Vertrauensurlaub und -arbeitszeit

Berater lassen in letzter Zeit mit »kreativen Ideen« aufhorchen, die Erleichterung im engmaschig regulierten Arbeitsrecht verschaffen sollen. Dabei ist höchste Vorsicht geboten.

In letzter Zeit wurde ich gehäuft von Mandanten und Seminarteilnehmern bei arbeitsrechtlichen Fachseminaren darauf angesprochen, dass geplant sei, »Vertrauensarbeitszeit« einzuführen. Damit ist ein Modell angesprochen, wonach einerseits eine möglichst freie Zeiteinteilung des Arbeitnehmers gewährleistet werden soll und andererseits der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Arbeitszeiten verzichtet. Ein ähnlicher, mir anders als die Vertrauensarbeitszeit bislang völlig neuer Vorschlag, den offenbar einige Führungskräfte aus einem Seminar eines bekannten Unternehmensberaters mitnahmen: »Schaffen wir den Urlaub ab!« Auf meine Nachfrage, was damit gemeint sei, konnten die wenigsten sehr konkrete Gestaltungen nennen. In etwa kam dabei Folgendes heraus: Arbeitnehmer könnten während des laufenden Jahres zu beliebigen Zeiten auf Urlaub gehen und müssten dazu keine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber treffen. Die konkrete Lage des Urlaubs würde nicht aufgezeichnet, am Ende des Jahres gelte er aber jedenfalls als verbraucht (offenbar unabhängig davon, ob und wie viel tatsächlich konsumiert wurde). Dieses Modell ist mit der »Vertrauensarbeitszeit« logisch verknüpft. Denn nur, wenn auch die Arbeitszeit nicht aufgezeichnet wird, kann eine (längere) Abwesenheit des Arbeitnehmers, die sonst im System als »Urlaub« hinterlegt wird, ebenfalls nicht aufgezeichnet werden. Wäre es anders, käme es sonst zu massiven Fehlzeiten. Konsequent wäre es in diesem Modell, auch Krankenstände gar nicht mehr zu erfassen, sondern das Entgelt einfach immer fortzuzahlen. Diesen Vorschlag habe ich freilich noch nicht gehört, wiewohl die Gebietskrankenkassen sicher begeistert wären, kein Krankengeld wegen Auslaufens des Entgeltfortzahlungsanspruchs mehr leisten zu müssen.

Natürlich klingt es verlockend, den bürokratischen Aufwand für Zeit- und Urlaubserfassung einfach hinter sich zu lassen und sich auf das zu konzentrieren, womit die jeweiligen Unternehmen eben ihr Geld verdienen. Für nicht konsumierten Urlaub und auch für nicht abgegoltene Zeitguthaben kommt hinzu, dass dafür Rückstellungen zu bilden sind. Schon in mittelgroßen Unternehmen können solche Rückstellungen ziemlich schnell ziemlich groß werden, wenn – wie in Österreich üblich – der Jahresurlaub der letzten zwei Jahre noch fast zur Gänze in den Büchern steht. Das oben skizzierte Modell des abgeschafften Urlaubs (besser der abgeschafften Urlaubsvereinbarung und -aufzeichnung) soll wohl auch dem entgegenwirken. Die Frage ist: Funktioniert dieses System rechtlich wirklich?

Vertrauensurlaub funktioniert nicht

Jeder Arbeitnehmer hat in Österreich zumindest Anspruch auf fünf Wochen bezahlten Urlaub pro Urlaubsjahr. Die Lage des Urlaubs ist nach der gesetzlichen Regelung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer »unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebes und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu vereinbaren.« Der Urlaub soll auch möglichst in dem Jahr, in dem er angefallen ist, verbraucht werden. Nicht verbrauchter Urlaub verfällt aber effektiv erst nach drei Jahren, kürzere Verfallsfristen sind unzulässig.

»Abschaffen« lässt sich der Urlaubsanspruch daher zunächst einmal nicht. Aber auch die oben skizzierte »Verbrauchsfiktion« oder der »Vertrauensurlaub« birgt m. E. erhebliche Risiken. Der Arbeitnehmer kann – z. B. bei Ausscheiden – den gesamten offenen (nicht verfallenen) Urlaub einfordern und sich auf den Standpunkt stellen, dass eine wirksame Vereinbarung über den Verbrauch nicht zustande gekommen ist. Die ständige Rechtsprechung lehnt nämlich ein einseitiges Gestaltungsrecht des Arbeitnehmers über den Urlaubsantritt ab und verlangt den Abschluss einer (konkreten) Verbrauchsvereinbarung. Zwar hatten sich die Gerichte soweit überblickbar mit »Vertrauensurlaub« noch nicht zu befassen. Das Szenario, das in erster Instanz beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht ablaufen würde, wäre aber in etwa wie folgt: Der Arbeitnehmer klagt den nicht verbrauchten Urlaub ein; der Arbeitgeber muss dann durch den Nachweis konkreter (auch mündlicher) Urlaubsvereinbarungen nachweisen, dass der Urlaub tatsächlich verbraucht wurde. Der Nachweis der bloßen Abwesenheit wird dazu nicht genügen. Das dürfte dem Arbeitgeber einigermaßen schwerfallen. Zwar könnte er einwenden, dass der Arbeitnehmer dem Modell zugestimmt habe und vielleicht auch eine diesbezügliche schriftliche Rahmen-Vereinbarung vorlegen. Der Nachweis, an welchen konkreten Tagen der Arbeitnehmer tatsächlich Urlaub konsumiert hat, gelingt so aber nicht.

Im Ergebnis heißt das aber, dass ein hohes Risiko besteht, dass Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis den gesamten, nicht verfallenen Urlaub nachfordern können. Das muss natürlich auch für die Rückstellungsfrage entsprechend bewertet werden.

Vertrauensarbeitszeit:
Flächendeckendes Modell?

Dieses Modell funktioniert nur bei leitenden Angestellten, auf die das AZG/ARG nicht anzuwenden sind, also einem relativ kleinen Anteil der Gesamtbelegschaft. Für dem AZG unterliegende Arbeitnehmer wurde es bislang als unzulässig abgelehnt, weil zumindest jenen Arbeitnehmern, die dem AZG unterliegen, zwar eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zum Beispiel im Rahmen einer Gleitzeitvereinbarung übertragen werden kann. Aufzeichnungen waren aber bisher stets zu führen. Dass die Vertrauensarbeitszeit jetzt ein »Revival« erleben soll, ist wohl auf die Änderung im AZG, die zum 1. Mai 2015 in Kraft trat (ASRÄG 2014), zurückzuführen. Auch in der geltenden Fassung enthält das AZG aber keinen völligen Entfall von Aufzeichnungspflichten. Grundsätzlich sind über die geleisteten Arbeitsstunden Aufzeichnungen vom Arbeitgeber zu führen. Die Aufzeichnungspflicht kann zwar auf den Arbeitnehmer übertragen werden; auch dann hat aber der Arbeitgeber regelmäßig die Aufzeichnungen zu überprüfen. Mit dem ASRÄG 2014 kamen zwei Erleichterungen:

Arbeitnehmer, die die Lage ihrer Arbeitszeit und ihren Arbeitsort weitgehend selbst bestimmen können oder ihre Tätigkeit überwiegend in ihrer Wohnung ausüben, müssen ausschließlich Aufzeichnungen über die Dauer der Tagesarbeitszeit, nicht aber die konkrete Lage führen.

Bei Arbeitnehmern, die eine schriftlich festgehaltene fixe Arbeitszeiteinteilung haben, muss vom Arbeitgeber am Ende des Monats nur noch schriftlich bestätigt werden, dass diese fixe Arbeitszeiteinteilung auch eingehalten wurde.

Beides entspricht nicht dem Modell von Vertrauensarbeitszeit: Die wenigsten Arbeitgeber sind bislang bereit, ihre Mitarbeiter überwiegend im Homeoffice tätig werden zu lassen. Selbst wenn, müssen jedenfalls Saldenaufzeichnungen geführt werden. Fixe Arbeitszeiteinteilungen wiederum, die – samt Abweichungen – am Ende des Monats bestätigt werden müssen, begründen das Gegenteil von Flexibilität. Die Kombination von Gleitzeit und dem Entfall von Arbeitszeitaufzeichnungen ist damit nach dem AZG schlicht unzulässig.

Wenn also Berater ein solches Modell nahe legen, sollte ein sehr kritischer Blick darauf erfolgen, für welche Arbeitnehmer dies überhaupt umsetzbar ist. Die Verwaltungsstrafen nach dem AZG sind mittlerweile nicht nur bloße Theorie, sondern werden einerseits von den Arbeitsinspektoraten durchgesetzt, und zwar pro fehlender Aufzeichnung pro Arbeitnehmer. Hinzukommt, dass bei GPLA-Prüfungen gerade im Bereich der Arbeitszeitgestaltung bei den Prüfern viel Fantasie besteht. Fehlt es hier an Aufzeichnungen und/oder einer schriftlichen Vereinbarung beispielsweise zur Gleitzeit, können die Prüfer alle sonstigen Umstände im Unternehmen heranziehen und auf dieser Basis die tatsächliche Arbeitszeit »schätzen«. Ob das Ergebnis für den Arbeitgeber tatsächlich positiver ist, als das, was bei der Erstellung von Aufzeichnungen hervorgekommen wäre, mag jedes Unternehmen für sich beantworten. Garantiert ist, dass der Administrationsaufwand in solchen Fällen höher ist als ohne »Vertrauensarbeitszeit«. 

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Koerber-Risak

Gastautorin Katharina
Körber-Risak

ist Arbeitsrechts-expertin und Rechtsanwältin bei der Kunz Schima Wallentin Rechts-anwälte OG (KSW).

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