Ohne Konflikte keine Beziehung

Wie HR und Unternehmen vom radikal menschlichen Streit profitieren können.

Was wäre das für eine Welt, in der es immer nur DIE korrekte Meinung gibt? Emotionslos! Ein Streit ist demnach kein Endpunkt einer Diskussion. Im Gegenteil. Es ist der Anfang eines wunderbaren Dialogs. Und den müssen sich Unternehmen viel mehr zu Nutze machen, um Mitarbeiter in Zukunft zu binden.

Ohne den Streit nun zu sehr zu bejubeln. Es soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir erst einmal lernen müssen, so einen auch gelingend zu führen. Ich erlebte reife Erwachsene in Verkaufsgesprächen, die sich mit jedem Wort des Kunden angegriffen fühlten und die nur darauf warteten, zurückzuschießen – das ist kein Streit, das ist nur dumm. Ganz nach dem indischen Zitat: »Nur der Unwissende wird böse, der Weise versteht.« Doch wer nicht streitet, zeigt keine Emotionen. Und ohne Emotionen, keine echte Beziehung.

Ich beobachte aber eine übertriebene Harmoniesucht in Gesprächen, deren Quelle meist in diesen zwei Problemen liegt:

1. Keine Gewinner, keine Verlierer: Den eigenen Standpunkt hinterfragen oder gar verlassen? Die wohl schwerste Übung für machthungrige Mitarbeiter. Recht oder nicht recht, das ist die einzige Frage. Aber eben die falsche. Das Ergebnis sind meist faule Kompromisse, in denen beide Seiten verlieren. Vielmehr braucht es den für die Gruppe förderlichsten nächsten Schritt. Fragen Sie beim nächsten Konflikt: »Um was geht es (Ihnen) hier eigentlich?«

2. Konflikten aus dem Weg gehen: Die Werkzeuge der Trendbegriffe gewaltfreie oder barrierefreie Kommunikation sind wichtig. Doch dieses falsche Harmoniebedürfnis ist auf lange Sicht Gift für jede Beziehung. Man betont zwar, wie wichtig Gefühle in der Kommunikation sind, aber wirklich darüber gesprochen wird nicht. Man geht dem Konflikt lieber aus dem Weg. Wie bei einem Welpen, dem du lange »gut zuredest«, wird er »sein Geschäft« weiter ins Wohnzimmer machen. Wirkliche Veränderung wird mit bloßem »gut Zureden« nicht erreicht werden.

Der Stärkere gewinnt?

In einer Keynote sagte ich kürzlich: »Weiterentwicklung setzt Konfliktfähigkeit voraus.« Bei diesem Satz lasse ich erst einmal nicht mit mir streiten. Denn Führungskräfte oder Mitarbeiter, die einem Konflikt aus dem Weg gehen, stehen der Weiterentwicklung ihres Unternehmens und sich selbst im Weg. Das gilt auch für Machtbesessenheit oder der Verherrlichung des eigenen Wissens. Also für jene, die sich gerne reden hören.

Mitarbeiter führen damit nur noch Gespräche, um Informationen auszutauschen, den sozialen Status im Unternehmen abzusichern und im besten Fall in der Karriereleiter einmal hochzukommen. Doch das ist nicht der Sinn einer gelungenen Kommunikationskultur. Daraus entstehen Einheitsbrei und Ja-Sager. Die rhetorisch Stärkeren setzen sich dabei wieder durch. »Gegen den kann ich nicht an, der kann besser reden«, höre ich Mitarbeiter wieder jammern.

Auf neue Gedanken bringen

Nun kann es vollkommen ausreichend sein, wie im Unternehmen aktuell miteinander gesprochen wird. Die Welt dreht sich weiter. Doch wir wollen Persönlichkeiten wachsen sehen. Deshalb ist es in der Regel ziemlich sinnbefreit, ÜBER Konflikte zu reden. Vielmehr sollten wir konstruktiv zu streiten beginnen und das Gegenüber auf neue Gedanken bringen. Ein einfacher Satz kann hier helfen:
»Ich will nicht wissen, wer recht hat, ich will wissen, was nun zu tun ist, um gemeinsam weitermachen zu können!«
Eine Frage, die positive Emotion und Zuversicht zeigt. Zwei Eigenschaften, die sich Mitarbeiter in der Kommunikation heute sehnlichst wünschen.

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Jürgen Eisserer
ist Keynote Speaker, Autor und Kommuni­kationstrainer.
www.eisserer.com