Die Sprache der Führung

Wie es manche Führungskräfte schaffen, bei öffentlichen Reden zu punkten, während andere trotz perfektem Skript untergehen.

Die anarchische, also hierarchiefreie Gesellschaft, mag gedanklich ein schönes Ziel sein. Evolutionär haben sich Populationen durchgesetzt, die auf Führungskonzepte gesetzt haben. Führung wird evolutionär nicht genommen, sondern zugeteilt – von den sich führen lassen Wollenden. Um nicht in ewigen Diskussionen stecken zu bleiben, einigt sich eine Gruppe auf eine Person, die die finale Entscheidung trifft. Das spart Energie und beschleunigt Prozesse des Ausprobierens, Verwerfens, neu Konzipierens – vulgo Fortschritt. Schaut man sich genauer an, wer denn Führung in der Regel zugestanden bekommt, so sind es die initiativeren Individuen, die körperlich überlegenen, und die rhetorisch geschickteren. Die Ansprache zur Gruppe ist hier von großer Bedeutung. Das ist heute nicht anders.
Eines Tages saß vor mir eine Geschäftsführer1 eines Weltkonzerns, um meine Kompetenzen in Sachen Rede-Coaching abzuklopfen. Sie war grundmisstrauisch, eher verschlossen und gab mir keine Anhaltspunkte, ob ihr meine Inputs gefielen oder nicht. Ich bat sie letztendlich, einfach einmal die Rede vorzuführen. Eine Rede zu einem großen Firmenjubiläum, die deutsche Eigentümer-Entourage würde extra dafür nach Wien anreisen, alles wäre super heikel. Tja, was ich dann zu hören bekam, war eine von einer Eventagentur geskriptete Rede. Zum Lesen nett, zum Vortragen komplett ungeeignet. Mir war klar, dass sie mit diesem Redeskript untergehen würde. Keine Chance, bei solchen Formulierungen live zu bestehen. Das sagte ich ihr auch, und fügte hinzu, dass ich bei Beibehalt des bereits bezahlten Skripts den Coachingauftrag nicht annehmen würde. Sie blickte mich an, als ob ich bluffen würde, dachte mehrere Sekunden nach – und entschied sich dann für mich und gegen das Skript. Diese Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen. Bereut hat sie diese nicht. Nach drei Coachings war sie ready to rock. Und wie! Uns verbindet seither Freundschaft.
Wer gut texten kann, kann nicht automatisch auch eine gute Rede schreiben. Zu sehr fokussieren sich die meisten auf den Inhalt, auf eine gestochen perfekte Sprache, meist gestelzt und gezwirbelt, dass dir beim Zuhören ganz schwindlig wird. Schachtelsätze, wie sie in der Natur nie vorkommen, finden ans Licht der Rednerwelt. Komplizierte Ausdrucksweise, Fachbegriffe und sehr oft auch die falsche Zeitform, das Imperfekt, werden da verwendet. Dabei lebt gerade die Rede von der Alltagssprache. Sie möchte die Zuhörer ja abholen, einfangen, für sich gewinnen – warum also eine Form verwenden, in der das Publikum selbst nie kommunizieren würde? Nur wer im Stande ist, gesprochene Sprache zu Papier zu bringen, kann sich auch über das Texten einer Rede drübertrauen. »Gehe ich neulich über die Brücke … wie heißt sie gleich … ja, die Rossauer Brücke  …« klingt echter als »Die Rossauer Brücke lag auf meinem Weg. Ich beschloss, sie zu überqueren.«
Ganz rezent ein weiteres Beispiel: Ich wurde gebeten, mir die Imagevideos eines Kleinunternehmers anzusehen. Hochprofessionell arrangierte Szenen, guter Schnitt, gutes Skript – aber leider war der Unternehmer, der mit seinem Namen wirbt, nicht zu spüren. Zu perfekt war die Sprache, zu sehr »zurechtgelutscht« die Inhalte. Die komplette Wirkung zielte auf Perfektion, teure Dienstleistung und blink-blink ab. Videos wie das Schaufenster eines Tesla-Händlers. Aber der Mensch dahinter? Fehlanzeige. Keine Emotionen sichtbar, aber auch keine Emotion im Skript hörbar. Was überbleibt, ist eine fesche Hülle, guter Text – aber das, was uns Menschen auszeichnet, die Empathie, blieb komplett auf der Strecke. Und auch bei diesem Beispiel geht es um Leadership. Dem Video fehlte die Glaubwürdigkeit. Es schien, als ob der Unternehmer etwas zu verbergen hätte – nämlich seine echte Einstellung zum Thema. Und ohne diese Glaubwürdigkeit, ohne das Echte, wird akzeptierte Führung immer nur kurzfristig funktionieren – und recht bald in einem meiner vielen Führungskräfte-Coachings münden mit der Frage: »Warum kann ich mich im Team nicht durchsetzen, Herr Fauma?«

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Fauma

Gastautor
Gregor Fauma
ist ­Verhaltensbiologe, Trainer und ­Keynote-Speaker. Er wurde 2018 zum Trainer des Jahres und 2022 zum Redner des Jahres ausgezeichnet.
www.gregorfauma.com