Herausforderung: verschiedene Kulturen

Durch die stets weiter wachsende Globalisierung werden Teams in Unternehmen immer internationaler. Dadurch ergeben sich viele Chancen, aber auch neue Herausforderungen für Teammitglieder und Führungskräfte.

Eine Zusammenarbeit in Teams ist per se schon eine Herausforderung. Jede Person hat eine andere Art zu arbeiten, zu kommunizieren und Beziehung aufzubauen und zu pflegen. Stress, mangelnde, klare Führung oder sich rasch ändernde Rahmenbedingungen erschweren die Kollaboration zusätzlich. Je diverser das Team, desto herausfordernder wird es. Aber – und das ist die gute Nachricht – umso mehr Chancen gibt es, wenn alle ihre Stärken einbringen. Durch internationale Teams mit verschiedenen Sprachen und Kulturen wird die Zusammenarbeit zur wahren, weil interessanten, Herausforderung. Hier gilt es, sich mit den Kollegen, Kunden oder Geschäftspartnern auseinanderzusetzen. Wie denkt mein Gegenüber? Welchen kulturellen Background hat es? Wie meint es das, was es sagt? Wie versteht es das, was ich sage?
Eine steigende Zahl an Online-Meetings mit Teilnehmern aus der ganzen Welt gehören heute für viele zum Alltag. TRAiNiNG wollte von drei Experten1 im Bereich interkulturelles Management wissen, wie die Pandemie das Zusammenarbeiten in Teams verändert hat und worauf Unternehmen besonders achten sollten.
Nikola Grill (Eigentümer biz.talk): »Der Trend zum Home-Office und damit zu mehr Eigenverantwortung ist überall spürbar. Das schätzen viele Mitglieder von interkulturellen bzw. internationalen Teams, zumindest geht dies aus Umfragen hervor. Die Balance zu finden zwischen den Aufgaben, die man lieber in Ruhe im Home-Office erledigt und jenen, die im Team besprochen und erarbeitet werden, ist wichtig. Daher sollte ein Team bzw. die Teamleitung darauf achten, dass es regelmäßige gemeinsame Zeiten im Büro gibt, das heißt, dass es dafür einen Plan gibt. Ein Team muss sich heute besser organisieren und damit auch besser miteinander kommunizieren, um Home-Office und gemeinsame Bürozeiten gut zu vereinbaren. Möglicherweise sind die Meetings im Büro in der Folge fokussierter und von mehr gegenseitigem Respekt geprägt, da die Teammitglieder die Zeiten der persönlichen Anwesenheit besonders schätzen.«

Gerald Passath (Managing Partner bei KICK OFF) ist ähnlicher Meinung: »Die Auswirkungen sind noch stärker als in homogenen, ›nationalen‹ Teams. Verstärkt werden diese Effekte, wenn einige, geografisch entfernte, Mitarbeiter nur online im Team bzw. im Projekt mitarbeiten. Aufgrund der regelmäßig wiederkehrenden Abwesenheiten vom Büro ist genau genommen ein permanentes ›Re-Teaming‹ sinnvoll, um eine hohe Arbeits- und Leistungsfähigkeit im Team zu erzielen: Beziehungsebene, Teamzusammenhalt und Team-Spirit brauchen zumindest kurze, regelmäßige ›Aufwärmzeiten‹. Insbesondere für Kulturen, wo persönliches Vertrauen, Beziehung, soziale und kollektive Komponenten einen hohen Stellenwert haben. Kontinuierliche Status-Updates (WAS ist passiert?) und Sessions zum gesamtheitlichen Überblick (WOZU machen wir das?) bringen auf Ziel-und Inhaltsebene eine klare Orientierung und eine – zu erwartende – höhere Leistungsbereitschaft.«

Wenn sich die Führungskräfte im Büro an die »neuen« Spielregeln halten und gelernt haben, damit umzugehen, bringt die neue Art der Zusammenarbeit zahlreiche Vorteile mit sich.

Karin Schreiner (Inhaber Intercultural Know How – Training & Consulting): »Diese Entwick­lung hat eine insgesamt positive Auswirkung auf interkulturelle Teams. Die vermehrte virtuelle Zusammenarbeit verlangt eine klare und transparente Kommunikation. Virtuelle Team-Meetings sind in der Regel fokussierter und kürzer. Gleichzeitig hielt das Private Einzug in den Berufsalltag: Katzen tauchten auf, Kinder huschten vorbei, Stimmen ertönten aus dem Hintergrund, man sah Wohnungseinrichtungen, persönliche Gegenstände usw. Alles Aspekte, die die informelle Ebene hereinbringen und eine neue Dimension in den Arbeitsbeziehungen entstehen lassen. Das hat positive Auswirkungen auf die Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite wird nun die gemeinsame Zeit im Büro oder bei Meetings effizienter genutzt, da sich alle bewusst geworden sind, wie wertvoll Präsenzzeit ist. Ich denke, es wurde den Beteiligten bewusst, welche Vorteile und Herausforderungen sowohl virtuelle Zusammenarbeit als auch Face-to-face-Arbeit haben.«

Leadership auf Distanz bei internationalen Teams

Besonders Führungskräfte sind jetzt gefordert, ihr Team neu zu führen. Häufig aus der Distanz heraus, da sie oder die Mitarbeiter viel im Home-Office sind, bzw. in anderen Ländern sitzen. Es ist heute leichter denn je, in fremden Ländern für ein heimisches Unternehmen zu arbeiten. Der Fachkräftemangel unterstützt diese Entwicklung zusätzlich. Gerade im IT-Bereich ist hier eine enorme Steigerung zu sehen. Warum sollte auch nicht ein Programmierer in England für ein österreichisches Unternehmen arbeiten? Worauf müssen Führungskräfte dabei beachten?

Karin Schreiner: »Führen von internationalen Teams aus Distanz erfordert neben Führungskompetenz vor allem interkulturelle Kompetenz und Kommunikationskompetenz. Die Führungskraft sollte verstärkt darauf achten, die Beziehungsebene einzubeziehen. Zum Beispiel führen ein kurzer Smalltalk, eine kleine persönliche Geschichte oder Nachfragen bei einzelnen Team-Mitgliedern zu Beginn eines virtuellen Meetings oder nach Pausen, bis alle anwesend sind, dazu, dass die Führungskraft zugänglich und offen wirkt. Die Kunst, zwischen Sach- und Beziehungsebene hin und her zu switchen, sollte jede Führungskraft beherrschen. Auch verstärktes Achten auf nonverbale Signale in einem virtuellen Meeting ist bedeutend: Genau zu schauen, wer meldet sich zu welchen Themen, wer bevorzugt Chat-Meldungen, wer versucht am Ende des Meetings mit der Führungskraft noch über ein Thema zu sprechen? Auch die Technik des Spiegelns von Aussagen könnten Führungskräfte anwenden. Dadurch bezieht man die Team-Mitglieder aktiv mit ein und diese fühlen sich persönlich angesprochen.«
Experten für interkulturelles Management unterscheiden Kulturen in monochrone und polychrone Kulturen. Die WKO definiert das so:
Monochrone Gesellschaften schätzen Pünktlichkeit, genaue Zeiteinteilung, präzise Verhandlungsabläufe und strenge Termineinhaltung. Musterbeispiel dafür sind die Deutschen, die stets ihren ganzen Arbeitstag komplett verplant haben.
Polychron sind alle arabischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten sowie der Großteil Südasiens. Hier steht man der Zeit lässig gegenüber: »You have the watches, we have the time«, sagen die Inder zu ihren europäischen Partnern.

Gerald Passath gibt wichtige Tipps in diesem Zusammenhang: »Ich erachte vor allem folgende zwei Punkte als wesentlich:
Sorgen Sie für einen guten Überblick über den Sinn und Zweck der Arbeit (wozu und wofür?) – im westlichen Umfeld wird oft nur auf das WAS, das WIE, das WER und das WANN fokussiert. Das ist ein stark monochroner Zugang.
Wenn irgendwie möglich: Zeigen Sie sich vor Ort und erkennen Sie somit die Wichtigkeit der Teammitglieder an! Beziehungen, Beziehungen, Beziehungen sind vor allem in polychronen Kulturen und bei polychronen Personen extrem wichtig.«

Nikola Grill: »Führung auf Distanz muss den Spagat zwischen Kontrolle und Vertrauen schaffen. Für manche Führungskräfte ist es schwer, die Kontrolle abzugeben. Bei einem internationalen Team gibt es häufig kulturell unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf Verantwortungsübernahme. Die Führungskraft sollte wissen, wer gern Verantwortung übernimmt und wer eher geführt werden möchte. Die Führungskraft muss darauf achten, dass die Kommunikation gut funktioniert, das heißt, es sollte so viel wie möglich explizit kommuniziert werden: Regeln, Erwartungen, Ziele, Bedenken. Im Zusammenhang mit Kommunikation hat beim Führen auf Distanz die nonverbale Ebene eine große Bedeutung: Wer wann die Kamera einschaltet oder ein Handsignal aktiviert, Mimik, Lachen, Gestik – sofern wahrnehmbar.«

Konkrete Tipps bei interkulturellen Online-Meetings

Wie Online-Meetings richtig ablaufen sollten, wurde in den letzten zwei Jahren so oft besprochen und publiziert, wie noch nie davor. Wir wollten von den Experten wissen, welche konkreten Tipps sie für den Ablauf von Online-Meetings haben, wenn Personen aus verschiedenen Kulturkreisen daran teilnehmen.

Karin Schreiner: »Wenn unterschiedliche Kulturen bei Online-Meetings zusammenkommen, könnten folgende Aspekte eine Herausforderung sein: Zeitmanagement, Kommunikationsweisen, Hierarchie-Verständnis.
Bei kulturell unterschiedlichem Zeitverständnis empfiehlt es sich, darüber offen zu sprechen und gemeinsam festzulegen, welche Termine wichtig sind, welche flexibel, wann Pünktlichkeit ein Muss ist, wann ein Spielraum besteht.
Bei kulturell unterschiedlichen Kommunikationsweisen empfiehlt es sich für die Moderatoren, die Technik des Spiegelns anzuwenden, um Äußerungen für die anderen zu verdeutlichen, z.B.: ›Habe ich Sie richtig verstanden, Sie meinen, dass …‹ Das Wissen um die Wirkung unterschiedlicher Kommunikationsstile ist sehr bedeutend.
Kulturell unterschiedliches Hierarchieverständnis äußert sich einerseits in respektvoller Haltung gegenüber der Führungskraft und andererseits in einer egalitären Haltung ihr gegenüber. Wichtig wäre, nach Senioritätsprinzip agierende Personen auf der Beziehungsebene aktiv mit einzubeziehen.«

Nikola Grill: »Es ist wichtig, zwischen direkter, indirekter oder sach- und kontextbezogener sowie expressiver und zurückhaltender Kommunikation zu unterscheiden.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist das Sprachniveau im Englischen. Native Speaker haben einen Vorteil und nehmen in Bezug auf Sprechgeschwindigkeit und Wortwahl nicht immer Rücksicht auf Nicht-Native-Speaker. Die Teamleitung sollte aufmerksam sein und auch eingreifen, indem sie das Gesagte in eigenen Worten wiedergibt und nachfragt, ob das so gemeint war. Ein weiterer Punkt, der häufig zu kurz kommt, ist Humor. Wie kann eine humorvolle Stimmung im Online-Meeting etabliert werden? Die Teamleitung könnte humorvoll auf kulturelle Unterschiede wie z. B. Pünktlichkeit oder Kommunikationsverhalten eingehen und kleinere Missverständnisse aufgreifen und sie auflösen. Das könnte eine Weise sein, um sich über kulturelle Unterschiede entspannt zu unterhalten.«

Gerald Passath: »Gerne gebe ich Ihnen aus meiner Praxis ein paar Erfahrungen weiter:
Planen Sie neben häufigen, kurzen inhaltlichen Meetings auch regelmäßig Meetings zum Thema Team und Zusammenarbeit, ›Socialising‹ und freiwillige Online-Aktivitäten, die zu Ihrer Unternehmenskultur und den Länderkulturen passen (Frühstück, Cafés, Projektfeiern, After Work Drinks, Games, … ).
Wertschätzender Umgang mit anderen kulturellen Hintergründen und eine angemessene Einladung, einen eigenen Beitrag zu liefern und die eigene Sicht einzubringen – ohne Zwang und ohne dass Einzelpersonen dabei ihr ›Gesicht verlieren‹ (was wesentlich ist z. B. für Indien, China und etliche südostasiatischen Länder).
Persönliches, Emotionen, Bilder, Videos einbauen, wenn in Meetings ›polychrone‹ Kulturen und Persönlichkeiten vertreten sind.
Häufigere Pausen, um neben der notwendigen Erholung von anstrengenderen Online-Meetings persönliche Rückzugsmöglichkeiten und – auf individueller und interkultureller Subgruppen-Ebene – Abstimmungs- und Rücksprachemöglichkeiten zu bieten.
In polychronen Kulturen dienen Meetings hauptsächlich zum ›Treffen‹ im wörtlichen Sinne, zum (Wieder)Sehen, Beziehungs- und Vertrauensaufbau. Und um Eindrücke zu gewinnen, wie Personen ›ticken‹ und wie wichtige Themen von anderen gesehen werden. Entscheidungen fallen meist außerhalb der Meetings.
In monochronen Kulturen sind Meetings tendenziell viel strukturierter, ziel- und inhaltsorientierter. Und häufiger stärker auf Entscheidungen abzielend. Lassen Sie sich daher auf die jeweilige Zielkultur ein. Und fragen Sie sich, was Sinn und Zweck des Meetings ist.«

Fazit
Mit genügend Know-how im Umgang mit anderen Kulturen, speziell wenn es um Führung und Meetings geht, lässt sich eine angenehme Kultur gezielt gut aufbauen. Unnötige Fehler, die Vertrauen und Motivation kosten, können vermieden werden. Gerade wenn in Ihrem Unternehmen viele Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenarbeiten, lohnt es sich, in dieses Wissen zu investieren.

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Interkulturelle Kompetenz