Krankenstände messen ist zu wenig

Viele HR-Abteilungen messen Fehlzeiten, Fluktuation und Zahl und Dauer der Krankenstände. Reicht das wirklich, um »gesunde Führung« zu evaluieren?

Führungskräfte sind kein echtes Vorbild, wenn es darum geht, bei Krankheit zu Hause zu bleiben und sich wirklich zu erholen, um baldmöglichst wieder fit für den Job zu sein. Ca. 75 % geben an, auch bei Krankheit arbeiten zu gehen. Dieser »Präsentismus« bei Führungskräften und Mitarbeitern verursacht letztendlich hohe Kosten. Es können nur ca. 50 bis 75 % der gewohnten Leistung erbracht werden, die Fehlerhäufigkeit steigt, das Umfeld leidet unter möglicher Ansteckungsgefahr und nicht zuletzt ist die eigene Gesundheit gefährdet. Somit sind Krankenstandsdaten alleine kein verlässlicher Indikator für »gesundes Arbeiten«

Umfassende Evaluierung

Eine hohe Anwesenheitsquote und geringe Krankenstandsquoten stehen also nicht für einen guten Gesundheitszustand der Mitarbeiter. Statt nur den Fokus auf die Krankenstandstage zu richten, braucht es eine umfassendere Evaluierung der Arbeitsbedingungen, um gesundes Führen und die Gestaltung leistungsfördernder Arbeitswelten möglich zu machen. Wesentliche Faktoren mit Einfluss auf das Betriebliche Gesundheitsmanagement finden sich ebenso in den Bereichen Unternehmenskultur, Umgang mit Fehlern, Feedback-Kultur, Zeitdruck durch zunehmende Beschleunigung der Arbeitsabläufe, generationen- bzw. lebensphasengerechtes Führen und in einigen anderen Themenfeldern. Erst die Messbarmachung von Aspekten mit Einfluss auf physische und psychische Gesundheit macht ein Controlling und strategische Planung möglich. Weitere Vorteile einer Messbarkeit: Konkrete Kennzahlen können in die Führungskräfte-Ausbildung einfließen, geben Hinweise für die Gestaltung von Prozessen, können in verschiedene Systeme eingespeist und auch in SAP importiert werden. Nicht zuletzt liefern sie wertvolle Inhalte sowohl für eine fundierte Analyse, die ein Gesamtkonzept für ein nachhaltiges Betriebliches Gesundheitsmanagement ermöglichen, als auch für gesunde Arbeitsplatzgestaltung. In Summe: Das Messen der »Gelingens-Faktoren« betrieblicher Gesundheit macht gesundes Führen erst möglich.

Instrumente und konkrete Fragen

Konkrete Fragestellungen können sowohl bei der Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz als auch bei regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen erhoben werden. Wir haben beispielsweise mit EWOPLASS® (European Workplace Assessment) gemeinsam ein Screening-Verfahren zur Evaluierung entwickelt, das flexibel und ökonomisch handlungsanleitende Ergebnisse liefert, die Hinweise zu möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geben. Aber auch in regelmäßig durchgeführten Mitarbeiterbefragungen spielen Aspekte mit Auswirkungen auf Gesundheitsfaktoren eine Rolle.
Die Fragen können einerseits sehr direkt und klar in Richtung Gesundheitsmanagement formuliert sein, wie z.B.:

  • »Mein Arbeitgeber bietet bei psychischen Belastungen Hilfestellungen an.«
  • »Mein Arbeitgeber unterstützt die Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz.«Andererseits spielen aber auch viele andere Aspekte in diese Thematik hinein, die über andere Fragestellungen gemessen werden können.
  • »Ich werde über Neuigkeiten und Veränderungen von meiner Führungskraft sehr gut informiert.«
  • »Beruf und Privatleben kann ich gut in Einklang bringen.«
  • »Die anfallende Arbeit kann in meinem Arbeitsbereich mit den bestehenden Mitarbeitern gut bewältigt werden.«
  • »Meine Führungskraft gibt mir auch in beruflich schwierigen Situationen Rückhalt.«

Ungewissheit als Stressfaktor

Ein sehr schönes Beispiel liefert die Frage nach der Zufriedenheit mit zeitgerechter Information. Von 14 Befragungen im Rahmen der Evaluierung bzw. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in Österreich und Deutschland, durchgeführt mit EWOPLASS® im Zeitraum von 2015 bis 2017, lagen 7 Unternehmen im roten Bereich (3,0 bis 6,0 – hoher Handlungsbedarf), 6 Unternehmen im gelben, jedoch nur eines im grünen (kein bis geringer Handlungsbedarf). Die relative Wichtigkeit einer Verbesserung wurde von den Befragten mit 69 % als sehr hoch bewertet. Zeitgerechte Information hat also einen hohen Stellenwert für die psychische Gesundheit und ist ein wesentliches Element »gesunder Führung«. Denn Informationen nicht zeitgerecht zu erhalten, verursacht Zeitdruck und Mehrarbeit und ist laut Arbeitswissenschaften eine häufige Regulationsbehinderung!

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Praxisbeispiel

Trotz laufender Entwicklung neuer Produktlösungen wurden diese in einem Versicherungsunternehmen kaum verkauft. Auch die klassischen Lösungsversuche wie Produktschulungen und Verkaufstrainings zeigten keine positiven Folgen. Erst mithilfe einer Evaluierung wurde klar: Die Konzern-IT stand unter großem Entwicklungsdruck, Softwareanpassungen wurden daher zu spät fertig. Es gab keine Zeit für Tests und Einschulungen. Das führte dazu, dass neue Produkte vom Vertrieb nicht aktiv verkauft wurden, um Probleme bei und mit Kunden zu vermeiden. Durch die Beschleunigung der Arbeitsabläufe kam es zu Stress und sinkender Qualität bzw. fehlenden Prozess-Schritten. Erst durch die Messung dieser Faktoren konnten Lösungen eingeleitet werden: Einführung eines lokalen Projekt-Managements, mehr Zeit für Tests und Dokumentationen, mehr Zeit für Einschulungen sowie Schulungen im Bereich »Gesund führen«. Das Ergebnis waren weniger Stress für die Mitarbeiter, höhere Kundenzufriedenheit mit der Beratungsleistung und eine Ankurbelung des Verkaufs neuer Produkte.

Von Self-Care zu Do-Care

Die Messung von Elementen »gesunder Führung« macht also sinnvolle, zielgerichtete und wirkungsvolle Maßnahmen erst möglich. Basis ist dafür auch die Vorbildwirkung der Führungskraft. »Self-Care« im Sinne von sich zuerst einmal selbst gesund zu führen, sollte die Voraussetzung sein. Unter »Do-Care« ist die gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu verstehen, die im Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG) verankert ist. »Gesund führen« bedeutet in erster Linie die Investition von Zeit: Zeit, die sich lohnt und das Wohlbefinden im Unternehmen und bei Mitarbeitern fördert und dadurch die Motivation, Arbeitsfähigkeit, Produktivität und die Identifikation mit dem Unternehmen erhöht.

2 Antworten zu Krankenstände messen ist zu wenig

  1. Ganz meine Meinung: Nur wenn die Führungskraft im ersten Schritt auf sich selbst achtet, klappt das mit dem „Gesund Führen“ – und dann steigt auch die echte Anwesenheit / sinken die Krankenstände. Nur in dieser Reihenfolge.

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Gastautor
Peter Aichberger
ist Geschäftsführer der EUCUSA Consulting.
www.eucusa.com

 

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Gastautorin
Ulli Amon-Glassl
ist Inhaberin von
INDIVIDUAL COACHING.
vermoegen-mensch.at