetenzen heute gefordert sind: »Führungskräfte haben vor allem die Aufgabe, Richtung zu geben, und Verantwortung zu übernehmen, für das, was im eigenen Bereich passiert. Das Thema Macht wird immer weniger wichtig, Prozesskompetenz und laterale Führung sind neue Themen.
Im Kompetenzbereich halte ich das Thema ›Steuern über Prozesskompetenz‹ für wesentlich, z. B. das frühzeitige Erkennen von Schwierigkeiten und das Setzen von deeskalierenden Maßnahmen. Außerdem ist das Thema ›Richtung geben und damit Ziele setzen und verfolgen‹ ein ›neues altes‹ Thema. Durch die wesentlich höhere Selbstständigkeit der neuen, agilen Teams hat das Thema eine völlig neue Tragweite, weil die Führungskraft (falls überhaupt noch vorhanden), wesentlich weniger eng führen kann als noch vor einigen Jahren.«

Alois Widena beschreibt die Anforderungen an Führungskräfte so: »Mitarbeiter eigenverantwortlich arbeiten zu lassen und gleichzeitig die Unternehmens- und Bereichsziele im Auge zu behalten, ist nach wie vor wichtig und eine große Herausforderung. Führungskräfte brauchen heute mehr Gefühl dafür, wo sie die Zügel locker lassen können und wo sie sie anziehen müssen. Mitarbeiter nicht zu über- und unterfordern ist wichtig. Wobei hier der Druck auf die Unternehmen durch zunehmend globale und undifferenzierte Anbieter auch in Richtung Überforderung für die Mitarbeiter immer mehr steigt. Führungskräfte brauchen mehr denn je soziale Kompetenz und müssen professionell kommunizieren können, um ihre Mitarbeiter zu führen und Ziele gemeinsam zu erreichen. Der Mix aus Fordern und Fördern ist die Dosis für erfolgreiche Mitarbeiterführung. Als Führungskraft muss ich meinen Mitarbeitern die Landkarte und den Kompass für ihren Weg zum Ziel mitgeben und sie unterstützen, die Fähigkeiten zu entwickeln oder zu erweitern, um Landkarte und Kompass am besten zu verwenden.«

Mario Buchinger ergänzt: »Sogenannte ›weiche‹ Faktoren werden wichtiger, während ›harte‹ Faktoren an Bedeutung verlieren. Führungskräfte müssen heute viel mehr Sozialarbeiter, Coach und Trainer sein als Befehlsgeber. Selbstverständlich müssen Führungskräfte nach wie vor Entscheidungen treffen. Es ist aber extrem wichtig, das Wissen aller Mitarbeiter in die eigenen Entscheidungen mit einzubeziehen. Nur so kann man das ganze vorhandene Wissen proaktiv nutzen und die Mitarbeiter mitnehmen, was dann auch die Motivation und Wertschätzung im Unternehmen und damit auch die Produktivität steigert. Das fachliche Wissen spielt nach aktuellen Maßstäben eine geringere Rolle. Eine Führungskraft sollte zwar nach wie vor fachlich versiert sein, jedoch muss sie nicht alles selbst wissen oder können. Das Thema Vertrauenskultur wird immer wichtiger. Es geht darum, den eigenen Mitarbeitern zu vertrauen, dass diese ihre Arbeit gut machen – anstatt die klassische Kontroll- und Misstrauenskultur vorzuleben.«

Vertrauen, das Wissen der Mitarbeiter nutzen können, soziale Kompetenz, Richtung und Ziele vorgeben, professionell kommunizieren, die richtige »Führungsenge« finden, Prozesskompetenz: Nicht alle dieser Anforderungen sind neu, trotzdem ist klar: Führungskräfte brauchen heute ein anderes Set an Kompetenzen als noch vor 10 Jahren. Dementsprechend müssten sich auch Führungskräftetrainings anpassen, und zwar sowohl in den Inhalten als auch in der Methodik. Wir fragen bei den Experten nach, welche Auswirkungen die genannten Veränderungen auf die Schulungsmethoden haben und wie die (neu geforderten) Kompetenzen am besten trainiert werden. Die Anbieter sehen die Veränderungen in den Methoden aber nicht so sehr als Folge der neu geforderten Kompetenzen, sondern viel mehr als Folge der Weiterentwicklung von Trainingsmethoden an sich, also unabhängig vom Thema.
So sagt z. B. Alois Widena: »Die Schulungsmethoden haben sich nicht nur im Bereich von Trainings bei Führungskräften sondern insgesamt verändert. Wirkungsvolle Ausbildungsmaßnahmen werden durch unterschiedliche Methoden zum Lernen definiert. Es braucht zum einen mehrere Kanäle, die den Lernenden ansprechen und beim Lernen unterstützen. Zum anderen lernen Lernende von heute mehr als früher selbstständig und nach eigener Zeiteinteilung. Wirkungsvolles und umsetzungsorientiertes Lernen funktioniert jedoch viel effektiver, wenn ich auch Neues ausprobieren und dazu Feedback von Trainern oder anderen Teilnehmern z. B. in Präsenztrainings bekomme. Wissen aufbauen und neues Verhalten durch üben und tun schaffen die neu zu erreichende Handlungskompetenz. Ganz wichtig ist das Dranbleiben am Weg der Veränderung, hier muss die Schulungsmethode Maßnahmen bieten und Impulse geben, um den inneren Schweinehund zu überwinden.«

Birgit Fischer-Sitzwohl sieht das ähnlich und beschreibt den Fortschritt in der Methodik so: »Kompetenzentwicklung ist für uns wesentlicher Bestandteil unserer Trainingsarbeit und das nicht erst auf Grund der neuen Führungsherausforderung. Meines Erachtens verändert sich die Schulungsmethode immer mehr raus aus dem Seminarraum hin zu individuelleren, 1:1-Trainingsmethoden, die stark online-gestützt laufen. Das vorwiegend aus Zeitgründen, weil vor allem Führungskräfte nur mehr ungern mehrere Tage vom Arbeitsplatz weg sein wollen und weil die neuen Methoden einfach effektiver sind.
Klassische Schulungen werden zumindest nach unserer Erfahrung immer mehr abgelöst von vollwertiger Kompetenzentwicklung, wo zuerst auf Verhaltensankern basierende Sollprofile erstellt werden und die Programme passgenau daraufhin entwickelt werden. Aus ›Seminaren‹ werden Programme, die neben Schulung auch Übungen, Peer Learning, Projekte usw. enthalten. Im Training können Fähigkeiten aufgebaut werden, die durch die tägliche Anwendung im Alltag, sowie regelmäßige Reflexion langsam in eine Kompetenz umgewandelt werden.«

Mario Buchinger hebt die Bedeutung der praktischen Anwendung hervor und geht dann speziell auf Führungskräfte ein: »Viele Trainings vermitteln reines Wissen, mehr ist in der kurzen Zeit von ein oder zwei Tagen auch nicht möglich. Solche Trainings machen nur Sinn, wenn die teilnehmenden Personen auch wirklich aktuell vor den Herausforderungen stehen, die in den Trainings vermittelt werden. Wissen, das im Anschluss nicht sofort durch gelebte Praxis in Erfahrung umgewandelt werden kann, ist leider wertlos. Denn nur durch das Erlernen von Wissen hat man noch lange keine Erfahrung.  Und oberhalb der Erfahrung liegt dann die innere Haltung. Diese ist der wichtigste Einflussfaktor bei den persönlichen Handlungen und in der Interaktion mit den Mitarbeitern. Wenn man zwar theoretisch weiß, dass Menschen Wertschätzung brauchen, innerlich aber trotzdem Mitarbeiter als ›Ressourcen‹ sieht, ist das Wissen völlig wertlos. Führungskräftetrainings müssen in ihren didaktischen Konzepten dieser Problematik Rechnung tragen.«

Was also macht ein gutes Führungskräftetraining aus? Woran erkennt man, ob ein Führungskräfte-Seminar gut und am neuesten Stand ist? Was muss es unbedingt abdecken?
Mario Buchinger: »Ein gutes Führungskräfte-Seminar darf niemals ausschließlich Fachwissen vermitteln, sondern muss ebenso soziale und psychologische Elemente beinhalten. Führung besteht zu mehr als 80 % aus diesen Elementen, nur ein kleiner Teil ist fachlicher Natur. Mitarbeiter sind in vielen Fällen den Führungskräften fachlich überlegen. Führungskräfte haben aber die Fähigkeit, unterschiedliches Wissen zu kombinieren und Menschen dazu zu bringen, ihr Wissen und ihre Erfahrung im Sinne des unternehmerischen Erfolgs einzubringen.
Außerdem dürfen Führungskräfte-Seminare niemals suggerieren, dass sie eine allgemein gültige Lösung für nahezu alle Probleme vermitteln könnten. Bei allen möglichen guten und richtigen Ansätzen sind diese doch nach wie vor einzelne Praxiserfahrungen, aus denen Teilnehmer Inspiration gewinnen können. Es sollte vielmehr im Fokus stehen, Führungskräfte dazu zu bringen, eigene Ideen zu entwickeln.«

Alois Widena betont, dass es letztendlich ums Können geht: »Für mich sind zwei Kriterien wichtig: der Inhalt und die Lernmethode. Ist mein Ziel nur, Wissen aufzubauen – also das Kennen – oder ist mein Ziel, das Wissen auch in Form von neuem Verhalten anzuwenden – also das Können? Ein Marcel Hirscher wird mit dem Kennen des perfekten Schwungs beim Slalom kein Weltmeister, nur das tägliche Training des perfekten Schwungs bringt ihn durch das Können dorthin. Auf diese Kriterien gilt es die Lupe zu legen und sich die Frage zu stellen, ob mich das Führungskräfteseminar vom Kennen zum Können begleitet.«

Birgit Fischer-Sitzwohl ergänzt: »Ein gutes Führungsseminar fokussiert auf die wichtigen Führungsfragen für den Kunden, die wiederum davon abgeleitet werden, wie die Organisation aufgestellt ist. Das heißt, Führungstrainings von der Stange haben ausgedient. Der Trend geht hin zu mehr Agilität, kleinen, schnellen Teams. Eine Organisation, die das noch nicht kann, muss langsam da hingeführt werden. Man kann einen Wandel nicht erzwingen. Das bedeutet, je nachdem wo die Organisation und die Menschen stehen, ist es wichtig, den ›nächsten Schritt‹ zu setzen, so dass die Organisation ein Stück mehr an Flexibilität gewinnt.«

Vor diesem Hintergrund – müssen Führungskräfte-Seminare dann nicht für die jeweilige Organisation maßgeschneidert sein? Oder können Führungs-Kompetenzen auch in Standard-Seminaren vermittelt werden? Mario Buchinger sagt dazu: »Standard-Seminare gibt es nicht. Jedes Seminar hat zwar einen Leitfaden, entwickelt sich jedoch immer unterschiedlich durch die Themen, die die Teilnehmer einbringen. Wichtig sind Kompetenzen, wie wertschätzende Gesprächsführung, der richtige Umgang mit Fehlern oder auch das Entwickeln und Fördern von Vertrauen. Bei geschlossenen Seminaren hat man den Vorteil, dass man auf bestimmte unternehmensspezifische Probleme eingehen kann, die historisch gewachsen sind. Bei offenen Seminaren besteht dagegen der Vorteil für die Teilnehmer, unterschiedliche Impulse aus anderen Branchen zu bekommen.«

Birgit Fischer-Sitzwohl sieht das so: »Ich bin der Ansicht, dass nur maßschneidern für die Organisation einen wirklichen Nutzen stiftet. Allgemeine Skills-Themen können auch durch andere Seminare abgedeckt werden.«

Alois Widena schlägt vor, auch offene Seminare der Zielgruppe anzupassen: »Ein klares Ja zur Maßschneiderung! Die höchste Wirkung wird immer dann entstehen, wenn Inhalt und Lernmethode zum Unternehmen, zur Zielgruppe und zum Lernenden passen. Wenn es Anbietern von offenen Seminaren gelingt, auch hier maßzuschneidern, dann wird auch mehr Wirkung drinnen stecken als bei Seminaren von der Stange.«

Schreiben Sie einen Kommentar!


*