Konzentration auf das Wesentliche

Die Corona-Krise hat die Notwendigkeit, die besten Mitarbeiter zu finden, nochmals verschärft. Personaldiagnostische Tools helfen dabei, Wichtiges über Kandidaten und Mitarbeiter zu erfahren. Und gleichzeitig viel über sich selbst zu lernen.

In Österreich gibt es zahlreiche Anbieter von Tools, die Auskunft über die Persönlichkeit eines Menschen geben. Die Tests finden meist online statt, die Auswertungsgespräche bisher häufig persönlich. Mit relativ geringen Kosten können Unternehmen dadurch die Wahrscheinlichkeit von Fehlbesetzungen stark reduzieren und viel Geld sparen. Dennoch ist die Akzeptanz in Österreich noch relativ gering im Vergleich zu anderen Ländern. Erklärungen dazu sind nicht zu finden.

Jedes Tool hat unterschiedliche Anwendungsgebiete und Stärken. Es lohnt sich daher, als HR-Verantwortlicher in Ruhe mit ein paar Anbietern zu reden und die Anwendungsfelder für das eigene Unternehmen durchzusprechen. Um Verzerrungsfehler zu vermeiden ist es auch sinnvoll, als Recruiter selbst eine Analyse zu machen, um sich besser kennenzulernen und mögliche Übertragungen zu vermeiden – also den häufigen Fehler, Personen, die einem ähnlich und daher sympathisch sind, eher einzustellen. Manche Tools eignen sich mehr für das Recruiting, andere mehr für die Personalentwicklung.
TRAiNiNG hat mit zwei Anbietern von Tests gesprochen und wollte anfangs wissen, welche Auswirkungen die Krise auf ihre Produkte gehabt hat.
Markus Pollhamer (Geschäftsführer Innoviduum GmbH): »Aufgrund der Kontaktverbote der letzten Wochen und Monate ist unser Leben in vieler Hinsicht auf das Wesentliche reduziert worden. Viele Menschen hatten mehr Zeit, über sich selbst nachzudenken, und Selbstreflexion gehörte plötzlich zur Tagesroutine. Die eigenen Werte sind wieder bewusster geworden und mehr in den Vordergrund gerückt. Vor allem das Fehlen von sozialen Kontakten hinterlässt Spuren in den Organisationen. Deshalb haben wir uns angeschaut, was jetzt gebraucht wird. Zwei wesentliche Aspekte wurden deutlich. Menschen holen sich noch gezielter Feedback ein, weil dadurch Bindung aufgebaut wird. Was noch auffällt ist, dass der Fokus weg von den Schwächen, hin zu den Stärken der Mitarbeiter geht. Gerade in herausfordernden Zeiten ist es wichtig, Ressourcen gut zu nutzen und positive Emotionen zu fördern. Wir bekommen vermehrt Anfragen zu Teamentwicklung. Teams wollen digital starten und dann, wenn gruppendynamische Prozesse wieder unbeschwert möglich sind, in den gemeinsamen Reflexionsprozess vor Ort gehen. Mittlerweile haben auch die Nachzügler die Scheu vor digitalen Produkten und Prozessen verloren und erkennen den Mehrwert von hybriden Ansätzen. Alleine in den letzten 6 Monaten haben wir über 30 neue Partner gewonnen, die unsere ›Positive Tools‹ in ihre Trainings, Coachings und Beratungskonzepte integrieren.«

Bernhard Dworak (Geschäftsführer Master HR Consulting): »Es ist vieles gleich geblieben, es hat sich aber auch sehr viel verändert. Was gleich geblieben ist, ist der Wunsch – mit wissenschaftlich fundierten Instrumenten – mehr über das Gegenüber zu erfahren. Was sich hier geändert hat ist, dass wir bemerkt haben, dass diesen Instrumenten mehr Offenheit entgegengebracht wird. Das Interesse ist generell gestiegen. Unsere Hypothese dazu ist, dass wir im letzten Jahr digitaler geworden sind und dadurch die Schwellenangst gesunken ist. Zusätzlich sind durch den reduzierten sozialen Kontakt die Möglichkeiten eines Kennenlernens ebenfalls reduziert worden. Ein weiterer Grund für mehr Offenheit und Interesse könnte aber auch darin liegen, dass man auf der Suche nach Sicherheit ist. Unsere Instrumente sichern Entscheidungen ab. Sie unterstützen aber auch in den Bereichen Diversität, Gleichberechtigung und Transparenz. Die hohe Dynamik auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, dass man sich sicher sein möchte, die beste Person zu finden, denn das ist eine Investition in die Zukunft. Und viele Unternehmen denken jetzt mehr denn je an ihre Zukunft und mit wem sie diese gestalten können.«
In der Krise ist vielen Unternehmen klar geworden, dass es hilfreich ist, genau darüber Bescheid zu wissen, welche Kompetenzen ihre Mitarbeiter haben. Denn es ist und war eben nicht »business als usual«, sondern eine Extremsituation für alle Beteiligten. Hier kamen durchaus neue Stärken von Mitarbeitern hervor, die vorher nicht zu bemerken waren. Diese frühzeitig zu erkennen, ist eine gute Überlebensstrategie für Unternehmen – besonders, aber nicht nur, in Krisenzeiten.

Online-Auswertungsgespräche

Ein wichtiger Punkt von Potenzialanalysen sind die persönlichen Reflexionsgespräche der Ergebnisse. Hier wird das Profil von einem Experten begutachtet und persönlich besprochen.
Es wird dabei evaluiert, was die Ergebnisse über das zukünftige Verhalten im Beruf aussagen und welche weiteren Schritte sinnvoll wären. Diese Coachinggespräche waren vor Corona meist persönliche Treffen. In den Zeiten von Social Distancing  ist das nun anders. So wie die meisten Coachinggespräche wurden auch diese online geführt. Wie funktioniert das? Wie wird das angenommen?

Bernhard Dworak: »Ich muss ehrlich sagen, dass ich überrascht war, wie schnell sich Personen auf die neue Situation eines Online-Feedbackgespräches eingestellt haben. Die Schwellenangst vor der Kamera, vor der sozialen Distanz und den technischen Hürden ist einer neuen Art von Kommunikation gewichen, die man sich in Österreich vor 2 Jahren niemals hätte vorstellen können. Im Nachhinein frage ich mich, warum das alles nicht schon früher angenommen wurde. Die Antwort ist aber auch schnell gefunden. Man musste nicht und dachte vielleicht, ein Online-Treffen sei respektlos. In diesem Sinne danke ich Corona für diese neuen Erkenntnisse und dafür, dass auch ich aus meiner Komfortzone erbarmungslos hinausgetreten wurde.«

Markus Pollhamer: »Goethe hat in einem Brief an seine Schwester geschrieben: ›Verzeiht, liebste Schwester, dass ich Euch einen solch langen Brief schreibe. Ich hatte keine Zeit, Euch einen kurzen zu schreiben.‹ Gerade Online-Auswertungsgespräche funktionieren dann am besten, wenn es gelingt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dabei helfen einfach zu interpretierende Visualisierungen. Seitenlange Texte als gemeinsame Interpretationsgrundlage sind hingegen eine schlechte Basis für Online-Auswertungsgespräche. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass es nicht unbedingt besser ist, möglichst viel in ein Online-Auswertungsgespräch zu packen. Idealerweise wird die Interpretation der Ergebnisse als Prozess verstanden und unmittelbar an Übungen, Experimente, Maßnahmen etc. geknüpft. Besonders hilfreich sind hier Tools, die kein endgültiges Ergebnis liefern (Momentaufnahme), sondern eine schrittweise Entwicklung der Ergebnisse ermöglichen. Bieten Tools darüber hinaus die Möglichkeit, dass die Nutzer (Teil-)Ergebnisse bereits während des Prozesses erhalten und Erklärungen und Hilfestellungen direkt im Tool angeboten werden, erhöht das wiederum die Effizienz bei den Auswertungsgesprächen. Dazu kommt, dass ›Tests‹ heute nichts mehr mit einem langweiligen Fragebogen zu tun haben müssen. Gamification-Aspekte und die Möglichkeiten moderner Web-Technologie sorgen für eine gute Usability und einprägsame Ergebnisse. Diese werden am Bildschirm geteilt und gemeinsam interpretiert. Unser Fazit: Der Einsatz moderner Technologien und gut aufbereitete Ergebnisse ermöglichen qualitativ hochwertige Online-Auswertungsgespräche.«

Neue Produkte

Das (Wirtschafts-)Leben dürfte im Sommer wieder normale Zustände annehmen, was, so hoffen Experten, die Wirtschaft wieder stark ankurbeln wird. Es werden also neue Mitarbeiter benötigt. Vollautomatisierte KI-basierte Recruitingtools gibt es noch nicht, zum Glück. Die persönliche Note, der Teamspirit und andere »weiche« Faktoren werden weiterhin von Menschen »bewertet«. Dennoch arbeiten Anbieter natürlich permanent an der Verbesserung ihrer Tools. TRAiNiNG hat daher nachgefragt, welche neuen Tools von unseren Interviewpartnern erwartet werden.

Markus Pollhamer: »Die Krise hat gezeigt, dass die Digitalisierung nun endgültig auch in den Bereichen Training, Coaching und Beratung angekommen ist. Außerdem sind neue Bedürfnisse entstanden – bei den Prozessbegleitern ebenso wie in den Unternehmen. Nicht mehr nur die Analyse ist ausschlaggebend. Von modernen Tools wird erwartet, dass sie Menschen unterstützen, Reflexionskompetenz aufzubauen und in die Selbstwirksamkeit zu kommen. Der Fokus der Anwendung psychologischer Tests könnte sich demnach verändern. Eher weg vom Testen und der Kognition, hin zur Reflexion und Emotion. Wir haben uns deshalb noch stärker in Richtung ›Positive Psychologie‹ spezialisiert und haben neue Funktionen entwickelt, um nicht nur Potenziale zu analysieren, sondern auch positive Emotionen zu fördern, Engagement zu steigern, Beziehungen zu stärken und Erfolge sichtbar zu machen. Insofern blicken wir in eine spannende Zukunft, auf die wir uns schon seit mehreren Jahren gut vorbereitet haben. Da immer mehr Trainer, Coaches und Berater unsere ›Positive Tools‹ für ihre Dienstleistungen nutzen, werden wir in der Zukunft auch noch mehr Augenmerk auf die einfache Benutzbarkeit des Admin-Bereichs legen.«

Bernhard Dworak: »Als Anbieter von hochwertigen psychometrischen Test- und Analyseinstrumenten in Europa sind wir immer daran, unsere Instrumente zu verbessern oder neue zu entwickeln. Tatsächlich arbeiten wir gerade an einem neuen kognitiven Test, der Anfang 2022 auf den österreichischen Markt kommen wird. Die Frage im Zusammenhang mit Rekrutierung neuer Mitarbeiter war: Wie definieren wir, wer die besten Kandidaten sind? Es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, dies festzustellen. Früher oder später wird man nicht umhin kommen, sich mit qualitativ hochwertigen personaldiagnostischen Instrumenten auseinander zu setzen. Die beste Einstellungspraxis muss aus Instrumenten bestehen, die die zukünftige Arbeitsleistung vorhersagen können. Das gilt für jede Art von Auswahl, für die Rekrutierung als Hauptanwendungsbereich, aber auch für die Auswahl von Mitarbeitern für spezielle Trainingsprogramme, den internen Übergang von Mitarbeitern in eine neue Stelle im selben Unternehmen usw.«
Die Forschung untersucht seit Jahrzehnten Rekrutierungstools zur Vorhersage der Arbeitsleistung, und zum Glück haben Personalverantwortliche solide Forschungsergebnisse, die sie bei der Auswahl der besten Instrumente zur Vorhersage der Leistung berücksichtigen können. Und alle können davon profitieren. Wenn man sich verschiedene Untersuchungen zur Vorhersage der Arbeitsleistung ansieht, gibt es kleine Unterschiede in den Ergebnissen. Das Gesamtbild ist aber ziemlich klar. GMA (General Mental Ability) ist am besten bei der Vorhersage der Arbeitsleistung. Der Grund, warum wir sagen können, dass GMA der stärkste Einzelprädiktor für die Arbeitsleistung ist, liegt darin, dass dieser Zusammenhang seit mehr als 100 Jahren intensiv erforscht wird. Wo es aber beginnt, wirklich interessant zu werden, ist, wenn wir uns den finanziellen Nutzen eines Auswahlinstruments im Vergleich zu einer anderen Methode ansehen.
Bernhard Dworak: »Wenn wir alle Informationen in dieses Modell eingeben, können wir bei einer durchschnittlichen Position einen finanziellen Nutzen von € 58.992,– ermitteln. Selbst wenn jeder GMA-Test nur € 150,– kosten sollte, dann beträgt der Return on Investment mehr als 400 %! Und dabei sind weder im finanziellen Gesamtnutzen noch im Return on Investment die Kosten für die aktuelle Rekrutierungsmethode enthalten. Diese Ergebnisse zeigen, wie sich der scheinbar kleine Unterschied zwischen Instrumenten in einen ziemlich großen finanziellen Unterschied bei realen Einstellungsmethoden verwandeln kann. In einer Studie von Fisher et al. (2020), in der verschiedene Mythen im Personalwesen untersucht wurden, liest man unter anderem, dass viele HR-Professionals fälschlicherweise glaubten, dass die zukünftige Arbeitsleistung überhaupt nicht vorhergesagt werden kann!«

GMA-Tests erfreuen sich also steigender Beliebtheit. Was genau ist der Unterschied zu anderen Testverfahren?

Bernhard Dworak: »Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass unser Test noch einfacher und internationaler als bisherige kognitive Instrumente sein wird. Es muss nicht immer ein 75 Minuten langer Fragebogen sein, der logisch analytisches Denkvermögen analysiert. Es geht auch kürzer und ohne Einbußen in der Qualität oder Aussagekraft befürchten zu müssen. Das Problem liegt aber vielmehr darin, dass das Potenzial für die Anwendung von personaldiagnostischen Instrumenten in Österreich extrem groß ist. Es entwickelt sich nur langsam eine Testkultur und ein Gefühl dafür, was man mit diesen Instrumenten alles erreichen kann.
Egal, welches Instrument man verwendet, es ist besser als jedes ›normale‹ Interview. Es liegt ganz bei den Anwendern, wie weit sie gehen möchten und welcher Qualitätslevel für sie ausreicht.«

Fazit
Durch Persönlichkeitstests, die zum richtigen Zeitpunkt angewendet werden, können Unternehmen viel Geld sparen. Die Ergebnisse sagen wissenschaftlich valide etwas über die zukünftige Arbeitsleistung aus und schützen daher vor Fehlbesetzungen. Auch für die Personalentwicklung gibt es hilfreiche Tools. Sich damit als HR-Verantwortlicher und als Trainer zu beschäftigen, zahlt sich jedenfalls aus.

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