Mitarbeiter fair beurteilen

Die neun häufigsten Stolpersteine bei der Leistungsbeurteilung und Strategien, die zur Vermeidung von Voreingenommenheit führen.

Auch wenn viele Unternehmen mittlerweile auf regelmäßiges Mitarbeiter-Feedback setzen, ist für die meisten Unternehmen das 4. Quartal die Zeit der Leistungsbeurteilungen und Bewertungen. Die daraus abzuleitenden Maßnahmen fließen dann in die konkreten Planungen für das neue Jahr. Ein guter Zeitpunkt also, um das Thema Voreingenommenheit und deren erhebliche Auswirkungen auf Leistungsbeurteilungen unter die Lupe zu nehmen. In seiner Forschungsarbeit wies der Psychologe Daniel Kahnemann eine einfache Erkenntnis nach: Die überwiegende Mehrheit der menschlichen Entscheidungen beruht auf Vorurteilen, Überzeugungen und Intuition, nicht auf Fakten oder Logik. Voreingenommenheit kann zu einem Zuviel oder Zuwenig an Mitarbeiterbewertungen führen, was sich wiederum in Situationen, die direkt mit Leistungsbeurteilungen im Zusammenhang stehen, ernsthaft auswirken kann. Dazu gehören Entscheidungen bei Beförderungen, der Vergütung oder bei Einstellung oder Entlassung. Angesichts dieser weitreichenden Folgen muss gewährleistet sein, dass die Leistungsbeurteilungen der Mitarbeiter so fair und objektiv wie möglich sind. Was also können Unternehmen tun, um sicherzustellen, dass die Leistungsbeurteilung ohne Voreingenommenheit erfolgt? In der Praxis hat es sich bewährt, bei jedem Schritt innerhalb dieses Beurteilungsprozesses einen Blocker zu integrieren. Wird erst einmal bewusst, dass es diese Voreingenommenheit gibt, lassen sich verschiedene Strategien anwenden, um deren Auswirkungen zu minimieren.

Gründe für Vorurteile

1. Der erste und der letzte Eindruck
Damit ist die Tendenz gemeint, sich bei der Beurteilung einer Person entweder zu sehr auf den ersten Eindruck oder aber auf die jüngsten Ereignisse zu konzentrieren, anstatt auf den gesamten Zeitraum.
Präventionsstrategie regelmäßiges Mitarbeiterfeedback: Um eine gleichmäßigere Verteilung des Feedbacks zu erreichen, sollte dies zu verschiedenen Zeitpunkten im Laufe eines Jahres eingeholt werden. Hat jemand gerade ein dreimonatiges Projekt oder eine interne Schulung abgeschlossen? Dies sind gute Anlässe, um Kollegen eine Feedback-Anfrage zu schicken oder Ausbilder um eine Rückmeldung zu bitten. So liegen am Ende des Jahres Daten über den gesamten, zu beurteilenden Zeitraum vor.

2. Der Halo- bzw. Horn-Effekt
In diesem Fall beeinflussen einzelne, positive oder negative Eigenschaften eines Mitarbeiters die gesamte Leistungsbeurteilung. Der sogenannte Halo-Effekt kommt beispielsweise zum Tragen, wenn attraktives Aussehen oder humorvolles Auftreten über die eher schlechten Kommunikationsfähigkeiten eines Mitarbeiters gestellt werden. Umgekehrt wirkt der Horn-Effekt, wenn negative Eigenschaft andere, möglicherweise positive Eigenschaften überschatten. Diese Voreingenommenheit ist der Grund dafür, dass attraktive Menschen eher als vertrauenswürdig eingestuft werden.
Präventionsstrategie mehrere Leistungsdimensionen: Die Leistungsbewertung sollte anhand mehrerer Leistungsdimensionen erfolgen, statt zu viel Spielraum für Interpretationen zu lassen. Wird bei der Beurteilung der Leistung außer Acht gelassen, dass diese auch zum Erfolg anderer beiträgt? Verfügt die betreffende Person nicht zufällig über besonders gefragte technische Fähigkeiten, wird jedoch mit ihrer Arbeit nicht rechtzeitig fertig? Um ein ganzheitliches Bild zu erhalten, sollten mindestens zwei bis drei verschiedene Leistungsaspekte bewertet werden.

3. Das Mittelmaß als Maß aller Dinge
Gemeint ist damit der Hang bei Personalbeurteilungen, Bewertungen in der Mitte der Skala zu verwenden. Eine gewisse Mäßigung bei der Bewertung ist in vielen Fällen sicher angebracht. In Situationen, in denen viel auf dem Spiel steht, sollten Manager allerdings durchaus einen klaren Standpunkt einnehmen, damit die Bewertung entsprechend aussagekräftig ist. Erhalten alle die gleiche oder eine ähnliche Bewertung, dann ist es schwierig, die leistungsschwachen Mitarbeiter von den leistungsstärksten zu unterscheiden. Auf einer Skala von eins bis fünf bedeutet dies, dass die meisten mit einer Drei bewertet werden, da Manager es gerne vermeiden, extreme Beurteilungen für ihre Teammitglieder abzugeben.
Präventionsstrategie neue Skaleneinteilung: Diese Verzerrung lässt sich durch einen flexiblen Ansatz bei der Gestaltung der Skalen überwinden. Die einfachste Möglichkeit besteht darin, die neutrale Option aus der Bewertungsskala zu streichen: eine 5-Punkte-Skala wird zu einer 4-Punkte-Skala.

4. Zu viel Nachsicht
Lassen Führungskräfte zu viel Nachsicht walten, dann fallen Bewertungen positiv aus, obwohl sie Mitarbeiter mit erheblichem Verbesserungspotenzial haben. Denn zur Wahrheit gehört, dass einige Mitarbeiter bessere Leistungen erbringen als andere. Auch diese Art der Voreingenommenheit kann die tatsächliche Datenlage verfälschen. Wer hat sich tatsächlich eine Beförderung oder Gehaltserhöhung verdient? Eine zu nachsichtige Bewertung kann dazu führen, dass sich Spitzenkräfte unzufrieden fühlen.
Präventionsstrategie differenzierte Bewertungsskala: Statt »überdurchschnittlich« als bestmögliche Bewertung festzulegen, sollte eine Bewertungsskala verwendet werden, die die Art und Weise widerspiegelt, wie Menschen tatsächlich über ihre Teammitglieder sprechen und denken. Um eine breitere Streuung zu erzielen, mit der Spitzenkräfte besser identifiziert werden können, sollte diese auch in die Bewertung eingebaut werden. So lässt sich z. B. eine Skala verwenden, bei der die höchste Bewertung »überdurchschnittlich« ist. Wenn Führungskräfte aber mehr Beurteilungsoptionen erhalten sollen, um herausragende Leistungen zu erkennen, dann könnte die Skala entsprechend angepasst werden: Eine überdurchschnittliche Performance wird als mittlere Bewertung und Spit­zenleistungen als Top-Performance dargestellt.

5. Ähnlichkeit mit dem eigenen Ich
Menschen neigen dazu, andere Menschen mit ähnlichen Interessen, Fähigkeiten und Hintergründen zu mögen und damit auch besser zu bewerten. Das macht nicht nur die Leistungsbeurteilung schwierig, sondern kann auch Auswirkungen auf die Vielfalt im Unternehmen haben.
Präventionsstrategie erst Kriterien festlegen: Die Auswirkungen dieser Art der Voreingenommenheit kann verringert werden, indem im Vorfeld bereits drei spezielle Kriterien festgelegt werden, die Bewerber mitbringen sollten. Diese Vorgehensweise verringert die Wahrscheinlichkeit, sich bei der Beurteilung auf Stereotype zu stützen.

6. Über- oder Unterbewertung von Eigenschaften, über die man selbst nicht verfügt
Diese Fehler bei der Beurteilung treten auf, wenn Manager Fähigkeiten, die sie nicht gut beherrschen, hoch einschätzen. Umgekehrt kommt es vor, dass sie jene Fähigkeiten anderer, die sie selbst gut beherrschen, schlechter bewerten. Mit anderen Worten: Manager gewichten ihre Leistungsbewertungen nach ihren eigenen persönlichen Eigenheiten.
Präventionsstrategie Klarheit schaffen: Es fällt Menschen nicht leicht, andere in Bezug auf Dinge wie »strategisches Denken« zu bewerten. Leichter fällt es ihnen aber, ihre eigenen Ansichten zu bewerten. Deshalb sollten Leistungsfragen so formuliert werden, dass sie die tatsächlichen Entscheidungen und Absichten des Teams widerspiegeln.

7. Bestätigungsfehler
Damit ist die Tendenz gemeint, neue Informationen zu suchen oder sie so zu interpretieren, dass sie die bereits bestehenden eigenen Überzeugungen bestätigen. Diese Art der Voreingenommenheit ist der im ersten Punkt genannten sehr ähnlich, kann aber noch viel tiefer gehen. Sie macht es Menschen einfacher, anderen Menschen zu glauben, die in Bezug auf bestimmte Fakten, Überzeugungen oder Haltungen mit ihnen übereinstimmen. Menschen, die anderer Meinung sind als man selbst, steht man hingegen eher skeptisch gegenüber.
Präventionsstrategie wissenschaftlicher Ansatz: Solche Bestätigungsfehler können durch eine wissenschaftsbasierte Denkweise vermieden werden. Stellen Forscher Fragen, dann versuchen sie, ihre Hypothesen so zu formulieren, dass diese ihre anfänglichen Überzeugungen eher widerlegen als bestätigen. Konkret heißt das, bewusst nach Beweisen dafür zu suchen, dass jemand das Gegenteil oder zumindest anders ist, als das, was vermutet wird. Dafür kann das Feedback einer anderen Person z. B. sehr wertvoll sein, gerade dann, wenn es den eigenen Überzeugungen widerspricht.

8. Geschlechtsspezifische Vorurteile
Menschen neigen dazu, sich bei der Beurteilung von Frauen mehr auf deren Persönlichkeit und Einstellungen zu konzentrieren. Bei Männern hingegen liegt der Fokus auf dem Verhalten und der Leistung. So erhalten weibliche Mitarbeiter bei der Beurteilung (durch Kollegen) fast 1,4-mal häufiger Formulierungen, die sich auf ihre Persönlichkeit beziehen, während sich das Verhältnis von Leistung und Persönlichkeit bei der Beurteilung von Männern in etwa die Waage hält.
Präventionsstrategie Fokus auf arbeitsbezogene Kriterien: Um geschlechterspezifische Vorurteile zu vermeiden, hilft es, Führungskräfte dazu anzuregen, gezielt über Situationen, Verhaltensweisen und Auswirkungen zu sprechen und nicht über Persönlichkeit oder Stil. Mit der Festlegung konkreter Kriterien kann zudem gegen unstrukturiertes Feedback vorgegangen werden, denn offene/leere Textfelder in Feedback-Formularen laden Führungskräfte dazu ein, im eigenen unbewusst voreingenommenen Sinne zu formulieren.

9. Das Gesetz der kleinen Zahlen
Damit wird die Annahme umschrieben, dass eine kleine Stichprobe den Eigenschaften der Gesamtheit entspricht. So werden Mitarbeiter, die in einem Team von Spitzenkräften mit »überdurchschnittlich gut« bewertet werden, ganz besonders herausragend sein. Andere, etwas schwächere Teammitglieder hingegen werden im Vergleich als gut bewertet werden, obgleich sie verglichen mit allen Mitarbeitern im Unternehmen immer noch zu den Besten zählen. Die Verzerrung entsteht durch die Betrachtung einer kleinen Stichprobe: Das gesamte Spitzenteam wird bei einem unternehmensweiten Vergleich als »nur durchschnittlich« abschneiden, obwohl dort eigentlich Top-Talente arbeiten.
Präventionsstrategie einheitliche Bewertung: Kalibrierungsrunden können hier Abhilfe schaffen. Hierbei wird die Bewertung der Leistung ganzheitlich betrachtet, sodass die Talente einheitlich bewertet werden.. Die Definition von »überdurchschnittlich« sollte z. B. klar festgelegt sein und unternehmensweit übereinstimmen. So wird sichergestellt, dass die Mitarbeiter im Unternehmen dieselbe Sprache sprechen und dieselbe Nomenklatur verwenden, wenn sie Leistungsbewertungen vornehmen.

Vorurteile überwinden

Menschen sind nicht besonders gut darin, eigene Vorurteile bzw. Verzerrungen zu erkennen. Untersuchungen zeigen, je höher der Bedarf für Unterstützung hier ist, umso schwieriger ist es, dies tatsächlich zu erkennen. Menschen unterschätzen ihre eigene Voreingenommenheit und je stärker jemand voreingenommenen ist, umso höher wird sie unterschätzt. Ein erster wichtiger Schritt ist es deshalb, sich selbst mit neutralen Methoden auf den Prüfstand zu stellen. Eine Möglichkeit bietet der öffentlich zugängliche »Implizite Assoziationstest«, ein von Forschern entwickeltes Messverfahren aus der Sozialpsychologie. Anwender fühlen sich bei dessen Durchführung möglicherweise nicht gut bewertet oder sind mit den Ergebnissen nicht einverstanden. Die Wahrscheinlichkeit jedoch ist sehr hoch, dass dies an bestehenden Vorurteilen liegt.
Darauf folgt der zweite Schritt: die Erkenntnis, dass man auch als Führungskraft Grenzen hat, was die objektive Einschätzung von Personen und Zusammenhängen betrifft. Die Tatsache, dass man sich der eigenen Voreingenommenheit bewusst ist, heißt noch lange nicht, dass man sie überwunden hat. Das bedeutet nicht, dass Vorurteile ignoriert oder ihnen nachgegeben werden sollte. Vielmehr müssen Systeme, Prozesse, Verfahren und Technologien etabliert werden, die es ermöglichen, bessere Entscheidungen zu treffen. Unvoreingenommenheit ist ein Schlüssel dafür.

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Gastautor
Arne Sjöström
ist Senior People
Scientist EMEA bei Culture Amp.
www.cultureamp.com