Worüber nicht gesprochen wird …

… obwohl das Thema an Wichtigkeit kaum zu übertreffen ist: Alkohol im Unternehmen. Wie sollen Führungskräfte damit umgehen? Welches Handeln ist angesagt?

Manuel W. ist DER Starverkäufer. Er trägt fast zu 70 % den Umsatz, ist der Allerbeste im Neukundenkontakt und seine Stammkunden betreut er wie kein anderer. Auf den ersten Blick also alles in Ordnung. Allerdings – Manuel W. riecht zeitweise stark nach Alkohol. Montag Vormittag ist auch nicht so seine Zeit, er verspätet sich oft und Restalkohol ist bemerkbar.

Anderes Unternehmen – ähnliche Situation: Die Personalchefin Karla M. beginnt ihren Morgen im Büro nicht mit Kaffee, sondern mit einem doppelten Cognac. Die engsten Mitarbeiter müssen bei Besprechungen mithalten, ebenso etwaige vorsprechende Personen. Auch während des ganzen Tages behält Karla M. ihr Trinkverhalten bei. Einzelfälle?

»Nein. In Österreich sind im Durchschnitt 5 % alkoholkrank – diese Zahl ist auch für Unternehmen gültig«, sagt Michael Musalek, ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Institutes Wien, das im Volksmund unter »Kalksburg« bekannt ist. »Rund 5 von 100 sind alkoholkrank und das sind die, die über das Alkohol-gefährdet-sein-Stadium bereits hinaus sind. Wenn man jedoch Unternehmen befragt, kommt man ganz sicher nie auf diese Zahl. Das heißt, dass der Großteil der Betroffenen gar nicht erkannt wird bzw. dass es, wenn das Problem erkannt ist, nicht angesprochen wird.«

Was dabei nicht bedacht wird, ist der Umstand, dass bei längerem Andauern der Krankheit es immer schwieriger wird, eine Lösung zu finden, dass die Unfallgefahr steigt und dass enorme Schäden für den Betroffenen und das Unternehmen entstehen können. Am besten wäre es, man spräche den Betroffenen bereits im Gefährdungsstadium an. Aber – aus falscher Scham wird darüber zu wenig bis gar nicht gesprochen und fast immer wird weggeschaut.

businessman worried by the bad financial news

Denn – man feiert ja gerne, ein Gläschen in Ehren. Dass Alkohol eine Droge ist und ein Suchtmittel außerdem, daran denkt kaum jemand. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass bei Veranstaltungen meist zuerst alkoholische Getränke serviert werden?

Warum ist denn der (übermäßige) Alkoholkonsum ein Tabuthema? Warum erheben sich keine warnenden Stimmen? Sturzbetrunken – ein Kavaliersdelikt? Ach so, natürlich, niemand trinkt ja zu viel. Ganz im Gegenteil, jeder hat immer alles im Griff und kann jederzeit aufhören, klar! Klar?

Zuerst in, dann out

Michael Musalek: »Alkohol ist an sich kein Tabu-thema. Es wird dann zum Tabu, wenn jemand Probleme damit bekommt. Und wenn er das Problem sogar erkennt und, Gott bewahre, benennt, Hilfe braucht und auch in Anspruch nimmt, dann beginnen die Probleme mit der Umwelt. Denn solange jemand im Arbeitsleben, in der Gesellschaft funktioniert, ist alles in Ordnung. Dann wird man geachtet und angesehen. Ab dem Zeitpunkt, wo man nicht mehr so funktioniert wie sonst und krank wird, wird man ausgeschlossen.« Hart, aber wahr.

»Alkoholsucht ist eine hoch stigmatisierte Erkrankung«, sagt Musalek und der Psychiater erklärt weiter: »Generell sind psychische Erkrankungen sehr stigmatisierend. Es macht gesellschaftlich einen großen Unterschied, ob man Depressionen hat oder ein Magengeschwür. Beim Magengeschwür hat man offensichtlich für die Gesellschaft viel geleistet, sich extrem eingesetzt, sich selbst krank geschuftet.«

Und der ist gut, denkt die Gesellschaft.

»Bei Depressionen wird man schnell als Schwächling angesehen und meist wird gesagt ›reiß dich zusammen‹. Und von den psychischen Erkrankungen ist die am höchst stigmatisierte die Suchterkrankung, und dazu gehört auch die Alkoholkrankheit.«

Und der ist schlecht, denkt die Gesellschaft.

Solange man mitfeiert und gut drauf ist, wird man geschätzt. Doch Pech für den, der krank wird. »Herr P. ein Alkoholiker, wie schrecklich! Mit dem wollen wir aber nichts mehr zu tun haben«, wird der Kranke von der Gesellschaft vorschnell abgeurteilt. Von einer Gesellschaft, die wenig bis gar keine Ahnung über das Wesen der Suchterkrankung hat. Gedankenlos sagt man zu einem Suchtkranken, er solle sich doch zusammenreißen. »Trink halt nicht so viel, hör auf damit« und dergleichen.

Musalek: »Auch im Allgemeinbewusstsein ist es noch nicht angekommen, dass Suchterkrankungen seit rund 100 Jahren eine anerkannte Krankheit sind. Auch Privatversicherungen haben eine Klausel, dass Suchterkrankungen von der Versicherung ausgenommen sind. Diese sind auch heute immer noch der Meinung, dass Süchte keine wirklichen Erkrankungen sind.«

So ergibt sich natürlich die Frage: Was ist ein »normales« und was ist bereits ein gesundheitsgefährdendes Trinkverhalten? Experte Musalek: »Der problematische Konsum wird einerseits über die Menge definiert, andererseits über die Häufigkeit und über die Gründe, warum man Alkohol trinkt. Sobald man Alkohol nicht mehr als Genussmittel sieht, sondern es zur Beruhigung, zur Entspannung oder um Ängste abzubauen einsetzt, ist Feuer am Dach. Von der Menge her gesehen ist die magische Zahl 420 g reiner Alkohol pro Woche, das ist eine Bouteille Wein oder 3 Krügel Bier oder 3 Stamperl Schnaps am Tag. 7 Tage die Woche und über einen längeren Zeitraum.«

Eine Bouteille Wein – das ist doch viel, oder? Musalek rechnet vor: »Zu Mittag ein Bier, abends ein Bier, dazwischen ein paar Achterl Wein und dann noch ein Schnaps zur Verdauung – und schon ist man locker dabei.«

Das Problem ansprechen

Gehen wir nun davon aus: Einem trinkenden Mitarbeiter, den man nicht verlieren möchte, weder ans Arbeitsamt noch an den Tod, soll geholfen werden. Das Problem muss angesprochen werden. Wie? Musalek: »Wesentlich ist die Gesprächssituation. Es muss ein Vieraugengespräch sein. Wenn mehr Personen anwesend sind, geht es von Haus aus schief. Und es muss von jemandem geführt werden, der eine echte Vertrauensperson ist, weil das Thema eben so schambesetzt ist.«

Auch die Wortwahl ist entscheidend. Es darf niemals eine fertige Diagnose gestellt werden nach dem Motto »Sie haben doch ein Alkoholproblem«.

Musalek schlägt vor: »Ein warmherziges Ansprechen der Beobachtung ist notwendig. So z. B.: ›Ihre Leistung ist in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen, ich merke, es geht Ihnen nicht gut, wie werden wir mit diesem Problem fertig?‹ Dann sollte man eine zweite Hilfestellung anbieten, z. B. Betriebsarzt, Hausarzt, Beratung in einer Suchtklinik. Es geht weniger darum, welche Worte man findet, sondern wie man es sagt. Wenn die Vertrauensbasis nicht da ist, kann man den besten Satz sagen und er wird daneben gehen.« Man sollte sich bei der Gesprächssituation langsam vorantasten und nicht mit der Tür ins Haus fallen. Der Betroffene weiß ja ohnehin, worum es geht und ist vielleicht sogar froh, dass es endlich thematisiert wird. Und wenn der Betroffene abblockt? »Dann fehlt die Vertrauensbasis. Ist der Betroffene völlig uneinsichtig, auch bei der Vertrauensperson, dann muss man ihm schon erklären, dass man so nicht miteinander weiterarbeiten könne. Das sollte man erst dann anwenden, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind.«

Im Idealfall wird bei dem Betroffenen selbst das Bewusstsein erweckt, dass er fremde Hilfe in Anspruch nehmen soll. Wohl dem, der das so schnell wie möglich erkennt, denn dann sind die Wege zur Abstinenz noch leichter zu finden.

Aufklärung für Unternehmen

Das Anton-Proksch-Institut bietet Seminare als Hilfestellung zum Thema Sucht am Arbeitsplatz an. Ärzte und Psychologen gehen in Unternehmen und vermitteln einerseits theoretisches Wissen zum Thema Alkoholkrankheit. Andererseits wird in Kleingruppen geübt, wie man mit Betroffenen umgeht, wie man mit ihnen spricht und welche Möglichkeiten zur Hilfestellung es gibt. »Man hat auch direkten Kontakt zur Beratungsstelle. Diese Seminare werden oft und gerne gebucht, weil die Notwendigkeit schon erkannt wurde«, erklärt Musalek abschließend.

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Michael Musalek

leitet als ärztlicher Direktor Europas größte Suchtklinik in Wien Liesing.

www.api.or.at