Digitales Coaching – der neue Trend?

Coaching lebt von dem persönlichen Gespräch. Der Coach geht dabei auf die Reaktionen des Klienten ein und kann vieles anhand der Körpersprache ableiten. Nun gibt es digitales Coaching. Wie soll das funktionieren und hat es wirklich Potenzial für die Zukunft?

Die Digitalisierung hält in fast alle Bereiche unseres Lebens Einzug. Auch in der Weiterbildung ist ein starker Trend in diese Richtung zu beobachten. E-Learning, mobile Learning und andere Formate erleben gerade starkes Wachstum. Die Technologien dazu haben sich in den letzten Jahren stark verbessert. Doch was bedeutet die Digitalisierung für eine Branche, die vom persönlichen Gespräch lebt – für das Coaching?
Unter digitalem Coaching versteht man einen Begleitprozess, der sich für die Kommunikation zwischen Coach und Klient digitaler Medien bedient. Von E-Mail, Telefon, Chatrooms, Videokonferenzsystemen, virtuellen Meetingräumen (VR), Smartphone-Apps bis hin zu 3-D-Avatar-Animationen ist hier alles möglich.
Im Artikel »Digitale und analoge Welt des Coachings« aus dem Coaching-Magazin vom 11. März 2016 wird von der 14. Coaching-Umfrage von Jörg Middendorfer berichtet. Demnach bilden Präsenz-Coachings mit 85 % nach wie vor mit Abstand die häufigste Form des Coachings, Telefoncoaching findet in 7 % der Fälle statt und Videosysteme wie Skype kommen nur in 4 % aller Coachings zur Anwendung. Digitales Coaching steckt also noch in den Kinderschuhen und das Angebot ist (noch?) gering. Wenn es überhaupt angeboten wird, dann in Kombination mit Präsenzcoachings. Dennoch sollten Coaches diesen Trend beachten und am Ball bleiben. Bekanntlich wird die Zukunft immer digitaler.

2016 hat der Deutsche Verband für Coaching und Training e. V. eine Befragung zu diesem Thema durchgeführt. Dabei wurden 188 Mitglieder, davon 112 Coaches, befragt. Bereits von einem Viertel der Coaching-Kunden wird die ergänzende Integration digitaler Medien in den Coachingprozess angefragt. Wie ebenfalls aus diesen Ergebnissen ersichtlich – so berichtet das Coaching-Magazin Anfang dieses Jahres – gaben 54 % der befragten Coaches, die bereits mit digitalen Medien arbeiten, an, dass das Feedback der Kunden durchaus positiv sei, 36 % sind digitalem Coaching gegenüber neutral eingestellt und nur 10 % gaben negatives Feedback. In den Führungsetagen sitzen bereits etliche Personen, die schon in der digitalen Welt aufgewachsen sind und für die diese Kommunikationskanäle etwas ganz Natürliches darstellen. Studien zeigen, dass die Wirksamkeit durch den Einsatz digitaler Medien nicht leidet. Deshalb steigt auch das Angebot an Selbstcoaching-Apps, die zum Teil kostenlos im App-Store heruntergeladen werden können. Diese Apps bieten einen standardisierten Coaching-Prozess, der mit einigen Fragen und Übungen den Nutzer weiterbringen soll. Dazu später mehr.

TRAiNiNG hat einige etablierte Coaches befragt, wie sie zum digitalen Coaching stehen.
Luzia Fuchs-Jorg (Geschäftsführerin Kick Off Management Consulting GmbH) weiß, warum Coaching wirkt, egal ob digital oder analog: »Die Wirksamkeit von Coaching hängt weitgehend nicht nur von den angewandten Methoden ab. Die höchste Wirkung entsteht durch das Verständnis, die Wertschätzung und durch die emotionale Unterstützung durch den Coach. Wenn diese Faktoren weiterhin bestehen bleiben, kann digitale Begleitung ebenso effektiv und positiv wirksam sein.«

Herbert Strobl (Inhaber coaching & consulting mit system): »Heutzutage scheint es einfach ›trendy‹ zu sein, dass jede noch so analoge Tätigkeit begrifflich mit dem Label ›digital‹ oder ›4.0‹ oder ähnlichem versehen wird. Das hat wohl vor allem Marketinggründe, um einen Neuigkeitswert zu generieren. Wir sollten aber bedenken, dass auch neue, elektronische Kommunikationsformen letztlich dazu dienen, ganz archaische menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Auch wenn wir heute den Faustkeil durch Laptop und Handy ersetzt haben, sind wir psychosozial immer noch in der Höhle um das Lagerfeuer versammelt. Unser Großhirn, geschweige denn unser limbisches System, arbeitet alles andere als digital. Facebook und Co. sind am Ende des Tages auch nur dazu da, Befindlichkeiten kund zu tun oder sich Geschichten zu erzählen – nur ist der ›Bassena-Tratsch‹ nun eben digital. Ähnlich ist es beim Coaching, das ja wohl eine äußerst analoge, menschenbezogene Tätigkeit ist: Neben der fachlichen Eignung entscheidet vor allem die ›chemische Passung‹ zwischen Coachee und Coach über den Erfolg eines Coaching-Prozesses. Vertrauen aufbauen, ein nuanciertes Gespür für das Gegenüber entwickeln und die zwischenmenschliche Komplexität ausloten, das kann man immer noch am besten mittels persönlicher Begegnung. Um nicht missverstanden zu werden, ich bin keinesfalls technikfeindlich: Ich nutze selbst etliche der neuen Kanäle – auch für Einzelcoaching-Settings – allerdings nur, wenn zumindest am Anfang ein physisches Kennenlernen stattgefunden hat. Idealerweise, aber nicht notwendiger Weise, gibt es dann auch immer wieder persönliche Begegnungen dazwischen.«

Sabine Prohaska (Eigentümerin, Trainerin und Coach bei seminar consult prohaska): »Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie hält in allen Bereichen des beruflichen und privaten Lebens Einzug. Somit ist es naheliegend, sich auch beim Trainieren, Coachen und Beraten dieser Technik zu bedienen. Die zentrale Frage lautet deshalb nicht, ›ob‹, sondern ›wie‹ und ›wann‹ man diese Technik nutzt. Denn faktisch ist sie auch nur ein Hilfsmittel, um übergeordnete Ziele zu erreichen. Die Technik stellt uns Coaches letztlich nur weitere Möglichkeiten zur Verfügung, Coachingprozesse ziel- und bedarfsorientiert zu gestalten. Inwieweit wir diese nutzen, gilt es situationsabhängig im Dialog mit dem Klienten/Coachee bzw. dem Kunden zu entscheiden.«

Veronika Aumaier (Eigentümerin Aumaier Coaching Consulting GmbH) setzt vor allem im Executive Coaching nach wie vor auf persönliches Coaching: »Digitales Coaching greift bei vielen Interventionen zu kurz und bietet letztendlich unzulängliche Begleitung. Was also in der digitalen Anwendung bleibt, sind schnelle Tipps und Ratschläge, die mehr Beratungscharakter haben und der Vielzahl der Coachingmethoden mit ihren nachhaltigen und wirkungsvollen Interventionsrepertoire nicht gerecht werden.«

Corinna Ladinig (Geschäftsführerin der CTC-Academy): »Für mich gibt es zwei Varianten: Variante 1: ein reines Telefon- oder digitales Coaching. Ich kenne einige Coaches in Deutschland, die ausschließlich telefonisch coachen. Variante 2: eine Begleitung von Coachingprozessen durch digitale Unterstützung. Ich persönlich halte eine digitale Begleitung für hilfreich, vor allem, wenn Coachees immer wieder auf Dienstreisen sind oder auch im Ausland und dort Unterstützung ihres Coaches benötigen. Auch in sogenannten ›Notfällen‹, wo man rasch eine Unterstützung benötigt, sind digitale Medien sehr hilfreich. Die meisten Coachees wollen aber ihren Coach persönlich kennenlernen und digitales Coaching nur in Ausnahmefällen nehmen. Digitale Begleitung kann auch bedeuten, dass Erinnerungen und kleine Inputs während des Coachingsprozesses vom Coach digital versandt werden, damit der Coachingprozess gut weitergeht und der Coachee ›dran‹ bleibt. Themensammlungen, Ideenlandschaften oder Brainstorming können vorab digital auf einer Pinnwand entstehen und so einen guten Überblick geben. Digital ist da sehr hilfreich, weil Coach und Coachee daran arbeiten können.«
Ablauf beim digitalen Coaching
Der Ablauf eines Coachings ist im Groben definiert in 4 Phasen: Vorgespräch, Vereinbarung (Zieldefinition), eigentliches Coaching und Abschlussgespräch. Ändert sich hier im Ablauf etwas beim digitalen Coaching?

Luzia Fuchs-Jorg: »Der klassische Coaching-Ablauf sollte auch bei digitalem Coaching bestehen bleiben. Zuerst sollte die Kommunikation in einem privaten, virtuellen Raum stattfinden. Wie auch beim Präsenz-Coaching geht es um Problemerfassung und Zielklärung. Je nach Inhalt des Coachings kann leicht zwischen verschiedenen Kommunikationsformen gewechselt werden: Sprach- und Video-Verbindungen, textbasiert oder per Chat. Coaching auf Distanz wird häufig durch schriftliche Kommunikation bereichert. Es gibt Fragenkataloge und Checklisten, die vor einer Sitzung zur Bearbeitung überreicht werden. Dies spart Zeit und hat auch den Vorteil, dass der Coachee zur Reflexion angehalten wird und auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder damit arbeiten kann. Herausfordernd für beide – für den Coach und Coachee – ist der Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung (Rapport). Hier ist der Coach gefordert, seinen Kompetenzraum zu erweitern. Das Zuhören ist in diesen Settings noch wichtiger, da die visuelle Komponente fehlt. Sehr professionell ist der Einsatz von 3-D-Avataren, um auch Aufstellungen simulieren zu können, oder die Arbeit mit dem Whiteboard oder PowerPoint.«

Veronika Aumaier: »Digitales Coaching ist derzeit eine Möglichkeit, einen bestehenden, persönlichen Coachingprozess zu ergänzen. Zum Beispiel, wenn die Anreise sehr zeitaufwändig ist. Digitales Coaching kann so zwischen Präsenzeinheiten mit einzelnen Video-/Telefonsequenzen den Prozess vervollständigen. Das hilft, bei räumlich weiten Distanzen den Begleitungsprozess gezielt aufrecht zu erhalten.«

Einen weiteren wesentlichen Unterschied gibt es bei der Dauer von Sitzungen. Während eine Präsenzsitzung üblicherweise 60 bis 90 Minuten dauert, sind Online-Coachingsitzungen zwischen 30 und 60 Minuten anberaumt. Die Aufnahmefähigkeit nach dieser Zeitspanne sinkt stark.

Herbert Strobl bevorzugt Kommunikation mit Video-Möglichkeiten: »Nachdem ein ›konventionelles‹ Kennenlernen stattgefunden hat, lassen sich Coaching-Einheiten auch virtuell durchführen, dabei sollten jedoch vorzugsweise Kanäle eingesetzt werden, die auch einen Sichtkontakt ermöglichen, also mit einer Videofunktion. Mimik und Gestik haben nun einmal eine wichtige Kommunikationsfunktion in der Gesamtwirkung. Darüber hinaus erlaubt es auch das Arbeiten mit Bildern, das Zeigen spontan angefertigter Skizzen oder Ähnlichem. Über Skype, WhatsApp etc. lassen sich z. B. auch gut Unterlagen zur Nachlese übermitteln. In jedem Fall ist es essenziell, dass es eine stabile und schnelle Internetverbindung gibt – das ist die conditio sine qua non – damit digitales Coaching überhaupt wirken kann.«

Sabine Prohaska erklärt, wann es überhaupt sinnvoll ist, digital zu coachen: »Als Coach professionell zu sein bzw. zu arbeiten, bedeutet in diesem Kontext zunächst, sich vier Fragen zu stellen:
Was ist der Coaching-Anlass?
Was ist das Coaching-Ziel?
Wer ist der Coachee bzw. sind die Coachees?
Welche Beziehung besteht bereits zum Coachee bzw. zu den Coachees?
Denn nur abhängig von den Antworten auf diese Fragen kann entschieden werden, inwieweit beim Coaching auch digitale Medien genutzt werden können oder das Coaching ein persönliches Treffen von Coach und Coachee erfordert.
Denn es macht einen Unterschied, ob es sich beim Coaching letztlich, um ein ›Training-on-the-Job‹ handelt, bei dem die Coachees primär dabei unterstützt werden sollen, bei der Arbeit gewisse Verhaltensweisen zu zeigen oder ob in dem Coaching z. B. innerpersönliche Konflikte bearbeitet werden sollen, die auch die Persönlichkeit des Coachees tangieren.«
Zielgruppe
Noch vor einiger Zeit wurde geglaubt, dass durch den Einsatz digitaler Medien eine völlig neue Zielgruppe erreicht werden kann. Experten sind sich nun aber einig, dass auch digitales Coaching vorwiegend Personen in Anspruch nehmen, die »analoges« Coaching ebenfalls konsumiert hätten. Vielleicht mit einer Ausnahme, wie Sabine Prohaska weiß: »Es werden Personen angesprochen, die es gewohnt sind, mit digitalen Medien zu arbeiten, wie z. B Führungskräfte, für die Video-Konferenzen und Chats Alltag sind. Außerdem Menschen, die aufgrund ihrer hohen Mobilität fixe Termine an einem bestimmten Ort nicht einhalten können. Ich kann mir auch vorstellen, dass Menschen, die sich im zwischenmenschlichen Kontakt schwertun und die nie ein persönliches Coachinggespräch in Anspruch nehmen würden, auf diese Form des Coaching dann doch zugreifen. Digitales Coaching bietet mehr Anonymität und Unabhängigkeit.«

Luzia Fuchs-Jorg: »Digitales Coaching ist für alle bestens geeignet, die viel unterwegs sind und trotzdem mit ›ihrem‹ Coach arbeiten wollen. Es spricht natürlich auch alle Menschen an, die trotz ihrer Mobilität einen fixen Ansprechpartner schätzen und die sich nicht durch zeitliche und räumliche Begrenzungen einengen möchten. Internationale Konzerne bevorzugen die Arbeit mit ausgewählten Coaches, die Manager in allen Niederlassungen betreuen sollen. Auch hier ist diese Form des Coachings angebracht. Vor allem aber spricht diese Form des Coachings Menschen aus jüngeren Generationen – sogenannte ›Digital Natives‹ an, die sehr gerne und mit hoher Selbstverständlichkeit über digitale Medien kommunizieren können.«
Coaching-Themen
Nicht alle Themen eignen sich, um sie virtuell und anonym zu besprechen. TRAiNiNG hat daher nachgefragt, für welche Themen es sich besonders gut und für welche Themen es sich eher schlechter eignet.
Herbert Strobl: »Klassische Business-Coaching-Themen wie Führungsthemen, Fragen der persönlichen Strategie in bestimmten Situationen im Büro oder der Reflexion von Projektentwicklungen lassen sich ohne Weiteres auch in einem digitalen Setting bearbeiten, sofern die erwähnten Grundbedingungen erfüllt sind. Je emotionaler der persönliche Bezug eines Coachees zu einem bestimmten Thema ist, desto schwieriger wird Coaching aus der Distanz: Einem Coachee, der 5 000 km entfernt in Tränen aufgelöst einen Mobbing-Vorfall schildert, wird virtuell weniger leicht beizustehen sein, als einem Klienten, der sich physisch im selben Raum wie der Coach befindet. Nachdem Coaching-Gespräche bekanntlich immer ergebnisoffen und voller überraschender Wendungen sind, ist es schwierig, im Vorfeld eine Themenauswahl für ein gutes Coaching-Gespräch über den Äther mit Bestimmtheit zu benennen. Hier hilft am ehesten ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den beiden Protagonisten, das gegebenenfalls auch ein offen deklariertes Verschieben eines Themas in eine physische Einheit zulässt.«

Luzia Fuchs-Jorg: »Coachingarbeit kann auf drei Ebenen durchgeführt werden. Auf der ersten Ebene werden Themen aus dem Management reflektiert und bearbeitet. Hier ist digitales Coaching gut einsetzbar und ebenso effektiv wie Präsenzcoaching. Auf der zweiten Ebene geht es um Verhaltensänderungen oder um intra- bzw. interpersonale Konflikte. Auch hier ist digitales Coaching gut anwendbar – vorausgesetzt, dass der Coach die sprachliche Anpassung vornehmen kann und seine Kompetenz des aktiven Zuhörens stark geschärft hat. Auf der dritten Ebene wird gearbeitet, wenn es um Musterunterbrechungen geht. Für diese Arbeit ist virtuelles Coaching unbrauchbar, denn der Coach schöpft hier spontan aus seinem Methodenschatz und braucht die sichtbare und spürbare Resonanz des Coachees, um das Thema erfolgreich abrunden zu können.«

Veronika Aumaier: »Es gibt schon lange Therapieangebote, die über E-Mail angeboten werden. Detto haben Telefonhotlines in der psychischen Beratung einen Fixplatz. Da stehen die Anonymität und die schnelle Verfügbarkeit im Vordergrund. Und da man auf diese Weise auch das Haus nicht verlassen muss, ist die Kontaktaufnahme extrem niederschwellig möglich. Berufliches Coaching ist auf konkrete, themenbezogene Unterstützung oder länger andauernde Begleitung in Form von Sparring ausgelegt. Beide Formen sind wirkungsvoller im persönlichen Treffen. Komplexe Themen benötigen oft die Darstellung auf einem Flipchart, um sich einen besseren Überblick verschaffen zu können. Perspektivenwechsel braucht zur Unterstützung wechselnde Sitzpositionen oder Bodenanker. Besonders wichtige Entscheidung benötigen beispielsweise das Tetralemma-Modell: 5 Positionen werden der Reihe nach auf Bodenanker eingenommen. Dadurch vervielfachen sich Lösungsmöglichkeiten auf besondere Weise. All diese Themen brauchen zur effektiven Unterstützung vorrangig Präsenzeinheiten. Ganz zu schweigen von emotionalen und mentalen Methoden zur Haltungsänderung. Die Wirkung einer angeleiteten Mentalreise oder Tiefenentspannung ist schon alleine aufgrund der oft verminderten Datenübertragungsqualität nicht wirkungsvoll und nachhaltig.«
Vor- und Nachteile
Präsenz- und digitales Coaching haben natürlich verschiedene Stärken und Schwächen und auch einige unterschiedliche Voraussetzungen.

Corinna Ladinig über wichtige Rahmenbedingungen: »Der Coach muss auf absolut ungestörte Umgebung achten und schauen, dass das Thema dafür geeignet ist – also eher für nicht-emotionale Themen. Nicht jeder Coachee, genauso wie nicht jeder Coach, mag das digitale Coaching.«

Herbert Strobl: »Der Vorteil von virtuellen Coaching-Einheiten liegt eindeutig in der zeitlichen und örtlichen Flexibilität: Führungskräfte können sich je nach Vereinbarung auch noch spät abends im Hotelzimmer mit ihrem Coach virtuell austauschen. Nachteilig kann es sein, wenn eine Coaching-Session aus technischen Gründen immer wieder unterbrochen wird. Das gilt umso mehr für die virtuelle Betreuung von internationalen Teams, die möglicherweise auch noch auf unterschiedlichen Kontinenten sitzen. Es ist klar, dass hier auch noch solche Themen wie Zeitverschiebung und eine ungefähr gleichwertige Sprachkompetenz aller Teilnehmer eine gewichtige Rolle spielen. Neben einer bereits eingespielten Routine zwischen den Teammitgliedern bedarf es hier auch noch einiger praktischer Erfahrung seitens des Coachs um mit diesen Handicaps im Vergleich zu einer ›Live-Session‹ umgehen zu können. Ganz allgemein gilt: Je weniger Sinneskanäle eingesetzt werden, desto kleiner und behutsamer sollten die Schritte auf dem Weg zum Ziel ausfallen.«
Ein weiterer praktischer Nebeneffekt des virtuellen Coachings ist es, dass das Gespräch aufgezeichnet werden kann und somit besser dokumentiert ist. Der Klient kann es sich mehrfach anhören und auch zu einem späteren Zeitpunkt noch darüber reflektieren.

Sabine Prohaska über einen weiteren Vorteil für Coaches: »Neben der Kosten- und Zeitersparnis ist ein weiterer Vorteil des digitalen Coachings die weiträumigere Kundenakquise. Mit ihm kann ich als Coach meinen ›Einzugsbereich‹ erweitern – also als Wienerin zum Beispiel auch Personen in Deutschland oder der Schweiz coachen, ohne dass lange Reisezeiten anfallen. Zudem lassen sich mit Hilfe der digitalen Medien, zum Beispiel im Rahmen von PE-Maßnahmen, auch Gruppen coachen, deren Teilnehmer an verschiedenen Orten sitzen.«

Luzia Fuchs-Jorg: »Neben all dem bereits Gesagten ist es ein weiterer Nachteil, dass viele Interventionen, die ein Coach oft ganz spontan durchführt, nicht angewendet werden können. Viele Coaches empfinden dies als Einschränkung ihrer Wirkungskraft. Aufstellungen mit Avataren oder die Nutzung von Whiteboard und PowerPoint sind zwar möglich, allerdings ist die Handhabung nicht ganz so einfach und erfordert eine entsprechende technische Ausstattung. Nicht zu vergessen ist auch das Thema Datensicherheit – das gilt für beide Seiten, für den Coach und für den Coachee. Öffentlich nutzbare Meetingtools sind daher nicht empfehlenswert.«
Coaching-Apps
Wie eingangs beschrieben, gibt es einige kostenlose Apps, die das Selbstcoaching ersetzen wollen, und andere, die einem Coach in der Ausbildung helfen können. Doch kann eine App einen Coach wirklich ersetzen?
Corinna Ladinig: »Ich kenne noch nicht viele, aber Apps können gut unterstützen und beim Üben helfen. Aber ich glaube, dass sie den Coach nicht ersetzen können. Coaches nehmen alles, was zwischen den Zeilen läuft, wahr und gehen darauf ein – das können Apps (noch) nicht. Ich bin da mit einer Aussage jedoch sehr vorsichtig, weil man ja dem Telefon und dem Auto auch keine großen Chancen eingeräumt hat.«
Veronika Aumaier: »Aus unserer Sicht können Selbstcoaching-Apps Führungsseminare in der Nachbetreuung ergänzen, wenn es besondere Fragen zur Theorie gibt. Oder sie können Führungstheorien anschaulich vermitteln, was zukünftig vielmehr für Trainer eine Konkurrenz darstellen könnte. Oder sie ergänzen/ersetzen Selbsthilfebücher und Ratgeber für alle Lebenslagen. Coaching ist wirkungsvoll und nachhaltig in der Begleitung von konkreten Themenstellungen und unterstützt sehr effektiv und nachhaltig Lösungsfindungen. Oder es hat die spezielle Form des Sparrings, das für eine andauernde Begleitung bei anspruchsvollen, komplexen Aufgaben und Prozessen eine inhaltliche, emotionale und mentale Fitness gewährleistet. Beides ist durch digitale Coachingmethoden derzeit nicht ersetzbar. Aber mit zunehmenden technologischen Möglichkeiten kann digitales Coaching den Anwendungsbereich sinnvoll ergänzen oder/und vermehren.«
Sabine Prohaska: »Ich arbeite zwischen den einzelnen Coachingeinheiten gerne mit Übungen, die ich den Klienten mitgebe. Diese sollen die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aspekten eines Coachingthemas anregen. In der nächsten Einheit sprechen wir dann über Erkenntnisse, Fragen etc., die sich aus diesen Selbstcoaching-Übungen ergeben haben. Meine Klienten reagieren durchwegs positiv (überrascht) auf diese Art des Coachingprozesses. Ich bin gerade dabei, für einige dieser Übungen Apps entwickeln zu lassen. Generell ist und bleibt für mich Coaching jedoch ein ­›People Business‹. Das heißt, ich bevorzuge das persönliche Gespräch. Konkret bedeutet dies: Ich verwende zum Beispiel eher das Telefon bzw. Video-Chats, als per E-Mail mit Coachees über ›Probleme‹ zu kommunizieren. Bei den ersten beiden Medien kann ich schneller und unmittelbarer auf das Gesagte reagieren. Zudem spüre ich unmittelbarer die Reaktion des Coachees.«

Fazit
Digitale Medien eignen sich gut zur Ergänzung für persönliche Gespräche. Ein erstes persönliches Kennenlernen kann für den Prozess sehr vorteilhaft sein. Wenn aus zeitlichen oder örtlichen Gründen weitere persönliche Treffen nur schwer möglich sind, sind digitale Hilfsmittel eine gute Alternative.

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