Mut zur Lücke

Sinnvoll genutzte Pausen als Höhepunkte im ­Lebenslauf ­versus fein geschliffene Berufsbiografien

Ihr Lebenslauf liest sich lückenlos. Selbst die Geburten ihrer Kinder reihen sich nahtlos in die Berufstätigkeit ein, nach dem gesetzlichen Mutterschutz ging es sofort in Teilzeit wieder ins Büro. Längere Reisen fanden – wenn überhaupt – während der Ferienzeit statt, Weiterbildungen besuchte sie stets parallel zur beruflichen Tätigkeit und deren Inhalte wurden selbstverständlich strategisch in Hinblick auf den nächsten Karriereschritt ausgewählt, Auslandsaufenthalte wurden als Push für den Berufseinstieg geplant. Private Projekte mussten zu Tagesrandzeiten Platz finden. Lücken? Keine!

Für Recruitingverantwortliche eine Traumkandidatin. Nichts, was man verschleiern oder erklären muss, mühsam ergänzen oder argumentativ begleiten. Personalberater wie unternehmensinterne Recruiter stehen stets unter dem Druck, Kandidaten den internen wie externen Kunden »verkaufen« zu müssen. Eine Lücke – also etwas Unvorhandenes, Unvollständiges – lässt sich schlecht präsentieren. Wenn Mindeststudienzeiten, Mehrfachabschlüsse, in- und ausländische Praktika und diverse Zusatzqualifikationen bereits Standard sind und solange der Markt ausreichend »lückenlose Kandidaten« produziert, muss es schon sehr gute Gründe geben, dass Bewerber, deren Lebensläufe nicht derart rund sind, letztlich auf die Shortlist kommen.

In meiner Funktion als Fachbereichsleiterin an der FHWien der WKW darf ich jedes Jahr einige Dutzend Bewerbungsgespräche mit Studienplatzanwärtern führen. Auch hier zeigt sich, dass jungen Menschen ihr Jahr »auf der schottischen Farm« oder »im botswanischen Waisenhaus« tendenziell unangenehm ist. Die neue Individualität und die einzigartige Biografie, die sie sich mit diesen Auslandserfahrungen geschaffen haben, können nur wenige selbstbewusst vertreten. Noch mehr »Bewerbungsgesprächs-Make-up« brauchte es – zumindest bislang –, wenn mehrfach die Studienrichtung gewechselt wurde, wenn man sich also nicht bereits im Sommer nach der Matura auf ein Studium, auf einen Karriereweg festlegen konnte oder wollte.

Der Trend könnte unter Umständen in eine etwas andere Richtung weisen. So fand die Ökonomin Dorothea Kübler in einer Studie der TU Berlin heraus*, dass Lebenslauflücken in Bewerbungsverfahren von Personalisten nicht unbedingt negativ bewertet wurden, mit der Einschränkung, dass diese sinnvoll genutzt gewesen sein sollten.

Selbstbewusste Präsentation
der Lücke ist gefordert

Aber ist es überhaupt nachhaltig, direkt nach Schulabschluss die Weichen für sein gesamtes Berufsleben zu stellen? Fehlt in diesem Alter nicht noch der Blick über den Tellerrand, um sich seiner eigenen Stärken, Schwächen und Interessen überhaupt erst bewusst werden zu können? Sind es die Lehrer oder die Eltern, die schon frühzeitig einen solchen Druck ausüben oder ist es doch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen? Jedenfalls scheint schon bei jungen Menschen die Angst groß, den an sie gestellten Erwartungen nicht zu entsprechen.

Man muss sich fragen, ob diese (zukünftigen) Mitarbeiter in weiterer Folge nicht feststellen, dass sie zu Gunsten der Karriereambition auf Wesentliches vergessen haben: eine Interrailreise nach der Schule, ein, zwei, drei Semester Orientierungsphase an der Universität, eine Weltreise mit dem Partner oder der Partnerin, eine Auszeit vom Job zur Einschulungsbegleitung des Jüngsten und so weiter und so fort. Freiheitsbedürfnisse, die man sich häufig nicht zu artikulieren traut, weil sie gesellschaftlich und unternehmerisch als erfolgs- und karrierehemmend kommuniziert werden. Auch Menschen, die eine schwere Krankheit und dementsprechend langwierige Therapie hinter sich haben, finden nur schwer wieder ins Berufsleben. Zu groß ist die Angst, dass die Krankheit doch nicht ausgeheilt ist oder sich hemmend auf die Performancemöglichkeiten des Kandidaten auswirkt. Dabei beweisen Menschen, die auf ihre Wünsche hören oder eine psychische wie physische Krise überwunden haben, Stärke, Disziplin und Widerstandsfähigkeit– Eigenschaften, die auch für Organisationen wichtig sind.

Selbstverständlich ist es aber nicht nur den Recruitern bzw. Unternehmen anzukreiden, dass Lücken nicht als positiv wahrgenommen werden. Auch die Bewerber müssen sich in die Perspektive der Recruiter und Führungskräfte hineinversetzen. Es gilt, etwaige Lücken nicht zu kaschieren, sondern positiv und realistisch einzuschätzen und zu beschreiben.
Bewerber müssen erklären können, was die Lear­nings aus ihrer Auszeit waren und wie der Arbeitgeber davon profitieren kann. Wichtig ist hierbei Ehrlichkeit und ein positiver persönlicher Zugang. Die Kandidaten müssen zu den »Lücken« stehen und das Wertvolle, das sie aus dieser Zeit mitnehmen, auch darzustellen in der Lage sein.

Auszeiten und Sabbaticals als
Innovations-/Inspirationsquelle

Sieht man als Unternehmen einmal von der klassischen Führungslaufbahn ab und konzentriert sich stärker auf kompetenzbasierte Modelle, wird man erkennen, dass speziell persönliche, soziale und interkulturelle Fähigkeiten häufig nicht im beruflichen Kontext aufgebaut, sondern in jobfremden Kontexten erworben werden. Ob Erdbeerernte in Italien, Back­packing in Südostasien, Tangokurs in Buenos Aires, Flüchtlingshilfe in Griechenland – hier wird die Persönlichkeit in einer authentischen Form weiterentwickelt, die keine Personalentwicklungs-Maßnahme jemals leisten wird können. Die »Lücke« schafft Raum für Wachstum und für Neues.

Grundsätzlich haben Wirtschaft und Gesetzgebung den Bedarf bereits erkannt und unterstützen rechtlich und durch entsprechende Rahmenbedingungen geplante berufliche Auszeiten wie Sabbaticals und Bildungskarenzen. Die Gründe für Sabbaticals sind zahlreich: die immer verabsäumte Weltreise, Burn-out-Prävention oder auch um schwierige familiäre Situationen zu meistern. Bildungskarenzen werden zur Weiterentwicklung, aber immer wieder auch für Neu-Orientierungen genutzt. Teilweise auch mit der Konsequenz, dass Mitarbeiter nicht mehr in ihre alte Position zurückkehren. Aus den Gesprächen, die ich immer wieder mit HR-Verantwortlichen führen darf, lässt sich schließen, dass à la longue aber die positiven Effekte dieser Maßnahmen überwiegen.

Sabbatical Leave sign with beach background

Fazit

Wenn man »Lücke im Lebenslauf« googelt, finden sich unzählige Tipps, wie Unklarheiten gegenüber potenziellen Arbeitgebern vermieden und optimal gerechtfertigt werden können. Vermeintliche Untätigkeit gilt es demnach mittels Selbststudium, Ehrenämtern, Sprachreisen und so weiter zu kaschieren. Ein Mitarbeiter, der eine Auszeit brauchte, um Orientierung zu finden, der einmal ohne berufliche Ambitionen kreativ sein oder einfach nur eine Zeit der Muße auskosten wollte, der unter Umständen Kinder oder Angehörige pflegen und daher auf Berufstätigkeit verzichten musste oder der schlicht und einfach seinen Job verloren hat, passt nicht in unsere »Wir funktionieren«-Kultur.

Organisationen sollten sich fragen, ob sie – überspitzt formuliert – den geklonten High-Performer möchten; oder ob sie nicht mit Mitarbeitern, die bereits über den Tellerrand geschaut haben, nachhaltiger erfolgreich sind. Lücken im Lebenslauf haben Potenzial, das sollte sowohl den Personalisten als auch den Bewerbern bewusst sein. Daher – kein Muss, aber ein Mut zur Lücke!

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Gastautorin Anja Lasofsky-Blahut
ist Bereichsleiterin
Personalmanagement
am Institut für Personal und Organisation, FHWien der WKW.
anja.lasofsky-blahut@­fh-wien.ac.at