Fast wahr ist auch gelogen

Ein Speaker und Trainer lebt unter anderem davon, komplexe Inhalte leicht aufbereitet zu vermitteln. Viele Botschaften werden in Geschichten verpackt. Leider häufig in falsche.

»Nach den Gesetzen der Physik können Hummeln nicht fliegen. Doch die Hummel weiß das nicht und fliegt trotzdem.« Das ist eine Behauptung, die wir häufig in Seminaren und auch von der großen Bühne aus hören. Die Botschaft, die damit vermittelt werden soll: »Du kannst alles schaffen, wenn du es nur wirklich willst und lass dir von niemandem das Gegenteil einreden!« Solche Geschichten gibt es unzählige, weil sie auf den ersten Blick bzw. schnell hingehört auch gut wirken und einleuchtend sind.
Doch viel zu selten hinterfragen die Teilnehmer eines Seminars oder die Zuhörer einer Rede diese Aussagen, und das ist schade. Denn es werden viele Unwahrheiten behauptet. Das ist in den meisten Fällen nicht wirklich tragisch, da es ohnehin nicht um die Geschichte an sich geht, sondern viel mehr um die »Message«.
Doch der kritische Geist wird sich vielleicht bei obiger Geschichte schon fragen, warum die Hummel nun doch fliegt. Nur weil sie nicht weiß, dass sie es nicht kann? Eher unwahrscheinlich. Oder die Gesetze der Physik sind einfach falsch? Ausnahmen bestätigen die Regel?
Von der Hummel wird nun behauptet, ihre Flügel seien zu klein, um ihr Gewicht in die Luft zu bekommen. Das stimmt aber nur dann, wenn die Flügel der Hummel als starre »Tragflächen« – wie bei Flugzeugen – angesehen werden. Dass sie sich aber bewegen und einen Flügelschlag erzeugen, wurde dabei nicht berücksichtigt. Also keine Sorge, die Physik stimmt, nur die Geschichte ist nicht ganz wahr. Ein humorvoller Trainer würde die Geschichte noch mit einem Witz versehen, etwa: »Hummeln sind nur deshalb so laut, weil sie selbst die ganze Zeit ›WOOOOAAHHH!!‹ machen – weil sie gar nicht fassen können, dass sie fliegen können.« Damit ist zumindest ein Lacher im Publikum erzeugt.

Exkurs USA

Präsidentschaftskandidat Donald Trump »ist der teuerste Redner der Welt«, das veröffentlichte »DIE WELT« am 26. Juli 2015. Er erhält angeblich eine Gage von bis zu 1,5 Millionen Dollar pro Auftritt in der Wirtschaft. Tony Blair und die Clintons liegen nur etwas darunter. Österreichische Politiker liegen übrigens je nach Amt bzw. ehemaligem Amt zwischen 10.000 und 20.000,– € pro Stunde. Aber darum soll es jetzt gar nicht gehen.
Seit 2007 überprüfen Redakteure von PolitiFact die Aussagen von amerikanischen Politikern auf deren Wahrheitsgehalt. In der New York Times berichtete im Dezember 2015 die Chefredakteurin Angie Drobnic Holan, dass von 70 Aussagen von Donald Trump drei Viertel einfach gelogen sind. Das sind z. B. rassistische Aussagen wie »Schwarze sind für 81 % der Morde an Weißen in den USA verantwortlich«. Das ist schlicht und einfach falsch, laut FBI liegt die Zahl bei 15 %.
Im Vergleich dazu waren von Präsident Barack Obama von 569 Aussagen nur 9 Aussagen unrichtig, damit gehört er zu den ehrlichsten Präsidenten in der jüngeren Geschichte der USA. Donald Trump verdient also am meisten Geld pro Rede und lügt dabei auch noch am meisten. Unglaublich, wie mit Unwahrheiten Geld verdient wird, weil sie dem entsprechen, was das Publikum hören möchte.

Kommen wir wieder zurück in die Trainer- und Speaker-Szene im deutschsprachigen Raum. Kennen Sie folgende Geschichte, die man häufig auf Positionierungsworkshops hört? »Wenn die Ente ein Ei gelegt hat, liegt es irgendwo versteckt und die Ente gibt keinen Ton von sich. Wenn aber die Henne ein Ei gelegt hat, liegt es im Nest und die Henne gackert. Daher haben sich Hühnereier mehr durchgesetzt als Enteneier.« Die Aussage, die dahinter steckt, ist einfach: »Tue Gutes und rede darüber.«
So wie die Hummel-Geschichte ist diese Aussage einleuchtend und logisch und die Kernbotschaft wird schön verpackt. Jeder kann sich darunter etwas vorstellen. Und schon wird der nächste Unternehmenserfolg auf Facebook gepostet. Nur leider ist die Geschichte ebenfalls nicht richtig. Und zwar gleich mehrfach. Auch hier wollen wir Ihnen die Wahrheit nicht vorenthalten. Bitte sprechen Sie den Trainer oder Speaker unbedingt darauf an.
Hühnereier haben sich in Europa vorwiegend auf Grund des Geschmacks durchgesetzt, während in vielen asiatischen Ländern heute noch immer mehr Enteneier als Hühnereier verzehrt werden. Obwohl wir davon ausgehen müssen, dass die Enten auch dort nicht gackern.
Bis in die 1920er Jahre wurden auch in Europa Enteneier in ungefähr gleicher Menge wie Hühnereier zum Kochen verwendet. Dann machte allerdings ein bis heute unbestätigtes Gerücht die Runde, nämlich das Enteneier für den Ausbruch von Paratyphus (eine Infektionskrankheit) verantwortlich sind. Bestätigt ist heute nur, dass die Salmonellengefahr bei Enteneier tatsächlich etwas höher ist.
Bitte verstehen Sie diesen Artikel richtig, die Geschichte ist großartig, um die Botschaft zu vermitteln. Doch wäre eine Zusatz-Info des Trainers angebracht, damit er nicht unkommentiert Falsches erzählt.

Die Kraft der Gedanken

Kennen Sie die Übung, die meistens bei NLP-Einstiegsseminaren verwendet wird? Sie halten ihren rechten Arm nach vorne und den Daumen in die Höhe. Nun drehen Sie sich nach rechts, bis es nicht mehr geht und merken sich, wie weit Sie gekommen sind (das geht einfach, in dem man sich den Hintergrund einprägt). Nun geht es zurück in die Ausgangsstellung und Sie stellen sich vor, dass Sie es noch ein Stück weiter schaffen. Suchen Sie sich ein Ziel, das einige Zentimeter weiter entfernt ist und visualisieren Sie es. Nun der zweite Versuch und tatsächlich kommt man wesentlich weiter als zuvor. Überraschung bei den Teilnehmern, staunende Blicke. Aussage: »Wenn du dir hohe Ziele steckst, kannst du sie auch erreichen. Nur wenn du keine Ziele hast, bist du mit dem zufrieden, was du erreicht hast.« Schönes Experiment, schöne Übung, falsche Erklärung.
Der Effekt erklärt sich ganz einfach damit, dass die Muskulatur beim ersten Versuch gedehnt wird, und daher beim zweiten Versuch mehr gestreckt werden kann.
Es ist bei manchen Trainern und Rednern bewundernswert, wie sie es schaffen, Botschaften mit einfachen Geschichten zu erklären. Doch sie sollten unbedingt immer bei der Wahrheit bleiben. Menschen bezahlen Trainer, um Neues zu lernen und nicht, um Lügengeschichten zu hören!

Lügen differenziert betrachtet

Die »Zeit online« berichtete am 24. Mai 2015 darüber, dass jeder Mensch im Schnitt rund 200 Mal am Tag lügt, davon besonders viel in der Arbeitswelt. Wir Menschen befinden uns in einem Dilemma. Einerseits lernen wir schon von Kind auf, immer schön die Wahrheit zu sagen – z. B. durch Sprichwörter wie »Ehrlich währt am längsten« oder »Lügen haben kurze Beine«. Auf der anderen Seite wollen wir auch höflich sein. Wenn uns also der Ehepartner fragt, wie wir den neuen Pullover finden, müssen wir uns unter Umständen zwischen Ehrlichkeit und Höflichkeit entscheiden.
Einige Forscher wie Sanjiv Erat und Uri Gneezy unterscheiden zwischen »schwarzen Lügen« und »weißen Lügen«. Bei einer schwarzen Lüge betrügt ein Lügner auf Kosten von jemand anderem. Wenn ich z. B. ein Auto als »wie neu« verkaufe und weiß, dass es schrottreif ist, betrüge ich auf Kosten des Käufers.
Als »weiße Lügen« bezeichnet man Lügen, bei denen zum Nutzen anderer die Unwahrheit erzählt wird. Es soll dem Gegenüber also nicht geschadet werden, sondern geholfen. Das Forscherteam hat dabei herausgefunden, dass Menschen durchaus bereit sind, sich selbst durch eine Lüge etwas zu schaden, während dieselbe Lüge einem anderen nützt. Ein Beispiel: Wenn ein Chef seinem Mitarbeiter nichts von der herben Kritik der Geschäftsführung an ihm erzählt, obwohl sich die Geschäftsführung von dem Chef genau das gewünscht hätte.
Wichtig ist es natürlich auch, Unwissenheit nicht mit Lügen zu verwechseln. Wenn ein Trainer oder Speaker unwissend etwas Falsches erzählt, macht ihn das nicht zu einem Lügner, sondern schlicht und einfach inkompetent.

Lügen von Trainern

Warum erzählen uns nun also Trainer oder Speaker so häufig Unrichtiges? Warum nimmt sich ein Redner nicht die Zeit, seine Inhalte auf den Wahrheitsgehalt zu überprüfen? Wovon wir auf jeden Fall ausgehen können, ist, dass er es nicht in böser Absicht macht. Es ist eher Faulheit oder mangelnder Respekt gegenüber den Zuhörern. Es ist einfach respektlos, vor einem zahlenden Publikum Unwahrheiten als Wahrheiten auszugeben. Auch wenn der Trainer oder Speaker den Teilnehmern nicht schaden möchte, durch das Erzählen falscher Geschichten macht er genau das.
Die meisten kennen die Prozentaufteilung von Albert Mehrabian. Die falsche Aussage, dass Kommunikation zu 93 % nonverbal funktioniert, wird auch nur noch ganz selten verwendet. Aber eben doch noch. Immer wieder höre ich: »Wussten Sie schon, dass nur 7 % Ihrer persönlichen Kommunikation von den Worten bestimmt werden, 38 % durch Ihre Stimme, aber 55 % durch Ihre Körpersprache?« Und mit genau dieser Aussage werden nun kräftig Körpersprache-Seminare verkauft. Natürlich ist es richtig, dass die Körpersprache ein sehr wichtiger Teil des Kommunikationsprozesses ist. Doch was sollen die Zahlen? Wo kommen sie her?
Hier die Auflösung, damit Sie Ihren Trainer/Redner beim nächsten Mal belehren können. Alleine der Hausverstand sollte uns mitteilen, dass wir eine Botschaft nicht zu 93 % erklären können, ohne Worte zu verwenden.
Albert Mehrabian ist US-amerikanischer Psychologe. Ihn beschäftigte 1967 die Frage, was denn wohl passiert, wenn verbale und nonverbale Kommunikation nicht zusammenpassen. Er überprüfte diesen Zusammenhang in zwei Experimenten. Dabei wurde untersucht, wie Menschen bei Widersprüchen zwischen gesprochenem Wort und Stimme bzw. Stimme und Mimik eine Aussage zuordnen. Dabei ergab sich eine etwa 1,5-mal stärkere Durchsetzungskraft des Gesichtsausdrucks gegenüber dem Tonfall.
1971 bestimmte Mehrabian daraus das Wirkungsverhältnis zwischen Inhalt, Ton und Körpersprache – eben die »7-38-55-Regel«. Oft wird aus diesem Ergebnis fälschlich eine allgemeingültige Regel für die zwischenmenschliche Kommunikation abgeleitet. Da der Professor so oft falsch interpretiert wurde, stellte er 1994 selbst klar, dass seine Ergebnisse nicht für normale Kommunikation (oder Reden) gedacht waren, sondern nur für Fälle »inkongruenter Botschaften«. Der Professor hatte also schon recht mit den Zahlen, aber in einem völlig anderen Kontext.

Der Space-Pen

Zum Abschluss des Artikels noch eine Geschichte, die erst kürzlich wieder von einem sonst sehr guten Vortragenden erzählt wurde. Es wird behauptet, die nasa habe mehrere Millionen Dollar dafür aufgewandt, einen Stift zu entwickeln, der im Weltall, also auch im Zustand der Schwerelosigkeit, problemlos schreibt. Im Vortrag werden denn wirkungsvoll Fotos eines Raumschiffs im All eingeblendet, gefolgt von Astronauten, die mit einem Stift irgendetwas schreiben, im Hintergrund ist der Planet Erde zu sehen. Als nächstes Foto sieht man einen Bleistift – und hört den Speaker sagen: »Und so haben die Russen das Problem gelöst.« Die Aussagen dahinter: »Es muss nicht immer das teuerste oder aufwändigste Produkt sein. Zu viel Entwicklungsarbeit macht einen u. U. betriebsblind. Manchmal sind die einfachen Lösungen  die besten.«
Das alles mag auch hier wieder völlig richtig sein. Die Inszenierung der Geschichte mit den schönen Fotos im Hintergrund ist aber leider ganz weit von der Wahrheit entfernt.

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Tatsächlich hatte die NASA bei den ersten Missionen Bleistifte eingesetzt. Diese haben aber für skurrile Probleme gesorgt, unter anderem weil die NASA für einen Weltraumbleistift 120,– $ ausgegeben hat. Der »Space Pen« wurde von der Firma Fisher in den 1950er Jahren entwickelt und bis in die 1960er Jahre weiterentwickelt. Die NASA interessierte sich für das Produkt, es wurde 2 Jahre getestet und 1968 erfolgreich auf der Apollo-7-Mission eingesetzt. (Die detaillierte Geschichte finden Sie hier: www.thespacereview.com/article/613/1.)
Die Geschichte ist also nichts anderes als ein Gerücht, das sich hartnäckig hält. Die wahre Geschichte ist natürlich nicht so spannend, aber mindestens genauso inspirierend. Denn der Kaufmann Paul Fisher hat mit der Idee, die NASA zu beliefern, aus einem Kugelschreiber den bis heute modernen »Space-Pen« entwickelt.

Es wäre zu wünschen, dass Trainer und Redner in Zukunft nur mehr Geschichten erzählen, die auch tatsächlich stimmen. Publikum und Teilnehmer sollten ohnedies stets mit einem kritischen Ohr zuhören.

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