Agile Entwicklung von Führungskräften

Wie sieht die Zukunft von Learning & Development bei Führungskräften aus? Gastautor Gunther Fürstberger hat Antworten.

Führungskräfteentwicklung wurde in der Vergangenheit hauptsächlich in der klassischen Denkweise des Projektmanagements betrieben. Um bestimmte Ziele zu erreichen, definierte ein von der Learning-&-Development-Abteilung geleitetes Projektteam mehrmodulige Entwicklungsprogramme und Bildungskataloge.
Mit der Verbreitung von E-Learning wurden die Entwicklungsangebote mit Blended-Learning-Elementen angereichert. Aufgrund von Home-Office, Learning Experience Platforms und der Notwendigkeit lebenslangen Lernens ist es an der Zeit, dass sich ein agiles Mind- und Toolset auch in der Führungskräfte-Entwicklung durchsetzt. PE-gesteuerte Trainingsprogramme mit Transferkonzept wird es zwar weiterhin geben, aber nicht mehr als Kernstück, sondern als Ergänzung eines vom Lernenden ausgehenden Entwicklungskonzepts. Auch der zumindest theoretisch hoch-gehaltene Lerntransfer gehört zur ›Wasserfall-Sichtweise‹ des traditionellen Projektmanagements. In der Zwischenzeit haben Youtube, Netflix etc. bedarfsorientiertes, passgenaues und aktuelles Lernen ermöglicht. Wer z. B. lernen will, das Rad eines Micro-Scooters zu tauschen, bekommt im Internet sofort umsetzbare Angebote. Viele Programme lernen mit und schlagen den Lernern KI-unterstützt vor, was sie als Nächstes brauchen werden.
Agile Führungskräfteentwicklung bedeutet, zeitnahe die passenden Lernerfahrungen für die laufenden Lernanforderungen im Bereich Führung zu ermöglichen und ist durch fünf Charakteristika gekennzeichnet:

1. Iteration: Agile Methoden wie Scrum oder OKR bauen auf dem Prinzip auf, in regelmäßigen, eher kürzeren Abständen zu überprüfen: »Wo stehen wir und wo wollen wir hin?« Das gleiche Prinzip macht im L&D Sinn: Zum Beispiel einmal pro Quartal anhand von Zielkompetenzen und Ergebnissen zu überprüfen:

  • Wo stehen wir? (Review)
  • Wie war der Lernprozess? (Retrospektive)
  • Was wollen wir im kommenden Quartal gelernt haben? (Zielsetzung)

Während des Quartals wird auf die Ziele hingearbeitet. Regelmäßige, z. B. wöchentliche Check-Ins dienen dazu, den Lernfortschritt zu überprüfen, die nächsten Lernaktivitäten zu setzen und sicherzustellen, dass die Wichtigkeit des Lernens die Oberhand über die Dringlichkeit des Tagesgeschäfts behalten kann.

2. Empowerment: Lernender als Gestalter: Frü­her haben Unternehmen vor allem die L&D-Abteilung als hauptverantwortlich für betriebliches Lernen gesehen. Heute erweist es sich als effizienter, wenn die Lernenden selbst die Hauptverantwortung übernehmen. L&D kann unterstützen, in dem es durch Recherchieren und Verhandeln mit Lernanbietern besonders attraktive Teile des »Lernozeans« zugänglich macht und kann weiters sicherstellen, dass die Unternehmenskultur und -strategie durch Vorselektion von Inhalten unterstützt werden.
Durchgeplante Trainingsprogramme mit gleichbleibenden Teilnehmern passen in der agilen Lernwelt weniger als in traditioneller Lernumgebung. Und in den Trainings ändert sich auch die Methodik hin zu

  • Arbeit mit Praxisfällen der Teilnehmer
  • Mehr Coachingorientierung als Lehren
  • Begleitung der Lernenden in der Praxisanwendung durch Shadowing.

Durch die konsequente Orientierung am Lernenden und die intensive Miteinbindung in der Gestaltung des Lernprozesses erhöht sich auch das Commitment.

3. Sinn-volle Lernmotivation: Lernende werden nicht mehr zu Seminaren geschickt. Im Zentrum steht intrinsische Motivation. D. h. Lernende wissen, warum sie etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Form lernen. Meist weil sie selbst eine Herausforderung identifiziert haben, die sie nun bewältigen wollen. Wenn die PE-Abteilung ein Lernvorhaben bewerben will, konzentriert sie sich vor allem auf das »Warum«: Was sind die Chancen, was ist der Nutzen des Gelernten? Wenn Mitarbeiter für sich verstehen, dass eine agile Lernkultur für sie mehr Vor- als Nachteile bringt, dann bleibt der Ball am Rollen. So kann eine nachhaltige, agile Lernkultur aufgebaut werden, die nicht durch Push von außen, sondern Pull von innen heraus gelebt wird.

4. Effektiver, transparenter Lernprozess: Die Sinnhaftigkeit lebenslangen Lernens für Führungskräfte bedeutet, dass kein Quartal ohne Lernbedarf vergeht. Somit ist Lernen ein Prozess, bei dem 3 Teilschritte regelmäßig wiederholt werden.

Schritt 1 – Zielkompetenzen und Lernergebnisse definieren: Die Zielkompetenzen definieren die Lernenden gemeinsam mit der eigenen Führungskraft, der Personalentwicklung und teilweise auch Kollegen und Kunden. Es kann zwischen zwei Zeithorizonten unterschieden werden:

  • langfristig: Das ist ein für z. B. 2 Jahre gültiges Set an Kompetenzen für die aktuelle Funktionsbeschreibung. Dieses langfristige Kompetenzset wird einmal pro Jahr für die nächsten zwei Jahre angepasst.
  • kurzfristig: Die Effektivität erhöht sich, wenn innerhalb eines Quartals der Fokus nur auf wenige, z. B. insgesamt 3 Kompetenzen und erwartete Lernergebnisse gerichtet wird.

Die Lernziele werden entweder definiert als beabsichtigte Lernergebnisse oder Kompetenzen. Die empfohlene Formulierung ist die zum Quartalsende vollendete Zukunft: »Ich werde X gelernt haben.« Dieses imaginierte Bild übt eine motivierende Zugkraft für den Lernprozess aus.

Schritt 2 – Lernen und Fortschrittsmessung während des Quartals: Während des Quartals, stehen den Lernenden verschiedene asynchrone und synchrone Lernangebote zur Verfügung:

  • Asynchrone Angebote sind E-Learnings, Lernvideos oder Lernaudios von innerhalb und außerhalb des Unternehmens.
  • Synchrone Angebote sind Präsenzveranstaltungen und virtuelle Maßnahmen wie Webinare, Masterclasses etc., meist mit der Möglichkeit von direktem Austausch der Lernenden untereinander und mit dem Trainer oder Coach.

Da Lernpräferenzen unterschiedlich sind, kann man weitgehend selbst entscheiden, welche Angebote, in welcher Intensität zu welchen Zeitpunkten am besten passen. Manche lernen am liebsten über Audiodateien während sie Sport machen, andere brauchen persönlichen Austausch mit Kollegen oder einem Trainer. Da sich ohnehin laufend vieles ändert, wird Lernen als kontinuierlicher Prozess verstanden, für den ein gewisses Zeit- und Finanzbudget gewidmet wird. Wer Lernen als Projekt begreift, könnte Gefahr laufen, dass zwischen den Projekten wertvolle Zeit auf der Strecke bleibt und die Lernprojekte selbst schon an Aktualität verlieren, bevor sie beendet wurden.
Die Fortschrittsmessung erfolgt über Check-in-Meetings mit sich selbst und einem Lernpartner. Viele Lernplattformen bieten eine automatische Erinnerung an, aber es reicht auch ein Serientermin in Outlook. Ein Zwischen-Grading in Prozentsätzen hilft, den Fortschritt zu visualisieren und damit präsenter zu machen.

Schritt 3 – Diagnose der Kompetenzen am Ende des Quartals, Überprüfung und Anpassung der beabsichtigten Lernergebnisse: Am Ende des Quartals nehmen die Lernenden ein finales Grading vor, bevor der Lernzyklus mit der Definition neuer beabsichtigter Lernergebnisse von vorne beginnt. Die durchschnittliche Zielerreichung ist weniger wichtig als der Prozess des kontinuierlichen Lernens. Es fördert die Motivation, wenn der Lerntrend über die Quartale hinweg sichtbar gemacht wird. Eine Gamifizierung des gesamten Lernweges mit Bonusspielen, Schatzsuchen und kontinuierlichem Feedback wird speziell bei Jüngeren zur Freude am Lernen beitragen.

5. Einsatz aktueller Lerntechnologie: Mittlerweile ist der Einsatz von E-Learnings in Ergänzung zu anderen Lernformaten selbstverständlich geworden. Es gibt Hunderte Lernplatt­for­-
men am Markt, die die Unterstützung unterschiedlicher Lernszenarien zum Ziel haben. Über LMS werden meist webbasiert Lerninhalte zur Verfügung gestellt, die Lernfortschritte getrackt und die Kommunikation erleichtert. Die aktuelle Entwicklung geht in Richtung ­Learning-Experience-Plattform, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz, dem Lerner Lernvorschläge aufgrund seiner vergangenen Suchanfragen macht. Internet-Anwendungen wie z. B. Amazon, Booking.com etc. beobachten Nutzerverhalten und machen damit möglichst passgenaue Vorschläge. KI hilft dabei, die Nutzer immer besser kennenzulernen. Für die Nutzer wird es bequemer, da sie in ihren Routinen unterstützt werden. Gleichzeitig sollten untypische Lernerfahrungen beibehalten werden, da tiefergehendes Lernen Verwirrung und Loslösen von alten Konzepten beinhaltet.

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Gastautor
Gunther Fürstberger
ist Management-­Trainer, Buchautor und geschäftsführender Gesellschafter von Metaforum und MDI.

www.mdi-training.com