Talente finden und entwickeln

Psychologische Tests eignen sich hervorragend sowohl für das Recruiting als auch für das Entdecken verborgener Talente und besonderer Fähigkeiten, die sich im Unternehmen sofort einsetzen lassen. TRAiNiNG hat genau darüber mit Experten gesprochen.

Potenzialanalysen werden eingesetzt, um die richtige Person an die richtige Position im Unternehmen zu bringen. Das findet natürlich einerseits im Zuge von Rekrutierungsprozessen statt, selbstverständlich auch regelmäßig bei bestehenden Mitarbeitern. Egal ob es sich um eine interne Versetzung handelt oder ob es darum geht, den Mitarbeiter in seiner jetzigen Position größere Verantwortung zu übertragen. Durch valide psychologische Tests ist es möglich, die besonderen Talente einer Person herauszufinden. Und auch die Bereiche, in denen noch Entwicklungspotenziale vorhanden sind. So kann die HR-Abteilung zielgerecht schulen und entwickeln. Auch für den Teilnehmer selbst, der eine Analyse durchführt, bringt diese häufig Aha-Effekte und eröffnet oft neue Persönlichkeitsanteile.

Am Markt gibt es unzählige Anbieter, die ähnliche, teilweise aber auch einander stark unterscheidende Produkte anbieten. TRAiNiNG hat drei Experten interviewt, um mehr über die Vorteile und die konkrete Anwendung von psychologischen Tests für das Talent Management zu erfahren.
Zur besseren Übersichtlichkeit haben wir die Anbieter zunächst gebeten, ihr Produkt vorzustellen.

Tanja Abwa (Geschäftsführerin Scheelen GmbH, Institut für Managementberatung & -Diagnostik): »ASSESS by SCHEELEN misst die überfachlichen Kompetenzen einer Person, wie z. B. Visionskraft, Entscheidungs- und Kommunikationsstärke etc. Die Kompetenz-Potenziale werden auf Basis von 24 Persönlichkeitseigenschaften in den Bereichen Denk-, Arbeits- und Beziehungsstil gemessen, beispielsweise Problemlösungsverhalten, bevorzugte Arbeitsumgebung und Kritikfähigkeit. Zusätzlich bietet ASSESS die Möglichkeit, die Kompetenz-Performance über eine 360-Grad-Analyse zu messen und auch mit einem kurzen Focus 360 Entwicklungserfolge zu evaluieren.«

Dagmar Grafeneder (Beraterin bei KICK OFF Management Consulting GmbH): »Eines unserer wichtigsten Tools beim Talent Management ist der ›Wingfinder Test‹. Dieses online basierte Tool analysiert vier Bereiche: Connections (Beziehungen, eigenständiges Arbeiten), Creativity (inkl. Neugierde), Thinking (Intelligenz, fluides IQ), Drive (Ehrgeiz und Motivation). In diesen vier Bereichen werden jeweils 25 Stärken in einem sogenannten Talente-Pass zusammengefasst. Wingfinder fokussiert immer die Stärken des Menschen, geht also von einer ›Stärkung der Stärken aus‹ und gibt ein sehr genaues Bild von den eigenen, besonders ausgeprägten Stärken, enthüllt aber auch deren Überkompensation. Der Wingfinder-Talente-Pass zeigt auf, wie erfolgreich eine Person in ihrer (neuen) Rolle zukünftig sein kann. Der Wingfinder ist absolut kostenlos! Lediglich die passende nachfolgende Fachberatung (wie z. B. Teamworkshop, Einzel-Debriefing etc.) wird verrechnet.«

Ulrike Kriener (HR Consultant und Business Coach Aumaier Consulting | Training) ist Psychologin und arbeitet mit ihren Klienten mit dem ›Wiener Testsystem‹ der Firma Schuhfried GmbH. Kriener: »Alle Tests, die in diesem computerbasierenden Testsystem aufgenommen worden sind, entsprechen den Gütekriterien psychologischer Tests. Als Psychologin ist es mir besonders wichtig, Tests zu verwenden, die den Gütekriterien entsprechen. Darüber hinaus bietet mir das Wiener Testsystem auch die Möglichkeit, einzelne Untertests zu Batterien zusammenzustellen, wodurch ich in der Lage bin, sehr spezifisch darauf einzugehen, welche Eigenschaften, Merkmale oder Talente in der jeweiligen Position gefragt sind.«

Orientierung an konkreter Position

Arbeitgeber wollen durch objektive Tests sichergehen, dass Mitarbeiter alle nötigen Qualifikationen, Fähigkeiten, aber auch Eigenschaften mitbringen, um die entsprechenden zukünftigen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen.
Potenzialanalysen werden im Unternehmen also meist im Hinblick auf eine zukünftige Position angewandt. Sowohl bei der Personalauswahl am freien Arbeitsmarkt, als auch bei internen Besetzungen. Unternehmen müssen es also irgendwie schaffen, die Analyse zielgerichtet auf eine spezifische Stelle anzupassen. Wie ist das möglich?

Ulrike Kriener: »Indem man den Bezug nicht zur Normstichprobe, sondern zu einer idealen Soll-­Anforderung einer Position setzt. Meist sind es bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, oft auch sozial-interaktive Eigenschaften, die man für eine Stelle benötigt und die dafür definiert werden. Zusätzlich wird noch die Ausprägung der Eigenschaft definiert. Beispielsweise ›Offenheit für Neues‹ wird als besonders wichtige Persönlichkeitseigenschaft für eine Stelle definiert und in einer sehr hohen Ausprägung als idealer Soll-Wert erwartet. Der Ist-Wert, also der tatsächliche Testwert einer Person, wird dann mit dem idealen Soll-Wert verglichen.«

Es ist für beide Seiten ein Gewinn, wenn das Ergebnis aufzeigt, dass der entsprechende Kandidat nicht für die Stelle geeignet ist. Denn auf lange Sicht wären sowohl das Unternehmen als auch der Mitarbeiter unzufrieden geworden. Denn nur wer dort eingesetzt wird, wo er sich auskennt und gute Arbeit leisten kann und vor allem will, ist motiviert, engagiert und gelangt in den Flow-Zustand. Das ist der Idealzustand einer Besetzung.

Tanja Abwa: »Mit unserem Tool ASSESS by SCHEELEN ist es möglich, individuelle Kompetenzprofile, abgeleitet aus der Unternehmensvision, den Strategien und Zielen eines Bereichs, zu erstellen. Unternehmen können dabei aus der ASSESS Kompetenzbibliothek auswählen und so das Modell bestmöglich gemäß den spezifischen Anforderungen einer bestimmten Position gestalten. Es ist ebenfalls möglich, bestehende Kompetenzen in die Unternehmenssprache zu übersetzen oder eigene Kompetenzen hinzuzufügen. Somit ist es ein sehr flexibles Tool, das sich perfekt für maßgeschneiderte Lösungen eignet und trotzdem sehr objektiv, valide und reliabel misst.«

Dagmar Grafeneder weiß, dass jeder Test bzw. sein Ergebnis immer nur so gut ist, wie es im Anschluss interpretiert und analysiert wird. Sie sagt dazu: »Jedes Tool braucht unserer Meinung nach im Anschluss ein Debriefing-Gespräch mit einem zertifizierten Coach, in welchem die Testergebnisse schließlich auf eine bestimmte Position im Unternehmen bezogen werden können. Es ist daher wichtig, dass es in Unternehmen zu jeder Funktion ein Kompetenzprofil gibt, welches mit den Testergebnissen in Verbindung gebracht werden kann. Um also das Ergebnis eines Tests für eine bestimmte Position möglichst aussagekräftig zu machen, ist die Professionalität des Debriefers (Coach) von hoher Bedeutung.«

Verborgenes sichtbar machen

Jetzt einmal ganz ehrlich: Wie gut kennen Sie sich wirklich? Kennen Sie alle Ihre Stärken und Schwächen? Wissen Sie immer, wie Sie in unterschiedlichen (Stress-)Situationen reagieren? Fast immer schlummern Anteile in uns, die uns selbst unbekannt sind. Wäre es nicht großartig, wenn psychologische Tests auch diese, uns selbst bzw. den Mitarbeitern unbekannten Persönlichkeitsanteile, sichtbar machen würden? Ist das möglich?

Dagmar Grafeneder: »Ja, das ist tatsächlich mit Wingfinder möglich. Das Einzigartige am Wingfinder-Test ist, dass hier ein Fremdbild gemessen wird. Dadurch werden auch die verborgenen Talente erkennbar. Denn die Testung verläuft adaptiv. Die Muster der Antworten werden mit allen bereits vorhandenen Testantworten (von ca. 800 000 Personen) laufend verglichen und so entwickelt sich die Testung aufgrund der vorhergehenden Antworten laufend weiter. Wingfinder zeigt somit Stärken und Talente in Relation zur Population auf – und das ist einzigartig!«

Gerade bei einem bestehenden Mitarbeiterstamm ist es wichtig, zu erkennen, welche Eigenschaften und persönlichen Merkmale jeder Einzelne mitbringt. Sollte manche Stärken über Jahre nicht erkannt worden sein, kann das einen erheblichen Verlust bringen. Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, für welche Tätigkeitsfelder jemand besonders geeignet ist, und mit welchen Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden jemand gut zurechtkommt. So können Kompetenzen gezielt genutzt werden.

Ulrike Kriener: »Im Persönlichkeitsbereich sind nicht immer alle Stärken oder Talente bewusst. Es gibt Verfahren, bei denen die Werte nicht durch die Beantwortung von Fragen, sondern durch die Bearbeitung von Aufgaben erhoben werden. Hier kommt es sehr häufig vor, dass Ergebnisse nicht wie erwartet ausfallen. Beispielsweise könnte man selbst der Meinung sein, man wäre am meisten durch selbst gesteckte Ziele motivierbar und der Test bringt ans Licht, dass Konkurrenz noch stärker motivierend wirkt.«
So erst kann wahre Entwicklung entstehen.

Tanja Abwa: »Viele Menschen sind sich ihrer eigenen Potenziale und Entwicklungsfelder nicht richtig bewusst – dies erfahren wir immer wieder, sowohl im Laufe von Trainings, als auch bei Einzelgesprächen. Unser Tool hilft Menschen dabei, zu erkennen, wie sie an Aufgaben herangehen, welches Arbeitsumfeld für sie geeignet ist und wie gut bzw. gerne sie mit anderen Menschen interagieren. Die Kompetenz-Performance kommt als Feedback vom Umfeld (Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzte, Kunden/Lieferanten). Durch eine zusätzliche Selbsteinschätzung hat man bei dieser Variante eine schöne Gegenüberstellung von Selbstbild und Fremdbild.«

Ergebnis – und danach?

Die Ergebnisse einer computergestützten Persönlichkeitsanalyse liegen im Regelfall sofort nach Beenden des Tests vor. Nicht immer ist es jedoch klug, ohne Gespräch mit dem Betroffenen Rückschlüsse zu ziehen. Psychologen und Coaches sind darauf spezialisiert, genau mit solchen Ergebnissen zu arbeiten und konkrete Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und auszusprechen.

Tanja Abwa: »Damit unsere Analyse langfristig nachwirken kann, empfehlen wir ein persönliches Entwicklungsgespräch auf Basis des Analyseergebnisses. So können die Probanden gezielt Antworten und Lösungen für aktuelle Problemstellungen für sich finden. Workshops oder Trainings helfen dabei, die neuen Erkenntnisse abzusichern und zu üben, damit sie im Alltag schnell abgerufen werden können. Gegebenenfalls ist auch zu überlegen, Mitarbeiter – natürlich auf eigenen Wunsch hin – mit anderen Aufgaben zu betrauen, für die sie besser geeignet sind bzw. mit welchen sie sich wohler fühlen.«

Dagmar Grafeneder: »Die Ergebnisse des Tests sollten unbedingt gemeinsam mit der Führungskraft analysiert werden. Die Fehlerkultur eines Unternehmens ist hierbei für die Umsetzung maßgeblich. Nachdem es sich beim Wingfinder-Ergebnis, wie beschrieben, um ein Fremdbild handelt, sollte besprochen werden, inwieweit dieses mit dem Selbstbild übereinstimmt bzw. auseinanderklafft. Die Haltung sollte sein, die Menschen so zu nehmen, wie sie sein könnten, anstatt wie sie momentan sind. In der Führungsarbeit bedeutet dies die Förderung der Stärken und Talente, anstelle von Fokussierung auf die Schwächen. Jemand, der an seinen Schwächen arbeitet, wird niemals so gut sein wie jemand, der an seinen Talenten arbeitet. Für die Führungskraft bedeutet diese Haltung auch die wichtige Überlegung, an welchem Platz der Mitarbeiter richtig ist, sodass er seine Stärken im größtmöglichen Ausmaß einsetzen kann.«

Entwicklungspotenziale messen

Potenzialanalysen stellen die Ausprägung verschiedener Eigenschaften fest. Doch können sie auch das konkrete und potenzielle Entwicklungspotenzial aufzeigen?
Dagmar Grafeneder: »Unserer Meinung nach sind Entwicklungspotenziale grundsätzlich nicht messbar, da es sich hierbei um weiche Faktoren handelt. Analysetools messen Potenziale über die Definition von Kriterien. Somit ist lediglich überprüfbar, welches Verhalten gezeigt wird, damit ist aber das grundsätzlich vorhandene Potenzial noch immer nicht gemessen worden. Wie viel davon bei einem spezifischen Verhalten eingesetzt wird und wie viel nicht, ist nicht erfassbar. Der Mensch ist keine triviale Maschine, die vollständig rational analysiert und numerisch erfassbar ist.«

Ulrike Kriener: »Durch die Testung erhält man einen Messwert und ein Konfidenzintervall, also eine mögliche Schwankung eines Testwertes beispielsweise auf Grund der Tagesverfassung. Das ist durchaus eine recht präzise Messung. Wenn sich jemand gar nicht in einem Ergebnis wiederfindet, kann man die Testung auch mit einer Parallelform wiederholen. Geschieht dies zeitnah, wird sich, wenn die Messung eins nicht durch Störfaktoren verfälscht war, am Ergebnis wenig ändern (evtl. geringe Verschiebung innerhalb des Konfidenzintervalls). Gemessen wird grundsätzlich immer der derzeitige Ist-Wert und nicht das Entwicklungspotenzial.«

Fazit
Korrekt angewandt, können die richtigen Tools sowohl für Unternehmen als auch für Mitarbeiter einen Mehrwert darstellen. Die Kosten pro Mitarbeiter sind überschaubar und können vor hohen Fehlbesetzungen schützen. Es lohnt sich, besonders bei höheren Positionen die Ergebnisse mit einem Coach zu besprechen.

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