Kultur im Wandel

»Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.« Diesen Satz soll der griechische Philosoph Heraklit ca. 500 vor Christus gesagt haben. Heute ist er gültiger denn je. Wie Veränderungsprojekte und Unternehmenskultur einander bedingen, lesen Sie in diesem Artikel.

Wandel ist allgegenwärtig. Jeder Mensch, jede Abteilung, jedes Unternehmen ist im permanenten Wandel. Und das schneller denn je. Permanent müssen sich Organisationen auf neue Marktgegebenheiten, neue Technologien oder neue politische Situationen einstellen. Unternehmen, die in der Vergangenheit gelernt haben, ihr Business rasch anzupassen, können zufällig auftretende Chancen schneller wahrnehmen und besser auf mögliche Probleme reagieren. Nicht immer gehen Change-Projekte zur Zufriedenheit aller Beteiligten aus. Viele Menschen wollen den Wandel nicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Neue Prozesse im Unternehmen lehnt er ab und setzt alles daran, den Status quo zu halten. Der Grund ist tief in unserem Hirn verankert. Das Neue, oft Unbekannte, macht vielen Menschen Angst, oft auch nur unbewusst. Mit dem Vertrauten kennen wir uns aus, Neuerungen sind schwer einzuschätzen. Diese Angst wird von sehr alten Hirnteilen erzeugt und war dafür gut, die Überlebenschance zu erhöhen. Je öfter ein Mensch positive Erfahrungen bei Veränderungen gesammelt hat, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auf Change-Projekte eher einlässt. Führungskräfte sind daher angehalten, eine Stimmung, eine Kultur des Wandels zu schaffen. Denn Wandel ist allgegenwärtig.
TRAiNiNG hat bei Change-Expertinnen nachgefragt, warum Veränderungsprojekte häufig scheitern, bzw. länger dauern als geplant.
Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäftsführerin Coverdale) hat eine Erklärung: »Veränderungsprojekte entstehen manches Mal als ›schnelle Idee‹ in der ersten Ebene des Unternehmens. Bis die Umsetzung anläuft, ist das Topmanagement schon wieder am nächsten Thema dran, und das ›alte‹ Projekt verliert an Bedeutung. Sobald angewiesene Veränderungsprojekte nicht mehr am Radar der ersten Ebene sind, ist die Tendenz hoch, dass sie im Sande verlaufen. In den ersten Phasen eines Veränderungsprozesses versuchen die Betroffenen meist zu beweisen, dass das ›Alte‹ besser ist als die neue Idee, und sie beweisen das auch durch besondere Anstrengung. Meist setzt sich das auch in den nächsten Phasen fort. Wenn die Führung zu diesem Zeitpunkt nicht klar macht, dass die Veränderung durchgezogen wird, kann es leicht passieren, dass die Veränderungsinitiative stecken bleibt, oder versandet.«

Jennifer Keller (Managing Director next level consulting) kennt drei Phänomene bei schief gelaufenen Veränderungsprojekten: »Zum einen wird die Komplexität von Veränderungen häufig unterschätzt. Ein ›Projekt‹ im klassischen Sinn beruht darauf, dass ein möglichst gut definiertes Ergebnis innerhalb einer klar vorgegebenen Zeit mit klar definierten Kosten erreicht wird. Genau das aber ist in komplexen Situationen zu Projektbeginn nicht definierbar. Durch die höhere Eigenverantwortung der Mitarbeiter versuchen Unternehmen derzeit auch, eine zweite ›Klippe‹ in Veränderungsprojekten zu umschiffen: schwache Führung. Studien zeigen, dass sehr viele Veränderungen an dem unzureichenden Engagement und der Uneinigkeit höherer Führungsebenen, mangelnder Unterstützung aus dem mittleren Management und fehlender Erfahrung im Umgang mit der Verunsicherung von Mitarbeitern scheitern. Zum Dritten fokussieren Change-Vorhaben häufig auf den Aspekt der ›Struktur‹. Doch Veränderungen sind vielschichtiger: Es gibt den menschlichen Rahmen mit den Bedürfnissen, Gefühlen, Ängsten, Vorurteilen und auch Fähigkeiten der im Unternehmen arbeitenden Menschen, den politischen Rahmen mit Machtverhältnissen, internen und externen Wettbewerben und Ressourcenknappheit sowie den symbolischen Rahmen, der sich auf Bedeutung und Glauben der Mitarbeiter wie Rituale, Werte, Geschichten und Kultur konzentriert.«

Angelika Brändle (Lektorin/HR-Management an der Fachhochschule des BFI Wien): »Ein weiterer wichtiger Grund fürs Scheitern, der bereits zu Beginn auftaucht, ist Unsicherheit. Da bei größeren Veränderungsprojekten oft Abläufe und Spielregeln gleichzeitig in Frage gestellt werden, gehen sowohl Zielrichtung als auch Halt und Sicherheit vorübergehend ›verloren‹. Wird diese Unsicherheit zu Beginn ignoriert, oder das Einbeziehen der Mitarbeiter auf Grund von Zeitdruck oder anderen Prioritäten nicht aktiv gelebt, ist bereits sehr früh im Projekt mit Widerständen der Mitarbeiter und einer Lähmung durch Unsicherheit und fehlender Koordination zu rechnen. Ein zweiter wichtiger Grund, über den Unternehmen oft stolpern und der maßgeblich oft auch während längeren Projekten und gegen Projektende zum Scheitern beiträgt, ist, die angestoßenen Veränderungen nicht oder zu wenig zu verankern. Eine konsequente Anpassung der Rahmenbedingungen, transparente sowie wertschätzende Kommunikation, sowie eine zielgerichtete Unterstützung der Mitarbeiter machen es möglich, auch diese Hürde zu nehmen. HR kann hier als Partner beispielsweise im Recruiting, mit Personalentwicklungsprogrammen und bei der Neuausrichtung von Anreizsystemen viele Akzente setzen.«

Kultur des Wandels

Stetiger Wandel auf der einen Seite, tradierte Werte, Normen und eine eingefahrene Unternehmenskultur auf der anderen Seite. Wie passt das zusammen? Sind das nicht zwei Widersprüche? Das Gegenteil ist der Fall. Um rasch auf Veränderungen zu reagieren, und die Organisation fit dafür zu machen, benötigt es eine entsprechende Kultur.

Jennifer Keller kennt eine schöne Parabel des amerikanischen Management Consultants Spencer Johnson, die das Kulturphänomen anschaulich darstellt: »Jeden Tag begeben sich zwei Mäuse und zwei Zwerge in einem Labyrinth auf die Suche nach Käse. Eines Tages stoßen alle vier auf einen Ort, an dem ein großer Käsevorrat liegt. Die Zwerge sind glücklich mit ihrem Fund und werden von Tag zu Tag träger, wohingegen sich die Mäuse ebenso freuen, allerdings für den Fall, dass der Käse ausbleibt, vorbereitet bleiben, um erneut auf die Suche zu gehen. Eines Tages ist der Käse völlig überraschend verschwunden. Die Mäuse zögern nicht lange und machen sich direkt auf die Suche nach neuem Käse. Die Zwerge machen sich Gedanken darum, wie unfair es ist, dass ihr gesamter schöner Käse weg ist, und warten, in der Hoffnung, dass der Käse zurückkommt.«

In den volatilen, unsicheren, komplexen und ambivalenten Umgebungen (VUKA-Welt), in der Unternehmen heute operieren, werden Unternehmen mit einer ›Zwergenkultur‹ nicht sehr lange überleben, da Veränderungen die Normalität sind. Es gilt, Führungskräfte und Mitarbeiter neugierig auf Veränderungen zu machen und eine schnelle, flexible Anpassung zu ermöglichen, damit Veränderungen möglich werden.
Veränderungen im Unternehmen haben immer Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, und Unternehmenskultur hat immer Auswirkungen auf die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter im Unternehmen.

Birgit Fischer-Sitzwohl weiß, wie die Veränderungsbereitschaft gesteigert werden kann: »Ich persönlich glaube, je mehr die Leute bei großen Veränderungen mitgestalten können, desto leichter lassen sich diese auch umsetzen. Das heißt nicht, dass die Mitarbeiter die Richtung bestimmen müssen, sie sollten aber die Möglichkeit haben, mitzureden.«

Die Rolle der Führungskraft

Um eine Kultur des Wandels zu schaffen, braucht es vor allem Führungskräfte, die mit gutem Vorbild voran gehen und die Notwendigkeit des Wandels deutlich und klar kommunizieren. So können sie die Erfolgswahrscheinlichkeit dramatisch steigern. Denn es gibt eine hohe Abbruchquote bei Veränderungsprozessen: 30 % der Wandelprozesse werden im Planungsstadium abgebrochen. Von den verbleibenden werden weitere 80 % (!!!) im Frühstadium der Implementierung vorzeitig beendet. (Quelle: Vortrag von Dipl. BW Ralf Capelan am Aufstiegskongress 2016)

Angelika Brändle über die Rolle von Führungskräften bei Veränderungen: »Wenn Führungskräfte Werte authentisch vorleben und transparent kommunizieren, können Sie idealerweise als Multiplikator und Vorbild wirken. So gestalten Sie die Unternehmenskultur und Veränderungen aktiv Schritt für Schritt mit.«

Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmenskulturen je nach Geschäftsfeld und Strategie unterschiedlich sein. So werden Unternehmen, die sich am Markt orientieren, sich auch mit ihrer Kultur eher nach außen orientieren, z. B. über einen starken Kundenfokus. Organisationen, bei denen vor allem interne Abläufe und Strukturen wichtig sind (wie z. B. Schulen), werden sich eher auf interne Optimierungen konzentrieren, wie auf gemeinsame interne Qualitätsstandards. So viel zur Theorie.

Dass die Praxis anders aussehen kann, weiß Jennifer Keller: »›Culture eats strategy for breakfast‹ – diese Aussage des Management-Theoretikers Peter Drucker drückt aus, dass eine Unternehmenskultur jederzeit die Implementierung einer Strategie verhindern kann, die sich nicht mit dieser Kultur deckt. Andersherum gilt aber auch: Wenn eine starke Kultur gut mit der Strategie abgestimmt ist, lässt sich der Erfolg eines Unternehmens steigern. D. h., Führungskräfte müssen auf eine gute ›Passung‹ zwischen Kultur und Strategie achten. Sieht sie einen Kulturwandel als notwendig an, ist es wichtig deutlich zu machen, dass der Kulturwandel genauso bedeutend ist wie andere wichtige Aufgaben oder Anforderungen, die in dem Unternehmen vorangetrieben werden. Dazu bedarf es einer verständlichen Vision und einer guten Vermittlung der Notwendigkeit der Kulturveränderung.«

Subkulturen

Jede Abteilung hat seine eigene Subkultur, sogar jedes Zimmer mit Angestellten hat seine eigene Subkultur. Der Vertrieb ›tickt‹ anders als die Entwicklung, die Buchhaltung anders als das Marketing. Und das ist auch gut und sinnvoll.
Jennifer Keller hat Erfahrung mit Subkulturen und hat ein paar Tipps dazu auf Lager: »Übergreifende Leitlinien zur Unternehmenskultur sind als Kompass und Richtungsweiser zur besseren Umsetzung der Strategie sinnvoll. Es lohnt sich auch, darüber nachzudenken, wie die Kultur eines Teams (einer Abteilung etc.) eigentlich idealerweise aussehen müsste, damit es den bestmöglichen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leisten kann. Dabei sollte sich das Team unbedingt die Sichtweise der internen oder externen Kunden einholen.«
Birgit Fischer-Sitzwohl: »Die Basis einer Unternehmenskultur stellen zumeist die gelebten Unternehmenswerte dar. Wenn das Unternehmen ›gesund‹ ist, sind die Subkulturen im Kontext der Unternehmenswerte angesiedelt und sind so wie die Facetten eines Diamanten bunt, aber ergeben ein stimmiges Ganzes. Wenn einzelne Gruppen ungesunde Subkulturen ausprägen, spürt das meist das ganze Unternehmen.«

Angelika Brändle: »Nach meiner Erfahrung braucht es beides: ein Dach – diese eine verbindende Unternehmenskultur – und gleichzeitig die Möglichkeit für Subkulturen, diese für sich auszugestalten. Die oft abstrakten Werte in ein ›was bedeutet dies genau für uns?‹ zu übersetzen und mit Leben zu füllen ermöglicht gleichzeitig eine Identifikation mit dem Unternehmen sowie Spielraum für Subkulturen, vielfältige Hintergründe einzubringen und Buntheit zu leben.«

Wandlungsfähige Kultur

Wie sieht nun eine Kultur aus, die den Ansprüchen der heutigen Zeit gerecht wird, den Wandel vielleicht sogar fördert? Der Managementberater Klaus Doppler hat dazu bereits vor einigen Jahren fünf zentrale Merkmale definiert und in seinem Buch »Change Management – Den Unternehmenswandel gestalten« beschrieben:
Kreative Unruhe: Die beste Voraussetzung für den flexiblen und offenen Umgang mit Veränderungen und Innovationen in Unternehmen ist eine stete latente, kreative Unruhe. Jeder bürokratische Prozess muss durch neue Ideen, Mobilität und Umstellungsbereitschaft weichen.
Konfliktfähigkeit: Eine konstruktive Streitkultur wird zum zentralen Erfolgsfaktor, nämlich die Fähigkeit, eventuelle Spannungen frühzeitig anzusprechen und zu lösen.
Zusammengehörigkeitsgefühl: Das Gefühl des Dazugehörens und des Beteiligtseins muss geschaffen werden. »Wir« anstatt »die dort oben«.
Sinnvermittlung: Für jeden Mitarbeiter muss seine Aufgabe Sinn ergeben. Und zwar eingebettet in das große Ganze des Unternehmens.
Kommunikation: Führungskräfte können nicht zu viel kommunizieren, höchstens falsch informieren. Eine offene, direkte und ehrliche Kommunikation stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor für wandlungsfähige Unternehmen dar.

Fazit: Um sich den raschen Änderungen anzupassen, müssen es Unternehmen schaffen, eine Kultur des Wandels aufzubauen. Dafür sind insbesondere die Rahmenbedingungen von HR bereitzustellen und Führungskräfte zu schulen bzw. zu unterstützen.

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