Holt Eure Mitarbeiter zurück!

Warum zu viel Home-Office auf die Psycho-Couch führt und worauf Unternehmen und HR-Abteilungen daher achten sollten.

Stellen Sie sich vor, die Profi-Fußballspieler der österreichischen Nationalmannschaft trainieren täglich, aber jeder auf verschiedenen Fußballplätzen in verschiedenen Städten und zu unterschiedlichen Zeiten. Der Erfolg wäre auf Dauer überschaubar. Doch so ähnlich gestalten sich Arbeitsweisen vieler Teams durch das Home-Office heute. Mit fatalen Auswirkungen auf die Kommunikation und psychische Hygiene der Mitarbeiter.

»Mindestens ein Teammitglied fehlt immer«, sagte kürzlich ein Teamleiter zu mir. Natürlich, ein kurzfristiger Ausfall durch Verletzung, familiäre Themen oder andere Umstände ist auf Dauer für jedes Team verkraftbar. Diese Flexibilität für konzentrierte Regeneration wird auch erfolgreichen Sportteams zugesichert. Auf lange Sicht jedoch entstehen Fehlpässe, Missverständnisse und unnötig lange Laufwege. Per Zoom lassen sich eben keine zielgenauen Pässe schlagen – die Kommunikation leidet.

Diese Sport-Metapher bestätigte auch schon der »Wohlfühlreport Home-Office 2022«. Demnach ist der Stressauslöser Nummer eins im Home-Office der fehlende Austausch mit Kollegen. Hinzu kommt noch der anhaltende Trend, offen für einen Arbeitsplatz-Wechsel zu sein. Home-Office ist der Nährboden, die laut Gallup Studie 2021 überwiegend dürftige emotionale Bindung vieler Mitarbeiter noch weiter zu lockern. Für diesen Grat zwischen Flexibilität und Bindung gibt es ein Werkzeug – die gelungene Kommunikationskultur.

Mangel an Kommunikation

Ein Online-Gespräch kann ein reales Gespräch jedoch nicht ersetzen. Hier fehlen die weiteren Sinneswahrnehmungen. Das Gespräch in den täglichen Meeting-Marathon einzuzwicken, wird genauso wenig hilfreich sein. Wir alle sind darauf programmiert, direkt miteinander zu reden. Der kurzfristige und bewusst wahrgenommene Positiv-Effekt durch mehr Zeit mit der Familie oder weniger Zeit für die Anfahrt wird durch den unbewussten und langfristigen Negativ-Effekt der fehlenden Zugehörigkeit im Team und fehlenden Austausch aufgebraucht. Auch das Problem, dass Produktionsmitarbeitern flexibles Arbeiten nur schwer ermöglicht werden kann, führte schon oftmals zu heißen Gesprächen in Unternehmen.

Soviel ist aber klar: Ein kompletter Verzicht auf Home-Office ist auch keine Lösung. Das sagen die meisten meiner Kunden und auch zahllose Studien. Nahezu alle Jobsuchenden bevorzugen Stellen mit der Option, von Zuhause aus zu arbeiten.

Alte Tugenden als Lösung

Umso wichtiger werden die persönlichen Gespräche abseits von Zielvereinbarungen oder Aufgabenübertragung. Die Digitalisierung trägt zur Entfremdung der Menschen bei. Fehlendes Einfühlungsvermögen wird mir bei Exit-Gesprächen als Hauptursache für die Kündigung verraten. Nicht nur von Chefs, auch von den Kollegen. Der Mensch will wieder als solcher wahrgenommen werden. Je digitaler die Arbeitsumgebung, desto wichtiger wird der persönliche Austausch.

Um sich am umkämpften Arbeitsmarkt attraktiv zu präsentieren, braucht es Ansätze, die weniger kompliziert sind, als sie vielfach verkauft werden. In den Vordergrund müssen dafür Tugenden, die sich seit 100 Jahren in fast jedem Kommunikationsratgeber wiederfinden. Zuhören, miteinander reden und dem Menschen Aufmerksamkeit schenken. Befreundete Psychologen bestätigten mir, dass mit dieser Art von Gesprächen viele Therapien erspart werden könnten. Und ohne überwiegend regelmäßige Präsenz am Arbeitsplatz und eine gelungene Kommunikationskultur wird die flexible Zeiteinteilung im Home-Office schnell zu einem Eigentor.

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Jürgen Eisserer
ist Keynote Speaker, Autor und Kommunikationstrainer.
www.eisserer.com