Die richtigen Mitarbeiter finden

Dass sich Kandidaten bei Bewerbungsprozessen besonders gut darstellen, ist  nachvollziehbar. Welche Möglichkeiten es für Recruiter gibt, zu einem möglichst objektiven Bild des Bewerbers zu kommen und was bei der Anwendung von Potenzialanalysen zu beachten ist, beschreibt dieser Artikel.

Was ist der Traum jedes Recruiters und jedes Talente-Managers? Klar, den passenden Mitarbeiter effizient, schnell und kostengünstig zu finden, gleichgültig, ob vom externen oder internen Arbeitsmarkt. Die Kosten von Fehlbesetzungen sind bekanntlich hoch und werden manchmal unterschätzt. So vertrauen die einen dem Personalberater, wobei auch diese Kosten mitunter erheblich sein können, andere ihrem Bauchgefühl, was vielleicht billiger ist. Oder eben auch nicht – deshalb setzen viele Unternehmen gezielte Tests und Analysen ein, die Potenzialanalysen. Diese sind wissenschaftlich erprobt und die Kosten sind, pro Kandidat gerechnet, im Vergleich zu Fehlbesetzungen überschaubar. Doch passen die durch Potenzialanalysen ausgesuchten Kandidaten wirklich besser ins Unternehmen, kündigen sie seltener innerhalb der ersten Monate? Wir haben dazu die Meinungen von Experten eingeholt:
Ulrike Kriener (Psychologin und HR-Consulter bei der Aumai­er Coaching Consulting GmbH) arbeitet schon seit vielen Jahren mit Potenzialanalysen und kann daher auf viel Erfahrung zurückblicken. Sie bejaht diese Frage eindeutig: »Ich bin davon überzeugt, dass Arbeitnehmer, die mit Hilfe von Potenzialanalysen gefunden werden, besser ins Team integrierbar sind. Auch können meistens die Jobanforderungen, sowohl die sozialen als auch die persönlichen Fertigkeiten, leichter bewältigt werden. Konkret als Beispiel kann ich von einer Abteilung in einem Unternehmen berichten, wo alle Arbeitnehmer mit Potenzialanalysen gefunden wurden. Es handelt sich um ein kleines Team von drei Personen, die von den Persönlichkeitseigenschaften her sehr heterogen sind. Sachorientierte Mitarbeiter bilden in diesem Team die perfekte Ergänzung zu menschenorientierten. Das Team ist bisher mehr als drei Jahre stabil, sowohl konfliktfrei innerhalb des Teams als auch in Bezug auf die Führungskraft. Das Klima ist großartig und ich bin sicher, dass die Potenzialanalyse durch die Auswahl der richtigen Mitarbeiter einen wesentlichen Beitrag zu diesem leistungsfähigen und perfekt zusammenspielenden Miteinander geleistet hat.«

Luzia Fuchs-Jorg (Geschäftsführerin KICK OFF Management Consulting GmbH): »Neben dem Auswahlverfahren gibt es viele Komponenten – wie die Aufgabe selbst, die Führung, die Selbstbestimmung, die Einführung, die Kollegen, das Klima u. v. a. m., die dazu führen, ob Personen länger im Unternehmen bleiben und mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Trotzdem gibt es große Vorteile, wenn der Bewerber im Vorfeld eine Potenzialanalyse machen durfte. Er hat auf jeden Fall seine – möglicherweise ihm selbst verborgenen – Schätze entdeckt und kann diese nun laufend anwenden. Dies führt zu einer höheren ›Selbst-Bewusstheit‹ und dadurch zu mehr Selbst-Vertrauen und Selbstsicherheit.«
Wenn die Anforderungen im Unternehmen zu den Potenzialen eines Mitarbeiters passen, gewinnen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Im »Flow«-Zustand sind Mitarbeiter am effizientesten und gleichzeitig am zufriedensten.

Bernhard Dworak (Geschäftsführer Master Human Resources Consulting GmbH) hat sich aktuelle Zahlen dazu näher angesehen: »Eine europaweite Studie zeigt, dass 66 % der Mitarbeiter innerlich gekündigt haben und nur so viel leisten, um nicht tatsächlich gekündigt zu werden. 21 % arbeiten sogar gegen ihr Unternehmen, weil sie sich dort schlecht behandelt fühlen. Nur 13 % arbeiten hochengagiert für ihr Unternehmen. Diese 13 % sind die Mitarbeiter, die optimal zum Unternehmen passen. Mit geeigneten Instrumenten ist es bei Neueinstellungen sehr einfach, genau die am besten passenden Bewerber aus der Masse herauszufiltern. Diese Personen bleiben – vorausgesetzt das Unternehmen ist aktiv um seine Mitarbeiter bemüht – auch länger.«
Dennoch werden diese Instrumente nach wie vor nur von wenigen Unternehmen flächendeckend eingesetzt, obwohl Erfolge nachweisbar sind. Das Angebot reicht von kostengünstigen Analysen, die für nahezu jede zu besetzende Stelle eingesetzt werden können, bis zu sehr umfangreichen, auch preisintensiven Analysen, die besonders für Führungskräfte der oberen Hierarchieebene entwickelt wurden.
Große Unternehmen, die Personalsuche mit Hilfe von Potenzialanalysen durchgeführt haben, bleiben meistens dabei. Wichtig für die HR-Abteilung sind neben der wissenschaftlichen Fundierung eine leichte und unkomplizierte Anwendung, eine hohe praxisorientierte Aussage und preisliche Überschaubarkeit.

Bauchgefühl

Warum ist das Bauchgefühl von Recruitern oftmals trügerisch? Bernhard Dworak: »Bauchgefühl und Erfahrung sind ganz wichtig für eine Entscheidung. Aber wir alle wissen, dass unsere Wahrnehmung, also das, was wir als wahr annehmen, vielen Einflüssen unterliegt. Die Wirklichkeit stellt ein subjektives Konstrukt dar, denn aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität unseres Gehirns kommen bereits bei der Abspeicherung und Aufnahme der Wirklichkeit viele Filter zur Anwendung. Somit ist schon das Abspeichern ein äußerst fehlerbehaftetes Abbild der Wirklichkeit, noch mehr das Abrufen der Informationen. Wenn ich mich bei einer Entscheidung zwischen zwei Personen also auf mein Bauchgefühl und meine Erfahrung verlasse, habe ich keine objektive Entscheidungsbasis.«

Gabriele Srp (Psychologin und Beraterin der WIFI Wien Bildungsberatung): »Durch die Identifizierung von Stärken, Persönlichkeitseigenschaften und Interessen kann man eine Analyse, sei es jetzt ein AC oder aber auch Potenzialanalysen, genau auf die ausgeschriebene Position im Unternehmen zuschneiden. Die Ergebnisse der Analysen ermöglichen ein Matching mit den Anforderungen im Recruiting. Auf das Bauchgefühl und die Erfahrung kann man zusätzlich zurückgreifen, muss sich aber nicht darauf verlassen.«

Tanja Abwa (Geschäftsführerin Scheelen GmbH, Institut für Managementberatung & -Diagnostik): »Analysetools ersetzen Bauchgefühl und Erfahrung nicht, die wissenschaftlich abgesicherte Methodik perfektioniert es. Es ist wie beim Rennfahren: Methodik unterstützt den Formel-1-Piloten enorm – wird ihn aber nie ersetzen können.«

Luzia Fuchs-Jorg: »Analysetools, die im Recruiting angewendet werden, dienen hauptsächlich dazu, ein breiteres Bild über das innewohnende Potenzial eines Mitarbeiters zu erfassen, das in selbst gut geführten Interviews nicht ausfindig gemacht werden kann. Denn der Bewerber zeigt natürlich nur ein fokussiertes Selbstbild auf. Blinde Flecken oder unbewusste Kompetenzen können damit kaum aufgedeckt werden. Ein qualitativ hochwertiges Analysetool ist ›unbeeinflussbar‹, valid und reliabel. Sympathie und Antipathie spielen hier keine Rolle.«

Umgang mit Widerständen

Viele Bewerber können bereits beim Erstgespräch definitiv ausgeschlossen werden, da bedarf es keiner Persönlichkeitsanalyse. Bei den allermeisten Unternehmen wird eine Potenzialanalyse daher nicht gleich in der ersten Runde durchgeführt, sondern später, wenn nur noch eine Handvoll Kandidaten zur Wahl stehen. Doch was, wenn ein Kandidat die Tests ablehnt? Das kommt zwar in der Praxis selten vor, denn natürlich wirft das ein ungünstiges Bild auf den Bewerber, fast so als hätte er etwas zu verbergen. Doch es ist sein gutes Recht, darauf zu verzichten, sei es aus Unsicherheit, Unwissen oder strategischen Gründen. Das gilt natürlich nicht nur für Bewerbungen, sondern auch für Potenzialanalysen bei bestehenden Mitarbeitern, die eventuell befördert werden könnten.

Gabriele Srp: »Für Potenzialanalysen, psychologische Testverfahren und Coachingverfahren ist die Freiwilligkeit der Teilnahme unumgänglich. Wenn Mitarbeiter oder Bewerber die Analyse ablehnen, sollte man das Gespräch suchen. Eventuell ist auch ein Gespräch mit dem ausführenden Coach sinnvoll, um Ängste und Befürchtungen zu nehmen.«

Tanja Abwa: »Wenn jemand eine Analyse ablehnt, stellt sich zuerst natürlich die Frage nach dem Warum. Sind Sinn und Zweck, Ziel, Inhalt sowie Rahmenbedingungen wie Vertraulichkeit und Datenschutz ausreichend kommuniziert worden? Gibt es Ängste auf Basis von schlechten Erfahrungen? Wurde eine Analyse als ›Test‹ oder eine Art ›Beurteilung‹ kommuniziert? Wie bei jeder unterstützenden Methode ist der Prozess der Anwendung das Erfolgskriterium!«

Luzia Fuchs-Jorg: »Im Grunde genommen steht es jedem Mitarbeiter zu, die Analyse abzulehnen. Dies ist eine Entscheidung, die jeder selbst treffen muss. Selbst, wenn die Anwendung durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist, kann der Mitarbeiter die Durchführung ablehnen. Wichtig ist, den Mitarbeiter nicht zu kategorisieren – ›der ist ja immer im Widerstand‹ – sondern herauszufinden, was der wahre Grund der Ablehnung ist. Aus diesem Dialog kann der HR-Verantwortliche oder Vorgesetzte sehr wertvolle Informationen gewinnen. Denn manchmal drückt eine Person nur das aus, was auch viele andere denken, und es nicht auszusprechen wagen. Immerhin handelt es sich hier um jemand, der nicht zu allem Ja und Amen sagt. Wenn nun der Grund herausgefiltert wurde, kann man mit gut durchdachten Argumenten dem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, eine andere Entscheidung zu treffen. Dabei ist stets darauf zu achten, dass es zu keiner Abwertung des Mitarbeiters oder gar zu einer ›Erpressung‹ kommt, und dass die unterschwelligen Ängste ernst genommen werden. Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass sich nach einem derart positiv geführten Gespräch fast alle dafür entscheiden, den Weg der Analyse zu gehen. Sollte es trotzdem zu einer Ablehnung kommen, muss schon im Vorfeld sichergestellt werden, dass es keine Konsequenzen gibt.«

Ulrike Kriener kennt hilfreiche Fragen, wenn ein Kandidat oder ein Mitarbeiter ablehnt: »Fragen Sie beispielsweise: ›Wie müsste eine Potenzialanalyse gestaltet sein, dass Sie mit Freude daran teilnehmen?‹ oder ›Gibt es ein Setting, oder einen Zeitpunkt, wo Sie gerne teilnehmen würden?‹«.

Selbstbild vs. Fremdbild

Jeder kennt Situationen, in denen wir uns im strahlenden Licht erscheinen lassen wollen. Das ist beim Flirten so und genauso beim Vorstellungsgespräch oder beim Mitarbeitergespräch. Den meisten Menschen ist es wichtig, was andere über sie denken, im privaten wie im beruflichen Kontext. Manche sind unsicher, kennen ihre Stärken und Schwächen kaum. Die wenigsten Freunde geben konstruktives und wertschätzendes Feedback, das haben die meisten verlernt. Dabei ist das eine der höchsten Formen der Wertschätzung, hilft es doch zur Weiterentwicklung und Selbsterkenntnis. Es ist daher für viele Kandidaten bei psychologischen Tests naheliegend, so zu antworten, wie sie gerne wären bzw. wie sie für die zu erwartende Stelle sein müssten. Können Analysen dieses Phänomen abfedern?

Bernhard Dworak: »Unser Test ist so aufgebaut, dass jede Verfälschung sofort auffällt. Sobald ein Kandidat nicht ›aus dem Bauch‹ antwortet, muss er mehr nachdenken. Ein wichtiger Richtwert ist somit die Zeit, die ein Kandidat zum Ausfüllen des Online-Fragebogens benötigt. Es gibt aber auch andere Mechanismen und Indikatoren, die Antworten nach ›sozialer Erwünschtheit‹ erschweren bzw. entlarven. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer guten Vorabinformation des Kandidaten.«

Denn es bringt dem Kandidaten nichts, wenn er sich verstellt. Nach kurzer Zeit im Unternehmen wird auch er neben den Kollegen und Vorgesetzten unzufrieden sein, denn die Arbeitsanforderungen passen eben nicht zu ihm.

Ulrike Kriener: »Es ist daher vorteilhaft, den Teilnehmern Sinn und Zweck der Potenzialanalyse zu erklären und deren Nutzen und Mehrwert auch für den Bewerber selbst darzustellen. Die Potenzialanalyse gibt nämlich den Bewerbern nützliche Hinweise: Sie können sicher sein, eine Stelle zu bekommen, die ihren sozialen und persönlichen Fertigkeiten entspricht. Die ­Chance, dass dieser neue Job dadurch dauerhaft Spaß macht, ist ungleich größer. Darüber hinaus ist es durch die Potenzialanalyse wahrscheinlicher, dass der Bewerber sich im Team mit den zukünftigen Kollegen und als Mitarbeiter mit der zukünftigen Führungskraft wohlfühlt. Denn das Ergebnis enthält auch Hinweise, ob der Bewerber ins bestehende Team und zur Führungskraft passt.«

Gabriele Srp: »Die meisten Test- und Analyseverfahren sind Selbsteinschätzungen. Ein gewisses Maß an sozial erwünschten Antworten wird berücksichtigt und bei der Auswertung besprochen. Je umfassender die Analyse ist, beispielsweise in einem AC, in dem einige Übungen und Aufgaben erledigt werden müssen, umso geringer ist die Möglichkeit, sich anders darzustellen, als man wirklich ist. Eine Vielfalt an unterschiedlichen Beobachtungen führen letztendlich zu einem schlüssigen Gesamtbild.«

Luzia Fuchs-Jorg: »Fakt ist, dass jeder Mensch dazu neigt, in Testverfahren ein Wunschbild von sich zu präsentieren. Daher sollte sich ein Unternehmen bei der Auswahl des Analysetools schon im Vorfeld darüber im Klaren sein und sich für eines entscheiden, welches diese Komponenten miteinbezieht und Idealvorstellungen brauchbar verwerten kann. Trotzdem ist es im Vorfeld wichtig, die Mitarbeiter über das Verfahren selbst und über den Sinn und Zweck der Durchführung offen und ehrlich aufzuklären. Handelt es sich um ein Entwicklungstool oder um ein Auswahlinstrument? Klarerweise wird sich der Proband leichter ›betrachten‹ können, wenn sein Job nicht auf dem Spiel steht. Bei Auswahlverfahren überwiegt oft das Stressverhalten, das aber in guten Tools erkannt wird und das Ergebnis entsprechend in Frage gestellt wird.«

Tanja Abwa: »Was hilft, ist gute ›Aufklärung‹ zum Thema Ziel, Vertraulichkeit und Datenschutz, Anwendung und vertrauensbildende Maßnahmen im Vorhinein und eine professionelle Rückmeldung und ein seriöser Umgang mit den Analyseergebnissen im Nachhinein. Darüber hinaus muss die Analyse auch bestimmte ›Manipulationsmöglichkeiten‹ durch den Fragebogenaufbau und Kontrollfragen standhalten können und entsprechende Qualitätskriterien aufweisen.«

Potenzialanalysen können also dabei helfen, die richtigen Mitarbeiter für die richtige Stelle zu finden. Es gibt viele Anbieter mit unterschiedlichen Produkten. Informieren Sie sich genau, damit Sie die für Ihr Unternehmen passende Analyse finden.

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