Die Revolution im Recruiting

Künstliche Intelligenz (KI) verändert viele Bereiche der Arbeitswelt, einschließlich des Recruitings. Der Einsatz von KI in der Personalbeschaffung bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen und wirft wichtige Fragen über Effizienz, Fairness und Datenschutz auf.

KI im Recruiting bietet potenziell große Vorteile in Bezug auf Effizienz und Objektivität, aber es ist entscheidend, dass ihre Anwendung sorgfältig überwacht und reguliert wird, um Fairness zu gewährleisten und Verzerrungen zu vermeiden. Die Zukunft wird eine ausgewogene Integration von KI und menschlicher Expertise erfordern, um die besten Ergebnisse im Rekrutierungsprozess zu erzielen. TRAiNiNG hat dazu zwei Recruiting-Experten befragt und das Thema umfangreich aufgearbeitet.

Der Einfluss von KI auf das Recruiting

Die Implementierung von KI in Recruiting-Prozessen ist kein entferntes Zukunftsszenario mehr. Es ist bereits Realität in vielen Unternehmen und nimmt stetig zu. KI-Algorithmen können unter anderem dabei helfen, Lebensläufe effizienter zu analysieren, geeignete Kandidaten zu identifizieren und mit ihnen in Kontakt zu treten und sogar Vorhersagen über deren zukünftige Leistung und Passform im Unternehmen zu treffen. Schauen wir uns das näher an:
1. Effiziente Kandidatensuche
KI-Systeme sind in der Lage, riesige Datenmengen zu durchsuchen und dabei Muster zu erkennen, die für Menschen kaum sichtbar sind. So können sie beispielsweise aus der Analyse von Lebensläufen und Sozialen-Medien-Profilen potenziell geeignete Kandidaten herausfiltern. Dies spart nicht nur Zeit, sondern erhöht auch die Qualität der Kandidatenauswahl.

2. Personalisierte Ansprache
Mit Hilfe von KI können Recruiter personalisierte Nachrichten an Kandidaten senden, die auf deren Fähigkeiten und Interessen zugeschnitten sind. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer positiven Reaktion und stärkt das Employer Branding des Unternehmens.

3. Vorhersage von Mitarbeitererfolg
Durch die Analyse von Daten wie Arbeitsverlauf, Leistungsbewertungen und sogar sozialen Interaktionen im Unternehmen, können KI-Systeme Vorhersagen über den potenziellen Erfolg eines Mitarbeiters im Unternehmen machen. Dies ermöglicht eine gezieltere Personalentwicklung und Karriereplanung.
Noch viel zu viele Unternehmen haben mit KI noch gar keine Berührungspunkte. Je nach Umfrage sind es erst zwischen 10 und 20 % der Unternehmen, die systematisch Künstliche Intelligenz im Unternehmen einsetzen. Die meisten bisher im Marketing, was auch nicht weiter verwundert. Gerade im HR sind die rechtlichen Einschränkungen ziemlich groß, während für den Einsatz im Marketing schon relative Klarheit herrscht.

Martin Röhsner (Geschäftsführer Catro Personalberatung) weiß über den aktuellen Stand in Österreich gut Bescheid. »Die Tendenz, KI im Recruiting einzusetzen, nimmt stetig zu, ist aber in vielen Branchen noch nicht angekommen. Der entscheidende Faktor findet zu Beginn des Auswahl- bzw. Suchprozesses statt und die Entwicklung der letzten Monate zeigt eine immer höhere Passgenauigkeit. Das Vertrauen in KI-Prozesse nimmt zu, wenngleich Ergebnisse aus der KI teilweise staunend und teilweise leicht skeptisch registriert werden.«

Vorteile von KI für das Recruiting

Mit der Weiterentwicklung der KI-Technologie wird erwartet, dass ihre Rolle im Recruiting in der Zukunft weiter wächst. Das ist auch verständlich, ihre Anwendung bringt für Recruiter zahlreiche Vorteile mit sich.
Tobias Zimmermann (Arbeitsmarktexperte & Stepstone Group Evangelist) kennt diese gut: »KI macht das Recruiting erstens viel, viel schneller und bietet Unternehmen in Zeiten des Arbeitskräftemangels damit einen massiven Wettbewerbsvorteil. Zweitens spart KI wertvolle Zeit, die Personaler wichtigere Aufgaben nutzen können. Und nicht nur das: Recruiter sind heute schon an ihrer Belastungsgrenze. Unsere Studien zum Thema zeigen, dass die Mehrheit ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden kann – und bereits von körperlichen wie psychischen Folgen spricht. KI schafft also auch wertvolle und dringend notwendige Entlastung. Drittens schließlich steigert KI die Qualität des Recruitings. Die vorgeschlagenen Matches werden immer besser werden, sodass Unternehmen sich wirklich nur mit Kandidaten befassen, die bereits sehr gut passen. Angesichts schrumpfender Erwerbsbevölkerungen ist das ein nicht zu unterschätzender Fakt, denn wir werden in Zukunft alle individuell mehr leisten müssen. Das klappt natürlich besser, wenn ich einen Job ausübe, dessen Anforderungen optimal zu meinen Stärken passen.«

Eine der größten Hoffnungen, die mit der Einführung von KI im Recruiting verbunden ist, ist die Verringerung von Vorurteilen. KI-Systeme haben das Potenzial, Entscheidungen auf der Grundlage von Daten und Fakten zu treffen, wodurch menschliche Vorurteile, die oft unbewusst in den Auswahlprozess einfließen, minimiert werden können.

Martin Röhsner erkennt diesen Vorteil: »Die Objektivierung von Content – in diesem Fall Detailinformationen über Bewerber und Positionen – verhindert eine vorschnelle subjektive Bewertung vom Betrachter, die in vielen Fällen nicht faktenbasiert erfolgt. Oftmals werden bisher Unterlagen nur in Sekunden gecheckt und Entscheidungen getroffen, wohingegen die KI die kompletten Komponenten bewertet. Es schafft daher mehr Transparenz und Chancengleichheit in dieser Phase des Auswahlprozesses.«

Aktuelle Trends und Innovationen

Im Bereich der KI im Recruiting gibt es ständig neue Entwicklungen. Hier sind einige der aktuellen Trends:

  • Chatbots für Erstinterviews: KI-basierte Chatbots können Erstgespräche mit Bewerbern führen, um grundlegende Qualifikationen und Eignungen zu prüfen. Dies spart Recruitern und auch Kandidaten wertvolle Zeit, die sie für persönlichere Gespräche nutzen können. Der in den Medien oft erwähnte Chatbot des AMS gibt dazu eine Idee, wie das in anderem Kotext aussehen kann. (Auch wenn das Tool noch nicht perfekt ist.)
  • Automatisierte Videoanalyse: KI kann nun auch in Videointerviews eingesetzt werden, um die nonverbalen Signale der Kandidaten zu analysieren. Dazu gehören Mimik, Gestik und Sprachmuster, die Aufschluss über deren Persönlichkeit und Eignung geben können.
  • Predictive Analytics: Diese fortschrittliche Form der Datenanalyse ermöglicht es, zukünftige Trends und Verhaltensweisen vorherzusagen. Im Recruiting kann dies genutzt werden, um zukünftige Personalbedarfe zu antizipieren und proaktiv zu handeln.

Bislang verhält es sich in der Praxis allerdings teilweise anders. Zunächst einmal sind viele dieser Anwendungen aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen, insbesondere der DSGVO, eingeschränkt. Zweitens zeigt sich, dass manche theoretisch vielversprechenden Funktionen in der praktischen Anwendung noch nicht die erwarteten Ergebnisse liefern. Was sich jedoch als effektiv erwiesen hat, ist die Nutzung von generativen Tools wie ChatGPT zur Erstellung professioneller Stellenausschreibungen.

Tobias Zimmermann erzählt aus seiner Erfahrung mit KI in der Praxis: »Wir werden in Zukunft auf schnellere und effizientere Bewerbungsprozesse angewiesen sein, denn der Wettbewerb am Arbeitsmarkt wird immer herausfordernder. KI kann heute schon zeitintensive Tätigkeiten übernehmen, wie das Verfassen von Stellenanzeigen, das Vorschlagen und Matching passender Kandidaten aus riesigen Datenbanken, das Versenden von Eingangsbestätigungen uvm. So bleibt Recruitern mehr Zeit für ihre Kerntätigkeiten, wie das Führen von Vorstellungsgesprächen, Mitarbeiterentwicklung oder interne Beratung. Gleichzeitig wird KI ein egalisierendes Element haben. Denn gerade KMU werden profitieren. Wenn es in einem Unternehmen keine Personalabteilung gibt, müssen z. B. die Handwerksmeister selbst ausschreiben und Gespräche führen. KI wird ihnen einen Großteil hiervon abnehmen und Anleitung bieten. Auch Kandidaten profitieren von KI, etwa als Unterstützung bei ihrem Lebenslauf oder dem Anschreiben. Bewerben wird viel einfacher werden – ist es heute schon – und damit können sich beide Seiten auf das wirklich Wichtige konzentrieren: Das Kennenlernen. All die hier beschrieben Tools, bieten wir als Stepstone übrigens heute schon in manchen Ländern. Wir müssen also gar nicht weit in die Zukunft schauen.«

Ob in Zukunft dann KI-Tools der Unternehmen, die, mittels KI-Tools der Kandidaten, geschriebenen Anschreiben und Lebensläufe auswerten, bleibt abzuwarten. Das bringt uns gleich zum nächsten Punkt.

Ethische Überlegungen und Herausforderungen

Fragen der Privatsphäre, der Diskriminierung und der Transparenz von Algorithmen sind zentral in der Debatte um KI im Recruiting. Es ist gerade jetzt super wichtig, dass HR-Profis dafür sorgen, dass diese Technologien verantwortungsvoll eingesetzt werden. Denn wollen wir wirklich jede Entscheidung einer KI überlassen?

Martin Röhsner: »Der menschliche Faktor wird auch in naher Zukunft einen wesentlichen Entscheidungsparameter darstellen. Mag schon sein, dass es Teilbereiche geben wird, wo dies nicht gänzlich zutreffend sein wird. Vorstellbar wäre dies dann wohl bei Tätigkeitsprofilen, die rein ausbildungsmäßig geprägt sind und andere Fragestellungen nachrangig sind. Ansonsten wird das menschliche Urteil in absehbarer Zeit seinen Stellenwert behalten. Gleichzeitig sehen wir aber schon die Tendenz, dass KI immer stärker auch in diese Bereiche eingreift und die genannte These in 5 Jahren wahrscheinlich einer neuen Bewertung bedarf.«
Tobias Zimmermann: »Der Mensch ist und bleibt das alles entscheidende und zentrale Element im Recruiting. Und gerade deshalb müssen wir alles, was wir automatisieren können, auch an die KI outsourcen. Denn nur so können wir Menschen uns um das kümmern, worin wir wirklich stark sind. Der Druck auf Personalabteilungen wird immer weiter zunehmen, ebenso wie der Druck auf dem globalen Arbeitsmarkt.«

Herausforderungen

Hinter dieser scheinbaren Einfachheit verbirgt sich jedoch eine Vielzahl komplexer Überlegungen. Hierbei ist nicht nur die äußerst wichtige und komplexe Gesetzeslage zu berücksichtigen. Ein entscheidender Faktor ist das erforderliche Know-how innerhalb des Unternehmens. Zunächst benötigt man ein grundlegendes Verständnis darüber, was KI eigentlich ist und welche Herausforderungen damit einhergehen können. Darüber hinaus ist es essenziell, die relevanten Tools zu kennen und zu verstehen, wie man sie effektiv einsetzt.
Martin Röhsner über konkrete Herausforderungen in der Praxis: »Die Pre-Phase bestimmt das Ergebnis – d. h. wie und wann setzen wir KI im Auswahlprozess ein? Welche Unterstützung erwarten wir uns konkret von ihr und welches System suchen wir aus? Wie eigentlich immer bei der Verwendung von technischen Tools, ist die Herangehensweise und Auswahl der KI für den Output stark verantwortlich. Das derzeitige allgemeine Wissen über KI ist noch nicht so allgegenwärtig, um die Gefahr von Fehlbetrachtungen und fehlgeleiteten Einsatzbereichen vernachlässigen zu können.«
Tobias Zimmermann ergänzt: »Erstens muss ich die richtigen Tools an der richtigen Stelle implementieren. Das geht nur, indem ich die Mitarbeiter, die ich entlasten will, auch in den Prozess mit einbeziehe. Ich empfehle daher auch Pilotprojekte, um Lösungen erst einmal zu testen, bevor ich sie breit ausrolle. Zweitens Ethik. Im Bereich Personal geht es um Menschen, deshalb ist natürlich besonderes Augenmerk geboten, dass die Lösungen im Einklang mit den Werten sind. Wir sollten auch größtmögliche Transparenz darüber schaffen, wo Technologie im Einsatz ist und zu welchem Zweck. Drittens Geschwindigkeit. Obwohl wir Automatisierung ehrlicherweise seit Jahren diskutieren und Tools schon lange vor ChatGPT bekannt und am Markt waren, hinkt die Umsetzung noch hinterher. In Österreich arbeiten immer noch mehr als 50 % mit ausgedruckten (!) Lebensläufen. 87 % verwenden KI überhaupt noch nicht. Gerade mal 10 % nutzen KI bei der Erstellung der Stellenanzeigen. Die Herausforderung ist also, diese Entwicklung jetzt nicht zu verschlafen, Personalverantwortliche müssen sich dahingehend weiterbilden.«

Fazit
KI im Recruiting ist kein vorübergehender Trend, sondern eine grundlegende Veränderung in der Art und Weise, wie wir Talente suchen, bewerten und fördern. Als HR-Verantwortliche und Recruiter stehen wir an der Schwelle zu einer Ära, in der KI uns dabei helfen wird, unsere Arbeit effizienter, effektiver und letztlich menschlicher zu gestalten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der ausgewogenen Kombination von menschlichem Urteilsvermögen und der Leistungsfähigkeit der KI.

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