»Alphas« im Wahlkampf

Über die Aufgaben eines Bundespräsidenten und die Rolle der Medien im Wahlkampf sinniert Verhaltensbiologe Gregor Fauma.

Wer Wahlkampf betreibt, braucht die Medien. Und die Medien brauchen den Wahlkampf. Konfrontationen, Einzelinterviews und Hintergrundreportagen sind verlässliche Lieferanten herzeigbarer Quoten. Als Medientrainer kommt man da hin und wieder als Interface zum Handkuss. Worauf kommt es an, wenn man sich um das höchste Amt im Staat bewirbt? Für mich als Verhaltensbiologe ergeben sich sehr klare Empfehlungen aus der Natur unseres Seins. Bundespräsidenten sind die Alphas ihrer Gesellschaft. Und die ganz klare Erwartungshaltung an Alphas ist es, für Frieden, Balance und Ruhe zu sorgen. Das ist bei Makaken so, das ist bei Wölfen so, das ist bei Homo sapiens so. Alphas sind für die Spielregeln und deren Einhaltung zuständig. Das wird von ihnen erwartet. Alphas brauchen eine extrem hohe soziale Intelligenz und müssen sich als empathische, fürsorgliche Brückenbauer beweisen. Sie sind stets versöhnlich und trachten danach, von allen geschätzt zu werden. Das sichert ihre Position und die damit verbundenen Privilegien.
Jedoch in Krisenzeiten muss das Alpha von »nett-freundlich-konziliant« auf »energisch-konkret-direktiv« wechseln können. Diese Fähigkeit wird nur sehr selten abgerufen, dann aber muss sie vorhanden sein. Für einen sich im Wahlkampf um die höchste Position im Staat befindlichen Menschen bedeutet dies, dass man in erster Linie den netten, konzilianten, sich kümmernden Staatsmann zeigt. Journalisten wissen das. Sie fragen nach der Rolle der Frau, nach den Ansichten zur Familienpolitik, nach dem Umgang mit Minderheiten und wie man es mit den Massenbelustigungen wie Volkssport oder Kirtagen hält. Auf diese Fragen kann man sich natürlich vorbereiten. Hier helfen Medientrainer gerne beim Formulieren, damit man die knapp bemessene Redezeit auch gut mit seinen Inhalten füllen kann. Dasselbe gilt für die Fragen nach dem Verhalten in Krisen. Dieses Jahr ganz konkret nach dem Russland-Embargo, nach der Flüchtlingspolitik, nach der Teilnahme am Kriegsgeschehen in der Ukraine. Auch diese Fragen waren absehbar und die Antworten entsprechend vorzubereiten. Medientrainer können helfen, ein wenig die Inszenierung zu schärfen, Gestik und Mimik zuzulassen und unterstützen bei der Auswahl entscheidender Sprachbilder. Doch die viel wesentlichere Unterstützung ist die strategische. So glauben die Kandidaten oft, dass sie möglichst angriffig sein müssen. Sie wollen beweisen, dass die Mitbewerber vieles falsch denken, in der Vergangenheit Mist gebaut haben und moralisch verwerflich seien. Und sie wollen die amtierende Macht massiv anschießen. Das würde ihre Wähler einen, meinen sie. Doch wenn es bereits ihre Wähler sind – was braucht man sich um diese noch zu kümmern? Viel wichtiger ist es, sich um jene zu bemühen, die einen noch nicht wählen würden. Diese zu überzeugen, ist die Aufgabe, und nicht die Gefolgschaft bei Laune zu halten. Auch ist es opportun, bei Provokationen einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht, wie man in Wien so schön sagt, wie ein Häferl zu reagieren. Journalisten sind darin gut, Fragen zuzuspitzen, den Antwortraum einzuengen und Druck aufzubauen. Und sie lieben es, Interviewpartner mit Hoppalas aus dem Archiv zu konfrontieren.

So ließ Corinna Milborn in ihrem Gespräch mit Tassilo Wallentin sexistische Bilderwitze von seinem längst gelöschten Instagram-Account lange eingeblendet. Die Botschaften dieser Bilder waren tief, und Wallentin ließ sich davon auch provozieren und schoss aus allen Rohren zurück. 1:0 für Milborn. Wie hätte Wallentin reagieren sollen? Seine Chance, hier mit möglichst wenig Schaden davonzukommen, wäre ausschließlich darin gelegen, ein ehrliches und glaubwürdiges »mea culpa« auszusprechen, den Kontext zurechtzurücken – und sofort die Botschaften in Richtung Zukunft zu lenken. Es ist argumentierbar, sich mit einem politischen Programm zur Wahl zu stellen, und nicht mit einem fehlerfreien Vorleben. Doch wie so oft siegte auch hier die Natur über den Verstand. Für diese Momente brauchen Kandidaten Medientrainer, nicht für die absehbaren Hausaufgaben.

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Fauma

Gastautor
Gregor Fauma
ist ­Verhaltensbiologe, Trainer und ­Keynote-Speaker. Er wurde 2018 zum Trainer des Jahres und 2022 zum Redner des Jahres ausgezeichnet.
www.gregorfauma.com