Erfolgsmodell Kooperation

Menschen, die zu kooperativem Verhalten bereit sind, sind langfristig erfolgreicher. Wie sich dieses Verhalten auch im HR bezahlt macht, lesen Sie in diesem Artikel.

Der Wissenschafter Robert Axelrod hat mit seinem bahnbrechenden Text zur Evolution von kooperativem Verhalten (1984) wesentlich dazu beigetragen, für alltägliches, zwischenmenschliches Verhalten Verständnis zu entwickeln. Er hat mit Computermodellen gezeigt, dass sich Kooperation gegenüber Betrug langfristig durchsetzt. Jene Menschen, die zu kooperativem Verhalten bereit waren, waren erfolgreicher als jene, die Betrug und Hintergehen als Verhaltensweise bevorzugten. So konnte sich mittelfristig die Kooperation bei uns Menschen durchsetzen. Sie wurde zum Erfolgsmodell.

Brot gegen Geld oder Tit-for-Tat

Axelrod entwickelte ein Computerspiel, das die Evolution von Verhalten darstellte. Ihn quälte folgende Frage: Wie konnte es dazu kommen, dass kooperatives Handeln entsteht, wo doch nichtkooperatives Handeln bzw. Betrug sehr oft als rationelle Lösung sinnvoll scheint?
Nehmen wir dazu folgendes Gedankenexperiment, das dann auch zum Spiel wurde:
Herr Schwarz hatte Hunger, aber nichts zu essen. Herr Weiss hatte Lebensmittel, aber kein Geld. Sie einigen sich auf einen Deal: Du gibst mir in einem Beutel 100,– €, dafür gebe ich dir im selben Wert Lebensmittel, ebenso in einem Beutel. Die Frage lautet: Welche Strategie ist für die beiden Herren die gewinnbringendste? Es müsste, rational betrachtet, die Betrugsstrategie sein: Ich übergebe nichts, nehme aber alles. Denken das beide, so haben beide nach dem Deal so viel/wenig wie zuvor. Herr Schwarz ist immer noch hungrig und Herr Weiß hat kein Geld. Und jetzt fängt das Spiel an: Wenn Herr Schwarz denkt, dass Herr Weiss denkt, dann müsste er … ja, was müsste er dann tun? Sollten sie die Beutel mit jeweils der Hälfte des Gegenwertes anfüllen? Sollten sie einander, wie vereinbart, alles geben? Was ist, wenn Herr Weiss alles gibt und Herr Schwarz nur die Hälfte? Und was ist, wenn die beiden einander nicht nur ein einziges Mal sehen, sondern wöchentlich zu diesem Deal treffen?
Genau das wollte Axelrod mit seinem Computerspiel herausfinden, ließ dazu die besten Forscher unterschiedlichster Richtungen gegeneinander antreten und gegeneinander über 200 Züge hinweg Brot gegen Geld spielen. Jeder konnte mit einem Zug kooperieren oder betrügen. Kooperierten beide, bekamen beide drei Punkte. Kooperierte einer und der andere betrog, bekam der Betrüger 5 Punkte und der andere Null. Beide bekamen Null, wenn beide betrogen. Wie man sieht, scheint der Betrug die einträglichste Taktik zu sein.

Es gewann eine Strategie von Anatoli Borissowitsch Rapoport. Sie heißt Tit-for-Tat und besagt nichts anderes, als dass man nach einem eröffnenden, freundlichen Angebot zur Kooperation ein simples Wie-du-mir-so-ich-Dir spielt.
Axelrod setzte in Folge in einem ähnlichen Spiel statt Punkte Nachkommen ein. Er wollte wissen, welche Taktik sich innerhalb einer Population durchsetzt: Die Kooperation oder der Betrug? Zuerst nützten die Betrüger die schnellen Vorteile, die sie gegenüber den Kooperativen/Freundlichen hatten. Ihre Anzahl nahm in der Population rasch zu. Jedoch, und das ist spannend zu sehen, starben diese »bösen« Programme bald aus. Sie vernichteten ihre Spielgefährten und entzogen sich damit aber auch die Punktelieferanten. Sie blieben gemeinsam mit ihren Opfern auf der Strecke. Je länger das Spiel dauerte, desto deutlicher setzten sich die erst dezimierten Netten nachhaltig durch. Sie übernahmen die Population. Das funktioniert aber nur, so lange ein Ende der Interaktion in weiter Ferne ist:
Solange man auf seine Lieferanten angewiesen ist und dies auch in absehbarer Zeit bleibt, solange werden pünktlich und vorbildhaft dessen Rechnungen beglichen. Naht jedoch das Ende der Geschäftsbeziehung, lässt diese Motivation oft stark nach.
In der Bauindustrie wird das unerwartete Beenden von Kooperationen perfektioniert: Hier nützen Subunternehmer und Lieferanten den strategischen Vorteil, das Ende einer Kooperation durch einen Konkurs selbst zu bestimmen.
Interessanter Weise gibt es im Geschäftsleben auch eine Art Zwang zur Kooperation: Das Verlangen einer hohen Anzahlung, sei es für Waren oder Hotelnächtigungen, ist nichts anderes als das Einfordern einer Vorleistung und damit eines ersten Beweises der Kooperationsbereitschaft. »Beweise mir erst einmal, dass du mit mir wirklich willst, dann sehen wir weiter …« Nichts anderes ist der Zwang zu Anzahlungen.

Tit-for-Tat bei der Akquise

Oft ist die erste Beraterstunde bei einem Rechtsanwalt, Psychotherapeuten oder Coach unentgeltlich. Die Gratisleistung ist nichts anderes als eine Einladung zur Kooperation mit dem Wunsch der Dauerhaftigkeit dahinter. Im Grunde ist es simpel: Wer etwas vom anderen will, sollte mit einem Signal der Kooperationsbereitschaft das Spiel eröffnen. Das führt mitunter zu Problemen. Denn wer das weiß, kann es natürlich auch für seine Absichten bewusst einsetzen.

Tit-for-Tat im HR

Ob es jemand versteht, gut Tit-for-Tat zu spielen, kann man auch bei Bewerbungsgesprächen feststellen. Da sitzen einander zwei Parteien gegenüber und testen, ob sie denn zueinander passen. Die Frage ist, wer als erster mit einem Kooperationsangebot beginnt. Zu unterscheiden ist zwischen »Was kann ich Ihnen bieten?« und »Was kann ich von Ihnen erwarten?«. Das eine ist ein Kooperationsangebot, das andere ist eine Forderung. Beginnt ein Gespräch mit einem Kooperationsangebot, so kann es ganz leicht einen für beide Seiten angenehmen Verlauf nehmen. Beginnt eine Seite jedoch mit einer Forderung, so steht einem eher holprigen Gesprächsverlauf nichts mehr im Weg.

Prinzipiell investiert die Personalentwicklung ja in Mitarbeiter, um in Folge etwas zurückzubekommen. Gibt es diesen ROI, dann kann auch weiter investiert werden. Weist hingegen die Personalentwicklung den Wunsch eines Mitarbeiters nach einer speziellen Fortbildung zurück, so kann das Unternehmen damit rechnen, dass in Folge auch die Leistungsbereitschaft dieses Mitarbeiters sinkt. Deswegen ist das Lob vor Dritten seitens einer Führungskraft gegenüber einem Mitarbeiter ein so mächtiges Tool. Es eröffnet eine Kooperationsabfolge im Sinne von Wie-du-mir-so-ich-Dir. Aber immer nur so lange, bis einer beginnt, auszuscheren. Dann kann es wieder dauern, bis man zurück ist.
Das Verhalten vor Dritten
Tit-for-Tat beruht darauf, nicht auf Kosten seiner Mitmenschen Gewinne zu machen. Es versucht nie, den Mitspieler zu übertreffen. Es gibt weder Verlierer noch Opfer. Entstanden ist es in stabilen Kleingruppen, wo jeder jeden kennt. Heute hingegen sehen Business-Umgebungen meist anders aus, die Gesellschaft bietet eine Fülle an Nischen für Anonymität und damit Nester für Betrug. Jedoch: Moderne Technologien und das Web 2.0 bringen die Menschen wieder enger zusammen, lassen Anonymität kaum zu. Hier dienen die sozialen Netzwerke als Kontrollmechanismen. Wer die Spielregeln verletzt, so implizit sie auch sein mögen, muss mit sozialen Konsequenzen rechnen. Damals gab es wahrscheinlich eine tüchtige Abreibung oder eine temporäre Ächtung, heute dient der Shitstorm als Strafe für Betroffene und Wegweiser für Beobachter.
Disziplinieren im Unternehmen
Wer das erste Kooperationsangebot nicht annimmt, sondern mit Betrug/Nichtkooperation antwortet, wird sofort von Tit-for-Tat bestraft. Das ist dessen weitere Stärke: Es ist unglaublich konsequent und bestraft sofort, wenn es hintergangen wird. Und es bestraft solange, bis das Gegenüber wieder einmal auf Kooperation setzt. Dann ist es auch sofort wieder versöhnlich und antwortet entsprechend.
Das echte Leben, fernab theoretischer Modelle, so lebensnah sie auch sein mögen, ist meist komplexer als die algorithmusbasierten Spielsituationen. Man hat mit so unglaublich vielen Menschen Sozialkontakt, muss ständig fremde Verhaltensweisen einschätzen und bewerten und das eigene Verhalten entsprechend ausrichten, muss rasch erzielbare Gewinne gegen mittelfristige Probleme hochrechnen und darüber nachdenken, ob das eigene Verhalten von den Mitmenschen auch so bewertet wird, wie man es selbst zu tun meint. Und das alles unter Zeitdruck. Und wir schaffen das. Wir schaffen das mit spielerischer Leichtigkeit, weil es sich um Denkmuster handelt, die für unsere Vorfahren überlebenswichtig waren. Diese Denkmuster hatten rund zwei Millionen Jahre Zeit, sich zu entwickeln und zu etablieren – da kann man sich schon ein bisserl was erwarten.

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fauma

Gastautor
Gregor Fauma
ist Verhaltensbiologe und Keynote-Speaker, unter anderem mit seinen Vorträgen »Intim im Team«, »Unter Affen« und »Neandertaler
hatten kein PowerPoint.«
www.gregorfauma.com