Herausforderung Digitalisierung

Etablierte Unternehmen werden mit ihren überkommenen Geschäftsmodellen spektakulär scheitern. Ist das wirklich so? Und was können Führungskräfte tun?

Unaufhaltsam wie eine Monsterwelle bricht die Digitalisierung über uns herein. Diesen Eindruck kann man derzeit leicht gewinnen, glaubt man den alarmierten Stimmen aus Wirtschaft, Politik und Beratung. Wer jetzt nicht aufspringt, wird überrollt – beruflich wie privat, Unternehmen ebenso wie Bürger. Der europäische Wirtschaftsraum mit seinen demokratischen Gesellschaften werde in die Bedeutungslosigkeit versinken, angesichts der asiatischen Übermacht, die ihren geplanten Wirtschaften mit starker Hand eine radikale Digitalisierung verordnen. Autoritäre Systeme seien bei der Durchsetzung des radikalen Wandels gegenüber Demokratien im Vorteil. Etablierte Unternehmen würden mit ihren überkommenen Geschäftsmodellen spektakulär scheitern. Ist das wirklich so? Und was können Führungskräfte tun?

Zunächst einmal hilft die Einsicht, dass wirtschaftliche Entscheidungen niemals alternativlos sind. Entscheidungsträger können sich nicht darauf ausreden, dass es leider nicht anders ginge. Denn politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entscheidungen folgen keinen Naturgesetzen. Nicht alles, was technisch möglich oder wirtschaftlich profitabel ist, muss auch gemacht werden. Führungsentscheidungen müssen daher begründet und gerechtfertigt werden. Die als »von außen hereinbrechende Monsterwelle« wahrgenommene Digitalisierung ist also in Wirklichkeit das Ergebnis menschlicher Entscheidungen. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass nicht die Digitalisierung uns vorantreibt, sondern vielmehr wir mit unseren Entscheidungen und unserem Verhalten die Digitalisierung vorantreiben. Das bedeutet, dass Entscheidungsträger sich nur so lange von der Digitalisierung getrieben fühlen, solange sie nicht das Gesetz des Handelns an sich reißen. Es geht darum, auf das Surfbrett zu springen und die Welle gekonnt zu reiten. Ebenso wie im Surfsport braucht es jedoch konsequente Vorbereitung und Training. Als Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung der Digitalisierung für das eigene Unternehmen braucht es eine Ausbildung, die nötige Kompetenzen vermittelt, um die Grundlagen, die Mechanismen und die Auswirkungen der Digitalisierung zu verstehen. Ebenso braucht es Bildung, die uns hilft, Trends in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext zu stellen – das große Ganze zu sehen. Insgesamt müssen wir uns in die Lage versetzen, fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, in welchen Bereichen der Gesellschaft und damit auch der Wirtschaft wir wie viel Digitalisierung wollen. Das gilt ganz besonders für Führungskräfte: Die junge Generation – die sogenannten Digital Natives – brauchen eine Idee davon, wie eine zukünftige Gesellschaft und Wirtschaft aussehen sollen, in denen sie leben wollen. Die ältere Generation braucht darüber hinaus digitale Kompetenz. Beides bedingt Angebote für lebenslanges Lernen.
Damit die digitale Zukunft auch für das eigene Unternehmen ein Erfolg wird, müssen jetzt die richtigen Strategien formuliert, Geschäftsmodelle entwickelt und Umsetzungskompetenzen aufgebaut werden. Klar ist: Social Media, Cloud Computing und Internet der Dinge werden die digitale Zukunft unaufhaltsam prägen. Aktiv mitgestalten kann nur, wer sich ernsthaft mit Digitalisierung auseinandersetzt, die Zusammenhänge und Mechanismen versteht und die Anwendung der Managementwerkzeuge erlernt. Dazu brauchen Führungskräfte eine Übersicht der technologischen und sozialen Trends in der Digitalisierung und ein Verständnis der Managementherausforderungen, die sich aus der Nutzung deren Potenziale ergeben.
Es gilt, sich als Führungskraft bewusst zu machen, dass die Nutzung digitaler Technologien nicht nur ein Update des bestehenden Erfolgsmodells, sondern vielmehr die Umsetzung vollkommen neuer Geschäftsmodelle erlaubt. Digitalisierung heißt in vielen Bereichen gleichzeitig New Business Development – im Sinne von der Gründung neuer Unternehmen aber auch im Sinne neuer unternehmerischer Tätigkeit in bestehenden Unternehmen. Führungskräfte brauchen in der digitalen Transformation das praktische Handwerkszeug, um die Möglichkeiten der Digitalisierung für ihr Unternehmen optimal zu nutzen und Wachstumspotenziale zu realisieren. Besonders drei Kompetenzen sind für Führungskräfte entscheidend:

  • Wahrnehmungskompetenz: Die Übersicht über technologische und soziale Trends in der digitalen Transformation zu wahren und zu erkennen, welche Herausforderungen sich aus der Nutzung deren Potenziale ergeben.
  • Strategiekompetenz: Die strategische Ausrichtung des Unternehmens im Zusammenhang mit der Digitalisierung definieren zu können.
  • Implementierungskompetenz: Die konkreten Managementmaßnahmen wählen und im Unternehmen umsetzen zu können, die zur erfolgreichen Handhabung der Herausforderungen der Digitalisierung geeignet sind.

Akademische Ausbildungsprogramme im Bereich Digitalisierung ermächtigen Manager und Managernachwuchs, als informierte Bürger durch ihre Entscheidungen die Digitalisierung nach eigenen Vorstellungen aktiv mitzugestalten. So wird die Monsterwelle Digitalisierung, statt einer Naturgewalt, zu einer Energiequelle für die Verwirklichung unserer eigenen unternehmerischen Ziele. Statt im Fahrwasser der Vorreiter der Digitalisierung zu treiben, gilt es für österreichische Unternehmen, einen eigenständigen europäischen Kurs zu setzen.
Derzeit folgt der öffentliche Diskurs zur Digitalisierung der Logik einer Nachbesprechung einzelner Anlässe wie Hackerangriffe auf Staaten und Unternehmen oder Todesfälle mit autonom fahrenden Autos. Es fehlt die kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien, Mechanismen und Auswirkungen der Digitalisierung im Hinblick auf unsere Gesellschaften und Wirtschaften. Ohne dieses Basiswissen taumeln wir orientierungslos immer tiefer in die Wirren der Digitalisierung. Das kann für Unternehmen gefährlich werden, wenn ihre Geschäftsmodelle und Marktangebote obsolet werden. Das kann aber auch für den Einzelnen gefährlich werden, wenn gedankenlos die intimsten Wünsche gegoogelt und die abgründigsten Gedanken in Onlineforen gepostet werden. Noch nie waren so viele Informationen über unsere Persönlichkeit, Fantasien und unser Verhalten verfügbar wie heute. Und noch nie war diese Information in privatem Besitz und wurden auf dem Markt gehandelt. Für Unternehmen stellt diese Ressource gleichermaßen neue Geschäftsgelegenheit wie Bedrohung des bisherigen Geschäftsmodells dar. Die Weichen werden jetzt mit gut informierten Managemententscheidungen gestellt.

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M_Fink

Gastautor
Matthias Fink
ist Professor für Innovationsmanagement in Linz und Cambridge und akademischer Leiter der LIMAK-­Programme »Innovation and
Product Management« sowie »New Business Development in the Digital Economy«.
www.limak.at

breitenecker

Gastautor
Robert Breitenecker
ist Vorstand des Instituts für Innovationsmanagement der JKU Johannes Kepler Universität Linz und Dekan der LIMAK ­Austrian Business School.
www.limak.at