Die Pandemie ist pures Potenzial

Wohin die Reise im Speaker-Business geht, und welche Positionierungschancen die Krise Speakern bietet, lesen Sie in diesem Artikel.

Digitales oder hybrides Speaking ist keine Notlösung. Es ist die langfristige Lösung aus der Not. Denn große Teile der Speaker-­Branche waren schon vor der Pandemie in Innovations- und Bedeutungsnot. Vorsätzliche Vereinfachung und Verführung erzeugte zu viele Speaker-Schnellschüsse mit mangelndem Unternehmer-Mindset, zu viel Durchschnitt und unzählige selbst ernannte Top-Speaker mit mangelnder Substanz. Da bietet diese Zeit des Wandels großartige Chancen, die Spreu vom Weizen zu trennen und sich wirklich neu und professionell zu positionieren.
Speaker werden aus zwei Gründen gebucht: Weil sie zu ihrem Thema wertvolle Inhalte vermitteln sollen: also relevanter Nutzen. Und weil sie das gehirngerecht können: also motivierende Unterhaltung. In Zeiten von Corona fehlen dafür aber die Bühnen. Gute Speaker sind »Rampensäue«. Sie lieben tolle Anmoderationen, begeisterte Teilnehmer, gar Standing Ovations mit Schulterklopfern. Doch bis auf das Anmoderieren und künstlich eingespieltem Applaus ist beim Vortrag über Kamera und Stream nicht viel davon übrig. Speaker stehen jetzt allein vor grünem Hintergrund, reden in eine Kamera und gelegentlich interagieren sie mit den kleinen Personen in diesen Kacheln. Einmal fertig, ist die Erschöpfung hoch und die Speakerseele leer. Corona hat den bisherigen Speaker-Beruf demontiert. Alles, was wir an Ersatz gerade erleben, sind Lösungen in der Not, hat aber mit dem Beruf, den viele aus Begeisterung ergriffen und ausgeübt haben, nicht mehr viel zu tun. Digital über Kamera Teilnehmer begeistern können höchstens einige wenige Top-Speaker – im Wesentlichen die, die vorher schon live extrem begeistern konnten. Doch selbst die leiden unter Wirkungsverlust. Einkäufer zahlen dafür nur ungern gleiche Honorare: Und wenn, dann häufig nur aus jahrelanger Verbundenheit oder aus Mitleid.

Der neue Speaker

Ein Top-Speaker sagte mir kürzlich: Ich werde jetzt wie Thomas Gottschalk, nur mit Inhalt. Ich denke auch, dass diese Denkrichtung die beste Strategie ist, langfristig erfolgreicher Speaker zu bleiben: Indem man den Beruf erweitert. Hin zu einer Art TV-Profi. Das bedeutet aber auch, Qualität zu liefern ähnlich wie ein Film. Und wer weiß, wie viele Menschen hinter der Kamera vorher, während und nachher aktiv sind, damit Thomas Gottschalk oder andere Kameraakteure das liefern können, wird in seinem kleinen Home-Studio eher minderleisten. Da wird es die Zukunft mit sich bringen, dass sich professionelle TV-Studios zu eigen machen, dem Speaker bestes Remote-Bühnen-Umfeld zu bieten. Speaker sind es vom Live-Auftritt gewohnt, verfügbare Technik kreativ und optimal im Vortrag zu nutzen, sich primär aber nicht darum zu kümmern, dass Technik funktioniert. Dass Technik funktioniert, ist Veranstalter-Thema und dort hoher Kostenposten. Speaker und Profi-Studio werden zukünftig mehr und mehr ein Team, den hochkarätigen digitalen Vortrag gemeinsam zu entwickeln und zu liefern. Speaker-Einkäufer buchen also zukünftig den Speaker und SEIN externes Profi-Studio. Sie zahlen das Honorar, das Studio und sparen sich die Reisekosten. Dann ist Remote-Speaking keine Notlösung, sondern professionelles Broadcasting, ähnlich wie wir es von TV, Netflix und Co. gewöhnt sind. Das erfordert aber vom Speaker ein Um- bzw. Dazulernen. Denn ein Vortrag live und ein Vortrag über TV-Studio darf zwar die selbe Botschaft haben, aber niemals ein und dasselbe Produkt sein. Es erfordert neue bzw. erweiterte Kenntnisse in:

  • Film- und TV-Produktion
  • Regie- und Dramaturgie
  • Storytelling und Schauspieltechnik
  • Arbeit mit Kameras und Online-Tools
  • Zusammenarbeit mit Studio-/Dreh-Team

Die Einstellung, dass Speaker kommen, »singen« und dann wieder gehen, war noch nie gut und wird im digitalen Speaking nur noch bedingt funktionieren. Dafür hängt der Erfolg von zu vielen Umfeldparametern ab, die der Speaker mitberücksichtigen und verantworten muss. Zukunftsautor und -speaker Frank Schätzing war bereits vor knapp zehn Jahren auf diesem »neuen« Level des Speaking: Eine Bühnenshow, die mit multimedialem, vorproduzierten Video-Content auf TV-Niveau einem Film glich. Inklusive synchronisiertem Dialog zwischen dem Speaker und Personen/Avataren auf der Leinwand. Wenn bisher Live-Vorträge einige Monate benötigt haben, um zu funktionieren, war es bei Frank Schätzing sicher eher ein Jahr und mehr, bis diese Live-/Digital-Perfektion im Kasten war. Das darf dann aber auch fünfstellig kosten. Weil es auch das Potenzial hat, hohe Zuschauerzahlen anzuziehen.

Damit wir aber Freunde bleiben können: Natürlich wird sich nach der Pandemie der »normale« Vortrag auf der »normalen« Live-Bühne auch wieder mit größeren Stückzahlen verkaufen lassen. Nur mit höheren Ansprüchen und niedrigeren Honorarangeboten. Und diese »wie früher Speaker« dürfen sich dann vergleichen mit den hybriden Gesamtkunstwerken der neuen Speakergeneration. Wenn bisher Hauptdifferenzierungsmerkmal meist der außerordentliche Inhalt, immer öfter aber die Kunst des Redens, der Rhetorik war, dann wird zukünftig die Kunst der technischen Kombination, Kreativität und Vielfalt den Ausschlag für beste Bewertungen geben. Audiokunst, Videokunst, hybride Vielfalt, digitale Interaktion uvm. – alles ausgerichtet auf das neue Teilnehmererlebnis und den daraus angestrebten erweiterten Teilnehmernutzen. Diesen Aufwand werden nicht viele treiben wollen. Daher wird sich der Markt der professionellen Speaker, die diese Bezeichnung wirklich verdienen, auch gesundschrumpfen.

Nächste Generation der Teilnehmer

Hätten Speaker diesen Wandel ohnehin zeitnah durchleben dürfen? Natürlich – denn die Generation Z schafft es ohnehin nur schwer, einem selbst gut gemachten Sachvortrag länger als einige Minuten aufmerksam zu folgen. Von wegen, dass dieser Vortrag dann nachhaltige Nutzenwirkung zeigt. Einsatz von Technik, Interaktion zwischen und unter den Teilnehmern über den Vortrag hinaus sowie alle relevanten Formen der Unterhaltung sind für diese Generation Tageserlebnis auf Netflix, Disney+ oder Ähnliches. Die wollen eher Speaker, die spannende (Vortrags-)Serien anbieten. Diese Youngster fordern kurze Sequenzen, schnelle Wechsel, klare Ansagen, Spannung, Aufregung oder Provokation – oder sie gehen.

Die nächste Generation der Technik

Dazu kommt die nächste Chance des Speaking, die alles in Frage stellen wird: 4D oder das Remote-Speaking über Hologram und Ansprache aller Sinne. Wir arbeiten hier seit einiger Zeit mit einem deutschen Anbieter zusammen, der einen Speaker in ihren Studios live in diese 4D-Welten überträgt und so dieser Vortrag zigfach auf der ganzen Welt zeitgleich reproduziert werden kann. Ein Vortrag mit sechs- bis siebenstelligem Honorarpotenzial – wenn er es wert ist und die Positionierung vorher gelang. Diese Projektionen, ergänzt durch Rauch, Licht und Laser, Duft uvm., erlauben ganz neue Erlebnisse. Natürlich eher in der Branche der Meetings, Incentives, Kongresse oder Events, weniger im kleineren Speaker-Einsatzgebiet der Weiterbildung. Aber auch in der Weiterbildung oder im täglichen Home-Office-Learning-on-the-Job werden dadurch sowie mittels erweiterter Realität (augmented reality) – bspw. durch Einblendung von Referenzwissen oder virtueller Realität (VR-Brillen) – ganz andere Welten des Wissenstransfers inklusive Umsetzung möglich sein. Das bedarf Vorbereitung. Tony Robbins hat mit seinem kürzlichen »Unleash The Power Within – virtual« erste Zeichen dazu gesetzt und wird schon wieder kopiert. Das ist erst der Anfang.

Digitale Positionierung

Positionierung gelang über innovative Angebote schon immer am besten. Sie generiert Kommunikation und Empfehlungen anderer. Was einige wenige Speaker im deutschsprachigen Raum seit Ausbruch der Pandemie in ihrem Geschäftsmodell umgestellt und erweitert haben, beeindruckt. Diese digitale Weiterentwicklung bietet Positionierungs- und Kommunikationschancen vom Feinsten. Sie zu nutzen ist aber immer noch die Ausnahme. Die Regel ist leider das breite Jammern und Warten auf alte Zeiten. Wir werden leider Speaker gehen sehen, die, obwohl top, diese neue Art des Redens ohne Live-Atmosphäre nicht anbieten wollen. Und wir werden Gott sei Dank Speaker gehen sehen, die durch unlautere Versprechungen in die Branche gespült wurden und die es auch im herkömmlichen analogen Speaking nicht oder nur mühsam geschafft hätten. Die Marktbereinigung im Angebot geht einher mit einer Relevanzüberprüfung auf Veranstalterseite: Viele Event- und Weiterbildungsformate werden einfach nicht mehr angeboten werden, weil sie vorher schon fragwürdig ergebnisarm waren und oft nur aus Tradition immer wieder angeboten wurden.

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haider

Gastautor
Siegfried Haider
ist Speaker und Trainer sowie Experte für Marketing und Positionierung.
siegfried-haider.com
experts4events.com