Das Recht auf Unerreichbarkeit

Wie das Familienunternehmen Pöttinger neue Mitarbeiter rekrutiert, aus- und weiterbildet und fördert, lesen Sie in diesem HR-Interview mit Herbert Wagner.

Was macht Pöttinger genau und wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Pöttinger ist eine Maschinenfabrik für landwirtschaftliche Geräte zur Bodenbearbeitung, Aussaat und Erntetechnik. Die Produktion findet größtenteils in Österreich im Werk in Grieskirchen statt, auch in Tschechien und Deutschland wird produziert. Der Betrieb ist ein Familienunternehmen in vierter Generation und wird von den beiden Brüdern Heinz und Klaus Pöttinger geleitet. In Österreich haben wir rund 950 Mitarbeiter, weltweit inklusive Leasingkräften etwa 1 800 Mitarbeiter.

Was sind Ihre aktuellen Herausforderungen?

Wir haben in den letzten 10 Jahren sowohl Umsatz als auch Personalstand verdoppelt. Das stellt besondere Anforderungen an die Anpassung von Organisation und HR. Umso wichtiger ist es für uns, die besten Mitarbeiter zu finden.

Wie schaffen Sie das?

Wir haben es geschafft, das Unternehmen in der Region und auch darüber hinaus als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren. Der Arbeitsmarkt nimmt uns als modernes und innovatives Unternehmen wahr, das in seine Mitarbeiter stark investiert. Wir sind in Schulen und auf Karrieremessen vertreten und halten Infovorträge auf Universitäten. Weiters bieten wir Praktikaplätze an, verteilen Imagebroschüren und sind natürlich in den sozialen Netzwerken aktiv vertreten.

Wie läuft der Rekrutierungsprozess bei Ihnen ab?

Die Personalauswahl ist für uns ein ganz zentrales Thema. Wir wollen gleich von Anfang an die besten Köpfe bekommen und an das Unternehmen binden. Im HR betreuen wir vor allem den Angestelltenbereich, die Rekrutierung im Arbeiterbereich läuft eher dezentral. Wir erhalten pro Jahr rund 2 500 Bewerbungen, darunter viele Initiativbewerbungen. Stellenausschreibungen platzieren wir in Printzeitungen, auf unserer Homepage und dem Mitarbeiterportal sowie über die klassischen und bekannten Karriereportale. »Best Recruiters« hat uns im Jänner 2015 sogar zum Sieger in der Branche Anlagen-/Maschinenbau gekürt. Die Vorselektion erfolgt durch die Personalabteilung. Die relevanten Kandidaten werden mit dem jeweiligen Bereichsleiter abgestimmt und entsprechend zu einem Gespräch eingeladen. Wenn hier alles für beide Partner passt, kommt es noch einmal zu einem abschließenden Gespräch, bei dem ich involviert bin. Mir ist es wichtig, dass die neuen Mitarbeiter immer ausreichend qualifiziert sind und entsprechendes Potenzial haben. Bei Nachbesetzungen achte ich drauf, dass der neue Kollege ein Stück weit besser ausgebildet ist als sein Vorgänger.

Worauf achten Sie bei Bewerbern besonders?

Neben den fachlichen Qualifikationen ist mir wichtig, dass die Person genau zum Unternehmen passt. Wir sind nämlich sehr stolz auf unsere Unternehmenskultur und unseren »Pöttinger Geist«.

Wie können Sie das im Gespräch feststellen?

In der letzten Gesprächsrunde geht es nicht mehr um Fachthemen, das ist schon zu einem früheren Zeitpunk abgehandelt worden. Ich bitte den Kandidaten immer, mir eine Geschichte aus seinem Leben zu erzählen, die ihn besonders beschreibt und etwas von seiner Persönlichkeit preisgibt. Egal ob es eine private oder eine berufliche Geschichte ist. Somit beschreibt nicht er sich selbst, sondern die Geschichte beschreibt ihn. Dadurch bekomme ich einen etwas anderen Blick auf diese Person. Mit so einer Frage rechnet der Kandidat ja nicht, so ist er unvorbereitet und dadurch meist ehrlich.

Wie läuft das Onboarding ab?

Die ersten Tage sind besonders wichtig für den neuen Mitarbeiter, daher haben wir uns ein paar Sachen zurechtgelegt. Bereits bei Vertragsabschluss bekommt der Mitarbeiter eine Einsteigermappe mit Facts und Informationen über die Firma. Es wird ihm ein Mentor zugeteilt, das ist meist nicht der Vorgesetzte, sondern ein Kollege aus der gleichen, oder auch aus einer anderen Abteilung. So hat er immer einen Ansprechpartner, den er alles fragen kann und der ihm eine gewisse Sicherheit gibt. Mehrmals jährlich haben wir Einsteigertage bei Pöttinger. Dort werden relevante Themen durchgesprochen, wie z. B. Infos aus der HR-Abteilung und Handlungs- und Führungsgrundsätze. Die Geschäftsleitung stellt sich persönlich vor und beantwortet Fragen. Wissenswertes aus der IT, Arbeitssicherheit, Vorschlagswesen und Gesundheitsförderung sind weitere wichtige Themen.

Wie läuft dann in weiterer Folge die Weiterbildung für die Führungskräfte ab?

Wir haben eine eigene Pöttinger-Akademie, die zahlreiche Seminare anbietet. Gerade für Führungskräfte haben wir unterschiedliche Programme. Unser jüngstes Produkt ist das »-SMARAGD-Programm« für High Potentials.

Wie läuft das SMARAGD-Programm ab?

Dieses Programm zum Aufbau und zur Förderung von Nachwuchsführungskräften geht   über eineinhalb Jahre und setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Es beginnt mit einem Teambuilding-Workshop. Danach gibt es Präsentationsworkshops und 360-Grad-Feedback, um das Selbstbild und Fremdbild – und so sich selber – besser kennenzulernen. Der Prozess wird mit individuellem Coaching begleitet. Das Kernstück des Programms ist ein 15-tägiger Lehrgang der limak Business School zu Management Grundwissen. Dabei handelt es sich um einen zertifizierten Lehrgang, der auch für einen MBA anrechenbar ist. Manche Kollegen machen weiter und holen sich den Titel an der limak. Wir haben uns dazu intensiv mit der Hochschule zusammengesetzt und gemeinsam ein individuelles Programm für unser Unternehmen entworfen. Dieser Lehrgang endet mit einem Unternehmensplanspiel, das bei den jungen Führungskräften sehr beliebt ist. Weiters sind im SMARAGD-Programm noch Job-Rotation sowie Auslandsaufenthalte eingeplant und Projektmanagement- und Sprachtrainings. Das gesamte Programm kostet das Unternehmen inklusive aller Nebenkosten knapp 20.000,– € pro Mitarbeiter.

Den MBA bezahlt auch das Unternehmen?

Das hängt stark vom Interesse des Unternehmens ab. Wenn wir der Meinung sind, dass die Weiterbildung auf akademischen Niveau für das Unternehmen wichtig ist, bezahlen wir bis zu 80 % der Programmkosten und stellen 100 % der Zeit zur Verfügung. Es gibt dann Abstufungen mit 50 % oder 25 % der Kosten und der Zeit. Bei geringem betrieblichem Interesse muss der Mitarbeiter die Weiterbildung privat zahlen und in der Freizeit absolvieren. Hohes betriebliches Interesse ergibt sich durch einen fachlichen Zusammenhang und/oder die notwendige Qualifizierung, die für die Ausübung der Tätigkeit unbedingt erforderlich ist.

Wie funktioniert das Vorschlagswesen bei Pöttinger?

Es ist uns wichtig, dass Mitarbeiter Vorschläge zur Verbesserung der Organisation einreichen. Durch die Installation von Kaizen Managern, jahrelange Bewusstseinsbildung und durchdachte Abläufe ist uns das auch gelungen. In österreichweiten Rankings befinden wir uns stets im Spitzenfeld. Jeder Mitarbeiter, der einen vernünftigen Vorschlag einbringt, bekommt sofort einmal 15,– € ausbezahlt. Wenn sich durch die vorgeschlagenen Maßnahmen Einsparungen für das Unternehmen ergeben, bekommt er nochmals 15 % der Einsparungen des ersten Jahres. 2014 haben wir über 6 700 Vorschläge erhalten, die wir mit einer Veränderungsleistung von 8,5 Mio. € bewertet haben. Es zahlt sich also aus, seine Mitarbeiter zu befragen. Wir sind stolz darauf, dass unser Team so aktiv durchdachte Vorschläge abliefert.

Welche Maßnahmen setzen Sie für die Gesundheitsförderung Ihrer Mitarbeiter?

Wir bieten dazu verschiedene Programme, Vorträge und Seminare in den Bereichen Ergonomie, Sport und Bewegung, Ernährung, psychische Gesundheit etc. Ein wichtiger Punkt im Hinblick auf psychische Belastungen ist die permanente Erreichbarkeit der Mitarbeiter. Dazu haben wir Richtlinien erarbeitet und eine klare Position des Unternehmens dargestellt. Unsere Mitarbeiter haben ein Recht auf Unerreichbarkeit! Niemand muss nach Dienstschluss, im Urlaub oder gar im Krankenstand E-Mails lesen oder dienstliche Anrufe beantworten. Die Richtlinie ist brandneu und wir sind jetzt dabei, unsere Führungskräfte zu schulen, dass sie bei diesem Thema eine Vorbildfunktion und somit auch eine Fürsorgepflicht haben. Natürlich haben wir auch einen Betriebsarzt, bieten vergünstigte Massagen, Sehtests etc. an.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Schreiben Sie einen Kommentar!


*

WAGNHER_1

Herbert Wagner

Bereichsleiter Administration (HR/ORG/IT)

Studium: Betriebswirtschaft in Linz

2005 Global Executive MBA an der LIMAK

Seit 1987 bei Pöttinger

Über Alois Pöttinger Maschinenfabrik GmbH

Seit der Firmengründung 1871 hat sich das österreichische Familienunternehmen zu einem der angesehensten Landtechnikhersteller Europas entwickelt. Die Produktpalette deckt lückenlos die gesamte Erntekette ab. 85 % des Umsatzes werden im Ausland erzielt. Weltweit ist das Unternehmen in über 60 Ländern zu finden. Im Geschäftsjahr 2013/14 hatte Pöttinger einen Umsatz von 314 Mio. €.

www.poettinger.at