Von Geistesblitzen und Hirngespinsten

Am 30. Mai fand in Wien der WIFI Trainerkongress 2016 statt. Über 200 Teilnehmer erlebten interessante Workshops und hervorragende Keynotes.

Pünktlich um 9.00 Uhr eröffnet Thomas Schmidt, stellvertretender Institutsleiter des WIFI Wien, die Veranstaltung – und das mit erkennbarer Freude und wohl auch etwas Stolz, ist es doch mit über 200 Teilnehmern der bisher größte WIFI Trainerkongress. In seiner kurzen Rede begrüßt er die Anwesenden im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal und gibt einen Ausblick auf Key-notes und Workshops.

Als erste Rednerin betritt Katharina Turecek die Bühne und versucht, dem Publikum näher zu bringen, wie man sich Dinge besser und schneller merken kann. Sie berichtet von einer Studie, in der Folgendes gezeigt und nachgewiesen werden konnte: Versuchspersonen wurden verschiedene Gesichter von ihnen unbekannten Personen gezeigt. Zu den Gesichtern wurde ihnen jeweils der Name der abgebildeten Person gesagt: zum Beispiel »Herr Müller«, Herr »Bauer« usw. Danach wurden sie die Namen abgefragt und es wurde die Merkleistung gemessen. Einer zweiten Versuchsgruppe wurden dieselben Gesichter gezeigt. Diesen Probanden wurden aber nicht die Namen der gezeigten Personen genannt, sondern deren Berufe: zum Beispiel »Müller«, »Bauer« usw. Und obwohl die Namen aus der ersten Versuchsgruppe exakt mit den Berufsbezeichnungen der zweiten Versuchsgruppe übereinstimmten (eben »Müller«, »Bauer« usw.), war die Merkleistung in der zweiten Gruppe deutlich besser. Wir können uns also zu uns unbekannten Personen wesentlich besser Berufe als Namen merken. Katharina Turecek erklärt auch, warum das so ist: Wir verknüpfen beim Berufe-Merken eine Art Geschichte mit dem Gesicht (oder bestimmten Merkmalen des Gesichts) – und dann fällt uns das Erinnern wesentlich leichter. Diesen Umstand können wir uns auch beim Namen-Merken zunutze machen. Das passiert aber nicht von selbst, man muss das aktiv betreiben. Es folgt ein Übung für alle im Saal, in der man seine Sitznachbarn kennenlernt, ihre Namen mit Merkmalen oder Geschichten verknüpft und sich so merkt. Diese Übung macht das Publikum munter, beweglich und aktiv.

In unmittelbarem Anschluss folgt der Vortrag des Mathematikers Rudolf Taschner und dieser Vortrag zeigt wieder einmal sehr schön: Entweder man ist als Speaker toll ausgebildet, hat seinen Auftritt perfekt geplant, gescripted und choreografiert und setzt audiovisuelle Hilfsmittel hervorragend ein – oder man hat einfach etwas zu sagen. Rudolf Taschner kritzelt an diesem Vormittag schlicht Zahlen auf Flipcharts. Diese stehen hinten auf der Bühne und sind daher schlecht beleuchtet, der Stift schreibt nicht sonderlich gut. Schließlich sind drei Flipcharts nebeneinander voll mit römischen Ziffern und »normalen« Zahlen. Wie nebenbei erklärt er dem Publikum den Zusammenhang zwischen Dezimal- und Binärsystem und bringt ihm bei, in römischen Ziffern geschriebene Zahlen zu multiplizieren. Es ist wohl niemand gekommen, um das zu lernen. Und trotzdem: Es ist ein hervorragender Vortrag, das Publikum hängt förmlich an seinen Lippen, vor allem auch, weil er ein ausgezeichneter Erzähler ist. Über den Umweg von Multiplikationen und »Geheimwissen« nimmt er seine Zuhörer auf den Weg zu einer starken Message: »Wir brauchen in Österreich Menschen, die sagen: ›Wir packen das!‹ Wir brauchen das wie einen Bissen Brot.« Und deswegen soll man als Trainer nicht Rezepte liefern, sondern Aufklärung. Es geht darum, Verständnis zu wecken. Verständnis, wie die Dinge funktionieren und warum sie funktionieren. Die Rede beinhaltet einerseits viel geschichtlichen Hintergrund (z. B. von den Anfängen der Wirtschaft und deren Auswirkungen: »Der Beginn des Zählens ist der Beginn des Schreibens.«) und andererseits ganz aktuelle Kritik, zum Beispiel an der Matura, wie sie momentan organisiert ist: Wenn man als Schüler nicht versteht, was man tut, dann brauche man die Mathematik-Matura gar nicht zu machen, das Wissen sei dann wertlos. Wenn man aber versteht, was man tut, brauche man die Maturabeispiele erst recht nicht zu machen, diese sind dann nämlich lächerlich und überflüssig.

Er vergleicht Computer mit Religion und fordert auf: »Werden Sie aufgeklärt!« Wir müssten uns von der Macht der Computer befreien oder zumindest emanzipieren. Mit »Geheimwissen« seien seit jeher Macht und Geld verknüpft, es stecke aber nichts Besonderes dahinter. Genau deswegen ist die Aufklärung so wichtig! In Rudolf Taschners Rede steckt so viel: Geschichtliches, Philosophisches, eine positive Grundeinstellung, Humanismus, Warnungen und sogar Tipps für Trainer – es ist ganz einfach ein wunderbarer Vortrag.

Von diesem inspiriert teilen sich die Teilnehmer in 11 verschiedene Workshops auf. (Im Vorfeld konnte man 2 davon wählen.) Die Themen sind vielfältig: Präsentieren, Prüfen, Lernen und Stress, mobiles Lernen, neue Lernmethoden, vom Trainer zum Speaker, Bildungscontrolling und einige mehr. Die Entscheidung, welche 2  man davon wählt, ist nicht leicht. Die Workshops werden von anerkannten Experten geleitet und dauern jeweils 2 Stunden. Es gibt also ausreichend Zeit, tiefer in das jeweilige Thema einzusteigen und auch selbst damit zu arbeiten – richtige Workshops eben.

Nach dem Mittagessen präsentiert der deutsche Hirnforscher Henning Beck in seiner Keynote »Biologie des Prüfens« neue Erkenntnisse aus der Forschung. Gleich zu Beginn streicht er hervor, dass eine Prüfung ein ganz wesentlicher Teil des Lernprozesses ist. Dementsprechend wichtig ist die Planung und Gestaltung dieser Prüfung. Er unterscheidet in Faktenwissen (z. B. die Hauptstädte Europas), Verhaltenswissen (z. B. Fahrradfahren) und episodisches Wissen (z. B. Erlebnisse im letzten Sommer). Die grundlegenden Prozesse der Speicherung des Wissens sind aber jeweils sehr ähnlich. Er erklärt in seinem spannenden und auch lustigen Vortrag die Prozesse im Gehirn und mischt wissenschaftliche Erkenntnisse mit daraus resultierenden Tipps. »Eine Abschlussprüfung ist eine ganz falsche Behandlung des Gehirns«, sagt er zum Beispiel. Negative Emotionen wie z. B. Stress sind ganz schlecht, sie wirken einengend wie Scheuklappen und verhindern dadurch Lernen. Besser wäre es, zu spielen statt zu prüfen. Bei Jugendlichen funktioniert es auch sehr gut, wenn man sie einander prüfen lässt. Er zeigt, wie man in 4 Schritten (Aufmerksamkeit, Motivation, Emotion und Kommunikation) die Wissensvermittlung gestalten kann und soll. Dieser Vortrag ist für jeden Wissensvermittler sehr, sehr wertvoll!

Fazit

Die gesamte Veranstaltung ist perfekt geplant und organisiert, alles läuft wie am Schnürchen. Workshops und Keynotes sind aufeinander abgestimmt, die Inhalte sind für Trainer spannend und wichtig.

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Hinweis im Sinne der -redaktionellen Richtlinien
bezüglich Transparenz: Der Autor Gernot Winter wurde zu diesem Kongress
eingeladen, -generell -nehmen unsere Redaktions-mitglieder an Seminaren, -Tagungen und -Konferenzen -vorwiegend aufgrund von -Einladungen durch die Veranstalter teil.

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1. Juni 2017 in Wien

www.wifi.at/trainerkongress