Praxisfrage: Krankenstände

Auch wenn die Statistiken von sinkenden Krankenständen sprechen, sind insbesondere lange Krankenstände ein die Praxis weiterhin intensiv beschäftigendes Thema.

»Reguläre« (auch lange) Krankenstände schützen einen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht vor der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber. Die Kündigung kann auch während des Krankenstandes ausgesprochen werden und vielmehr nach den gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung sogar dadurch gerechtfertigt sein, dass der Arbeitgeber nachweist, dass seine wesentlichen Interessen durch die langen Abwesenheiten beeinträchtigt sind.

»Reguläre« Krankheit versus Behinderung

Im Fall einer Behinderung iSd BEinstG unterliegt der Arbeitnehmer dem besonderen Kündigungs- und Diskriminierungsschutz des BEinstG, der vom Arbeitgeber bei einer Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers entsprechend berücksichtigt werden sollte. Der OGH betonte unlängst, dass das Vorliegen einer bloßen Krankheit keinen Diskriminierungstatbestand erfüllt, sodass die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nicht allein deswegen (erfolgreich) angefochten werden kann, weil die Kündigung auf lange Krankenstände gestützt wird, sondern nur dann, wenn gleichzeitig auch eine Behinderung iSd BEinstG vorliegt.

Gemäß der Legaldefinition des § 3 BEinstG liegt eine Behinderung dann vor, wenn eine nicht nur vorübergehende körperliche, geistige oder psychische Funktionsbeeinträchtigung oder eine Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen eines Arbeitnehmers vorliegt, die geeignet ist, die Teilnahme am Arbeitsleben zu erschweren. Eine solche Erschwerung kann nach dem BEinstG auch dann vorliegen, wenn eine Behinderung von unter 50% festgestellt wurde, der Arbeitnehmer also keinen besonderen Kündigungsschutz (als begünstigt Behinderter mit einer festgestellten Behinderung von 50 % oder mehr) hat, oder von einer sonstigen Behinderung auszugehen ist.

Die Frage, ob bloß von einer (länger dauernden) Krankheit oder einer Behinderung iSd BEinstG auszugehen ist, kann für den Arbeitgeber mitunter schwierig zu beurteilen sein, zumal dieser ohne Zustimmung des Arbeitnehmers grundsätzlich keine nähere Auskunft von den behandelnden Ärzten verlangen kann und der Arbeitnehmer auch nicht zur Meldung seines Behindertenstatus verpflichtet ist. Wurde die Behinderteneigenschaft bereits vor dem Start des neuen Dienstverhältnisses vom Sozialministeriumsservice festgestellt, gilt (für ab 1. 1. 2011 neu begründete Dienstverhältnisse) im Gegenzug zu diesem Informationsdefizit des Arbeitgebers grundsätzlich eine vierjährige Wartefrist für den besonderen Kündigungsschutz. Als Faustregel kann aber gelten, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Arbeitnehmers einen Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten umfassen muss, um von einer Behinderung iSd § 3 BEinstG ausgehen zu können.

Allgemeiner Kündigungsschutz

Ist in einem konkreten Fall von einer »regulären« Krankheit auszugehen und wird der betreffende Arbeitnehmer gestützt darauf gekündigt, kann er die Kündigung (nur) auf der Basis des allgemeinen Kündigungsschutzes gemäß § 105 ArbVG anfechten. Ist ein Arbeitnehmer bereits länger krank, wird man unter Umständen schon aufgrund der Krankheit von einer gewissen Schutzbedürftigkeit bzw. einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung des Arbeitnehmers ausgehen müssen. Selbst bei Bejahung einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung kann der AG bei langen Krankenständen aber das Vorliegen eines personenbezogenen Kündigungsrechtfertigungsgrundes iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG einwenden. In diesem Fall hat der AG darzulegen, dass die Erkrankung des Arbeitnehmers betriebliche Interessen nachteilig berührt und daher die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Unternehmerische Interessen gehen Arbeitnehmerinteressen nach der Rechtsprechung u. a. dann vor, wenn der krankheitsbedingte Leistungsausfall auch durch Vertretungen nicht mehr bewältigt werden kann. Auf die Frage, wann einem Arbeitgeber ein bereits länger dauernder Krankenstand oder gehäufte Krankenstände nicht mehr zumutbar sind, gibt die Rechtsprechung nur vage Antworten.

Bedeutung der von der Rechtsprechung
entwickelten Kriterien

Lange Krankenstände können nach der Judikatur mitunter nicht nur eine personenbezogene Kündigung, sondern in besonders gravierenden Fällen sogar eine Entlassung rechtfertigen, wenn als Konsequenz daraus eine Dienstunfähigkeit (gem § 27 Abs 2 AngG bzw § 82 lit b GewO) vorliegt. Letzteres wird von der Rechtsprechung dann bejaht, wenn die Krankheit nicht nur zu einer vorübergehenden, auch mehrwöchigen, sondern zu einer dauernden und gänzlichen Dienstunfähigkeit des Arbeitnehmers führt. Die zur Dienstunfähigkeit wegen Krankheit ergangenen Entscheidungen werden von der Rechtsprechung auch als Richtschnur für die Beurteilung überhöhter Krankenstände als personenbezogener Rechtfertigungsgrund für eine Kündigung herangezogen. Demnach kommt es für die Beurteilung einerseits auf die Dauer der Krankenstände und andererseits auf die künftige Prognose des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers an. Bei der Beurteilung der genannten Kriterien für die Rechtfertigung einer Kündigung legt der OGH einen strengen Maßstab an.

Länger andauernder Krankenstand

Krankenstände von (insgesamt) nur wenigen Tagen pro Jahr, die so gut wie bei allen Arbeitnehmern vorkommen, können im Normalfall nicht als Rechtfertigungsgrund für eine Kündigung herangezogen werden. Vielmehr muss für ein Überwiegen unternehmerischer Interessen an der Kündigung eine gewisse Dauer und/oder Häufigkeit der Fehlzeiten eines Arbeitnehmers vorliegen. Der einschlägigen Rechtsprechung lässt sich insofern keine starre Grenze entnehmen. Ausgehend von den bisher ergangenen Entscheidungen ist stets auch auf den konkreten Arbeitsplatz und die konkreten betrieblichen Umstände im Unternehmen des erkrankten Arbeitnehmers abzustellen. Ein Krankenstand muss grundsätzlich ein derartiges Ausmaß erreichen, dass ein planmäßiger Einsatz des betreffenden Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz durch das Ausmaß und die Dauer der Krankenstände unmöglich gemacht wird und die Krankenstände aufgrund der betrieblichen Situation nicht durch eine Vertretung überbrückt werden können. So wurde von der Rechtsprechung ein personenbezogener Kündigungsgrund bei Krankenständen im Ausmaß von rund 27 % der möglichen Arbeitszeit wegen der »mangelnden Einsetzbarkeit der Arbeitskraft, aber auch wegen des vertretungsweise nicht mehr bewältigbaren Leistungsausfalls« bejaht. Ebenso bejaht wurde die Rechtfertigung der Kündigung bei mehrjährigen, in punkto Dauer ansteigenden Krankenständen von 8 bis 10 Wochen. Krankenstände im Ausmaß von voraussichtlich 5 bis 6 Wochen jährlich rechtfertigen nach der Rechtsprechung des OGH hingegen im Regelfall noch keine Kündigung.

Künftige Krankenstände

Lange Krankenstände können für sich allein zur Rechtfertigung einer Kündigung nur dann herangezogen werden, wenn sie auch in Zukunft zu erwarten sind. Wird ein langdauernder Krankenstand vom Arbeitgeber als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht gezogen, so verlangt die Rechtsprechung vom (insofern beweispflichtigen) Arbeitgeber, dass dieser (mit Hilfe eines ärztlichen Gutachters) eine Zukunftsprognose über die weitere Arbeitsfähigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anstellt, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist. Der Umstand, dass bereits in der Vergangenheit Krankenstände häufig(er) bzw. länger als im österreichischen Durchschnitt vorkamen, ist für sich allein noch nicht ausreichend, um eine ungünstige Prognose darlegen zu können. Vielmehr ist entscheidend, dass bei objektiver Betrachtung berechtigt davon ausgegangen werden kann, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß auch in Zukunft zu erwarten sind.

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Vogt-Majarek

Gastautorin
Birgit Vogt-Majarek

ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partnerin der Kanzlei Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG (KSW).

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