Ethik und HR – ein Widerspruch?

Ethik ist cool und klingt toll. Ethische Richtlinien, an die sich Unternehmen angeblich halten, werden mehr. Doch nur, weil es auf der Website schön klingende Sätze gibt, heißt das noch lange nicht, dass Unternehmen ihren sozialen Verantwortungen auch nachkommen.

»Der Volkswagen Konzern fühlt sich seit jeher nicht nur an gesetzliche sowie interne Bestimmungen gebunden. Auch freiwillig eingegangene Verpflichtungen und ethische Grundsätze sehen wir als integralen Bestandteil unserer Unternehmenskultur und als Richtschnur, an der wir unsere Entscheidungen ausrichten.«

Diesen Absatz findet man auf der Website vom Volkswagen Konzern. Andererseits schreibt die Tageszeitung »Die Presse« am 25. September 2015 anlässlich der aufgedeckten Manipulationen an Abgaswerten folgende Zeilen: »Volkswagen machte seine Manipulation sehr raffiniert – die niederländische Zeitung ›de Volkskrant‹ lobte die Ingenieure gar dafür, dass es so lang gedauert hat, bis man den Trick entdeckte …« Ob sich die Ingenieure an die »freiwillig eingegangenen Verpflichtungen und ethischen Grundsätze« gehalten haben, ist nun mehr als fraglich.

Auf der Website der Firma Mutanox finden wir hingegen auch nach längerer Suche keinerlei Hinweise auf ethische Verhaltenskodizes. Dennoch schwirrte vor einiger Zeit eine Entscheidung der Geschäftsführung durch die Medien. Damit Ungarn seine Grenzen zu Nachbarländern gegen Flüchtlinge abschotten könne, wurde bei der Firma Mutanox – die unter anderem Natodraht-Zäune herstellt – ein Großauftrag angefragt. »Unser Draht soll kriminelle Taten verhindern. Wenn Menschen fliehen, ist das aber nicht kriminell. Daher haben wir kein Angebot für das Großgeschäft abgegeben«, sagt einer der Geschäftsführer in einem Interview. Das reine Vorhandensein von ethischen Richtlinien sagt also überhaupt nichts über die agierenden Personen aus.

Richard Kégl (Geschäftsführer JELINEK Akademie) über die derzeitige gesellschaftliche Situation: »Viele Menschen, in ihrer Rolle als Mitarbeiter und Unternehmer, streben heute nach einem anspruchsvolleren ethischen Standard. Unter dem Druck einer öffentlichen Ethik-Diskussion arbeitet auch der Gesetzgeber an der Kodifizierung von Arbeitnehmer- und Gemeinwohlinteressen, um die alleinige Ausrichtung des Vorstandshandelns am Shareholder Value aufzuweichen. Auch dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten, z. T. sogar Pflichten zur Entwicklung von menschengerechtem (Personal-)Management.«

Menschliche Rohstoffe

Im Artikel ab Seite 32 dieser Ausgabe lesen Sie, was die HR-Abteilung im Unternehmen zu diesem Thema beitragen kann. »HR« steht für »Human Resource«, wörtlich übersetzt etwa »menschliche Rohstoffe«. Ist diese Bezeichnung für eine Abteilung, die sich um Menschen kümmert, angemessen? Dazu gibt es durchaus kritische Meinungen in der Branche.

Wir haben dazu einige Experten befragt, die es durchwegs als ethisch vertretbar sehen.

Herbert Strobl (Inhaber coaching & consulting mit system) sieht Ressource als etwas Wertvolles an: »Martin Heidegger sagte ›Sprache ist das Haus des Seins‹ und meint damit die Wechselwirkung zwischen Sprache und wie wir auf das Leben schauen. Für mich ist eine ›Ressource‹ schon per definitionem etwas Wertvolles, weil daraus etwas entstehen kann bzw. etwas ermöglicht wird. So sollte man auch auf den Begriff Human Resource schauen, und zwar jenseits aller ideologisch eingefärbten Diskussionen. Der ›Inhalt‹, also wie wir mit Mitarbeitern umgehen, ist wesentlich entscheidender als die ›Verpackung‹, sprich allfällige sprachliche Ziselierungen. Darüber hinaus ist Human Resource ein etablierter Begriff. Da muss sich erst eine bessere Bezeichnung finden, die die gleichen an sich wertneutralen Möglichkeiten bietet. Wenn ich da an so einige Worthülsen im Genderumfeld denke, kommt bei mir der Gedanke auf, dass man es nur ›verschlimmbessern‹ würde.«

Ähnlich sieht das auch Georg Greutter (Vorsitzender des österreichischen Netzwerks für Wirtschaftsethik): »Ich halte nicht viel davon, Bezeichnungen als ethisch zulässig oder nicht zu klassifizieren. Viel wichtiger ist, mit welcher Energie wir die Begriffe verwenden, das heißt im konkreten Fall mit welcher Wertschätzung wir mit der ›Ressource Mensch‹ umgehen. Politisch korrekte Bezeichnungen mit falscher Verwendung sind oft grausamer als falsche Bezeichnungen mit der entsprechenden Ehrlichkeit dahinter.«

Richard Kégl sieht vor allem das Positive am Begriff: »Das englische Wort ›Resource‹ steht nicht nur für Rohstoff, sondern kann auch mit Reichtum oder Vermögen übersetzt werden. In diesem Sinne können Mitarbeiter unbedingt eine Ressource sein, wenn sie ihre Leidenschaft, Kreativität und Vitalität in das Unternehmen, also die ›gemeinsame Unternehmung‹ einbringen. Ob und in welchem Ausmaß dies gelingt, ist eine Frage der Firmenkultur und der Persönlichkeit der Führungskräfte. Durch Investitionen in die ›Kompetenz im Umgang mit Menschen‹, in Persönlichkeitsentwicklung, Awareness-Trainings, Lebensbalance u. v. m. soll aus dem Rohstoff Mensch also mehr Reichtum destilliert werden.«

Alexandra Tripolt (Human Relations & Expansion VBC) hat den beiden Buchstaben eine neue Bedeutung gegeben: »HR steht bei uns für ›Human Relations‹ und drückt so auch den Schwerpunkt unserer Arbeit aus. Wir bauen Beziehungen zu und zwischen den einzelnen Menschen im Unternehmen auf, und setzen uns zum Ziel, diese im Business-Kontext professionell zu managen. Um diese Beziehungen aktiv und lebendig zu halten, setzen wir klassische HR-Instrumente ein, beispielsweise in Form von strukturierten persönlichen Gesprächen, und konzentrieren uns auch verstärkt darauf, viele Möglichkeiten des Mitgestaltens und des Mitwirkens in der Gruppe zu schaffen. Welche Werte uns dabei wichtig sind, haben wir gemeinsam definiert: Wertschätzung, Exzellenz, Verantwortung, Mut und Offenheit.«

Ethisches Handeln wird wichtiger

Sowohl ethisches Handeln als auch erfolgreiches Wirtschaften bilden zwei Teile einer zugrunde liegenden Motivation, die jeden Menschen antreiben. Das ist einerseits das auf individuellen Werten basierte Arbeiten und andererseits jenes Grundbedürfnis von Unternehme(r)n, durch wirtschaftliche Aufwendungen nachhaltig Gewinne zu sichern – am Ende steht immer eines: das Wohlergehen des Einzelnen, Unternehmer, Arbeitnehmer und alle an der wirtschaftlichen Wertschöpfung Beteiligten. Dabei handelt es sich natürlich primär einmal um Theorie. In der wirtschaftlichen Praxis schaut es häufig anders aus. Karl Kraus soll bereits vor über 100 Jahren sinngemäß zu einem Studenten gesagt haben: »Sie wollen Wirtschaftsethik studieren? Entscheiden Sie sich für das eine oder das andere!«

Der Ruf nach »ethisch korrektem Handeln« wird dennoch lauter. Das Internet kann die Reputation eines Unternehmens in kürzester Zeit zerstören. Unternehmen befinden sich heute in einem transparenten Umfeld. »Kleine Schweinereien« von Unternehmen können große Auswirkungen haben. Daher gilt das Argument einiger Führungskräfte nicht mehr, wonach Ethik zwar sehr wichtig sei, aber in Zeiten eines hohen Wettbewerbsdruck einfach nicht leistbar. Das Gegenteil ist der Fall. Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, unethisch zu handeln. Stichwort: Volkswagen.

Georg Greutter kennt das Dilemma gut, warum Wertschätzung nicht immer großgeschrieben wird: »Kostendruck und internationaler Wettbewerb der letzten Jahre sind einer wertschätzenden Mitarbeiterbehandlung nicht unbedingt dienlich. Auch habe ich das Gefühl, wir verlernen zunehmend, uns gut zu benehmen.«

Herbert Strobl ergänzt: »Die letzten Jahre kann man wohl immer noch als Nachwehen der großen Finanzkrise 2008 ansehen. Da hat es in einigen Wirtschaftsbereichen große Verwerfungen im Vergleich zu früher gegeben und das hat den Bogen zwischen ökonomischer Effizienz und sozialer Effizienz stark angespannt. Nehmen wir zum Beispiel den ganzen Bereich der Banken: Diese Branche ist massiv und sehr schnell unter Druck geraten – von der Imageseite bis hin zur Kostenseite. Zusätzlich treffen gerade in der Finanzwirtschaft junge Mitarbeiter der Generation Y auf Mitarbeiter, die das ›Definitivum‹ haben, also damit quasi-pragmatisiert sind. Personalmanagement ist unter diesen Umständen eine echte Gratwanderung, die ethisch nicht ganz einfach ist.«

Wirtschaft und Ethik

Schließt Geld verdienen ethisch korrektes Handeln aus? Die gesamte CSR-Bewegung zeigt, dass es ganz und gar nicht so ist. Einige Firmen nehmen durchaus ihre gesellschaftliche Verantwortung ernst. Es ist keine Schande, erfolgreich zu sein und Gewinne zu machen. Doch erfolgreich zu sein, muss eben auch mehr bedeuten, als nur »fette« Gewinne zu schreiben.

Richard Kégl philosophiert: »Rein Finanzgewinn-orientiertes Wirtschaften lässt sich unter ethischen Gesichtspunkten gar nicht betreiben. Erst wenn ich den Begriff ›Gewinn‹ um bilanzfremde Gewinn-Kategorien erweitere, wird ethisches Wirtschaften jenseits von Makulatur möglich. Interessanterweise stellen sich in vielen Fällen dennoch steigende Finanzgewinne ein.«

Alexandra Tripolt erzählt aus ihrer Praxis: »Als Franchisesystem im Dienstleistungsbereich sind wir eine ›People Company‹ mit System, ein Zusammenschluss von selbstständigen Unternehmern unter einer Dachmarke mit gemeinsamen Visionen, Strategien und Konzepten. Für jeden in der Gruppe muss der Sinn seiner Tätigkeit klar sein, sein Beitrag zum Erfolg erkennbar sein. Es gibt gemeinsame, klare Regeln, wie wir mit Kunden und untereinander umgehen. Gleichzeitig braucht es Gewinnorientierung, sodass alle Menschen in der Gruppe ihre Grundbedürfnisse decken, ihr Leben finanzieren sowie ihre persönlichen Lebensvorstellungen verwirklichen können.«

Ein Unternehmen wird ökonomisch effizient gemanagt, wenn der Shareholder Value steigt. Richard Kégl weiß, welche zweite Komponente wichtig ist: »Sozial effizientes Management ist dann – und nur dann – mit diesem obersten Ziel vereinbar, wenn über diesen Umweg der Shareholder Value stärker steigt, als ohne diesen Umweg. Selbst ohne zunächst diese Spielregeln infrage zu stellen, gibt es heute noch jede Menge unausgeschöpften Raum für arbeitnehmergerechtes Management. Gerade der Einzug systemischen Denkens in HR-Abteilungen und Chefetagen in Form von systemischen Einzel- und Teaminterventionen ermöglicht in der überwiegenden Mehrheit unserer Beratungsfälle eine deutliche Steigerung der ethischen Standards bei gleichzeitiger Verbesserung finanziell messbarer Ergebnisse. Jedes Handeln, wirtschaftlich oder nicht, ist gewinnorientiert – jedoch nicht immer finanzgewinnorientiert. In einem visionären nächsten Schritt teile ich die Überlegungen einiger Wirtschaftsphilosophen, die Messkriterien vom alleinigen Maßstab des Finanzgewinnes hin zu menschen-, gesellschafts- und umweltgerechten (Mess)Werten zu erweitern. Als Beispiel sei die Gemeinwohlbewegung genannt, die die Messkriterien Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit sowie demokratische Mitbestimmung und Transparenz in die Erfolgsbilanz von Unternehmen hinein reklamiert.«

HR und Ethik

Personalmanagement darf also nicht nur ökonomisch effizient (sachgerecht), sondern muss auch sozial effizient (menschengerecht) sein. Im ethisch korrekten Umgang mit Mitarbeitern liegt ein gewaltiges Potenzial für Unternehmen. Das ist natürlich Teil des Employer Brandings. Mitarbeiter sprechen über ihr Unternehmen. So klagen Unternehmen, die sich ihren Mitarbeitern gegenüber »ethisch korrekt« verhalten, nur selten über zu wenige Bewerbungen.

Herbert Strobl: »Entscheidend ist wohl in erster Linie die Haltung, mit der man im Management der Ressource Mensch begegnet. Vor diesem Hintergrund klärt sich das Thema fast von allein. Das eigene Gewissen sollte auch im Internetzeitalter nicht verkümmern.«

In manchen Branchen oder Unternehmen ist es bekannt, wie sehr Mitarbeiter ausgebeutet werden. Die Paketzustell-Branche ist ein gutes Beispiel, wo nahezu jeder Kunde den Stress der Zusteller spürt. Unbezahlte Überstunden, Mobbing etc. sind häufig an der Tagesordnung. Und das bei schlechter Entlohnung. Mitarbeiter fühlen sich nicht wohl, die Fluktuation ist entsprechend hoch und Kunden spüren schnell, dass es den Mitarbeitern nicht gut geht. Die Stimmung in einem Unternehmen spürt auch der Markt. Wie lange dieses Ausbeuter-Konzept noch aufgeht, ist fraglich.

HR kann Rahmenbedingungen schaffen, es kann die Grundsätze vorleben, für eine offene Kommunikation sorgen und sich sozial engagieren. So kann z. B. statt eines Betriebsausflugs die Mithilfe in gemeinnützigen Einrichtungen organisiert werden. Oder bei der Suche von Mitarbeitern könnten Unternehmen gezielt im Arbeitsmarkt benachteiligten Mitarbeitern eine Chance geben, statt nur die Ausgleichszahlungen zu zahlen.

Herbert Strobl: »›Glückliche Kühe geben mehr Milch‹, heißt es leicht ironisch in einem Spruch aus der Organisationsentwicklung. Da steckt aber jedenfalls ein wahrer Kern drinnen. Geht es den Mitarbeitern gut, profitiert davon auch das Unternehmen, zumindest mittel- bis langfristig. Wir reden hier vom weiten Feld der Unternehmenskultur. Ein Forschungsbericht des deutschen Ministeriums für Arbeit & Soziales aus dem Jahr 2004 kommt auf eine Korrelation von über 85 % zwischen Engagement der Mitarbeiter und Unternehmenskultur. Es versteht sich wohl von selbst, dass jedes langfristig orientierte Unternehmen gerne engagierte Mitarbeiter möchte. So gesehen ist dieses Dilemma vielleicht gar nicht so groß?«

Ethik ist ein Gesamtkonzept, es muss sich in den Köpfen der Führungskräfte und der Mitarbeiter wiederfinden und sich konkret in Taten manifestieren.

Ethischer Personalabbau

Personalabbau oder sogar Massenkündigungen sind ein Thema, das häufig bei Ethik-Diskussionen angesprochen wird. Können Kündigungen generell ethisch sein? Natürlich! Das aktuelle Beispiel der angeschlagenen Baumarktkette bauMax zeigt, wie HR mit solchen Situationen umgehen kann. So wird derzeit alles versucht, dass die Mitarbeiter irgendwie ihren Job behalten können. Momentan sieht es auch so aus, als ob über 80 % der Mitarbeiter von anderen Baumarktketten übernommen werden.

Herbert Strobl: »Jede Trennung bedeutet einen entscheidenden Einschnitt im Leben eines Mitarbeiters. Wenn es aber zu einer Trennung kommen muss, plädiere ich jedenfalls für wertschätzende Klarheit. Was ich damit meine ist, dass jeder Mitarbeiter ein Anrecht haben sollte, ehestmöglich über seine Situation informiert zu werden. Ohne unwürdiges ›Herumeiern‹ und möglichst noch bevor Gerüchte die erste Informationsquelle darstellen. Darüber hinaus geht es auch darum, respektvoll mit der Person umzugehen, auch wenn die Situation meist als sehr unangenehm empfunden wird.«

Georg Greutter weiß ebenfalls, wie mit so einer Situation umgegangen werden kann: »Transparenz und nachvollziehbare Begründungen – und zwar dann, wenn der Abbau der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens geschuldet ist. (Sinn!)«

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