Die Beraterszene ist krank

Die Beraterszene wird immer verrückter. Oder sollte ich schreiben, selbstverliebter und ich-bezogener? Dieses Eindrucks kann ich mich immer schwerer erwehren.

Immer stärker verspüre ich auch bei Kunden von uns das Bedürfnis: Ich will als Person oder Individuum wahrgenommen werden; ich will ein sogenannter Influencer sein, der nicht nur etwas zu sagen hat, sondern auch gesehen und gehört wird. (Oder ich möchte zumindest bei Außenstehenden einen entsprechenden Eindruck erzeugen.)

Social Media als reiner Selbstzweck

Entsprechend häufig werden wir von Beratern mit dem Wunsch konfrontiert, Posts von ihnen auf Facebook und Twitter zu platzieren, Fotos auf Instagram zu veröffentlichen, Videos bei YouTube hochzuladen, Podcasts zu bearbeiten und, und, und …
Also machen wir das auch, obwohl ich mich speziell bei Beratern im B2B-Bereich oft frage: Was soll das Ganze? Welchen betriebswirtschaftlichen Nutzen haben all diese Aktivitäten? Und nicht selten lautet meine Antwort: Keinen oder fast keinen, außer den betreffenden Beratern das subjektive Gefühl zu vermitteln: Ich bin wichtig, ich werde wahrgenommen und gesehen.
Ich gestehe, auch ich bin von diesem Virus teilweise infiziert. Wenn ich zum Beispiel reflektiere, wie viel Zeit ich in den letzten Monaten damit verbrachte, meinen LinkedIn-Account zu pflegen, Beiträge für unseren Blog zu schreiben und zu promoten usw., während andere Arbeiten liegen blieben, dann muss ich einfach sagen »das ist krank«, beziehungsweise vom Zwangsgedanken getrieben: Wer heute in den Social Media nicht sein Gesicht zeigt, ist nicht mehr up to date. Rational ist ein solches Verhalten auf alle Fälle nicht.

Berater lassen sich von falschen Vorbildern inspirieren

Doch woher kommt dieser Zwangsgedanke, der nicht nur viele Berater dazu verführt, letztlich
solchen »Chaoten« wie Donald Trump oder Boris Johnson nachzueifern oder
solchen scheinbaren Ikonen wie Carsten Marschmeyer, Frank Thelen und Dirk Roßmann, die – so mein Eindruck – auch alle aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen ein Ego- oder Forever-young-Problem haben, weshalb sie zum Beispiel den Buchmarkt mit autobiografischen Büchern fluten, wie Motten das Licht die Fernsehöffentlichkeit suchen und sich als TV-Personality und Speaker vermarkten.

Sie haben sich selbst und ihrem Umfeld aufgrund ihrer Biografien doch schon längst bewiesen, welch »tolle Kerle« sie sind; also müssten sie doch so stabile Persönlichkeiten sein, dass sie eine solche Selbstinszenierung nicht brauchen?
Den gefühlten Zwang zur Selbstinszenierung hat gewiss auch die Marketingberater-Szene, zu der auch ich zähle, befördert, denn: Sie suggeriert ihren Zielkunden (um Geschäft zu generieren), ein professionelles Personal Branding sei im digitalen Zeitalter insbesondere für den Erfolg von Dienstleistern bzw. Anbietern komplexer, erklärungsbedürftiger Problemlösungen unverzichtbar … und verleiht dadurch dem ego-getriebenen Streben nach Selbstdarstellung ein scheinbar rationales Mäntelchen.

Ist das Sein oder der Schein wichtiger?

Soweit so gut. Wenn ich jedoch auf der Webseite eines Mitbewerbers von uns, der sich selbst als »Der Pionier im Personal Branding« bezeichnet, den Satz lese »Es ist nicht länger entscheidend, WAS angeboten wird, sondern WER anbietet«, habe ich das Gefühl: Dies ist die alte Vertriebler- bzw. Hardseller-Parole »anhauen – umhauen – abhauen« in einem neuen Kleid, denn übersetzt heißt dieser Satz: Ich kann den Kunden den letzten Müll anbieten und verkaufen, sofern ich mir erst mal ihr Vertrauen erschlichen habe. Die Qualität der Leistung und deren Nutzen für den Kunden spielen letztlich keine Rolle.
Mit einem von einem solchen Denken geleiteten Handeln kann man zwar vermutlich regelmäßig Neukunden anbaggern und eventuell auch mittels Verträgen ein, zwei Jahre an sich binden, doch nach deren Ablauf sind die Kunden wieder weg. Treue, zufriedene Stammkunden gewinnt man so nicht. Denn letztlich zählt für die meisten Kunden doch, WAS ein Dienstleister für sie leistet und welche Benefit sie davon haben und nicht WER die Leistung erbringt.

Welche Prioritäten setzen Sie als Berater?

Wofür Sie als Person stehen – für eine qualitativ hochwertige Leistung oder eine weitgehend inhaltsleere Hülle – das muss jeder Berater für sich selbst entscheiden. Ich selbst habe mir auf alle Fälle für 2020 vorgenommen, meine Social-Media-Aktivitäten deutlich zurückzufahren, denn wie bereits gesagt: Ich erachte mein dortiges Treiben in den letzten Monaten – nachdem ich diesbezüglich zuvor jahrelang bewusst abstinent war – zunehmend als Symptom einer Krankheit, unter der außer mir auch viele andere Dienstleister leiden. Und die dadurch gewonnene freie Zeit werde ich zum Lesen, zum Spazieren gehen und mit Freunden Quatschen nutzen.

»Kein Profi(t) ohne Profil, ohne Marketing kein Markt.«

Diesen Spruch prägte ich bereits vor mehr als 25 Jahren. Er soll u. a. zum Ausdruck bringen: Ohne eine aktive Marktbearbeitung erreichen Trainer ihre Ziele nicht. Dabei sollten Sie jedoch u. a. folgende Maximen beherzigen:
1. Marketing ist kein Selbstzweck. Sein Ziel ist vielmehr, dass Sie in Ihrem Markt als ein attraktiver Anbieter, der seinen Kunden einen Mehrwert bietet, wahrgenommen werden. Dies setzt eine klare Spezialisierung und Positionierung voraus.
2. Der Aufbau der gewünschten Images erfordert Zeit (und/oder Geld). Deshalb sollten sich Ihre Marketingaktivitäten an der Maxime »mäßig, aber regelmäßig« orientieren. Das Marketing sollte ein Teil Ihrer Alltagsarbeit (und keine Sonderaufgabe) sein.
3. Zaubermittel im Marketing gibt es nicht. Deshalb sollten Sie Ihren Markt einer Strategie folgend mit Ausdauer und System bearbeiten, statt stets irgendwelchen Trends hinterherzulaufen.
4. Die Marketingmittel jedes Unternehmens sind begrenzt. Deshalb sollten Sie zu gewissen Dingen, die »nice to have«, aber nicht unabdingbar sind, gezielt Nein sagen, um Ihre begrenzten Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen.

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kuntz_bernhard

Gastautor
Bernhard Kuntz
ist der Geschäftsführer der (Online-)Marketing-Agentur Die PRofilBerater GmbH.

www.die-profilberater.de