Selbstorganisiertes Lernen

Das Konzept des Selbstorganisierten Lernens umfasst mehr als E-Learning-Plattformen mit individuellen Lernstrecken.

Selbstorganisiertes Lernen ist der Fachbegriff für einen sehr offenen Lernprozess. Lernende legen selbst ihre Lernziele (im Abgleich mit den Unternehmenszielen) fest, ebenso wie ihre Lernmethoden und die Art und Weise der Lernkontrolle. Sie bestimmen folglich selbst die Organisation ihres Lernens. Kein leichtes Unterfangen, wenn Mitarbeiter über viele (Schul-)Jahre hinweg durch ein so genanntes Lehrerorganisiertes Lernen geprägt wurden: Lehrziele wurden vorgegeben, Lösungswege meist ebenso von der unterrichtenden Person entwickelt und mit Lernenden zusammen erarbeitet. Dieses linear-kausale Geschehen – die lehrende Person schreibt z. B. vor, Lernende übernehmen es in ihre Notizen und man hofft, durch das Abschreiben gelingt die Übernahme zum Gehirn – wird in selbstorganisierten Lernsettings aufgebrochen, da das Lernen als komplex vernetzter und konstruierender Vorgang verstanden wird. Selbstorganisationales Lernen erfordert neue Rahmenbedingungen und v. a. auch eine neue Haltung des »Loslassens und Vertrauens« im Training.

Voraussetzung in Organisationen

Es gibt viele Vorteile bzw. Visionen seitens Unternehmen, die für Selbstorganisiertes Lernen in Organisationen sprechen. Unternehmen erhoffen sich, dass neu Erlerntes sich noch mehr im Handeln niederschlägt, als dies bei angeleiteten Trainings erfolgt. Sie erhoffen sich ein Lernfeuer zu entfachen, eine Veränderung der Lernkultur, eventuell mehr Wissen in kürzerer Zeit oder Mitarbeitende, die Veränderungen aktiv mitgestalten.

Um eine Lernumgebung zu gestalten, die Selbstorganisiertes Lernen ermöglicht, gilt es nach Herold & Herold (2017) acht Grundprinzipien zu verfolgen. Es werden auch einige Maßnahmen beispielhaft genannt, die die Umsetzung der Prinzipien in Organisationen ermöglichen.
1. Verantwortung fördern: Lernende müssen darin gefördert werden, Verantwortung für das eigene Handeln (die Gestaltung ihrer Lernprozesse) und dessen Folgen zu übernehmen. In einem Unternehmenssetting bedeutet dies, eine offene Fehlerkultur zu leben und für Führungskräfte, Vertrauen zu signalisieren, wann immer Mitarbeitende eigene Lernprozesse starten.

2. Reflexionsfähigkeit fördern: Lernenden muss ermöglicht werden, ihre eigenen Lernprozesse »von außen« zu betrachten, um diese weiterzuentwickeln, zu optimieren. Auch ein Team profitiert von Mitgliedern, die ihr eigenes Handeln reflektieren können. Feedbackrunden und Retrospektiven können hierbei unterstützen.

3. Kooperation ermöglichen: Eine Perspektivenverschränkung durch die Interaktion mit anderen Lernenden ermöglicht es, die eigene Sichtweise zu erweitern und um andere Perspektiven zu ergänzen. Dies gelingt z. B. durch den Einsatz von Lerntandems oder Lernpartnerschaften.

4. Individuelle Verarbeitung ermöglichen: Es braucht genügend Raum und Zeit für die individuelle Beschäftigung mit neu erarbeiteten Inhalten. Damit gelingt es dem Gehirn, Neues mit vorhandenen Erfahrungen und Vorwissen zu verknüpfen.

5. Das Sandwich-Prinzip einhalten: Sinnvolles Lernen findet am besten in einem regelmäßigen Wechsel aus Erarbeitungs- und Verarbeitungsphasen einerseits sowie individueller und kollektiver Arbeitsweise andererseits statt.

6. Orientierung geben: Lernenden gilt es, sowohl eine inhaltliche Orientierung als auch Kompetenzorientierung zu geben. Klar definierte und kompetenzorientierte Lernziele vermitteln Lernenden Sicherheit, indem aufgezeigt wird, wohin es im Lernprozess gehen soll.
7. Erfolge sichtbar machen: Es braucht auch im Lernprozess Erfolgserlebnisse, um zu erkennen, dass sich der Einsatz lohnt. Punktekonten oder begleitende Selbsttests können zielführend sein.

8. Bedürfnisse beachten: Es gilt, Möglichkeiten anzubieten, die unterschiedliche Bedürfnisse wie Ehrgeiz, Eingebundensein und Eigenständigkeit erfüllen. Das gelingt z. B. durch den Einsatz unterschiedlicher Sozialformen.

Herausforderungen für Trainer in einer neuen Rolle

In selbstorganisierten Lern- und Training-Settings schlüpfen Trainer verstärkt in die Rolle des Prozessbegleiters und Coaches. Sie unterstützen die Lernenden, die ihre Lernreise möglichst eigenständig gestalten. Für die praktische Umsetzung bedeutet das, dass sie den Prozess oder die Lernreise (mit-)gestalten und die Lernressourcen bereitstellen. Folglich stehen sie den Lernenden auf ihrer Reise beratend und unterstützend zur Seite, motivieren, spornen an und bieten bei der Lösung von Problemen und Herausforderungen konkrete Unterstützung, mancherorts auch in Form von fachlicher Expertise. Feedback und Bewertung erfolgt (teilweilweise) durch die Trainer oder über digitalisierte Komponenten aus dem Lernmanagementsystem (LMS). All das erfordert Vertrauen in die Lernenden und ihre individuellen Lernprozesse und in die Kraft der handlungsleitenden Lernziele. Die grundlegende Maxime dieses Lernparadigmas lautet: Lernende sind selbst für ihren Lernerfolg und -prozess verantwortlich.

Fazit
Um Selbstorganisiertes Lernen zu erreichen, braucht es eine Haltung des Vertrauens: von Trainern, Führungskräften, Personalentwicklungsverantwortlichen bzw. von Unternehmen im Allgemeinen. Es braucht Vertrauen in die Lernkompetenzen und Selbstorganisationsfähigkeiten der Lernenden sowie eine Lernkultur, die Lernen und offenen Wissensaustausch fördert. Eine zentrale Rolle spielt die Schaffung von Anreizen und Anerkennungssystemen, um Mitarbeitende zu motivieren, selbstverantwortlich zu lernen und Wissen zu teilen.

Literatur
Herold, C. & Herold, M. (2017). Selbstorganisiertes Lernen in Schule und Beruf, Gestaltung wirksamer und nachhaltiger Lernumgebungen. Beltz Verlag

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Schweiger_Christin0222

Gastautor
Christina Schweiger
Head of Study Programs
Human Resources & Organization
www.fh-wien.ac.at

 

Maxl-Studler0220

Gastautor
Sigrid Maxl-Studler
Academic Expert &
Lecturer
www.fh-wien.ac.at