Transformationale Führung

Wenn Unternehmen einen Transformationsprozess durchlaufen, resultieren daraus spezielle Anforderungen an ihre Führungskräfte.

Unternehmen geraten immer wieder in Situationen, in denen sie ihr Geschäftsmodell überdenken und sich im Markt neu positionieren müssen. Das ist aktuell im Gefolge des Ukraine-Krieges und der immer stärker spürbar werdenden Folgen des Klimawandels gehäuft der Fall; doch auch unabhängig von diesen Changetreibern stehen Unternehmen nicht selten vor dieser Herausforderung – unter anderem, weil der technologische Fortschritt oft neue Problemlösungen ermöglicht und Veränderungen der Kundenwünsche bewirkt. Möchte oder muss ein Unternehmen einen solchen Transformationsprozess durchlaufen, dann resultieren hieraus spezielle Anforderungen an seine Führungskräfte. Denn bei ihm muss das Unternehmen – anders als bei vielen Change-Projekten – nicht nur punktuelle Veränderungen, sondern einen sogenannten Musterwechsel vollziehen. Das heißt, es muss sein gesamtes bisheriges Denken und Tun hinterfragen und ein neues Selbstverständnis entwickeln, was auch neue Kompetenzen sowie Denk- und Handlungsmuster bei den Prozessbeteiligten erfordert.

Transformationaler Leader

Unternehmen benötigen transformationale Leader, die sich in der Regel durch die nachfolgend beschriebenen Eigenschaften sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten auszeichnen:

1. Kreativität: Kreativ sein heißt in diesem Kontext vor allem ,»out of the box« zu denken; also sich bei der Suche nach neuen Lösungen nicht durch Konventionen einschränken zu lassen. Menschen neigen dazu, ausgetretene Pfade zu beschreiten. Inwieweit sie bereit sind, neue Wege zu gehen, hängt auch von ihrem Persönlichkeitsprofil ab.

2. Interaktivität: Transformationale Führungskräfte suchen den Kontakt und Austausch mit Menschen. Sie vermitteln ihrem Umfeld zudem ein Gefühl der Leichtigkeit. Sie sind Menschenfänger – und zwar bezogen auf alle Personen, mit denen sie beruflich in Beziehung stehen: seien dies Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, Lieferanten oder externe Dienstleister. Sie überraschen und begeistern diese immer wieder mit neuen Ideen – auch, weil sie die Bedürfnisse ihres jeweiligen Gegenübers erspüren.

3. Eine Vision vor Augen haben: Transformationale Führungskräfte wissen, wie wichtig es ist, Menschen durch eine gemeinsame Vision in Bewegung zu versetzen – eine Vision, die auch sie selbst als sinnstiftend erfahren. Es gibt kaum etwas Attraktiveres und Aktivierenderes als eine Vision, die über das rein betriebswirtschaftliche, geschäftliche Ziel hinausweist. Sie ermöglicht es, das Team auf eine gemeinsame Reise mitzunehmen.

4. Empowerment: Damit ihre Vision Realität wird, brauchen Führungskräfte ein Team, das ihre Vision teilt und diese ebenso verwirklichen möchte wie sie selbst. Mit Mitläufern allein gelingt ihnen dies nicht. Also gilt es, Menschen als Mitstreiter zu gewinnen, die etwas gestalten und selbstwirksam sein möchten. Transformationale Führungskräfte scharen solche Menschen um sich und bieten ihnen den zu ihrer Entfaltung nötigen Freiraum. Sie vermitteln ihren Mitstreitern zudem das Gefühl einer gemeinsamen Verantwortung.

5. Passion: Im Kontakt mit transformationalen Führungskräften spürt man die Leidenschaft, mit der sie sich »ihrer Sache« verschrieben haben und ihre Lust, diesbezüglich etwas zu bewirken. Deshalb lässt sich ihr Umfeld von ihnen auch inspirieren und infizieren. Denn letztlich folgen Menschen stets Menschen bzw. lassen sich von ihnen führen.

Schwächen

Eine transformationale Führungskraft ist also eine Führungskraft, die mutig neue Wege geht und andere Menschen auf diese Reise mitnimmt. Das klingt nach der idealen Führungskraft! Die Praxis zeigt jedoch: Oft fällt es Führungskräften, die andere Menschen leicht inspirieren und mit ihnen Dinge bewegen können, schwer, einen Zustand zu stabilisieren und in Effizienz zu bringen. Denn dies erfordert speziell im Management-Bereich in der Regel Fähigkeiten, die nicht zu den expliziten Stärken transformationaler Führungskräfte bzw. Leader zählen. Sie sind tendenziell zwar mutiger als ihre Kollegen, deren Stärken primär im Managementbereich liegen. Sie unterschätzen zuweilen aber die mit Change-Vorhaben verbundenen Risiken und stürzen ihre Organisationen ins Verderben. Faktisch benötigt deshalb jede Organisation, um sich nachhaltig zu entwickeln, sowohl Führungskräfte, die Veränderungen vorantreiben, als auch solche, die für die nötige Stabilität sorgen. Deshalb sind transformationale Führungskräfte oft nur befristet in ihrer Funktion. Sie treiben eine Veränderung voran und übergeben dann den Staffelstab.  Deshalb sollten sich Führungskräfte, wenn tiefgreifende Veränderungen in ihrem Unternehmen oder Bereich anstehen, auch selbst fragen:

  • Bin ich eher ein transformationaler Leader oder ein Manager?
  • Bin ich eher eine treibende Kraft der Veränderung oder eine stabilisierende Kraft?

Ein Werturteil ist mit den Antworten nicht verknüpft, denn letztlich braucht jedes Unternehmen Transformatoren und Stabilisatoren auf der Führungsebene bzw. Führungspersönlichkeiten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften, die diese beiden Rollen erfordern, mehr oder minder in sich vereinen und deshalb im Führungsalltag die erforderliche Verhaltensflexibilität zeigen.
Dies ist bei den meisten Führungskräften der Fall, auch wenn ihre Stärken mal eher im Bereich Transformation und mal eher im Bereich Stabilisierung liegen. Deshalb lauten die Kernfragen, wenn es um das Thema »transformationale Führung« geht, in der Praxis auch meist:

  • Haben die Führungskräfte in unserer Organisation angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, aufgrund ihres Persönlichkeits- und Stärkenprofils die richtigen Führungspositionen inne? Und:
  • Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sollten wir aufgrund der strategischen Ziele, die wir erreichen möchten, bei unserem Führungsnachwuchs verstärkt fördern?

In unserer von einer raschen Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Welt sind dies – zurzeit – zumeist die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die transformationale Leader auszeichnen.

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kraus

Gastautor Georg Kraus
ist ­geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Kraus & Partner.
kraus-und-partner.de