Videos im Recruitingprozess

Sind Bewerbungsvideos der nächste logische Schritt im Recruiting? Welche Vorteile und Risiken sie bieten, beschreibt Gastautor Alexander Schuster.

Die Meinungen zum Thema Bewerbungsvideo gehen – nicht zuletzt generationsbedingt – weit auseinander. Dieses Thema polarisiert und lässt in der Bandbreite von Ablehnung bis Zustimmung viele Stimmen zu.
Der technologische Fortschritt und die verfügbare Infrastruktur (mobiles, schnelleres und kostengünstigeres Internet) waren hauptverantwortlich für den Wandel vom Text zum Bild zum Video in den sozialen Netzwerken. Videos sind aus dem privaten Alltag nicht wegzudenken, was man auch an der Entwicklung der Facebook Timeline gut beobachten kann.
Monatlich sehen sich acht von zehn 18- bis 49-Jährige Videos auf YouTube, der zweitgrößten Suchmaschine weltweit, an. Diese Zielgruppe verbrachte 2015 im Vergleich zum Vorjahr weniger Zeit vor dem Fernseher, gleichzeitig stieg die verbrachte Zeit auf YouTube um 74 % an. Jede Minute werden 300 Stunden Videomaterial hochgeladen.

whatchado bietet jungen Menschen seit Jahren Unterstützung an, um den Beruf zu finden, der zu ihnen passt. Natürlich durch Videos, mit bislang mehr als 6 000 interviewten Menschen, die ihr berufliches Glück gefunden haben und darüber bereitwillig erzählen.

Für Jobsuchende bietet das Karriereportal karriere.at zahlreiche Videos von Unternehmen in den Arbeitgeberprofilen, die dadurch Einblicke ins Unternehmen und in den Arbeitsalltag gewähren. Zusätzlich sind noch Videos von Mitarbeitern abrufbar, die authentisch über ihren Arbeitgeber berichten. StepStone bietet Kunden ebenfalls die Möglichkeit, sich als Arbeitgeber zu präsentieren, ergänzend zu den Bildern und Mitarbeiterstimmen natürlich auch mit Videos.
Bei dieser Vielzahl von Video Content im HR-Bereich kann man somit von keinem Trend mehr sprechen. Warum sollte also das Format Video für Bewerber und Recruiter im Bewerbungsprozess keinen Nutzen stiften?
Im Bewerbungsprozess ist seit vielen Jahren alles nahezu unverändert, lediglich die Art der Übermittlung hat sich überholt: Wurden bis vor 20 Jahren noch zeit- und kostenintensiv postalisch Bewerbungsmappen verschickt, begannen Unternehmen nach und nach E-Mail-Bewerbungen zu fordern, seit ungefähr 10 Jahren sind Bewerbermanagementsysteme vermehrt im Einsatz. Neue Entwicklungen und Apps machen es Jobsuchenden durch »One-Click-Bewerbungen« einfacher, sich schnell, mobil, ohne Anschreiben und mit standardisiertem Lebenslauf zu bewerben. Oftmals führt dies zu mehr, aber unpassenden Bewerbungen und somit für den Recruiter zu höherem Aufwand. In solchen Fällen ist es für den Recruiter von Vorteil, wenn er sich bei Kandidaten für die Bewerbung bedankt und um die Beantwortung von Fragen per Video bittet, um ein besseres Bild vom Kandidaten zu bekommen.

Robindro Ullah (Moderator und Referent im HR-Bereich) und Jubin Honarfar (CEO von whatchado) haben letztes Jahr ein Buch mit dem Titel »Bewerben mit Video und Videochat« veröffentlicht. Dazu wurde von whatchado eine Befragung (April 2017) von 200 Unternehmen im deutschsprachigen Raum durchgeführt. 7 % der Unternehmen gaben an, bereits Videobewerbungen zu erhalten und 86 % sind offen für Bewerbungen dieser Art.
Robindro UIlah führt aus, »dass das Format Video gleich nach dem persönlichen Gespräch den höchsten Mehrwert stiftet. Während Unternehmen sich ein deutlich besseres Bild durch das Video machen können, haben Bewerber viel mehr Möglichkeiten sich selbst auszudrücken. Nachdem nun einige Jahre die sehr unpersönliche Form der Bewerbung über Online-Formulare durchlebt wurde, ist es Zeit, wieder den Menschen im Prozess zu sehen.«
Ein Bewerbungsvideo kann keinesfalls ein persönliches Gespräch ersetzen, aber im Selektionsprozess Zeit sparen und Bewerbern die Möglichkeit bieten, sich von den Mitbewerbern um eine Stelle abzuheben.
Robindro Ullah führt weiter aus: »Intuitiv würde man vermuten, dass sich die jüngere Zielgruppe angesprochen fühlt.« Dadurch ergeben sich Einsatzmöglichkeiten bei der Rekrutierung von Lehrlingen und Praktikanten, natürlich auch von Young Professionals. Aber auch in einem Bereich, in dem alle Beteiligten von Schnelligkeit profitieren, der Zeitarbeit, bringt der Einsatz von Bewerbungsvideos Vorteile: Unternehmen kommen schneller zum Mitarbeiter, da das Profil vom Kandidaten mit einem Bewerbungsvideo angereichert wird, der Zeitarbeiter kommt schneller zu einer Anstellung bzw. neuen Überlassung und der Personaldienstleister zu neuen Kunden und Aufträgen.
Mögliche Hürden
Skeptischer gegenüber diesem Thema als die erwähnten Autoren Ullah und Honarfar ist Stefan Scheller, ein HR-Blogger aus Deutschland. Er liefert in seinem aktuellen Blog Gründe, warum es kein praxistaugliches Massenkonzept sein kann, ausgehend vom derzeitigen Produktportfolio eines Anbieters aus Deutschland. Videobewerbungen erhöhen zum Beispiel die Hürden für eine Bewerbung: »Es mag ja sein, dass einige Unternehmen unter einer Flut von Bewerbungen leiden und daher Hürden aufbauen möchten, um einen Teil der Bewerber abzuschrecken. Aus der Praxis habe ich allerdings den Eindruck, dass den meisten Unternehmen daran gelegen ist, die Hürden für eine Bewerbung tendenziell eher zu senken – Stichwort Fachkräftemangel.« Wenn dem so ist, dann wird es künftig deutlich weniger Karriereseiten geben, die von Bewerbern für die Bewerbung Registrierungsprozesse voraussetzen, hoffe ich. Und ob es eine Hürde oder Abschreckung für Kandidaten darstellt, liegt daran, wie diese Tools eingesetzt werden und nicht zuletzt an der Kommunikation der Unternehmen mit ihren Bewerbern.

Fazit
Die Zahlen zu YouTube, der Video Content im Bewerbungsprozess und die Affinität junger Bewerber im Umgang mit Videos sprechen dafür, sich mit dem Thema Bewerbungsvideos zu beschäftigen und Einsatzmöglichkeiten im eigenen Unternehmen abzuwägen. Aktuell eingesetzte Systeme bieten bereits jetzt schon Vorteile für gewisse Zielgruppen wie zum Beispiel Bewerbern mit Migrationshintergrund und Lehrlingen. Dass die Dienstleister und deren Produkte sich ständig weiterentwickeln müssen, ist selbstverständlich. Es gibt mittlerweile sehr gute Angebote von internationalen Softwareanbietern, die Videoaufnahmen analysieren, diese gilt es, auch für beide Seiten – Bewerber und Recruiter – einzusetzen.

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schuster_alexander

Gastautor
Alexander Schuster
ist Gründer und
geschäftsführender
Gesellschafter von bewido.
www.bewido.at