Zeitverschwendung Erwartungsabfrage?

Wie in einem Training die Erwartungsabfrage gestaltet werden kann, um den  größtmöglichen Transfererfolg sicherzustellen, lesen Sie in diesem Artikel.

Ein klassischer Trainingsbeginn: Der Trainer stellt sich vor und umreißt das Trainingsthema. Es folgt die Vorstellrunde der Teilnehmenden. Und dann kommt die Frage »Was erwarten Sie sich von diesem Training?« Häufig antworten die Teilnehmenden: »Konkrete Erwartungen habe ich keine, ich lasse mich da mal überraschen!«
Hier schaltet die Transferforschung auf Rotlicht! Denn eine wenig bekannte, aber sehr gut erforschte Zutat dafür, dass das Gelernte auch angewandt wird, ist die Erwartungsklarheit. Wenn die Teilnehmenden bereits vor dem Training eine ganz klare Vorstellung davon haben, was vor, während und nach dem Training auf sie zukommt und von ihnen erwartet wird, steigt nachweislich der Transfererfolg. Der Knackpunkt dabei ist das Wörtchen »vor« dem Training. Denn dieses »vor« ist der Anlass, die weitverbreitete Erwartungsabfrage kritisch ins Visier zu nehmen.

Wie Erwartungen beeinflussen

Was Menschen erwarten, tritt zumeist ein, und zwar viel zu oft, als dass es dem Zufall zugeschrieben werden könnte. Das zeigen eine Vielzahl von Studien, die uns staunen, aber auch schmunzeln lassen: Die gleiche Schokoladensorte schmeckt Versuchspersonen besser, wenn ihnen gesagt wird, dass die Schokolade aus der Schweiz stammt statt aus China – weil sie es so erwartet haben. Ein eigentlich wirkungsloses Medikament kann Schmerzen lindern, wenn den Versuchspersonen zuvor versichert wurde, dass es eben diese Wirkung hervorbringen wird (der berühmte Placebo-Effekt), und ein vermeintlich teurer Energydrink führt dazu, dass mehr Aufgaben gelöst werden als nach dem Genuss eines vermeintlich preisgünstigeren Getränks.
Der Grund dafür ist, dass wir Menschen schlichtweg wollen, dass unsere Erwartungen sich erfüllen, auch wenn uns das meist nicht bewusst ist. Erwartungen verzerren unsere Wahrnehmung (ein Phänomen, das Confirmation Bias genannt wird). Diese Verzerrung führt beispielsweise dazu, dass uns die Schweizer Schokolade tatsächlich besser schmeckt als die, von der wir glauben, sie sei aus China.
Außerdem führen Erwartungen dazu, dass wir uns selbst mehr anstrengen, um diese Erwartung erfüllt zu sehen (Motivationserfüllung). Wir erwarten eine Leistungssteigerung durch den Genuss eines vermeintlich teuren Energy Drinks. Schon strengen wir uns automatisch mehr an und erzielen tatsächlich bessere Ergebnisse.
Diese Phänomene sind ziemlich praktisch für den Trainingskontext. Wenn unsere Teilnehmenden erwarten, dass sie durch das bevorstehende Training ihren Verkaufserfolg durch den Einsatz von Abschlusstechniken steigern werden (ein klar definiertes Transferziel des Trainings), dann steigen ihre Motivation, ihr Engagement und ihre Anstrengung, und das Erwartete tritt mit überzufälliger Wahrscheinlichkeit ein.

Konkrete Erwartungen stärken die Inhaltsrelevanz

Ein Training ist besonders dann transferwirksam, wenn die Teilnehmenden im Training Antworten auf die Fragen entwickeln, die ihnen unter den Fingernägeln brennen. Je stärker die Inhalte des Trainings mit dem übereinstimmen, was die Teilnehmer an ihrem Arbeitsplatz erleben und benötigen, desto höher der Transfererfolg. Damit das möglich wird, müssen Trainer wissen, mit welchen Herausforderungen und Problemen ihre Teilnehmenden konfrontiert sind und diese zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Trainings machen. Dabei geht es nicht nur um die Auswahl der relevanten Inhalte, sondern auch darum, dass die Inhalte als relevant wahrgenommen werden. Und das ist vor allem dann der Fall, wenn die Teilnehmer im Training mit Beispielen und Übungen arbeiten, die unmittelbar aus ihrer Lebensrealität stammen.
Es gibt Trainer, die in ihrem Fach außergewöhnliche Profis und dazu Improvisationskünstler sind. Diese schaffen es, in Folge der in der Erwartungsabfrage geäußerten Erwartungen, tatsächlich ihr komplettes Trainingskonzept spontan und flexibel umzustellen. Hier dürfen die Teilnehmer zumindest erleben, dass die Erwartungsabfrage keine Pseudo-Aufgabe ist, sondern dass diese den Trainingsverlauf tatsächlich zu ihrem Lern-Gunsten beeinflusst.

Drei Fragen drängen sich auf:

  1. Wie können sie trotz der spontanen inhaltlichen Umstellung sicherstellen, dass es für das Gelernte in der Organisation Anwendungsmöglichkeiten gibt, wenn es nicht vorab mit dem Auftraggeber abgestimmt wurde?
  2. Wessen Erwartungen fühlen Sie sich im Konfliktfall primär verpflichtet, denen der Teilnehmenden oder denen des Auftraggebers?
  3. Wäre es nicht noch wirksamer für die Teilnehmer und die Organisation, die Erwartungen schon vor dem Training zu kennen und damit die Zeit im Training für noch wichtigere Dinge wie das Üben und Reflektieren zu nutzen?

Die Vorgesetzten mit ins Boot holen

Eine weitere zentrale Zutat für den Transfererfolg ist die Unterstützung durch Vorgesetzte. Trainings können für neue Skills sorgen, aber die Vorgesetzten steuern die Performance am Arbeitsplatz – ganz einfach deswegen, weil es die Vorgesetzten und nicht die Trainer oder die Personalentwicklung sind, die unmittelbar am Arbeitsplatz Prioritäten setzen. Wenn ein Training tatsächlich wirksam sein soll, dann muss es mit den Erwartungen der Vorgesetzten im Einklang stehen. Und mehr noch: Der Vorgesetzte muss das, was der Teilnehmer im Training gelernt hat, unterstützen, fördern und einfordern. Optimalerweise prägt der Vorgesetzte die Erwartungen an das Training mit und unterstreicht beispielsweise im Entsendungsgespräch mit dem Teilnehmer vor dem Training, warum das Training wichtig und dringlich ist, was er sich von der Teilnahme seines Mitarbeiters davon erwartet und in welchen konkreten Situationen der Teilnehmer das Gelernte anschließend am Arbeitsplatz anwenden soll.

Alternativen zum Weiterdenken

Lassen Sie die Geschäftsführung oder den Auftraggeber die Erwartungen an die Teilnehmenden kommunizieren, beispielsweise indem diese beim Kick-off klarmachen, was sich das Unternehmen als Ergebnis des Trainings erwartet.
Erheben Sie die Erwartungen vor dem Training. In Zeiten des Internets geht das einfach, schnell und kostenlos. Digitalisieren Sie Ihre Erwartungsabfrage mit Befragungstools wie SurveyMonkey, LimeSurvey oder Forms. Selbst die beliebte Sammlung mit Moderationskarten auf Pinnwand gibt es inzwischen in digitaler Form (z. B. »Padlet«).
Vorbereitungsaufgaben sind ein weiteres bewährtes Mittel. Sie stimmen auf das Training ein, fokussieren die Aufmerksamkeit und framen die Erwartungen an das Training.
Schicken Sie Ihren Teilnehmern einen Selbsteinschätzungsbogen, der die Transferziele des Trainings enthält (z. B. »Im Verkaufsgespräch habe ich einen geringeren Redeanteil als mein Kunde.«)
Nutzen Sie Critical Incidents. Lassen Sie sich von den Teilnehmenden vor dem Training je zwei konkrete Situationen beschreiben, die sie mit Hilfe des Trainings künftig (besser) bewältigen können wollen.

Wenn nun die beliebte und bewährte Erwartungsabfrage wegfallen kann, wie sieht ein Trainingsbeginn denn dann aus? Einen spannenden Vorschlag hat Peter Block. Er stellt zu Beginn des Trainings Fragen wie die folgenden und lädt die Teilnehmer dazu ein, ihre Antworten darauf in der Kleingruppe zu teilen:

  1. Wie viel Nutzen haben Sie vor, aus diesem Training für sich zu ziehen?
  2. Wie aktiv und engagiert haben Sie vor, in diesem Training zu sein?
  3. Wie viel werden Sie dazu beitragen, dass dieses Training sich für das Unternehmen rechnet?

So viel sei verraten – die Wirkung, die diese Fragen erzielen, sind unvergleichlich höher als bei der so verbreiteten Erwartungsabfrage. Ausprobieren lohnt sich!

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Gastautorin
Ina Weinbauer-Heidel
ist mit Leidenschaft an der Schnittstelle ­zwischen Transfer­forschung und -praxis tätig. Als Wissenschafterin, Autorin, Beraterin und Speaker macht sie mit ihrem Institut für Transferwirksamkeit wissenschaftliche Erkenntnisse der Transferforschung für die Praxis nutzbar.
www.transferwirksamkeit.com

Buchtipp:

»Buch_WeinbauerWas Trainings wirklich wirksam macht –
12 Stellhebel der Transferwirksamkeit«
Ina Weinbauer-Heidel,
Masha Ibeschitz-Manderbach
Tredition, Hamburg, 2016.
ISBN: 978-3734583292