»Entweder eine Frau oder eine Flasche«

Auch erfahrene Speaker sind vor und nach ihrem Auftritt in gewisser Weise angespannt. Welche Auswirkungen das hat und wie Speaker wieder »runter« kommen, lesen Sie hier.

Stellen Sie sich vor, Sie sind der neue Shootingstar. Noch vor wenigen Monaten waren Sie für die Öffentlichkeit unbedeutend, völlig unbekannt. Jetzt plötzlich spielen Sie vor 10 000en Zuschauern Ihre Traumrolle. Die Menschenmenge jubelt. Viel zu schnell ist es vorbei. Es erwartet Sie das anonyme Hotelzimmer. Allein. Nun wäre es an der Zeit, langsam runter zu kommen vom Gipfel der Emotionen, denn in Ihrem Zustand ist an Entspannung oder gar schlafen nicht zu denken. Helfen Alkohol oder Drogen? Kaum, und die Folgen sind bekannt. Wir lesen es oft genug in den Medien.

Weniger bekannt ist, dass es dieses Phänomen auch in der Speakerszene gibt. Mehr und häufiger, als Sie jetzt gerade denken. Auch wenn der Auftritt, der Vortrag, die Rede für die Zuhörer einfach und professionell wirkt, ist die Person auf der Bühne sehr, sehr angespannt. Vor Hunderten oder Tausenden Menschen zu sprechen, das lässt niemanden kalt.
Wenn die Performance wirklich gelungen ist, wird applaudiert und mit Standing Ovations gejubelt. Der Redner lässt sich feiern und beantwortet danach in persönlichen Gesprächen Fragen – er ist ja der Experte zu diesem Thema. Ein Gefühl in ihm entwickelt sich, wie nach dem Konsum von Drogen oder Alkohol – er ist high, berauscht, kann alles, weiß alles. Wie erfolgt die »Ausnüchterung«?

Manche möchten dieses Gefühl so lange wie möglich haben, wollen nicht »runter« von der Wolke. Aber irgendwann ist der Abend vorbei. Die Folge: Frustration, Einsamkeit, Leere, Sinnlosigkeit. Diese Achterbahn der Gefühle kann langfristig bis hin zum Burn-out führen, wissen Experten. Was tun? Man greift nun doch zur alternativen Droge, zum Bier, zum Joint. Oder man geht zurück in die Hotellobby, holt sich dort nochmals den Kick, von wem auch immer. Nur – irgendwann ist wirklich Schluss. Auch der letzte Fan ist weg, die Minibar gibt nichts mehr her, leer. Auch der Bordellbesuch füllt nichts auf.

Was können Speaker tun, um nach einem Auftritt zu entspannen und »runter« zu kommen?
Hermann Scherer (Autor und gefragter Speaker): Da gibt es viele Möglichkeiten, die ein Speaker tun kann. Von Yoga bis fernsehen, telefonieren, Musik hören etc. Ich weiß allerdings, dass das die meisten nicht tun oder nicht tun können – weil häufig keine Zeit dafür da ist. Weil der Flieger nicht wartet …

Martina Kapral (Inhaberin der Redneragentur PotentialAG: Das Herunterkommen nach einem Auftritt ist sehr individuell und hängt stark von der Gemütsverfassung und der Psyche ab. Es gibt aber einige Möglichkeiten, die in der Praxis auch durchaus angewandt werden:

  • Einatmen. Ausatmen. So richtig kräftig ausatmen hilft. Bewusstes, zur Beruhigung führendes Atmen, dient der Emotionsregulierung und mag für manche Künstler und Speaker durchaus zielführend sein.
  • Sich Raum und Zeit geben. Danach – in der Garderobe. Gleich nach dem Auftritt, um die Emotionen des Auftrittes zu verarbeiten. Wer gut für sich sorgen will, muss in Stresssituationen, die manch Bühnenauftritt hervorruft, die Handbremse ziehen und sollte kurz in der Garderobe dem Körper Ruhe gönnen, um den emotionalen Ausnahmezustand zu beruhigen.
  • Sich zu den Gästen gesellen, ein offenes Ohr für neue Fans und Befürworter haben. Jemand »Nahbarer« sein. Die unterschiedlichen Gespräche danach ernüchtern und holen das Gemüt schnell wieder runter.
  • Ein Gläschen, etwas Essen. Vor einem Bühnenauftritt wird gewöhnlich nichts gegessen, es spricht und spielt sich leichter mit einem leeren Magen. Ein voller Magen beruhigt die körperliche Überdrehtheit.
  • Reflektieren. Aussagen, die spontan auf der Bühne gefallen sind, die man wieder verwenden möchte, notieren und das nächste Mal ins Programm/Vortrag einbauen. Runterkommen durch konsequente Weiterentwicklung der eigenen Person.
  • Ein Profi kann relativ schnell aus seiner Rolle herausschlüpfen und sich in einen »Entspannungszustand« versetzen. Methoden gibt es zahlreiche von QiGong, Feldenkrais, progressive Muskelentspannung, Yoga oder speziellen Atemübungen.
  • Bewegen und die überschüssige Energie abbauen. Zu Fuß ins Hotel gehen, tanzen gehen oder mit einem neuen Groupie oder bestenfalls mit dem Partner die »Liebe« leben.

Was unternimmt nun in der Praxis der gefeierte Speaker? Wie kommt er »runter«?

Hermann Scherer: Es gibt diesen Spruch: »Entweder nimmst Du Dir eine Frau mit ins Zimmer oder eine Flasche.« Ich glaube, es gibt tatsächlich in der Branche viele, die eines von beiden mitnehmen. Ich kenne dieses Phänomen des Überdreht-Seins aus eigener Erfahrung, man ist nun einmal nach einem Auftritt vollgepumpt mit Adrenalin. Es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen, die danach bei der Veranstaltung bleiben und das gesamte Abendprogramm mitmachen und mitfeiern und natürlich auch mittrinken. Dann gibt es aber auch die anderen, die die »scheinbare« Ruhe suchen und ins Hotelzimmer gehen und dort versuchen, zu entspannen.

Martina Kapral: Zuerst mit den Gästen plaudern oder netzwerken. Ein erstes Gläschen, dann noch ein Gläschen. Nachdem oft erst am nächsten Tag die Heimreise stattfindet, darf man sich den einen oder anderen Drink schon erlauben. Wer allerdings nicht diszipliniert und achtsam mit seinem Körper umgeht, wird diesen Job nicht lange durchhalten. Ich kenne Speaker, die sich bereits vor dem Bühnenauftritt mit einem »Glas« anspornen und dies nach dem Vortrag fortsetzen. So verändert sich das Zahnpastalächeln eines Speakers dann mit der Zeit zu einem aufgesetzten Alkohol-Grinsen, was verständlicherweise Auswirkungen auf die Buchungssituation hat. Manch einer sieht es (leider) gelassen – wer hat sich nicht schon mal einen Auftrag »ersoffen«.
Es gibt aber auch Speaker, die gleich nach ihrem Bühnenauftritt nach Hause fahren, zur Familie, wenn vorhanden. Lieber in der Nacht noch 500 km fahren, als allein im fremden Bett nächtigen. Das ist auch gut so – denn manche Beziehung ist zerbrochen, wenn zu oft auswärts geschlafen wurde. Vor allem die Speaker, die Kinder haben, achten darauf, schnell daheim zu sein.

Wer ist mehr betroffen – Newcomer oder »alte Hasen«?
Martina Kapral: Sowohl als auch. Die Erfahreneren kennen die emotionalen Höhenflüge bereits besser. Aus den Tiefen einer Depression herauszukommen wird mitunter im nächsten Programm oder Vortragsthema verarbeitet. Newcomer müssen vieles ausprobieren, bis der Umgang mit den eigenen Emotionen gefunden wird.

Wie war das für Sie am Anfang?
Hermann Scherer: Ich war nie lange bei den Veranstaltungen, bei denen ich referiert habe, aber ich war dabei. Das haben Auftraggeber auch honoriert, wenn man praktisch seine Zeit kostenlos nach dem Auftritt zur Verfügung stellt. Wenn man das professionell betreibt, ist das auch anstrengend. Doch ich wollte natürlich einen Folgeauftrag. Mir hat einmal ein Vorstand einer großen Aktiengesellschaft gesagt, dass er es sehr schätze, wenn die Referenten auch beim gemütlichen Teil des Abends dabei sind. Es ist also wichtig, hier nicht sofort nach dem Auftritt zu verschwinden. Das hat auch bei mir oft zur Entspannung, zum Runterkommen, beigetragen.

Ali Mahlodji (ist Geschäftsführer und Chief Storyteller bei whatchado und hält zahlreiche Vorträge): Mein erster großer Vortrag vor 400 Personen war 2012. Bis dahin habe ich alle Anfragen abgesagt, zu groß war die Angst vor dem Stottern und Reden vor vielen Menschen. Ich hatte ungefähr zwei Monate zur Vorbereitung und konnte die letzten drei Wochen davor nicht schlafen und habe mir vorgenommen, dass – egal wie mein Vortrag wird – die Zuseher einfach eine coole Zeit haben und das Gefühl mitnehmen sollten, dass mir ihre Lebenszeit wichtig ist.
Warum ist das »Runterkommen« danach so schwierig?
Hermann Scherer: Ich glaube, es geht nicht nur ums Runterkommen, sondern wir haben alle, unbewusst oder bewusst, viel Angst. Es drehen sich die Gedanken im Kopf. »Bin ich morgen zur rechten Zeit am rechten Ort?« »Genügen 40 Minuten zum Umsteigen am Flughafen?« »Schaffe ich es morgen, die 500 Leute zu motivieren, ich muss sehr früh raus, und sollte daher jetzt schlafen etc.« Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, wo ich irgendeinen Schrott im Fernsehen geschaut habe, nur um mich ein wenig von meinen Gedanken abzulenken.

Was machen Sie heute, wenn Sie einen Vortrag halten?
Ali Mahlodji: Heute bin ich immer noch unter Spannung, die ich aber genieße. Sie spiegelt das Potenzial des Events wider. Das beste Fundament ist Zeit. Zeit, die ich mir selbst gebe. Dies betrifft meine Ernährung, die Wahl meiner Termine und auch, dass ich mehr schlafe und regeneriere. Seit knapp einem halben Jahr mache ich dreimal täglich Atemübungen und Mentaltraining. Die Qualität meiner Regeneration nach meinen Auftritten hat sich dadurch verbessert,  sie geht auch schneller.

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