Der Trainer als Rampensau?

Der Weg vom Trainer im Seminarraum zur Speaker-Bühne klingt verlockend. Höhere Stundensätze und mehr Reputation in der Öffentlichkeit rufen daher immer mehr Trainer in die Speaker-Szene. Wie das gelingen kann und welche Stolpersteine es dabei gibt, lesen Sie hier.

Immer mehr Trainer/Berater/Experten wollen nun auch als Speaker tätig werden. Honorare zwischen 3.000,– und 7.000,– € verlocken. Sie sind auch, im Idealfall, in einer Stunde auf der Bühne zu verdienen. Denn bei einer Konferenz, die per se schon teuer zu organisieren ist, macht dieses Honorar das Kraut auch nicht mehr fett. Dafür erwarten sich dann Auftraggeber und Teilnehmer einen inspirierenden Vortrag, der die Zuhörer begeistert und zu neuen Ideen und Leistungen anregt.

Allerdings übersehen so manche Anwärter die großen Unterschiede in den Anforderungen zwischen einem Trainer und einem Keynote-Speaker.

Ein hervorragender Trainer kann auf der großen Bühne schnell »abfallen«, wenn er allein mit seiner Kompetenz und seiner Performance als Trainer auftritt. Auf der Bühne, als Speaker, ist etwas anderes gefragt. Es geht darum, viel mehr Menschen als im Training in kurzer Zeit mit anregenden Themen zu begeistern, zu kreativen Ideen anzuregen. Und kaum darum, als Wissensvermittler aufzutreten.
Inspirierend und unterhaltsam muss eine Rede sein. Das geht auf zweierlei Arten: Entweder mit Humor – so arbeiten geschätzt 90 % der Redner. Oder mit genialen Inhalten, die die Teilnehmer sofort begeistern und zum Nachdenken anregen. Inhalte zu bieten, ist der schwierigere Weg, da man genau dosieren muss, wie viel man preisgibt. Denn ein Speaker kann das Publikum auch mit zu viel Botschaften überfordern. Das geht rasch und ist kontraproduktiv.
Hermann Scherer (Speaker und Speaker-Ausbildner) auf die Frage, warum es immer mehr Experten auf der Welt gibt, die öffentlich reden wollen: »Es geht nicht mehr allein um Training, Speaking oder Coaching, sondern darum, dass Menschen ihre Botschaft auf die Welt bringen möchten – egal wie.«

Früher referierten auf den großen Bühnen Experten aus Wirtschaft, Sport oder Politik. Siegfried Haider nennt sie »wahre Helden«: »Wahre Helden sind Menschen, die wirklich außergewöhnliche Leistungen vollbracht haben. Also heutzutage beispielsweise Reinhold Messner, Felix Baumgartner oder Greta Thunberg uvm. Natürlich hören wir diesen Persönlichkeiten gerne beim Reden zu. Und meist verdienen sie damit auch richtig Geld, weil sie aufgrund ihrer »Heldentaten« für das Publikum interessant sind. Ich kenne aber keinen Trainer, der nur ansatzweise vergleichbare Heldentaten vollbracht hat.«

Trainer wollen noch immer vor allem mit Fachwissen punkten, das sich theoretisch jeder aneignen kann. Für einen Trainer, der als Speaker performen möchte, gilt es, dieses Wissen bühnengerecht aufzuarbeiten.

Monika Herbstrith-Lappe (geschäftsführende Unternehmerin bei Impuls & Wirkung) über die unterschiedlichen Kompetenzen: »Will man vom Trainer zum Speaker werden, braucht es einen Paradigmenwechsel. Ein Training findet in Kleingruppen statt. Die Teilnehmenden erwarten zu Recht, dass man auf ihre individuellen Wünsche eingeht. Daher wird ein kompetenter Trainer prozesshaft arbeiten, um auf die unterschiedlichen Wünsche und Fragen der Teilnehmer einzugehen. Es geht darum, Kompetenzen zu stärken, die den Trainierenden ermöglichen, ihre konkreten Herausforderungen im Alltag besser zu meistern. Speaking soll viele Menschen ansprechen. Die Kunst besteht darin, die Inhalte einerseits griffig und praxistauglich zu vermitteln und andererseits so allgemein zu bleiben, dass sich möglichst viele der Anwesenden darin wiederfinden. Storytelling und Arbeit mit Metaphern sind dafür ein höchst nützliches Instrumentarium. Auf wundersame Weise erblicken die Einzelnen im humorvoll vorgehaltenen ›Spiegel der Erkenntnis‹ sich selbst – und das in Gesicht-wahrender Weise.«

Helga Steiner (Geschäftsführerin Steiner Consulting) ergänzt: »Trainer und Speaker sind auf den ersten Blick ähnlich, unterscheiden sich aber in ihrem Tun. Ein Speaker braucht die Bühne, er transferiert Wissen und führt eigentlich einen Monolog mit Eventcharakter. Ein Trainer transferiert natürlich auch Wissen, aber mit dem Zusatzziel, Lerneffekte zu erreichen. Ein Trainer ist im ständigen Dialog mit den Teilnehmern, um Weiterentwicklung zu forcieren. Drücken wir es in Zahlen aus, dann spricht ein Speaker mindestens 90 % selbst. Ein Trainer spricht viel weniger selbst und lässt die Teilnehmer üben.«

Der Speakermarkt

Der Markt ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen. Erklären Sie einmal jemandem, der noch nie von diesem Beruf gehört hat, dass z. B. Richard Branson für eine Stunde »reden« bis zu 250.000,– USD bekommt. Außerdem hat sich der Markt in den letzten Jahren stark verändert. Zahlreiche Institute und »Einzelkämpfer« bieten Ausbildungen zum Speaker an, in völlig unterschiedlicher Intensität und Professionalität. Dadurch kommt es natürlich zu einem Wildwuchs an Speakern. Gab es vor 20 Jahren vielleicht rund 100 professionelle Speaker, sind wir jetzt bei weit über 5 000, alleine im deutschsprachigen Raum. Und alle wollen gebucht werden. Eine Vermischung zwischen »wahren Helden« und selbst ernannten Helden findet statt, bei der kaum jemand den Überblick bewahrt.

Ein Speaker ist tatsächlich mehr Schauspieler als Wissensvermittler. Daher sollte es in den Ausbildungen auch primär um Bühnenperformance, Persönlichkeit und auch um Vermarktung gehen. Die meisten Speaker sind übrigens männlich – und das, obwohl immer mehr Referentinnen nachgefragt werden.

Ein Trend, der sich seit ca. 2 Jahren zeigt, ist die Öffnung des B2C-Markts für Speaker. Das haben viele noch nicht erkannt. Hermann Scherer dazu: »Der Speakermarkt erlebt in meinen Augen besonders im B2C-Markt einen ganz neuen Boom. Durch den gekonnten Einsatz von Social-Media ist es heute viel leichter möglich, ganze Hallen mit ›Einzelpersonen‹ zu füllen. Hier ergibt sich ein völlig neues Geschäftsfeld, wenn die Experten die neuen technischen Möglichkeiten gekonnt einsetzen.«

Berufswunsch: Keynote-Speaker

Was ist das Faszinierende am Beruf des Speakers? Warum wollen viele Experten Speaker werden?
Monika Herbstrith-Lappe: »Ich gestehe es: Ich finde es höchst lustvoll, auf der Bühne zu stehen. Andere finden ihren Kick beim Bungeejumping oder Tiefschneefahren. Ich bei Keynotes auf Konferenzen. Das hat vermutlich viel damit zu tun, dass überwundene Angst so ein befreiendes Gefühl ist. Vor vielen Menschen zu sprechen und damit von vielen gesehen zu werden, gehört ja zu den intensivsten Ängsten der Menschen. Bei begeisterten Speakern hat sich die ›Angst vor …‹ in eine ›Lust auf …‹ entpuppt. Eine große Menschenmenge zu gewinnen, zu inspirieren und zu bestärken, ist für mich freudvolles Wellenreiten auf dem gemeinsamen Flow.«

Helga Steiner sieht diesen Trend folgendermaßen: »Weil man in kurzer Zeit viele Personen erreichen kann und – ehrlich gesagt – keine Erfolgsgarantie als Verantwortung trägt. Es gilt zu motivieren und nicht weiter zu entwickeln. Die Evaluierung des Speakers erfolgt genau in dem Moment, in dem er spricht. Schafft er Begeisterung, werden die Zuhörer begeistert sein. Rüttelt er die Zuhörer auf, werden diese ›aufgerüttelt‹ den Event verlassen. Hinterfragt er kritisch, werden sie ›kritischer‹. Der Speaker hat Einfluss auf die Inspiration, die er gibt.«

Die ersten Schritte

Was braucht man nun, um als Speaker Fuß zu fassen und um ein Image aufzubauen?
Der Weg wird häufig von Ausbildungsanbietern einfacher dargestellt, als er tatsächlich ist. Der Weg zum erfolgreichen, gut verdienenden Speaker ist lang, steinig, teuer, mühsam und oft frustrierend. Und wenn einfach kein Talent vorhanden ist, bzw. wenn die Persönlichkeit dem Bühnenauftritt nicht gewachsen ist, sollte man sobald wie möglich die Finger davon lassen. Das heißt, es gehört auch eine große Portion ehrliche Selbstreflexion und Selbsterkenntnis dazu.

Siegfried Haider: »Warum sind Top-Speaker wie Michael Rossié, Johannes Warth, Lutz Herkenrath und einige wenige andere so erfolgssicher auf der Bühne? Weil sie als studierte Schauspieler über Jahre die Bühne (lieben) gelernt haben. Niemand würde eine professionelle berufliche Ausbildung zum Profi-Sänger beginnen, wenn nicht eine ausreichende Stimme dafür vorhanden wäre, die veredelt werden kann.«

Jeder ernst zu nehmende Schauspieler arbeitet regelmäßig an seiner Performance, genau so muss es ein Speaker halten, denn kaum einer ist so ein Naturtalent, dass der Auftritt ganz ohne Übung funktioniert. Auch wenn ein gewisses Talent vorhanden ist, muss die Performance trainiert und angepasst werden. Ein Trainer, der seine Seminargruppe gut im Griff hat, kann noch lange nicht 2 000 Zuhörer begeistern. Dessen muss er sich in jedem Augenblick bewusst sein.
Helga Steiner: »Ein Speaker muss die Gier nach Bühnenpräsenz haben – er muss sprichwörtlich eine ›Rampensau‹ sein und das Scheinwerferlicht lieben. Es sind die talentierten Redner, die die gesprochenen Worte vor allem zur ­Inspiration nutzen. Meiner Meinung nach müssen diese Stärken als Talent vorhanden sein und durch gezielte Dramaturgie und Aufbau der Vorträge verfeinert werden.«

Monika Herbstrith-Lappe: »Trainern, die den Wunsch empfinden, Speaker zu werden, empfehle ich zu reflektieren, aus welchen Gründen heraus sie das wollen. Geht es ihnen um äußere Anreize wie Image oder gar Honorarhöhe, rate ich immer davon ab. Franz Beckenbauer hat dazu den Vergleich gebracht: ›Früher wollten junge Fußballspieler exzellent spielen. Jetzt wollen sie häufig reich und berühmt werden. Man kann aber nicht erfolgreich spielen, wenn man immer nur auf die Anzeigetafel starrt.‹ Für erfolgreiche Speaker ist es ein wichtiger Türöffner, zumindest ein Buch geschrieben zu haben. Das ist auch gleichzeitig ein guter Test, ob die Inhalte tragend sind und sich in spannende Geschichten verpacken lassen.«

Siegried Haider: »Die Entscheidung, Speaker zu werden, bedeutet auf jeden Fall, ›den Trainer‹ in die 2. Reihe zu schieben – vor allem in der Außendarstellung, und damit auch im Speaker-Marketing. Und das führt unweigerlich zu mehr Speakeranfragen, wenn professionelles Speaker-Marketing und begeisternde Bühnenperformance geboten werden. Wer das nicht kann oder schafft, endet lediglich im Speakerversuch, bei dem weder das Speaking klappt noch das Business aus Training & Co. mehr richtig funktioniert, weil es im Rahmen der Speaker-Hoffnungen vernachlässigt wurde.«

Stolpersteine und Schattenseiten

Um als Speaker gebucht zu werden, müssen die Mechanismen des Marktes verstanden werden. Die Website eines Speakers muss sich von einem Trainer in jeder Hinsicht unterscheiden.  Zeitungs- und Radio-Interviews müssen (meist bezahlt) organisiert werden. Fernsehauftritte sind ebenfalls essenziell, um den Expertenstatus zu untermauern. Dafür gibt es eigene Agenturen, die den (Neo)-Speaker in die entsprechenden Medien bringen. Anfangs sind es erst einmal kleine Lokal-Sender. Wer sich hier bewährt, professionell auftritt und ihm auch nicht der kleinste, allerkleinste Fehler unterläuft, schafft es vielleicht, auch in öffentlich-rechtliche TV-Sender eingeladen zu werden. Ein eigenes Buch hilft hier auch sehr.

Und es muss die Performance perfekt sein. Professionelle, erfolgreiche Keynote-Speaker brauchen für einen einstündigen Vortrag bis zu 30 Tage Vorbereitung. Manche noch länger, und sie üben und üben und üben. Zuerst vor Freunden, dann vor anderen Freunden, wieder und wieder. Bis jede Pointe sitzt, jede Handbewegung passt und jeder Lacher an der richtigen Stelle kommt. Siegfried Haider: »Warum wurde Michael Jackson ›Der King of Pop‹? Unter anderem, weil er seiner Kindheit durch gnadenloses Üben und Auftritte beraubt wurde.« Klingt, hart – und ist es auch. Je früher ein angehender Speaker dies verstanden hat und sich danach verhält, umso besser für ihn.

Dazu gehört auch, Kritik und Feedback anzunehmen und sich selbst permanent zu reflektieren. Wer einem erfolgreichen Speaker einmal bewusst und ganz aufmerksam zuhört und seine Rede analysiert, erkennt so viele einzelne, kleine Elemente darin, die genial sind.  Die aber das große Ganze ausmachen, nämlich die perfekte Rede. Wie bei einem guten Schauspieler: Es wirkt das Gesagte spontan und einfach, locker und entspannt, und genau dafür ist jahrelange Übung und Erfahrung nötig – und permanente Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und Bühnenperformance.

Monika Herbstrith-Lappe: »Für mich ist das stimmige Gleichgewicht zwischen Inhalt einerseits sowie amüsanter Verpackung andererseits entscheidend. Es ist ein Irrtum, dass fundierte Fakten für sich sprechen. Es braucht den bewussten Brückenschlag zum Publikum. Dieses will abgeholt werden und braucht einen Bezug zu den Inhalten. Daher ist es sinnvoll, Anknüpfungspunkte zu bieten, die dem Publikum als Einstieg dienen, um sich auf den Vortrag einzulassen. Als inspirierend und bewegend erleben wir nur etwas, mit dem wir uns identifizieren können. Umgekehrt empfinde ich es auch als nicht wertschätzenden Umgang mit der Zeit der Zuhörenden, wenn inhaltlich ›dünne Suppen‹ aufgetischt werden – selbst wenn diese mit Showeffekten gewürzt sind. Zur peinlichen Falle wird es, wenn die Selbstdarstellung und Eigenwerbung und nicht der Nutzen für das Publikum überwiegt.«

Fazit
Um sich als Speaker erfolgreich am Markt zu etablieren, braucht es viel. Der Preis für etliche Jahre Aufbauarbeit ist hoch, sowohl zeitlich als auch finanziell. Je einfacher es aussieht, wenn man einen der großen Redner auf der Bühne erlebt, umso mehr Mühe und Plage stecken dahinter. Step by Step sollte das Motto eines werdenden Speakers sein: Zuerst geht es darum, sich bewusst zu werden, warum man auf die große Bühne möchte. Ist das Bild klar, geht es darum, die Inhalte so aufzuarbeiten, dass sie vom Publikum angenommen werden und gleichzeitig unterhalten, inspirieren und begeistern können. Im nächsten Schritt geht es darum, als Person zu einer Marke zu werden. Um diese Marke als Speaker aufzubauen, braucht es zuerst ein klares Thema und dann vor allem perfekte Öffentlichkeitsarbeit.
Dennoch ist eines klar: Die Welt braucht dringend gute neue Redner mit neuen, aktuellen  Themen. Und wenn auch Speakerinnen dabei sind mit spannenden Inhalten und perfekten Auftritten, dann ist der Zeitgeist schon beinahe getroffen.

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Coach comments on his experiences to many people in the audience during a personal motivation talk.