Lernen außerhalb des Seminarraums

Live-Online-Seminare boomen, auch jetzt noch, obwohl Präsenzseminare wieder erlaubt sind. Warum das so ist, worauf Unternehmen und Trainer dabei achten müssen, und welchen Nutzen diese Form der Weiterbildung im Vergleich zu Präsenzseminaren haben, lesen Sie in diesem Artikel.

»Corona wird vergehen, Distance Learning wird bleiben«, so denken die meisten Experten derzeit über die gestiegene Anzahl an Online-Trainings. Zu verlockend ist diese »neue« Möglichkeit, um viele Mitarbeiter zu erreichen, egal, wo sie sitzen, ob im Büro, im Home-Office oder im Ausland. Distance Learning, oder auf Deutsch »Fernunterricht«, ergibt dann Sinn, wenn aufgrund räumlicher Einschränkungen ein Zusammenkommen der Teilnehmer nicht möglich oder sehr mühsam ist. Es ist ein didaktisches Konzept, das auf der räumlichen Trennung zwischen Teilnehmer und Trainer aufbaut.

Es gibt verschiedene Arten des Fernunterrichts:

Die häufigste ist ein Live-Online-Kurs, der im virtuellen Seminarraum stattfindet. Aber auch das Lernen über Lernplattformen, auf denen Inhalte in Form von Videos oder PDF-Dateien zur Verfügung gestellt werden, sind eine Form von Distance Learning. Zweitere erhöht die zeitliche Flexibilität, schränkt aber die direkten Interaktionsmöglichkeiten ein.
Laut der Weiterbildungsstudie 2022 der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung erfahren im heurigen Jahr Präsenztrainings wieder ein Comeback. So wurden heuer bei den Unternehmen der 400 befragten HR-Verantwortlichen 53 % der Weiterbildungen in Präsenz organisiert (2021: 39 %). Reine digitale Lernformen wurden zu 26 % organisiert (2021: 34 %). Über die Lernwirkung von Präsenzschulungen im Vergleich zu Distance Learning herrscht Unklarheit. Dazu gibt es viele Meinungen und wenig Faktenwissen.
Wenn man sich seriöse Studien dazu ansieht, kommt man zu einem ganz klaren Ergebnis: Nicht die Wahl des Mediums (online oder präsent) ist entscheidend über einen Lernerfolg, sondern die didaktischen Kenntnisse des Trainers. Ein gutes Training aus der Distanz ist einem schlechten Präsenztraining um Welten überlegen. In der umfangreichen Studie zu diesem Thema »Does eLearning Work? What the Scientific Research Says!« von Will Thalheimer (Forscher und Lern-Experte) finden wir folgende Passage: »In the first section of the report, five meta-analyses were summarized, comparing elearning and learning technologies in general to traditional classroom practice. Overall, these meta-analyses found that elearning tends to outperform classroom instruction, and blended learning (using both online learning and classroom instruction) creates the largest benefits. Looking more deeply at the results, there is clear evidence to suggest that it is not the elearning modality that improves learning, but, instead, it is the learning methods typically used in elearning – and used more often than in classroom instruction – that create elearning’s benefits. These learning methods include such factors as providing learners with realistic practice, spaced repetitions, contextually-meaningful scenarios, and feedback.«
(Studie kostenlos abrufbar unter: www.work-learning.com/catalog.html)

Distance Learning kann also unter gewissen Voraussetzungen den Lerneffekt sogar erhöhen. TRAiNiNG wollte daher von zwei Spezialisten auf dem Gebiet des Lehrens aus der Distanz wissen, worauf Trainer bei der Umsetzung eines Weiterbildungskonzepts mittels Distance Learning achten sollten.

Schien Ninan (Geschäftsführer HPS Training): »Distance-Learning-Inhalte müssen ein ›Erlebnis‹ für die Teilnehmer sein. Der Worst Case ist es, wenn Trainer Inhalte vor dem Rechner aus dem Home-Office heraus vermitteln wollen. Das ist dann für die Teilnehmer kein ›Lern­erlebnis‹, sondern eine Veranstaltung wie jedes andere typische Webmeeting. Wir haben deshalb in unserem HPS-Office zwei Profi-Studios eingerichtet, in denen wir unseren Kunden ein ähnliches Entertainment-Level bieten können, wie man es sonst nur aus TV-Sendungen und Sportübertragungen kennt. Dazu kommen noch der extrem hohe Übungsanteil und virtuelle Break-out-Rooms. Das Gesamtpaket sorgt dann für ein intensives Trainingserlebnis. Dieses konstant hohe Level an Aktivierung ist bei Distance-Learning-Inhalten notwendig. So schaffen wir es zum Beispiel, Teilnehmer von internationalen Konzernen, die überall auf dem Globus verteilt sind, in unseren Trainings zusammenzubringen und nachhaltige Lerneffekte und Verhaltensänderungen zu erzielen.«

Julia Steiner (Consultant bei procon Unternehmensberatung): »Langes, frontales Zuhören macht schon gemeinsam in einem Raum sitzend keinen Spaß. Zusätzlich kommen die Augenbelastung durch den Bildschirm und die verlockende Möglichkeit des parallelen Arbeitens dazu. All diesen Themen müssen bei der Planung und Organisation eines Online-Trainings berücksichtigt werden. Eine interaktive Gestaltung des Trainings mittels Videos, Umfragen, Live-Umfragen und Schätzfragen sorgt für Lacher, macht wach und bleibt gerne in Erinnerung. Das können beispielsweise kleine Videos, die Verlinkung auf den gerade erwähnten Gesetzestext, kollaborative Gruppenübungen z. B. mittels Miro oder ein Quizwettbewerb mittels Mentimeter, Sli.do und Co. sein. Wesentlich ist hierbei eine gute Vorbereitung: Eine Liste an Themen, die während des Vortrages diskutiert werden können, kann helfen.«

Erfolgskritische Akteure

Damit ein Seminar über Distanz gut funktionieren kann, sind, wie bei einem Präsenzseminar, drei Akteure relevant:

  • Teilnehmer,
  • Unternehmen und
  • Trainer

Unternehmen
Unternehmen haben eine große Verantwortung und entscheiden durch ihre Vorgehensweise, ob ein Seminar erfolgreich ist. So sind zunächst einmal der Bedarf und die Erwartungen der Teilnehmer abzuklären. Die Führungskräfte sollten unbedingt in den gesamten Lernprozess involviert sein und den Mitarbeitern den Raum geben, im beruflichen Alltag das neu Erlernte zu üben, bzw. sich bei Fragen an sie oder den Trainer wenden zu können. Gerade bei ­Distance Learning muss das Unternehmen die benötigte Infrastruktur bereitstellen.

Julia Steiner: »Die Teilnahme an Online-Trainings ist nur mittels vorhandener technischer Infrastruktur und Internetverbindung möglich. Daraus ergibt sich die Frage: Haben meine Mitarbeiter diese Möglichkeit, beispielsweise im Home-Office? Gibt es passende Räumlichkeiten in der Organisation, die für eine ungestörte Teilnahme sorgen können? Vermeiden Sie, die Teilnehmer von Distance Learning ›kurz was zu fragen‹, sondern behandeln Sie sie so, als wären sie abwesend. Achtung: Nicht alle Mitarbeiter sind versiert im Umgang mit Computer, Internet & Co. Dies sollte bei der Nominierung zu einem Online-Training immer berücksichtigt werden. Distance Learning ist nicht dafür gedacht, Kosten einzusparen – vielmehr ist es ein Mittel, um mehr Personen erreichen zu können!«
Teilnehmer
Die Teilnehmer müssen vor allem einmal motiviert und am Thema interessiert sein. Besonders bei Teilnehmern, die wenig von Online-Schulungen halten, gilt es, ihnen die Vorteile »schmackhaft« zu machen. Sonst sitzen sie zwar vor dem Rechner, arbeiten aber nebenbei an anderen Sachen und sind nicht zu 100  % auf das Training fokussiert.

Julia Steiner über die Vorteile für die Teilnehmer: »Viele Trainings, die via Distance Learning abgewickelt werden, wären als Präsenztermin niemals zustande gekommen. Durch Distance Learning fallen weite Anreisewege und somit oft hohe Zusatzkosten weg. Eine Teilnahme ist für viele aus den eigenen vier Wänden möglich. Distance Learning lebt vom aktiven Austausch der Teilnehmer – direktes Ansprechen Einzelner soll die Kommunikation fördern. Unterbrechungen durch offene Fragen und Aufforderungen, Erfahrungen zu teilen, lockern das Training dabei auf. Wer sich nicht am Training beteiligen will, kann auch nicht dazu gezwungen werden. Ich sehe das pragmatisch: Wir unterrichten Erwachsene – alle sind freiwillig hier. Wer von der Organisation nominiert wurde und eigentlich nicht teilnehmen möchte, kann die Chance nutzen oder eben nicht – eine aktive Rückmeldung über störende Teilnehmer an die Organisatoren erfolgt jedenfalls.«

Trainer
Ein Trainer muss sich auf ein Live-Online-Seminar meist mehr vorbereiten als auf ein Präsenztraining. Techniken wie Kameraposition, Mikrofon, Beleuchtung, der Hintergrund, die Struktur des Trainings, Pausengestaltung, interaktive Elemente etc. müssen geplant und ausprobiert werden. Trainer müssen sowohl mit dem jeweiligen Tool professionell arbeiten können als auch Probleme lösen, die es im Seminarraum nicht oder nicht in dieser Form gibt. Als Beispiele seien technische Probleme oder Themen wie Datensicherheit oder Datenschutz genannt.

Themen

Die Frage, ob ein Unternehmen ein Training online oder in Präsenzform für seine Mitarbeiter anbietet, ist nicht die optimale Frage. Die gute Frage würde lauten: Für welche Themen ist welche Form der Wissensvermittlung besser geeignet? Bzw. wo überwiegen die Vorteile die Nachteile? Wenn z. B. viele Mitarbeiter über die Bundesländer verstreut sind, ist online mit einer wesentlich höheren Teilnehmeranzahl zu rechnen.
Julia Steiner: »Ich denke, so ziemlich jedes Thema ist (mit der richtigen Auf- und Vorbereitung) für Distance Learning geeignet. Bei Ausbildungen, die Körperkontakt erfordern (z. B. im Gesundheits- und Sportbereich) oder spezielle Utensilien zur Ausübung benötigen (z. B. Laboratorien oder der Umgang mit Geräten), können Inhalte so aufgeteilt werden, dass die theoretischen Grundlagen vorab online besprochen und in einem anschließenden Präsenztermin dann vertieft/erweitert werden. Dabei sollte man sich folgende Fragen stellen:

  • Welche Inhalte müssen laut Trainingsangebot jedenfalls vermittelt werden?
  • Wie können Inhalte alternativ zu bisherigem Vorgehen umgesetzt werden?
  • Welche auflockernden Maßnahmen kann ich thematisch gut verwenden?
  • Wie lange können Inhalte vermittelt werden, ohne die Konzentration der Teilnehmenden zu verlieren?«

 

Hybride Trainings

Als die Königsdisziplin bei Distance-Schulungen haben sich hybride Veranstaltungen herausgestellt. Damit ist gemeint, dass in einem realen Seminarraum Teilnehmer sitzen und weitere online zugeschaltet sind. Diese Form setzt hohes technisches Verständnis voraus, ebenso wie Fähigkeiten der Trainer im Umgang mit den beiden Teilnehmer-Gruppen. Keine von beiden soll sich vernachlässigt oder schlechter behandelt fühlen. Daher müssen auch die Online-Teilnehmer bei Übungen, Rollenspielen etc. mit ins Boot geholt werden.

Julia Steiner hat Erfahrung mit dieser Form: »Vor allem, wenn bei firmeninternen Trainings einzelne Kollegen eine weite Anreise hätten oder es sich um ein spezielles Thema (mit tendenziell weniger Teilnehmern) handelt, macht ein hybrides Training Sinn. Weiters kann die Anzahl der Präsenzteilnehmer beispielsweise durch gesetzliche Auflagen eingeschränkt sein – auch hier kann die Gesamtzahl der Teilnehmer durch zusätzliche Onlineplätze erhöht werden. Für die Vortragenden bedeutet hybrides Training mehr Aufwand. Es ist schwieriger, den Überblick zu behalten und die Online-Teilnehmer nicht zu übersehen. Daher sind eine gute technische Ausstattung für die Trainer und feste Regeln fürs hybride Vorgehen für alle essenziell. Außerdem macht es Sinn, dass auch präsente Teilnehmer ebenfalls einen Laptop mitbringen (z. B. für Gruppenübungen).«

Der Ausdruck »hybrid« wird aber auch für Blended Learning verwendet, also für die Kombination der beiden Formen online und präsent. Dabei werden einige Teile vor Ort absolviert und andere, wie z. B. die Vor- und Nachbearbeitung, werden online abgehalten.

Schien Ninan: »Eine Kombination von Distance Learning und Präsenztrainings ist immer dann sinnvoll, wenn es darum geht, langfristige Weiterbildungsprojekte, wie etwa eine Learning Journey, umzusetzen. Das bedeutet, über einen längeren Zeitraum mehrere kurze Trainingsmaßnahmen zu setzen und dazwischen die erlernten Skills direkt on the job einzusetzen. Wichtig dabei ist es, verschiedene virtuelle Varianten zu mischen (z. B.: Gruppen-Trainings, kombiniert mit Einzel-Coaching-Sessions und Lernabfragen, Selbstaufnahme von Videos etc.), damit keine Online-Müdigkeit bei den Teilnehmern eintritt. Ein Konzept für eine Learning Journey muss natürlich individuell auf die Bedürfnisse jeden Unternehmens maßgeschneidert werden. Idealerweise geschieht das hybrid, also wenn Präsenz- und virtuelle Einheiten gemischt sind, falls das machbar ist. So hat man das Beste aus beiden Welten: Die sozial- und gruppendynamischen Effekte der Präsenztrainings und die hohe Effizienz der virtuellen Maßnahmen.«

Fazit
Distance Learning ist gekommen, um zu bleiben. Die Vorteile überwiegen eindeutig gegenüber den Nachteilen. Immer mehr Trainer sind schon wirklich gut auf diesem Gebiet. Die Teilnehmer wissen es zu schätzen, nicht stundenlange Anfahrten in Kauf zu nehmen und dass sie abends daheim bei ihrer Familie sein können. Der Nutzen ist bei richtiger Gestaltung des Lernprozesses und der Didaktik bei beiden Formen gleich gut –  oder gleich schlecht.

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