Whistleblowing im Betrieb

Dieser Artikel fasst zusammen, welche Neuerungen und damit verbundene Vor- und Nachteile durch die Umsetzung der »Whistleblowing-RL« auf Unternehmen zukommen.

Am 16. Dezember 2019 trat die EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (kurz »Whistleblowing-RL«) in Kraft, die von den Mitgliedstaaten bis 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen ist. Der österreichische Gesetzgeber hat bisher – so wie zahlreiche andere EU-Mitglieder – noch keinen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vorbereitet, wodurch die Vorlaufzeit vor Inkrafttreten eines Gesetzes und für die Einführung allenfalls gebotener Maßnahmen u. U. entsprechend kurz sein wird, sodass Unternehmen zu empfehlen ist, sich bereits in den kommenden Monaten entsprechend vorzubereiten.

Ziel der »Whistleblowing-RL«

Ziel der Richtlinie ist es, einen höheren Schutzstandard für die in der RL festgelegten Personen sicherzustellen, wenn diese Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Die RL konkretisiert, Verstöße in welchen Bereichen durch den stärkeren Schutz umfasst sein sollen (dazu zählen u. a. öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Datenschutz, Arbeitnehmerfreizügigkeit/Dienstleistungsfreiheit etc.). Persönlich gilt die Richtlinie für alle Hinweisgeber, die im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben (wie insbesondere Arbeitnehmer, Selbstständige i.S.d. Art. 49 AEUV, Gesellschafter oder Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans eines Unternehmens), nachdem diese oft als Erste Kenntnis über erfolgte bzw. drohende Verstöße haben. Auch Mittler i.S.d. RL, oder Dritte, die mit den Hinweisgebern in Verbindung stehen oder in beruflichem Kontext Repressalien erleiden könnten, wie z. B. Kollegen oder Verwandte des Hinweisgebers, oder juristische Personen im Eigentum des Hinweisgebers bzw. solche, für die der Hinweisgeber arbeitet, oder zu diesen anderweitig beruflich in Verbindung steht, sind vom Anwendungsbereich der RL umfasst.

Neuerungen für Arbeitgeber im Zuge der Umsetzung der RL

Juristischen Personen (wie u. a. GmbH und Aktiengesellschaften) im privaten Eigentum mit mindestens 50 Arbeitnehmern wird in der RL die Verpflichtung auferlegt, ein internes Meldesystem einzurichten. Diese Verpflichtung trifft zudem jene juristischen Personen – unabhängig von der Anzahl der Arbeitnehmer –, die in speziellen Bereichen (wie z. B. Finanzdienstleistung, Verkehrssicherheit etc.) tätig sind. Private juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern haben bis 17. Dezember 2023 Zeit für die Einrichtung eines Meldesystems. Auch juristische Personen des öffentlichen Sektors (wie z. B. Gemeinden), einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen, werden zur Einführung eines Meldesystems verpflichtet, wobei es nicht auf eine Mindestzahl an Arbeitnehmern ankommt. Im Rahmen des internen Meldesystems muss die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und auch Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt und sohin sichergestellt sein, dass unbefugte Mitarbeiter (bzw. Dritte) keinen Zugriff auf die Meldung (und die Daten darin) haben. Zudem muss das Hinweisgeber innerhalb von sieben Tagen nach Einlangen der Meldung eine Bestätigung des Eingangs sowie binnen maximal drei Monaten ab Bestätigung eine Rückmeldung über die aufgrund der Meldung gesetzten Folgemaßnahmen erhalten. Letztere sind durch eine unparteiische Person oder eine Abteilung vorzunehmen, die als »am besten geeignete« Person/Abteilung für die Folgemaßnahmen bestimmt wurde, wobei dies grundsätzlich auch jene Person/Abteilung sein kann, die die Meldung entgegengenommen hat und mit dem Hinweisgeber in Kontakt bleibt. Zusätzlich bleibt es den Mitgliedstaaten laut der RL überlassen, ob auch für anonyme Meldungen Folgemaßnahmen vorzusehen sind. Die internen Meldekanäle müssen sicherstellen, dass Meldungen der Hinweisgeber in schriftlicher und mündlicher Form (z. B. via Telefon oder durch andere Art der Sprachübermittlung) möglich sind. Auf Ersuchen des Hinweisgebers ist auch eine Meldung im Wege einer physischen Zusammenkunft innerhalb angemessener Zeit zu ermöglichen. Die entsprechenden Informationen über interne sowie externe Meldemöglichkeiten müssen den Hinweisgebern (z. B. durch Information auf der unternehmenseigenen Website) zur Verfügung stehen. Externe Meldekanäle sind dagegen nicht vom Arbeitgeber einzurichten und werden im Rahmen dieses Artikels nur am Rande behandelt.

Zu klären gilt es für Arbeitgeber zudem, ob für die Einführung eines Meldesystems in der eben beschriebenen (oder einer weitergehenden) Form eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat notwendig ist (u. U. Kontrollmaßnahme gemäß § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG, wenn bzw. soweit Maßnahmen die Menschenwürde berühren, oder betriebliches Beschwerdewesen gemäß § 97 Abs 1 Z 20 ArbVG). Die Erforderlichkeit einer Betriebsvereinbarung ist umstritten und hängt ganz entscheidend von der inhaltlichen Gestaltung des Meldesystems und vor allem davon ab, ob dieses nur die gesetzlichen Mindestvorgaben/-verpflichtungen umsetzt. In Betrieben ohne Betriebsrat kann die Zustimmung jedes Mitarbeiters erforderlich sein, wenn ein Meldesystem ohne gesetzliche Verpflichtung bzw. in einem über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehenden Ausmaß eingeführt wird. Auch datenschutzrechtliche Fragen, die sich in diesem Zusammenhang abhängig vom Umfang des eingerichteten Meldesystems ergeben, sind bei dessen Einführung zu berücksichtigen.

Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer

Allgemein ist davon auszugehen, dass überall dort, wo eigene Arbeitsabläufe betroffen sind oder ein Arbeitnehmer eine Leitungsfunktion innehat, es aufgrund der Treuepflichten des Arbeitnehmers nicht nur zulässig, sondern u. E. auch verpflichtend ist, Verstöße zu melden. Das soll allerdings nicht dazu führen, dass Arbeitnehmer ihre Kollegen bespitzeln müssen; sie treffen grundsätzlich keine Überwachungspflichten außerhalb ihrer Vorgesetztenrolle. Umgekehrt genießt ein eine Meldung erstattender Arbeitnehmer dann den Schutz der RL, wenn es hinreichenden Grund zur Annahme gab, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen, soweit die Informationen in den erwähnten Anwendungsbereich der RL fallen, und soweit die Meldung intern oder extern erstattet wird oder das Arbeitnehmer zulässigerweise eine »Offenlegung« (d. h. Öffentlichmachung) der Information vorgenommen hat. Hier sollte u. E. die notwendige Transparenz durch die (nationale) Gesetzgebung und in weiterer Folge durch die Unternehmen für Hinweisgeber geschaffen werden, welche Rechte und Pflichten für sie jeweils bestehen. Arbeitnehmer, die Verstöße melden, die nicht von der Richtlinie umfasst sind, werden grundsätzlich nicht weiter durch die RL geschützt, sondern können sich nur auf bereits bisher geltende Bestimmungen zu ihrem »Schutz« stützen.

Die RL sieht eine Hierarchie der Meldungen in der Form vor, dass Hinweisgeber zunächst die internen Meldekanäle auszuschöpfen haben und sich nur dann, wenn keine »geeigneten Maßnahmen« innerhalb der von der RL vorgesehenen Frist gesetzt werden oder es gar kein internes Meldesystem gibt, an externe Meldekanäle (und somit an die zuständigen Behörden, die vom österreichischen Gesetzgeber noch zu konkretisieren sind) wenden dürfen. Nur wenn beide Meldesysteme nicht funktionieren, dürfen Hinweisgeber einen Verstoß – unter dem Schutz der RL – ausnahmsweise öffentlich zugänglich machen. Die »Offenlegung« ist sohin nur dann geschützt, wenn das Arbeitnehmer zunächst (I) intern und extern oder (II) auf direktem Wege extern Meldung erstattet, sofern zu seiner Meldung innerhalb des in der RL festgelegten Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, oder sofern das Hinweisgeber hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass der Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses verwirklichen kann, oder dass im Fall einer externen Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände geringe Aussichten bestehen, dass die Behörden wirksam gegen den Verstoß vorgehen werden (z. B. mögliche Unterdrückung von Beweismitteln, Bestehen einer Absprache zwischen Behörde und Schädiger).

Des Weiteren sieht die RL vor, dass Hinweisgeber gegen Repressalien aufgrund einer erfolgten Meldung, wie z. B. ihre Kündigung, Suspendierung, Benachteiligung in puncto Beförderung oder sonst, sowie mittels Disziplinarmaßnahmen, Mobbing etc. durch entsprechende Maßnahmen geschützt werden. Den Vorgaben der RL entsprechende Meldungen dürfen nicht als Verletzung einer gesetzlichen/vertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung verstanden und Hinweisgeber nicht für eine solche Meldung sowie die Beschaffung der oder den Zugriff auf entsprechende Informationen haftbar gemacht werden. Im Falle eines Verfahrens wegen Repressalien ist eine Beweislastumkehr betreffend die hinreichend gerechtfertigten Gründe des Arbeitgebers von für den Meldenden nachteiligen Maßnahmen vorzusehen.

Folgen einer (internen) Meldung

Grundsätzlich haben Arbeitgeber durch die erwähnten Folgemaßnahmen auf Meldungen von Verstößen gegen das Unionsrecht zu reagieren und sind daher i.d.R. interne Untersuchungen bei Vorliegen eines ausreichenden Anfangsverdachts einzuleiten, um Beweise zu sichern und für eine lückenlose Aufklärung zu sorgen. Die Erstellung von Protokollen bei internen Untersuchungen kann in einem späteren Gerichtsverfahren wesentliche Beweisfunktion haben (um für Waffengleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu sorgen, sind Protokolle grundsätzlich von allen Beteiligten unterfertigen zu lassen bzw. Anmerkungen der Arbeitnehmer in diese aufzunehmen). Die Arbeitnehmer sind aufgrund ihrer Treuepflichten/Weisungsunterworfenheit zur Teilnahme an unternehmensinternen Untersuchungen verpflichtet, müssen sich jedoch nicht selbst bezichtigen. Gravierende Fälle der Verweigerung der Mithilfe berechtigen Arbeitgeber u. U. zur Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit (einzelfallbezogen). Zudem ist in der RL vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten angemessene Sanktionen für natürliche und juristische Personen vorsehen müssen, die Meldungen behindern, Repressalien ergreifen, mutwillig Gerichtsverfahren gegen (potenzielle) Hinweisgeber anstrengen oder gegen die Verpflichtung zur Vertraulichkeit der Meldungen verstoßen. Aber auch Hinweisgeber, die wissentlich falsche Informationen melden bzw. offenlegen, sollen laut RL entsprechende Sanktionen treffen bzw. diese sollen auch zur Wiedergutmachung von Schäden herangezogen werden.

Fazit und Empfehlungen

Aufgrund der bereits recht konkreten Vorgaben der RL und der erheblichen Vorteile der Einrichtung interner Meldesysteme gegenüber externen Meldungen oder »Offenlegungen« (und der damit verbundenen Öffentlichkeit) empfiehlt es sich jedenfalls, bereits jetzt in Unternehmen bestehende Systeme zu überprüfen bzw. diese vorzubereiten und den Regelungen der RL entsprechend anzupassen (u. a. betreffend Fristenmanagement, Folgemaßnahmen durch »geeignete Personen« etc.). Zudem sollten konkrete Informationen über interne Meldesysteme und deren genaue Abläufe an die Arbeitnehmer vorbereitet werden (z. B. via Website des Unternehmens, Einschulung, Einführung einer Policy), damit die vorhandenen internen Meldekanäle und ein damit verbundener Schutz für Hinweisgeber möglichst bekannt sind und diese in der Praxis auch tatsächlich genutzt werden.

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Vogt-Majarek

Gastautor
Birgit Vogt-Majarek
ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partner der Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH.
birgit.vogt@sms.law
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