Wenn Matilda Stellen besetzt

Vorbei sind die Zeiten, in denen der Kandidat fast nur auf Grund des sympathischen Auftretens den Job bekam. Bauchentscheidungen haben in den letzten Jahren zu vielen Fehlbesetzungen geführt. Die Personalauswahl zeigt aktuell einen starken Professionalisierungstrend.

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Roboter-Recruiting in Amerika und Asien bereits Standard ist. Aber fest steht, dass es dort regelmäßig praktiziert wird. In Europa derzeit noch weitgehend von den Unternehmen abgelehnt, erfährt es in anderen Kontinenten einen Höhenflug. Es zahlt sich daher aus, sich damit auch hierzulande auseinanderzusetzen. Wir sollten lernen, Algorithmen zu vertrauen. Das sind wir zwar noch nicht so gewohnt, besonders bei persönlichen Dingen wie Jobinterviews. Dennoch gibt es sie schon, die KI-Lösungen (Künstliche Intelligenz), die z. B. Stimme, Mimik, Lebensläufe oder Arbeitszeugnisse automatisch auswerten und dem Recruiter eine Zusammenfassung der Analyse bieten.
Der 2016 in Melbourne/Australien entworfene Recruiting-Roboter »Matilda« arbeitet sich in ca. 30-minütigen Gesprächen durch einen Fragenkatalog bei Bewerbungsgesprächen. Dabei werden nicht nur die Inhalte analysiert, sondern auch die Emotionen, die sich in Mimik und Stimme ausdrücken. Bauchgefühl oder Vorurteile von Menschen gibt es hier nicht. Weitere Infos zu Matilda finden Sie unter https://youtu.be/g6VFJcWmyx4.
Doch nicht nur die neue Technik verändert das Recruiting, auch die Entwicklungen am Arbeitsmarkt schreien nach Veränderung im Recruiting.

TRAiNiNG hat zu diesem brandaktuellen und weit unterschätzten Thema Experten aus dem Recruiting in Österreich befragt:

Wie sieht die Zukunft im Recruiting in Österreich aus?

Rudi Bauer (Chief Evangelist bei StepStone Österreich): »Künftige Entwicklungen im Recruiting werden primär von den Veränderungen am Arbeitsmarkt und den verfügbaren Arbeitskräften bestimmt werden. Klar ist, dass der Fachkräftemangel mittelfristig Unternehmen zwingen wird, neue Zielgruppen zu erschließen. Operativ werden Recruitingprozesse daher noch stärker im digitalen Bereich ablaufen und Content- und Influencerelemente berücksichtigen. Somit werden in Zukunft jene Unternehmen am erfolgreichsten rekrutieren, die mit informativen und beratenden Contentangeboten arbeiten und die eigenen Mitarbeiter in Form von Interviews oder Videos als Mittler zwischen Unternehmen und Kandidaten einbinden. Auch im digitalen Recruiting wird der Ansprache des Kandidaten auf Augenhöhe wesentliche Bedeutung zukommen.«

Thomas Olbrich (Chief Culture Officer (CCO) bei karriere.at) beschreibt die zukünftigen Herausforderungen für Recruiter: »Die Digitalisierung in all ihren Facetten, als große Herausforderung und gleichzeitig Erleichterung in vielen Bereichen, bleibt mit Sicherheit ein beherrschendes Thema. Weiter an Bedeutung gewinnen wird Active Sourcing. Es bindet viele Ressourcen, kann aber mit den entsprechenden Tools äußerst effizient sein. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist auch künftig die Candidate Journey. Damit kann man bei Kandidaten nachhaltig Eindruck hinterlassen. Essenziell: ein wertschätzender und authentischer Umgang auf Augenhöhe. Angesichts der Vielzahl an Unternehmen, die um Bewerber buhlen, ist es das Um und Auf, mit Alleinstellungsmerkmalen aus der Masse herauszustechen. Interessenten sind wählerisch bei der Platzierung ihres Lebenslaufs. Das Werben um qualifizierte Kandidaten und damit das Employer Branding werden also künftig noch wichtiger. Wie präsentiere ich mich als Unternehmen? Was ist mein USP? Welche Werte lebe ich? Diese Fragen gilt es immer wieder zu stellen und stets neue Antworten darauf zu finden. Für eine erfolgreiche Außendarstellung braucht es jedenfalls eine noch engere Zusammenarbeit von HR und Marketing.«

Bernhard Dworak (Geschäftsführer Master HR Consulting): »Es werden sich auch in Zukunft Menschen bei Unternehmen bewerben, um ihre Freizeit gegen Geld zu tauschen, damit sie ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Es werden auf der anderen Seite Menschen sitzen, deren Job es ist, zu versuchen, herauszufinden, ob die Bewerbenden ihren Job zur Zufriedenheit des Unternehmens erledigen können. Der entscheidende Unterschied in der Zukunft ist allerdings, dass schon jetzt täglich immer mehr Hilfsmittel und Instrumente zum Einsatz kommen, die das Leben von Recruitern vereinfachen und sie bei objektiveren Entscheidungen unterstützen. Die Zukunft im Recruiting sieht also im Prinzip genauso wie jetzt aus, nur dass man mehr technische Unterstützung nutzen kann – aber nicht muss. Unterstützung, die jetzt schon verfügbar ist, und in anderen europäischen Ländern zum Standard im Recruiting gehört, aber in Österreich (noch) nicht annähernd in diesem Umfang genutzt wird.«

Machine Recruiting in Österreich

In einem Artikel von Springer Professional wird eine Studie von Korn Ferry zitiert, wonach in Amerika und Asien bereits rund 75 % der Unternehmen auf digitale Tools bei der Personalauswahl setzen. In Europa nutzen 1/3 der Unternehmen überhaupt keine Künstliche Intelligenz oder verwenden Daten zur Ansprache von Bewerbern. In den USA sitzen Kandidaten immer öfter vor einer Webcam und werden von einer Software analysiert. Dabei sprechen sie »nur« mit einem Roboter. In Österreich derzeit noch undenkbar. Oft entsteht ein falsches Bild in der Öffentlichkeit von Robot-Recruiting. Denn es geht (noch) nicht darum, dass ein Algorithmus eine Person einstellt, sondern dass er ergänzende komprimierte Daten dem (menschlichen) Recruiter zur Verfügung stellt, der dann darüber entscheidet, wer am besten ins Team passt. Werden in Österreich bald Maschinen den Recruiter ersetzen?

Bernhard Dworak sagt ganz klar Nein: »Maschinen können und werden unterstützen, aber niemals den gesamten Prozess übernehmen. Maschinen helfen uns bei Dingen, die wir nicht selbst machen müssen. Speziell in Branchen, in denen Menschen mit Menschen zusammenarbeiten, wird der menschliche Faktor auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Ein persönliches Gespräch wird niemals ersetzt werden können. Letzten Endes arbeiten Menschen mit Menschen zusammen.«

Auch Rudi Bauer glaubt nicht, dass der gesamte Prozess automatisiert wird: »Künstliche Intelligenz könnte Teile des Recruitings übernehmen, z. B. das Erkennen von Trends in Onlinejobforen oder für Arbeitsmarktprognosen herangezogen werden. Umstritten bleibt allerdings, ob Roboter ein Ersatz für den menschlichen Kontakt und die emotionale Aspekte im Recruiting sein sollten. Letztlich wird daher auch das Unternehmen selbst seine Grenzen für das maschinelle Recruiting abstecken. Dafür wird es aber noch wichtiger werden, die Arbeitgebermarke, Unternehmenskultur und Kandidatenpersönlichkeiten eindeutig zu definieren. Nur dann wird die Maschine auch den perfekten ›fit‹ liefern (können). Fraglich bleibt aber, ob ›Machine Recruiting‹ in Europa ähnlich gut akzeptiert werden wird wie in Asien. Es bleibt in jedem Fall eine Kulturfrage.«

Thomas Olbrich: »Automatisierte Prozesse wirken sehr wohl beim Matching und damit bei der Vorauswahl unterstützend und sind eine Erleichterung. Abläufe können für beide Seiten schneller und effektiver gestaltet werden. Ein Beispiel ist One-Click. Bewerber erhalten dank Automatisierung laufend passende Angebote, Unternehmen wiederum geeignete Kandidaten. Maschinen können vieles übernehmen, aber bei weitem nicht alles. Letztendlich zählt immer noch der Mensch und damit der persönliche Kontakt. Für den ›cultural fit‹ braucht es Gespräche, es braucht Begegnungen. Es geht schließlich ganz stark um das gegenseitige Beschnuppern, um das Kennenlernen und um Werte und Einstellungen. Ein Beleg dafür: Wenn ein Unternehmen zwischen mehreren Bewerbern entscheiden muss, ist die menschliche Qualifikation mit 80 % der fachlichen (20 %) ganz klar überlegen, so eine Studie von ­karriere.at.«
In Österreich scheint der Roboter im Recruiting also noch in weiter Ferne. Das hat ein paar rechtliche Gründe (DSGVO). Und auch die Einstellung hierzulande ist anders als in Asien. Dort herrscht die Meinung vor, dass das Unternehmen, für das man arbeitet, durchaus berechtigt ist, die Mitarbeiter in jeder Facette zu kennen. Daher werden automatisierte Tools weitgehend positiv angenommen.
Eine Zukunftsvision könnte daher sein, dass vor einem persönlichen Gespräch die KI des Unternehmens mit der KI des Kandidaten »spricht«. Doch damit das funktioniert, braucht es vor allem die Bereitschaft dazu und, so Thomas Olbrich: »Daten, Daten, Daten lautet das Zauberwort, in möglichst großem Ausmaß – sowohl quantitativ als auch mit entsprechender Qualität. Sonst können die Systeme nicht sauber arbeiten, keine befriedigenden Ergebnisse liefern und damit kein Best Matching ermöglichen. In diesen Bereich wird auf jeden Fall viel investiert und die Systeme werden ständig weiterentwickelt. Was freilich dabei niemals außer Acht gelassen werden darf, ist die Datensicherheit. Die DSGVO ist nach wie vor ein großes und auch sensibles Thema und für nicht wenige Unternehmen weiter eine große Herausforderung.«

Auch Bernhard Dworak weiß, wie wichtig Daten sind: »Automatische Instrumente können aufgrund vorgegebener Kriterien eine Vorselektion vornehmen. Hier gilt jedoch, dass die Qualität des Outputs naturgemäß sehr eng mit der Qualität des Inputs bzw. der Vorgaben zusammenhängt. Es können z. B. Bewerber, die gewissen objektiven Kriterien entsprechen, genauer ausgewählt werden. Künstliche Intelligenz kann helfen, noch präziser verschiedene Vorgaben aufeinander abzustimmen und lernen, wie ein Unternehmen »funktioniert«. Wir arbeiten z. B. gerade an einem Projekt, bei dem KI und personaldiagnostische Instrumente sich ergänzen. Hier wird Persönlichkeit auf eine sehr einfache, aber effektive Art und Weise sichtbar gemacht. Und das hilft Unternehmen, Recruitern und Bewerbenden gleichermaßen.«

Mittlerweile haben Forschungen sogar nachweisen können, dass bestimmte Softwarelösungen in der Lage sind, aus Textproben Alter, Geschlecht, Emotionen, Ansichten und Persönlichkeit des Autors abzuleiten. Ebenso erfolgreich kann Gesichtssoftware aus der Mimik und Sprachsoftware aus der Sprache die Gemütsverfassung des Kandidaten bestimmen. Doch, so warnt Rudi Bauer: »Vor dem Einsatz derartiger Tools im Recruiting sollten sich Unternehmen dennoch den ethisch-moralischen Aspekt vor Augen führen.«

Persönlichkeitstests im Recruiting

Eine einfache, altbekannte Methode in der Personalauswahl sind Potenzialanalysen bzw. Persönlichkeitstests. Diese werden seit Jahren eingesetzt, allerdings in Österreich eher zurückhaltend.
Bernhard Dworak weiß, warum: »Solange es Bewerbende gibt, die ihre Bewerbung zurückziehen, wenn sie gebeten werden, eine Persönlichkeitsanalyse zu machen, haben wir in Österreich viel Raum nach oben. Es gibt Kunden, die mir erzählen, dass sie das Gefühl haben, dass man sich in Österreich entschuldigen muss, wenn man eine Persönlichkeitsanalyse einsetzt. So gesehen sieht die Zukunft von professionellen Persönlichkeitstests in Österreich absolut rosig aus. Im nordischen Raum gehören 2 bis 3 Tests zum Standard-Prozedere im Recruiting. Und in Österreich? Händedruck und persönliches Gespräch reichen in vielen Fällen für eine umfassende Beurteilung der Kompetenzen. Tja, ich frage immer ›Können es sich Unternehmen wirklich leisten, Bewerber aufgrund des Bauchgefühls abzulehnen?‹«

Warum diese Tests in Österreich von Kandidaten abgelehnt werden und dafür in anderen Ländern durchaus befürwortet werden, ist nicht klar. Offensichtlich haben Kandidaten Angst, wenn die eigene Persönlichkeit durchleuchtet wird. Zu Unrecht. Denn es bringt dem Kandidaten nichts, wenn er für eine Stelle eingestellt wird, für die er ungeeignet ist. Studien zeigen, dass durch den Einsatz von Persönlichkeitstests die Trefferquote signifikant ansteigt.

Rudi Bauer sieht daher eine Zukunft für diese Analysen: »Persönlichkeitstests, Assessment-Center oder Eignungsprüfungen liefern im Recruiting strukturierte Einblicke in die Persönlichkeit des Kandidaten und geben vor allem Aufschluss über sein Talent und seine Denkweise. Die generellen Entwicklungen im HR und Recruiting sprechen tatsächlich dafür, dass unstrukturierte Personalauswahl auf Grundlage von rein weichen Parametern, wie Sympathie, der Vergangenheit angehören. In Zukunft werden Persönlichkeitstests oder andere Methoden zur Verhaltenseinschätzung von Kandidaten die Personalauswahl wesentlich bestimmen. Der starke Trend zur Personalisierung sorgt bereits heute dafür, dass Kandidaten und Unternehmen viel strukturierter aufeinander abgeglichen werden.«

Thomas Olbrich: »Grundsätzlich geht es darum, den Menschen hinter dem Kandidaten näher kennenzulernen. Damit man Gewissheit hat, dass der Bewerber mit seiner Persönlichkeit zum Unternehmen und zum jeweiligen Team und den Aufgaben passt, braucht es ein umfassendes Bild. Daher ist es wesentlich, dass nicht nur Personalverantwortliche und Führungskräfte Kandidaten treffen, sondern auch potenzielle künftige Kollegen. Persönlichkeitstests werden auch in Zukunft lediglich eine Ergänzung sein.«

Fazit
In der anfangs zitierten Korn-Ferry-Studie gaben 68 % der Befragten an, dass durch die Digitalisierung ihrer Rekrutierungsprozesse qualifiziertere Kandidaten gefunden wurden. 18 % berichteten, dass die Auswahl sogar deutlich besser wurde. Es lohnt sich also für Unternehmen, hier am Ball zu bleiben. Fehlbesetzungen sind teuer. In Relation dazu sind neue Lösungen, die etablierte Unternehmen gleichermaßen wie Start-ups anbieten, durchaus lohnenswert. Wann Roboter in Österreich im Recruiting eingesetzt werden, ist völlig unklar. Aber klar ist eines: Digitale Lösungen, die den Recruitern helfen, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig bessere Kandidaten auszuwählen, werden zunehmen.

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