Kundenerlebnisse verbessern

Was man unter User Experience und Design Thinking versteht und wie Sie diese
Instrumente gezielt einsetzen können, lesen Sie in diesem Artikel.

Die Erfahrungen – vielmehr die Erlebnisse – des Kunden sind seit jeher essenziell für jeden, der ein Produkt oder eine Dienstleistung anbietet. Wenn man dabei etwas über den Tellerrand blickt, seine eigenen Ansichten in den Hintergrund stellt, lernt man mitunter, dass vielleicht die eigene Welt doch nicht die Schönste ist. Stellen Sie sich vor, sie kochen einem lieben Menschen ein schönes Abendessen. Das kann man mit einem leicht arroganten Lächeln in selbstverständlicher Art und Weise vorsetzen – »Mahlzeit!«, oder man kann beobachten, was der Gesichtsausdruck des Gegenübers beim Anblick des Tellers verrät, wie die Reaktionen beim ersten Bissen ausfallen, fragen wie es riecht, wie es schmeckt. Nur so kann man die Nutzererlebnisse erkunden, darauf reagieren und sein Produkt oder Service verbessern. Wir befinden uns dann im sogenannten »User Centric Approach«, der Kunde steht im Mittelpunkt, nicht die eigene Welt. Der Kunde sagt schlimmstenfalls die Wahrheit. Die Wahrheit tut oft weh, ist aber eine gute Voraussetzung für eine stabile Zusammenarbeit, sowohl im Berufsleben, als auch beim gemeinsamen Abendessen. Im Fachjargon nennt sich das »User Experience«, zu Deutsch Kunden- bzw. Nutzererfahrung, oder vielmehr: das Nutzererlebnis. Und das gilt es zu maximieren. Für das gesamte Produkt oder die gesamte Dienstleistung. Vom ersten Kontakt an (z. B. Aufmerksamkeit durch Werbung), über das Kaufen und Auspacken (der Wow-Effekt beim Öffnen der Verpackung), der »eigentliche« Nutzen, bis hin zum Servicieren oder Recyclen am Ende des Produktlebenszyklus. Man spricht dann von einer Customer Journey – welche Schnittstellen zum User hat mein Produkt, meine Dienstleistung, aus Sicht des Produkts?
Kommen wir zurück zu unserem Abendessen: Wie ist das Besteck angeordnet? Gibt es Servietten? Aus Papier oder Stoff? Sind die Gläser poliert? Passt das Glas überhaupt zum Getränk? Man kann sich zig Fragen über die Präsentation stellen, und das Essen ist noch nicht mal am Herd. Der eine wird Wert darauf legen,  ob die Schneide des Messers Richtung Teller zeigt oder in die entgegengesetzte, der andere wird erst durch das sprichwörtliche Haar in der Suppe emotional angesprochen.
Diese Befindlichkeiten können nur durch einen User Research gefunden werden. Meist wird beim User Research die Technik der Interviewführung angewendet. In einem offenen, netten Gespräch zu einem Thema kann am meisten über die Gewohnheiten des Users, seine Wünsche und seine Schmerzen, erfahren werden. Der Interviewführende hat einen roten Leitfaden und lässt je nach Reaktion des Users, diesen über einen Punkt ausführlicher reden bzw. fragt in Einzelfällen nach. Dabei werden die Fragen möglichst offen gestellt, sodass die Antwort möglichst offen ausfällt. Dabei natürlich so konkret wie nötig. Setzten wir uns wieder zum Abendmahl. Klassisches Beispiel: »Weiß oder Rot?«, oder etwas offener: »Welchen Wein präferierst du?«, was dann in weiterer Folge eine guter Grundlage für eine Unterhaltung über diverse Rebsorten ist.
Dabei muss man ganz klar zwischen qualitativen unter quantitativen Interviews unterscheiden. Braucht man eine Wein-Statistik über die vergangenen Tinder-Dates, so ist das eine klassische Umfrage, z. B. mit Fragebogen. Oder will man ausgewählte Personen generell zum Thema »Dinieren« befragen?
Oft reicht Fragen nicht aus, und oft ist Befragen nicht möglich. Dann muss man den User beobachten. Solche Observations, also das Beobachten des Nutzers, ob bewusst oder unbewusst, bringt oft einige Überraschungen hervor. Auch Dinge wie soziale, kulturelle oder religiöse Unterschiede können ohne direktes Gespräch oft sehr gut beobachtet werden. Bei dem Essen aus einer gemeinsamen Salatschüssel ist das sicher dem ein oder anderen schon aufgefallen.
Es gibt unterschiedliche Arten von Usern. Neben den »Normalen« gibt es auch noch die »Extreme« User, von dem man ebenso lernen kann. Oder der Non-User, der dieses Produkt nie benutzen wird. Aber auch ein solcher kann uns Dinge erzählen, an die wir nicht denken. Oder wissen Sie, wie ein Blinder sich im Alltag fühlt und zurechtfindet, und viel wichtiger, wie der uns beim Thema autonomes Fahren unterstützen kann? Immerhin sind in so einem Fahrzeug alle Insassen »blinde Passagiere«.

Design Thinking

Der Research an ausgewählten Usern ist ein Tool eines großen Werkzeugkoffers namens Design Thinking. Das ist sozusagen der Weg, um die Nutzererfahrung, die UX eines Produkts oder eine Dienstleistung, zu maximieren. Der Name stammt aus der Idee, dass man wie ein Designer, also eine Kombination aus Versteher, Beobachter, Ideenfinder oder Verfeinerer an das Aussehen und die Interaktionsmöglichkeit eines Produkts herangeht. Design Thinking besteht aus drei Teilen:
People: Das Credo dabei ist im Grunde: Die richtigen Leute zusammenbringen. Genau diese, nicht mehr und nicht weniger. Interdisziplinäre Teams, wo Entwickler mit Sales, Marketing, Produktion, Rechtsabteilung etc. sich zusammensetzten und gemeinsam ein Projekt durchführen.

User experience (UX) on digital tablet app concept. User and UX text.
User experience (UX) on digital tablet app concept. User and UX text.

Place: Die richtigen People brauchen richtige Places. Also Orte, an denen man arbeiten kann. Z. B. muss der Projektraum flexibel gestaltet werden können. Selten braucht man Tische, des Öfteren braucht man Wände, um Ideen anzubringen, Stühle sollten leicht verstellbar sein.

Processes: Die richtigen Leute am richtigen Ort brauchen auch einen gewissen Rahmen, in dem sie arbeiten. Im Grunde einen klassischen Projektablauf mit Zeit- oder Ressourcenplanung, der um Dinge wie die eingangs erwähnten Customer Journey und User Research und vielen weiteren Tools erweitert wird. Die einzelnen Prozessschritte sind optimal aneinandergereiht und können mit Iterationen wiederholt werden. So wird der größtmögliche Output erzeugt.

Wie sieht User Experience und Design Thinking abseits eines schönen Abendessens im Berufsleben aus? Ein sehr gutes Beispiel hat ein schwäbischer Mittelständer mit der Einführung des Elektrofahrrades gebracht. Ingenieure können den allerbesten Elektromotor bauen. Fahrradfreaks können sich ultimative Steuerungen einfallen lassen, vom Turbo Boost bis hin zum »Super Pursiut Mode«. Wie jedoch sieht die Welt da draußen aus? In einem großen UX-Projekt wurde sehr früh erkannt, dass der typische Radfahrer Angst hat, die Hände vom Lenker zu nehmen. Der Griff zu einem mittig befestigten Boardcomputer wurde durch eine Fernbedienung in Daumenreichweite ersetzt. Das Sicherheitsgefühl bleibt, weil beide Hände immer am Lenker sind – the real user need.
Ebenso konnte jenes Unternehmen zeigen, was passiert, wenn nicht nur Profis für Profis entwickeln. Ein ganz normaler User, der im schwedischen Möbelhaus seines Vertrauens einen Kasten erwirbt, den er dann zu Hause selbst zusammenschrauben muss, braucht in der Regel keine Bohrmaschine, die er kaum heben kann. Für die paar Kleinigkeiten reicht auch etwas Einfacheres. Und somit wurde das meistverkaufte Elektrowerkzeug der Welt entwickelt. Dieses kann mit entsprechendem Aufsatz auch mit Pfeffermühle und Korkenzieher bestückt werden. Passend für die Einweihungsfeier nach dem Möbelaufbauen. Unvorstellbar für den Professionellen auf einer Baustelle – so unterschiedlich sind User.
Ein HR-Beispiel aus Österreich: Das Onboarding wurde grundlegend verändert. Eine Vielzahl an verschiedenen Usern wurde befragt, mit teils überraschenden Erkenntnissen:
Mögliche neue Mitarbeiter – optimaler Auftritt für effizientes Recruiting bei genau den Richtigen
Konkrete Bewerber – Gutes und Schlechtes am Bewerbungsprozess, Wartezeitverkürzung
Einarbeitungszeit – effizienterer Prozess bei der Einarbeitung
Führungskräfte – Verbesserung interner Abläufe
HR Kollegen – Reibungslosere Zusammenarbeit der einzelnen Verantwortlichen
Service-Bereiche wie Facility Management und IT – Mehr Kommunikation nötig

Mit wenigen Mitteln konnte eine enorme Effizienzsteigerung in den Prozessen und im Tooling erreicht werden. Die User waren sehr erfreut und haben es geschätzt, dass sie befragt wurden – im Grunde die eigenen Kollegen. Und die es nicht wurden, konnten einen positiven Spirit in die Welt tragen. Es muss nicht immer ein pompöses neues Projekt sein, wo wir dann alle neuen erworbenen Erkenntnisse einsetzen, und diesmal wirklich alles richtigmachen. Einfach jetzt starten. Wann habt Ihr das letzte Mal Euren User nach seinen Bedürfnissen gefragt? Glaubt mir, jeder hat einen Nutzer!

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Gastautor
Florian Kogler
ist User Experience & Design Thinking Coach bei der Robert Bosch AG.
www.bosch.at

 

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