Kommunikation braucht Goodwill

Wie das politisch Korrekte von den Korrigierenden missbraucht wird.

»Sehr geehrte Damen und Herren!« … und sonst braucht keiner weiterzulesen. Denn mit Damen und Herren mache ich mein Ansprechfeld schon sehr klein. Ich lasse jene Menschen aus, die von sich meinen, weder Herr noch Dame zu sein. Schade eigentlich. Denn natürlich möchte ich mich an alle hier Lesenden wenden. Aber solange die empfängerorientierte Kommunikation en vogue bleibt, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als stets übergeordnete Kategorien in der Ansprache zu finden, die wirklich alle einschließen, an die ich mich wenden möchte. Sehr geehrte Anwesende, liebe Menschen, hallo alle miteinander … mir gefällt das nicht. Natürlich, auch ich habe die politisch durchaus nachvollziehbare Transformation unserer Sprache mitgemacht, mitgestritten und finde viel Gefallen daran, patriarchale Sprachmuster aufzulösen. Es war wirklich überfällig. Aber womit habe ich mein Problem?

Es gibt eine ganze Menge Kommunikationsmitmenschen, die sich auf jeden Fehler stürzen und dann laut sagen, dass sie sich nicht angesprochen fühlten. Sie würden in der Ansprache miteingeschlossen werden wollen. Sie fühlten sich sonst ausgeschlossen. Klarer Fall von »Oida!«.

Kommunikation kommt von communicatio. Und in communicatio steckt das Präfix »con« vorne. Dieses »con« wird dann vorangestellt, wenn es dem Verb oder Nomen die Bedeutung geben soll, dass etwas gemeinsam gemacht wird. Daher würde ich dann einmal vorschlagen, dass sich beim Kommunizieren auch beide Seiten, Sender und Empfänger, aber auch alle jene, die sich durch die verwendeten grammatikalischen Geschlechter nicht angesprochen fühlen, aufeinander zubewegen. Welche Haltung steckt denn dahinter, dass sich Menschen, selbst wenn sie genau wissen, dass sie angesprochen und gemeint werden, taub stellen? Die Flegeljahre noch nicht abgelegt? Immer noch das trotzige Kind? Bei ironischen Botschaften fügt die sendende Seite durch die Tonalität eine Gebrauchsanweisung zum puren Inhalt für die empfangende Seite hinzu. Die Frage der Empfänger »Wie ist das zu verstehen?« sollte damit beantwortet sein. Wenn die Deutung der Inhalte jedoch komplett der empfangenden Seite vorbehalten bleibt, so kann die sendende Seite sehr schnell zum Opfer übler Unterstellungen werden. Aber woher kommt die Motivation zur Unterstellung? Das wirft ein Licht auf die empfangenden Gesprächspartner. Dessen sollten diese sich gewahr sein.

Herrschaftszeiten, die gesamte Sprache ist darauf ausgelegt, einander verstehen zu wollen. Ja, wollen! Es braucht immer Goodwill in der Kommunikation, und wenn der fehlt, dann kann man sich natürlich herrlich über das Wort Goodwill ärgern und dann sagen, dass man bitte auf Anglizismen verzichten möge usw. usf. … aber wo führt das hin? Wer macht die Regeln?

Die Regeln der Grammatik werden zurzeit außer Kraft gesetzt. Ist okay, dann braucht es aber baldigst neue Regeln von Bestand. Eine Regel könnte sein, dass die empfangende Seite beim Kommunizieren angehalten ist, die Absicht des Senders zu erkennen und im Zweifel die Botschaft großmütig auszulegen, und nicht engstirnig. Das ist für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sogar rechtlich bindend. Ebenso sind natürlich die Sender, die meinen, etwas zu senden zu haben, angehalten, die Menschen im Rahmen des Verständlichen möglichst breit anzusprechen. Ich möchte hier an die legendäre Begrüßung von Heinz Conrads erinnern (­googlen, liebe Millennials und iGens!), der sich immer an die Damen, die Herren, die Mad’ln und die Buam gewandt hat, aber auch immer an die Kranken, und ganz besonders an die Einsamen zu Hause – er wollte alle ansprechen, aber aus heutiger Sicht scheiterte er dabei. Zählt die Absicht?

Wollen wir miteinander reden – oder geht es um Deutungshoheit? Wenn Political Correctness zur Attitude wird, hat sie ihre Gültigkeit verloren. Amen.

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Fauma

Gastautor
Gregor Fauma
ist ­Verhaltensbiologe, Trainer und ­Keynote-Speaker.
www.gregorfauma.com