Coaching statt Firmenwagen?

Aufgrund des akuten Fach- und Führungskräftemangels überdenken zurzeit viele Unternehmen ihre Personalpolitik.

In der Privatwirtschaft hielten in den vergangenen Jahren viele Verfahren Einzug, die ursprünglich im Non-Profit-Bereich zuhause waren. Hierzu zählt auch die Supervision. Sie hat sich im sozialpädagogischen und -therapeutischen Bereich schon lange als die Methode etabliert, mit der die dort Arbeitenden ihr berufliches Handeln reflektieren und die Qualität ihrer Arbeit sichern.

Ziel: die Qualität der Arbeit sichern

Wie groß die Bedeutung der Supervision im Non-Profit-Bereich als Qualitätssicherungsinstrument ist, zeigt sich darin, dass in Stellenanzeigen für Sozialpädagogen, Familientherapeuten usw. oft explizit von den Bewerbern die »Bereitschaft zur Supervision« gefordert wird. Doch nicht nur dies. Teilweise versuchen soziale Einrichtungen mit dem Hinweis, dass sie dem künftigen Stelleninhaber die Möglichkeit zur Supervision bieten, sich als attraktive Arbeitgeber zu profilieren.
Manche in der Privatwirtschaft tätige Manager mag dies befremden. In naher Zukunft könnte aber auch in den Stellenanzeigen von Wirtschaftsunternehmen statt dem Hinweis auf den »repräsentativen Firmenwagen« stehen: »Wir bieten Ihnen die Möglichkeit zur Supervision.« Denn faktisch zählt die Supervision schon heute zu ihrem gängigen Personalführungs- und -entwicklungsrepertoire. Der einzige Unterschied: In ihnen werden die Supervisionen meist Coaching genannt.

Seine Ursache hat der Boom, den aktuell speziell das Teamcoaching in der Privatwirtschaft erlebt, unter anderem in einem veränderten Managementdenken. Lange Zeit setzten die Top-Entscheider in ihr die ihnen anvertrauten Unternehmen weitgehend mit ihren Organigrammen bzw. den hierarchischen Strukturen, die diese widerspiegeln, gleich. Übersehen wurde dabei, dass sich die Energie von Unternehmen primär aus den Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen speist, die die Mitarbeiter untereinander und das System Unternehmen mit seiner Außenwelt verbinden.

Das Management- und Führungsverständnis wandeln sich

Dies wurde inzwischen den meisten Unternehmensführern bewusst. Deshalb forcierten sie die Team- und Projektarbeit. Dadurch veränderte sich auch die Funktion der Führungskräfte. Es entwickelte sich zu einer ihrer Kernaufgaben, die Beziehungen

  • zu ihren Mitarbeitern,
  • zwischen ihren Mitarbeitern und
  • zu den anderen Unternehmensbereichen

so zu gestalten, dass eine möglichst effektive Zusammenarbeit entsteht. Das fällt manchen Führungskräften noch schwer.
Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte haben noch nicht verinnerlicht, dass die meisten Unternehmen heute, auch aufgrund der zunehmenden digitalen Vernetzung, hochkomplexe soziale Beziehungssysteme sind, in denen fast alles miteinander verwoben ist und sich beeinflusst. In einem solchen Umfeld müssen die Führungskräfte auch neue Antworten auf die Fragen finden:

  • Wie ist meine Funktion in der Organisation?
  • Aus welchen Quellen speist sich meine Wirksamkeit?
  • Wie sollte ich die (Zusammen-)Arbeits- und Kommunikationsprozesse gestalten?
  • Wie stelle ich sicher, dass mein Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet? Und:
  • Worüber bestimmt sich der Wert meiner Arbeit?

Das Menschenbild verändert sich

Vielen Führungskräften in der Privatwirtschaft fällt das Finden passender Antworten auf obige Fragen schwer. Das liegt auch daran, dass sie häufig ein anderes Menschenbild haben als die Personen, die im Sozialbereich arbeiten. Für Pädagogen, Therapeuten usw. ist es selbstverständlich, dass sich im Denken und Handeln eines Menschen dessen Geschichte und soziales Umfeld widerspiegeln. Nicht wenigen Führungskräften in der Privatwirtschaft fehlt ein solches Menschenbild. Deshalb sind sie irritiert, wenn Personen auf dieselben Reize bzw. dasselbe Verhalten von ihnen unterschiedlich reagieren.
Auch ihr eigenes Denken und Handeln begreifen sie oft nicht als das Resultat ihrer Geschichte und des sozialen Kontextes, in den sie eingebettet sind. Deshalb fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten zu reflektieren. Ohne eine selbstkritische Reflexion nehmen sie aber auch ihre blinden Flecken nicht wahr, die dazu führen, dass sie auf gewisse Herausforderungen stets nach demselben Muster reagieren – selbst wenn sich die Rahmenbedingungen fundamental gewandelt haben.

Entwicklungsinstrument Coaching

Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb offerieren sie ihren Führungskräften häufiger die Möglichkeit, in einem Coaching alleine oder im Team ihr Verhalten zu reflektieren und nach zielorientierteren Lösungen zu suchen. Dieses Angebot wird von den Führungskräften zunehmend genutzt – auch weil speziell die Jüngeren das Coaching nicht mehr als ein Instrument zum Beheben persönlicher Defizite, sondern als ein Förder- und Entwicklungsinstrument verstehen. Dieser Gesinnungswandel dokumentiert sich auch darin, dass Führungskräfte immer häufiger, speziell wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen, ihren Arbeitgeber eigeninitiativ um die Unterstützung durch Coaching bitten. Und sagt dieser hierzu nein, dann zahlen sie das Coaching zuweilen sogar aus eigener Tasche.
Das ist gehäuft dann der Fall, wenn Führungskräfte spüren, dass sie physisch oder psychisch an ihre Belastungsgrenzen stoßen – also ihnen beispielsweise ein Burn-out droht. Denn dass Führungskräfte sozusagen öffentlich artikulieren, dass sie sich teilweise überfordert fühlen, ist in vielen Unternehmen aufgrund von deren Führungskultur leider immer noch ein Tabu.

Mehr als ein gutes Gehalt

Doch dieses Tabu scheint sich allmählich aufzulösen – auch dank solcher Ereignisse wie der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges und ihrer Folgen. Denn aufgrund dieser Ereignisse war die Belastung vieler Führungskräfte in den zurückliegenden Jahren so hoch, dass ihre Arbeitgeber erkannten: Wir müssen unseren Führungskräften auch eine Unterstützung im Bereich Selbstführung und -management, wozu auch die Gesundheitsvorsorge zählt, bieten. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie mittelfristig im Extremfall einen Kollaps oder Burn-out erleiden oder sich nach einer Jobalternative umschauen, weil sie ihre Arbeitssituation zunehmend als ihr Wohlbefinden schmälernd empfinden.
Dies zu verhindern, ist in einer Situation, in der sozusagen branchen- und funktionsübergreifend ein immer größerer Fach- und Führungskräftemangel besteht, extrem wichtig. In ihr müssen die Unternehmen – und zwar unabhängig davon, ob sie Profit- oder Non-Profit-Organisationen sind – deutlich mehr als früher tun, um das benötigte Fach- und Führungspersonal zu finden und an sich zu binden.

Die Personalpolitik überdenken

Deshalb wirbt schon heute eine wachsende Zahl von ihnen für sich als Arbeitgeber auch damit, dass sie ihren Mitarbeitern Coachings für ihre fachliche und persönliche Entwicklung sowie Check-ups und gesundheitsfördernde Maßnahmen zum Bewahren ihrer Leistungskraft offerieren.
Dies wird auf Dauer jedoch nicht genügen. Vielmehr müssen die Unternehmen ihre Personalpolitik – angefangen bei der Personalsuche und -führung bis hin zur Personalentwicklung und -vergütung – grundsätzlich überdenken und nicht selten neu justieren.

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Christ, Claudia0223

Gastautor
Claudia Christ
arbeitet als Organisationsberater und Teamentwickler sowie Coach bzw. Supervisor für Profit- und Non-Profit-Organisationen. www.claudiachrist.de