Freude am Schaffen statt weniger Arbeit

Wie die Attraktivität als Arbeitgeber mittels beruflicher Lebensqualität gesteigert werden kann.

Es ist ja verständlich: Viele junge Menschen haben in ihrer Kindheit erlebt, dass ihre Eltern ständig unter Stress gestanden sind und das Familienleben unter der Arbeitslast gelitten hat. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus: Viele wollen mehr Freizeit und weniger arbeiten. So ist es auch keine Seltenheit mehr, wenn junge Menschen nach 30-Stunden-Jobs suchen. Gotthold Ephraim Lessing hat gemeint: »Das Vergnügen ist so nötig als die Arbeit.« Doch was wäre, wenn mehr Freude ins Leben kommt, indem private UND berufliche Lebenszeit freudvoll sind?

Welt im Umbruch

Vieles in unserer Welt ist im Umbruch, von geopolitischen Verwerfungen über Digitalisierung bis Logistikketten. Der Arbeitsmarkt erfährt gerade einen besonders radikalen Umbruch: War es viele Jahre so, dass viele Bewerber um einen Arbeitsplatz gewetteifert haben, ist es jetzt in vielen Bereichen so, dass die Unternehmen als möglichst attraktive Arbeitgeber um die Fachkräfte buhlen. Employer Branding boomt. Doch die gesamte Organisation muss erfüllen, was man in Marketing und Kommunikation Bewerbern verspricht. Fassadenlösungen verpuffen oder stellen sich als Schuss ins eigene Knie heraus: Wenn Erwartungen nicht erfüllt werden, führt dies oftmals zu schmerzlichen Enttäuschungen. Mit der abnehmenden Loyalität der Mitarbeiter gegenüber den Unternehmen und den attraktiven Alternativen am Arbeitsmarkt führt dies unweigerlich zu Kündigungen. In Zeiten von kununu und anderen Arbeitgeberbewertungs-Plattformen spricht sich das auch rasch herum und erschwert das Recruiting.

Berufliche Lebensqualität

Die kognitive Neurolinguistik geht Begriffen bzgl. der darunterliegenden gesellschaftlichen Annahmen auf den Grund. So kommt im Begriff »Work-Life-Balance« zum Ausdruck, dass Arbeit außerhalb des eigentlichen Lebens betrachtet wird. Die reichen Griechen und Römer konnten es sich leisten, ihr Leben zu leben und dem Müßiggang zu frönen, während die Sklaven arbeiten mussten. Ein Bekannter verwendet daher regelmäßig den Begriff »Work-Privat-Balance«. Das drückt wiederum aus, dass wir erwerbstätige Arbeit ganz anders bewerten als die vielen unbezahlten Arbeitsleistungen von den Care-Tätigkeiten bis zur Gartenarbeit in der Freizeit. Rein biologisch ist natürlich Arbeitszeit Lebenszeit und es ist für unseren Körper irrelevant, ob wir für Arbeit bezahlt werden oder nicht. Ich spreche daher von Life-in-Balance und meine damit eine Ausgewogenheit zwischen beruflichen und privaten Lebensbereichen sowie zwischen Freude am Schaffen und am Auftanken. Lebensqualität ist nicht nur in der Freizeit relevant, sondern auch beruflich. So appellierte schon Konfuzius: »Wähle einen Beruf, den du liebst und du wirst nie wieder arbeiten müssen.« Übrigens: »Amateurhaft« leitet sich von amare, d. h. lieben ab. Unsere Gesellschaft braucht ganz dringend, dass wir professionell und amateurhaft nicht mehr als Gegensatz sehen, sondern wieder miteinander verbinden. So singt Mary Poppins: »In every job that must be done, there is an element of fun. Find this element of fun and it becomes a game.« Playful leadership fördert, dass sich Mitarbeiter ein Spielfeld mit guter Balance zwischen Spielregeln und Spielräumen schaffen können, um diese beruflichen Freuden bestmöglich wahrzunehmen. Räumliches Wohlfühl-Ambiente bietet dazu den Rahmen der beruflichen Lebensqualität, die Kreativität und Schaffenskraft fördert.

Gemeinsamer Sinn

Meine Zusammenfassung von Motivation aus evolutionspsychologischer Sicht: »Menschen wollen gemeinsam Sinnvolles schaffen.« Unser Hirn ist darauf programmiert, das Überleben der Sippe in der Savanne zu sichern. Wir Homo Sapiens haben uns gegenüber den anderen Arten der Hominini durchgesetzt, weil wir aufgrund unserer Sprachfähigkeiten ein Bild von einer besseren Zukunft teilen konnten. Das ist die Motivationsquelle für gemeinsames Schaffen. Purpose driven organizations sind daher in hohem Maße hirngerecht. Im Alltag kann die Sinnorientierung sprachlich einfach umgesetzt werden. »Das ist wichtig, weil …«, »Wir machen das für …«, »Wir haben uns entschieden, um zu …« etc. Zugehörigkeit zu einer beruflichen Sinngemeinschaft, in der es auch Freundschaft mit Einzelnen gibt, hat allergrößten Einfluss nicht nur auf die Zufriedenheit, sondern auch auf Leistungsstärke und Gesundheit der Menschen. Sympathische Kollegen und Teamspirit sind entscheidend für das Bleiben, das Verhalten der direkten Führungskraft in kritischen Situationen der häufigste Grund für das Verlassen des Unternehmens.

Passung zwischen Aufgaben und Begabungen

Auf einer japanischen Insel gibt es besonders viele und erstaunlich fitte über 100 Jahre alte Menschen. Sie haben ihr ›Ikigai‹ gefunden. Ikigai ist eine japanische Sinn-Philosophie und bedeutet sinngemäß »das, wofür es sich zu leben lohnt«. Menschen, die ihr Ikigai gefunden haben und an den Sinn ihres Lebens glauben, haben nachweisbar signifikant höhere Lebenserwartung.
Das Herzstück zeigt die Grafik unten rechts. Unternehmen sind gefordert, möglichst hohe Deckung zwischen Können und Vorlieben der Mitarbeiter sowie Wert und Sinn der Arbeitsleistungen aus Unternehmenssicht zu erzielen. Immer mehr spricht sich der Grundsatz im Recruiting herum: »Hire characters and train skills.«

Aufblühen im Flow

Ist Ihnen z. B. schon einmal aufgefallen, dass es PROblem heißt und nicht CONTRAblem? Die griechischen Sprachwurzeln bedeuten »Zur Lösung vorgelegt«. Und genau dafür ist unser Gehirn gebaut: PRObleme zu lösen und daraus die gute Erfahrung der Selbstwirksamkeit zu gewinnen: »Ich habe das geschafft.« Die Positive Psychologie spricht von »Aufblühen« oder »Flourishing«. Wenn wir Schwieriges bewältigen, gewinnen wir an Zuversicht, dass wir auch zukünftige Herausforderungen schaffen werden. Dieses gesunde Selbstvertrauen ist die wirkmächtigste Säule von Stressresistenz und Resilienz. Unser Gehirn liebt Herausforderungen, die einerseits lohnend und andererseits bewältigbar sind. Mihály Csíkszentmihályi hat das Flow-Prinzip beschrieben: Wenn Anforderungen zu den Fähigkeiten passen, können wir in beglückendem Flow versinken. Flow ist die gesunde Dosis von Stress, die uns Leistungspotenziale entfalten lässt.

Freude am Schaffen

Die deutsche Sprache bringt es wunderbar auf den Punkt: Wenn wir Aufgaben, die zu unseren Begabungen passen, in Hingabe erfüllen, wird das Werk uns glücken und uns beglücken. Besonders spannend ist die Mehrdeutigkeit des Begriffs »schaffen«: »Ich schaffe« steht für »ich mache« oder »ich arbeite«. Es drückt aber auch das Gelingen »ich schaffe es« oder »ich habe es geschafft« aus. Und wenn ich ein »Werk geschaffen« habe, werde ich »rechtschaffen« müde sein. Ich erlebe die Genugtuung, genug getan zu haben. Wir brauchen wieder mehr Handwerkermentalität mit »Werkstolz«, der positiven Identifikation mit den Resultaten unseres Schaffens. Der deutsche Philosoph Hellmut Walters resümiert auch: »Krank werden wir, weil wir so viel arbeiten und so wenig Aufgaben haben.« Meine Lieblingsfragen für Mitarbeitergespräche sind daher: »Was macht dein berufliches Engagement wertvoll?«, »Welchen Nutzen bewirkst du?«, »Was trägst du direkt oder indirekt zum Unternehmenserfolg bei?« Und weil man bei vielem den Wert erst erkennt, wenn es fehlt: »Was ginge verloren, wenn du deinen Job nicht oder nicht gut machen würdest?« Spiele haben sogar Suchtpotenzial, weil wir über den Score erkennen können, wie wir immer besser werden. Das brauchen wir auch beruflich. Ich empfehle, vom Applaus für Schauspieler zu lernen, den gemeinsamen Erfolg zu feiern und dabei die Beiträge der Einzelnen zu würdigen.

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Gastautor Monika Herbstrith-Lappe

ist Gründer von Impuls & Wirkung –  Herbstrith Management Consulting und Autor u. a. von »Aufblühen statt Ausglühen – raus aus dem Stress & rein in den Flow«.

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