Wenn der eine nicht mit dem anderen …

… wird der gesamte Verkaufsprozess schwächeln. Selbst dann, wenn auch nur eine Abteilung nicht voll dabei ist. Um ein Produkt zu verkaufen, bedarf es mehr als nur guter Verkäufer. Im Hintergrund müssen ein ganzes Vertriebsteam und eine gute, verkaufsfördernde PR- und Marketingabteilung stehen. Von Christoph Wirl

So wie die meisten Menschen habe ich einige Versicherungsverträge. Um diese zu aktualisieren und natürlich auch um mir weitere Polizzen zu verkaufen, besucht mich regelmäßig mein Versicherungsvertreter. Ein guter Verkäufer! Sympathisch, kompetent und nicht aufdringlich. Nachdem ich nun übersiedelt war, wollte ich meine (alte) Haushaltsversicherung kündigen und habe das nach erfolgreichem Umzug an die Wiener Städtische gemeldet. Nachdem ich insgesamt 3 E-Mails schreiben musste, kam eine Absage mit der Begründung, dass ich die Polizze vor dem Umzug kündigen hätte müssen. Nun sei es zu spät, und es gehe erst wieder zum nächsten Fälligkeitstermin. Dieser sei im Februar. Gut, dachte ich, zahle ich halt die zwei Monate. Doch, um zur Hauptfälligkeit zu kündigen, hätte ich drei Monate zuvor kündigen müssen, erklärte nun die Versicherung. Also hätte ich bis Februar 2018 zahlen müssen. Das war ärgerlich. Trotz mehrmaliger Versuche, eine Kulanzlösung zu finden, blieb die Wiener Städtische stur. Erst als ich den »Journalisten-Bonus« ausspielte, ging es plötzlich.

Nur wenige Tage später besuchte mich mein Versicherungsvertreter und erzählte mir von einer Risikoversicherung für KMU. Das Produkt gefiel mir, die Konditionen passten. Ich wollte schon unterschreiben – dann erfuhr ich, wer der Anbieter ist: die Wiener Städtische. Ich unterschrieb nicht.

Der Verkäufer erhält keine Provision, trotz guter Beratung. Er kann nichts dafür, dass das Versicherungsunternehmen unflexibel ist. Egal, auf wie vielen Verkaufsseminaren er war, gleichgültig, wie er argumentiert. Hier schafft er es nicht, mir das Produkt zu verkaufen.

Es spielen so viele Komponenten im Vertrieb zusammen und wenn nur eine ›schwächelt‹, schwächelt der ganze Verkaufsprozess. Der direkte Kundenkontakt ist sicher ein wesentlicher Teil, aber eben nur ein Teil davon.

Der Vertrieb ist in einem Unternehmen dafür verantwortlich, die produzierten oder gehandelten Produkte oder Dienstleistungen für den Kunden verfügbar zu machen. Es werden Verkaufsstellen wie lokale Händler gesucht und die Logistik organisiert. Es wird Werbung geschaltet und aktive Pressearbeit betrieben. Und natürlich gibt es Verkäufer, die am Telefon oder persönlich versuchen, das Produkt zu verkaufen.

Verkauf und Vertrieb 2017

Das Versicherungsbeispiel zeigt, dass manche Unternehmen noch nicht im modernen Zeitalter angekommen sind. Gerade Versicherungen, Banken und Telekommunikationsunternehmen arbeiten häufig noch mit einem veralteten Kundenbild. Andere Branchen, so z. B. der Handel oder auch die Reisebranche, können sich schon mehr auf den anspruchsvollen und informierten Kunden einstellen. So werden beispielsweise die Rücknahmebedingungen im Handel gelockert, da der Kunde sonst einfach bei amazon kauft und jederzeit ein Produkt ohne Kosten und Begründung zurückschicken kann. Dennoch muss der Handel noch einiges tun, um gegen den Onlinehandel zu bestehen. Die Verkäuferausbildung ist hier ein großer und wichtiger Punkt. Häufig fehlt es auch noch an den Basics, die vielen Unternehmen Millionen-Umsätze kosten. Nur ein Grüßgott, Bitte-Danke und ein Lächeln vielleicht. Nur? Tatsächlich gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass Sympathie und Freundlichkeit die wichtigsten Punkte im Verkauf sind, neben dem Produkt versteht sich. Bei unsympathischen Verkäufern helfen auch die besten Abschlusstechniken wenig.

Kerstin Wagner-Stieglmayr (VBC-Partnerin) weiß, worauf es im Verkauf ankommt: »Neben fachlicher und verkäuferischer Kompetenz sowie Freundlichkeit ist die wichtigste Eigenschaft im Verkauf Empathie, d. h. der Verkäufer muss sich in den Kunden hineinversetzen und rechtzeitig erkennen, was im Kunden vorgeht, was er wirklich braucht oder will.«

In den nächsten Jahren wird sich der Vertrieb weiter verändern. Der Umgang mit CRM-Systemen wird noch wichtiger werden. Unternehmen werden mehr Daten von ihren Kunden haben und müssen lernen, damit umzugehen. Daten sind das Öl der Zukunft und viele Unternehmen machen jetzt schon alles, um möglichst viel über ihre Kunden zu erfahren. Doch kaum ein Unternehmen kann mit der Datenflut umgehen und sie erfolgreich für den Verkauf nutzen.

Kerstin Wagner-Stieglmayr erklärt die Bedeutung des Vertriebs: »Der Vertrieb muss sich als Motor des Unternehmens sehen und flexibel und rasch kundenorientiert agieren. Daher ist auch der Einsatz von Mobile Devices und Social Media extrem wichtig. Marktkenntnis und das Wissen über aktuelle Trends sind essenziell, da Kunden heutzutage top-informiert sind. Dies ist auch ein wesentlicher Beitrag für die Entstehung von Innovationen im Unternehmen. Erstellung, Umsetzung und konsequentes Monitoring des Vertriebsprogrammes sind die Basis eines funktionierenden Vertriebes.«

Vertrieb und Marketing

Damit der Vertrieb angekurbelt wird, bedarf es auch eines unterstützenden Marketings. Werbung und PR ersetzen niemals den Vertrieb – das ist ein häufiger Irrtum – sie unterstützen den Vertrieb und machen im Idealfall das Verkaufen einfacher.

Helga Steiner (Geschäftsführerin bei STEINER Consulting): »Vertrieb versus Marketing. Ein häufiger Diskussionspunkt in Unternehmen. Erfahrungsgemäß sollten beide Abteilungen ›gleichberechtigt‹ sein, es liegt eine klare Aufgabenverteilung vor, die Entscheidungskompetenzen sind definiert und die Verantwortlichkeiten müssen eindeutig abgegrenzt sein. Das Marketing dem Vertrieb/Verkauf zu unterstellen, bringt langfristig keinen Erfolg. Viele im Vertrieb beschäftigte Verkäufer denken, dass sie auch Top-Marketingfachleute sind. Aber die Realität ist anders. Ich habe seit 25 Jahren mit Vertriebsmitarbeitern und Verkäufern zu tun und ich habe noch keine Person kennengelernt, die auch zeitgleich ein wirklich guter Marketingspezialist ist. Jedoch sehr viele, die es glauben zu sein.«

Immer wieder kommt es zu Rivalitäten zwischen den beiden Abteilungen. Klaus Gattinger beschreibt in einem Artikel im Magazin »brand eins« in der Ausgabe 2/2008 das optimale Verhältnis der beiden Abteilungen: »Wie in einem guten Theater liefert Marketing das Thema, schreibt die Geschichte, baut die passende Kulisse, erstellt die Plakate und interessiert Zuschauer. Der Vertrieb stellt die Schauspieler, die das Stück überzeugend und zur Begeisterung der Zuschauer spielen.«

Kerstin Wagner-Stieglmayr: »Am besten fungiert das Marketing als eigenständige Abteilung im Unternehmen. Eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung – formell in definierten Meetingstrukturen, aber auch informell – zwischen Marketing und Vertrieb ist Voraussetzung. Klarheit hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen zwischen Marketing und Vertrieb ist essenziell. Natürlich ist dies auch eine Frage der Unternehmensgröße. In kleineren Unternehmen werden Marketing und Vertrieb eher in einer Abteilung zusammengefasst sein. Dies resultiert in einem geringeren Abstimmungsaufwand und damit meist in schnelleren Entscheidungen.«

Dem Marketing wird häufig theoretische Arbeit auf Basis von Analysen unterstellt, während der Vertrieb praktisch auf Basis von Kundenkontakten arbeitet. Der Erfolg von Verkäufern ist natürlich schneller und einfacher zu bewerten als der vom Marketing. So stehen Marketing und Vertrieb oft im Wettbewerb um Ressourcen und Budget. Daher empfehlen Experten, regelmäßig für einen Austausch zwischen den beiden Abteilungen zu sorgen. Durch gegenseitiges Verständnis und Transparenz können sie zusammenarbeiten und nicht gegeneinander.

Dirk Kreuter (Deutscher Verkaufstrainer und Autor): »Das Marketing ist ein Dienstleister für den Verkauf und Vertrieb. Das hören Marketingmitarbeiter nicht gerne. Schlussendlich sorgt das Marketing dafür, dass die Marke, das Produkt, das Unternehmen, die Dienstleistung bekannt gemacht werden und somit den Verkauf und Vertrieb den Einstieg in die Neukunden-Akquise leichter machen respektive den bestehenden Kunden eine Kaufbestätigung geben.«

Vom Verkäufer zum Verkaufsleiter

Häufig werden erfolgreiche Verkäufer zur Führungskraft eines Verkaufsteams oder vielleicht sogar zum Verkaufsleiter befördert. Doch der beste Verkäufer ist noch lange keine gute Führungskraft. An eine gute Führungskraft werden andere Anforderungen gestellt als an Verkäufer.

TRAiNiNG hat nachgefragt, was ein Vertriebsleiter in der Praxis tun kann, um den Umsatz anzukurbeln.

Helga Steiner: »Er muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Verkäufer ›marschieren‹ können. Eine eindeutige Verkaufsstrategie inklusive Begleitung bei der Umsetzung, reibungslose Prozesse, kurze schnelle Entscheidungsdistanzen, definierte Reklamationsprozesse, elektronische Ausrüstung am neuesten Stand und vieles mehr sind hier anzuführen. Ganz wichtig finde ich persönlich ausformulierte USPs, die eine Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit am Markt möglich machen. Wischi-Waschi-Formulierungen, die für jedes Unternehmen gelten, haben hier keine Berechtigung.«

Dirk Kreuter: »Wenn Sie Haustiere haben, z. B. Zwergkaninchen, dann müssen Sie Zwergkaninchen artgerecht halten. So wäre es Tierquälerei, ein Tier alleine im Stall sitzen zu lassen. Zwergkaninchen sind Herdentiere, sie benötigen eine artgerechte Haltung. Das lässt sich auch auf Menschen und somit auch auf Verkäufertypen übertragen. Die artgerechte Haltung bei Huntern im Vertrieb sind Incentives, Wettbewerbe, Prämien und Herausforderungen.

Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen ist der Vertriebsleiter oftmals noch selbst aktiv. Auf den Fußball übertragen, wäre das ein Spielertrainer. Spielertrainer gibt es nur in Bezirksligen. Mannschaften, die in der Championsleague spielen, haben keine Spielertrainer sondern Profitrainer. Der falsche Gedanke ist, dass der Vertriebsleiter selber aktiv wird und in die Kundenbetreuung oder -akquise einsteigt. Wenn er seinen Verkauf ankurbeln will, muss er weitere Vertriebsmitarbeiter einstellen und sie artgerecht führen.«

Kerstin Wagner-Stieglmayr hat dazu eine ähnliche Meinung: »Klare Ziele setzen und kommunizieren und dabei die einzelnen Verkäufertypen differenziert behandeln: So benötigen ›High Performer‹ in der Regel ambitioniertere Ziele, deren Übererreichung ebenfalls belohnt wird. Jüngere Mitarbeiter hingegen benötigen realistisch erreichbare Ziele bzw. Trainings und Weiterbildung, um diese auch zu erreichen. Der Verkaufsleiter sollte als Coach agieren, durch positive Beispiele und mit Zahlen führen. Wichtig ist es, Erfolge zu feiern und durch positive Stimmung ein Wir-Gefühl und Motivation in der Mannschaft zu erzeugen. Auch die Weiterbildungsmöglichkeit trägt wesentlich zur Motivation der Verkäufer bei. Aller Erfolg beginnt bei der Rekrutierung der Verkaufsmitarbeiter. Die Auswahl der richtigen Mitarbeiter braucht Zeit und ein klares Bild über das gewünschte Verkäuferprofil – überlegen Sie sich, wer zu Ihrem Unternehmen und zu Ihrem Produkt passt, welche Kompetenzen er mitbringen soll. Und stellen Sie die allerwichtigste Frage: Bringt der Kandidat die richtige Einstellung zum Verkauf mit? Alles andere – auch das Verkaufen an sich – ist erlernbar. Ich persönlich habe junge und talentierte angehende Verkäufer kennengelernt, die aber aufgrund der mangelnden Leistungs- und Einsatzbereitschaft und dem fehlenden Willen letztendlich gescheitert sind.«

Marketing ist komplex, der Erfolg meist nur langfristig spürbar. Nach einem Verkaufsgespräch hingegen weiß man meist sehr rasch, ob das Gespräch erfolgreich war oder nicht.

Dirk Kreuter: »Das Allerwichtigste in einem Verkaufsgespräch ist es, den Kunden zu motivieren, eine Entscheidung zu treffen. Alles andere ist nur Beratung. Keine Vertriebsorganisation lebt jedoch vom Beraten ihrer Kunden. Sie lebt von Abschlüssen, also davon, den Kunden zu einer Kaufentscheidung zu motivieren.«

Helga Steiner: »Ein Verkäufer muss ein Vollblutverkäufer sein, denn wie sagt ein altes Vertriebssprichwort so schön: ›Menschen kaufen Produkte, die sie benötigen, von Menschen, die sie mögen.‹ Verkäufer mit Verkaufstalent zu haben ist das Allerwichtigste im Verkauf. In vielen technischen Branchen werden sehr oft Fachleute, sprich Techniker in der Funktion als Key Account eingesetzt. Die notwendige Kundenorientierung und die kommunikativen (rhetorischen) Fähigkeiten fehlen und die Technik- bzw. Produktverliebtheit rückt in den Fokus. Vermittelte Kompetenz verkauft natürlich auch, aber durch ein gezieltes Informationsmanagement sollte jeder Spezialist in seinem Gebiet bleiben: Verkauf, Marketing, Techniker usw. Das Zusammenspiel aller im Unternehmen schafft den Erfolg.«

Unternehmen leben nicht von dem, was sie produzieren, sondern von dem, was sie verkaufen.

Um das Ziel zu erreichen, müssen alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen und das gemeinsame Ziel haben, dem Kunden das optimale Produkt zum optimalen Preis zu bieten und damit Gewinne zu erzielen.

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